Bekanntlich darf ein Berufungsgericht ein Urteil eines erstinstanzlichen Gerichts nicht nur abändern, sondern das Urteil auch aufheben und den Rechtsstreit dann an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen (§ 538 Abs. 2 ZPO). Diese Vorschrift wird von zahlreichen Berufungsgerichten in einer Weise angewendet, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung und auch der Absicht des Gesetzgebers diametral widerspricht.
Gerade die Landgerichte als Berufungsgerichte, deren Urteile in aller Regel einer Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde nicht unterliegen, machen sehr häufig von dieser Möglichkeit Gebrauch. Wenn – anders als in der ersten Instanz geschehen – z.B. ein Sachverständigengutachten für notwendig erachtet wird, wird sogleich eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme unterstellt und der Rechtsstreit zurückverwiesen. Dies ist allerdings grob gesetzeswidrig, da die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach ständiger Rechtsprechung des BGH natürlich noch keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme darstellt, genauso wenig die Vernehmung von wenigen Zeugen.
In seiner neuen Entscheidung zum „LKW-Kartell“, auf deren Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann, hat der BGH (Urt. v. 1.10.2024 – KZR 60/23, WM 2024, 2258) auch Ausführungen zu diesem Problemkomplex vorgelegt. Folgendes ist – einmal wieder – in aller Deutlichkeit festzuhalten (Rn. 47 ff.):
Die Möglichkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung wurde durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2001 gegenüber der damaligen Gesetzeslage deutlich eingeschränkt. Zurückverweisungen sollten eine unverzichtbare Ausnahme sein und eine eigene Entscheidung des Berufungsgerichts die Regel werden. Die in § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO angesprochene umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme muss daher sicher zu erwarten sein. Es ist gerade nicht ausreichend, wenn sie im weiteren Verlaufe des Verfahrens unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich werden könnte. Im konkreten Fall war eine Gesamtschau aller Umstände durchzuführen und gegebenenfalls eine Schätzung nach § 287 ZPO vorzunehmen. Auch hatten die Parteien bereits Gutachten vorgelegt. In einer solchen Konstellation ist die Durchführung einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerade nicht zu erwarten. An diesem Ergebnis ändert sich auch dadurch nichts, dass alle Parteien die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt hatten. § 295 ZPO gilt hier gerade nicht, da es sich um einen Fehler bei der Urteilsfällung handelt.
Fazit: Die wenigsten Aufhebungen und Zurückverweisungen durch Berufungsgerichte halten einer Kontrolle durch die Revisionsgerichte stand! Von einer Aufhebung und Zurückverweisung sollte nur in klaren Fällen und nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.