MDR-Blog

Anwaltsblog: (Für den Rechtsanwalt) gefährliche Vergleiche

Hans Christian Schwenker  Hans Christian Schwenker
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Der Rechtsanwalt muss seinen Mandanten durch verständliche Darlegung der Sach- und Rechtslage in den Stand versetzen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, ob er einen Vergleichsvorschlag annimmt. Diese Pflicht entfällt nur dann, wenn der Mandant die Vorteile und Risiken des beabsichtigten Vergleichs bereits kennt. Wen trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Entfallen der Beratungsbedürftigkeit des Mandanten?

Der Kläger, der einen Fachbetrieb mit Abdichtungsarbeiten an seinem Haus beauftragt hatte, stellte anschließend Feuchteschäden fest. In einem von ihm daraufhin angestrengtem selbständigen Beweisverfahren stand beim zweiten Ortstermin, an dem für den Kläger dessen Ehefrau teilnahm, ein Bagger bereit, mit dem die zur Begutachtung erforderlichen Aufgrabungen vorgenommen werden sollten. Noch vor deren Beginn kam es zu Vergleichsgesprächen. Schließlich wurde ein durch gerichtlichen Beschluss bestätigter Vergleich geschlossen, durch den sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag über die Abdichtungsarbeiten abgegolten und erledigt sein sollten. Da die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten mehr als das Vierfache der Vergleichssumme von 55.000 € betragen, verlangt der Kläger von seinem Rechtsanwalt die Differenz als Schadensersatz.
Die Klage hat zunächst keinen Erfolg. Das OLG meint, die Bedeutung von Abgeltungsklauseln sei dem verständigen Verbraucher bekannt. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, dass er abweichend von einem verständigen Mandanten die Bedeutung einer Abgeltungsklausel nicht gekannt und der Beklagte dies erkannt habe.
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Zu den entscheidenden Weichenstellungen in einer Rechtsangelegenheit zählt die Frage, ob diese durch einen Vergleich beendet werden soll. Der Mandant muss in die Lage versetzt werden, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dazu bedarf es in aller Regel einer anwaltlichen Beratung, deren Art und Umfang nicht generell abstrakt festgelegt werden kann. Die konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmen vielmehr, in welcher Art und in welchem Umfang der Mandant zu beraten ist. Um eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs treffen zu können, muss der Mandant insbesondere um die Vor- und Nachteile einer (vorzeitigen) Beendigung seiner Rechtsangelegenheit durch Vergleich wissen. Eine Beendigung der Angelegenheit durch Vergleich kann für den Mandanten derart nachteilig sein, dass der Rechtsanwalt vom Vergleichsschluss abzuraten hat. Allerdings ist nicht jeder Mandant beratungsbedürftig. Das gilt auch im Falle der beabsichtigten Beendigung einer Rechtsangelegenheit durch Vergleich. Ist der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile im Bilde und deshalb in der Lage, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Vergleich zu treffen, bedarf es keiner (zusätzlichen) Beratung durch den Rechtsanwalt. Da der umfassend vorinformierte und deshalb nicht beratungsbedürftige Mandant in der Rechtswirklichkeit die Ausnahme bildet, hat der Rechtsanwalt grundsätzlich von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten nicht oder nicht ausreichend über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs beraten und aufgeklärt, trifft den Rechtsanwalt daher die Darlegungs- und Beweislast, dass der Mandant in dieser Hinsicht nicht beratungsbedürftig gewesen ist. Maßgeblich ist daher, ob der Kläger das für ihn aufgrund der Abgeltungsklausel des Vergleichs bestehende Risiko tatsächlich und zutreffend erkannt hat. Zwar musste der Kläger keine nähere Vorstellung von dem Unterschiedsbetrag zwischen den tatsächlichen Mangelbeseitigungskosten und der Vergleichssumme haben. Erforderlich war aber die Kenntnis, dass man möglicherweise einen ganz erheblichen Teil der Mangelbeseitigungskosten selbst zu tragen haben würde.
(BGH vom 20.04.2023 – IX ZR 209/21 – MDR 2023, 872)

Fazit: Der Rechtsanwalt muss beweisen, dass der Mandant keiner Beratung bedurfte. Um in einem eventuellen Regressprozess nicht in Beweisnot zu geraten, empfiehlt es sich für den Rechtsanwalt, dem Mandanten die wesentlichen Gesichtspunkte noch einmal schriftlich darzulegen.

Mehr zum Autor: Hans Christian Schwenker ist Rechtsanwalt in der Kanzlei add LEGAL in Hannover

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie müssen sich einloggen um einen Kommentar schreiben zu können.