Kleine BRAO-Reform nimmt Gestalt an.

Durch den Bundestag ist es zwar noch nicht beschlossen. Aber immerhin hat der Rechtsausschuss am 8.3.2017 seine Empfehlungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe abgegeben. Damit nehmen die geplanten Änderungen der BRAO (sog. kleine BRAO-Reform) endlich Gestalt an.

So soll der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ab 1.1.2018 verpflichtet sein, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang
von Mitteilungen über das besondere elektronische Anwaltspostfach zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus wird durch eine Änderung des § 31a Abs. 1 S. 1 BRAO klargestellt, dass das Postfach auch schon vorher durch die BRAK empfangsbereit geschaltet werden darf. Freilich ordnet der bereits geltende § 31 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV) eine Übergangsphase bis 31.12.2017 an. Im Ergebnis beginnt somit die „passive Nutzungspflicht“ für die Anwälte am 1.1.2018.

§ 27 BRAO soll ab 1.1.2018 dahingehend erweitert werden, dass es neben der Kanzlei und der Zweigstelle auch „weitere Kanzleien“ als Standortform geben soll. Diese Änderung soll klarstellen, dass ein Berufsträger bspw. innerhalb einer Sternsozietät mehrere gleichgeordnete Standorte haben kann. Der Begriff der Zweigstelle suggeriert bislang eine Nachordnung, obwohl er im berufsrechtlichen Sinne nur die Abgrenzung von der Zulassungs- bzw. Hauptkanzlei bedeuten sollte. Darüber hinaus hat die Bundesrechtsanwaltskammer für jede im Gesamtverzeichnis eingetragene weitere Kanzlei eines Mitglieds einer Rechtsanwaltskammer zukünftig ein weiteres besonderes elektronisches Anwaltspostfach einzurichten.

Eine besondere Bedeutung für die anwaltliche Selbstverwaltung und die demokratische Legitimation des Kammervorstands hat die Einführung einer Briefwahl ab 1.7.2018. Bislang kann der Kammervostand nur durch persönliche Stimmabgabe der Mitglieder in der Kammerversammlung gewählt werden. Während bei der Wahl zur Satzungsversammlung, die schon immer als Briefwahl durchgeführt wurde, ca. ein Viertel der Mitglieder ihre Stimme abgeben, so sind es in der Kammerversammlung nur wenige Prozent. Viele Mitglieder scheuen die Anreise und die aufzuwendende Zeit. Zukünftig soll die Wahl parallel durch Briefwahl und in der Kammerversammlung erfolgen können. Auch die elektronische Wahl wird zugelassen.

Rechtsklarheit wird es auch bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt geben. Der BGH hat die Berufspflicht, ein Empfangsbekennntis zurücksenden zu müssen, jüngst gekippt, weil es an einer Ermächtigungsgrundlage für die Satzungsversammlung fehle (Urteil vom 26.10.2015, AnwSt (R) 4/15). Nunmehr wurde diese Ermächtigungsgrundlage ausdrücklich geschaffen. Die 6. Satzungsversammlung hatte in ihrer 3. Sitzung am 21.11.2016 bereits einen entsprechenden Vorratsbeschluss gefasst.

Lange wurde gerungen, ob die allgemeine Fortbildungspflicht für die Rechtsanwälte konkretisiert werden solle. Zudem sollten Bewerber für die Rechtsanwaltszulassung ihre berufsrechtlichen Kennntisse nachweisen. Beiden Vorhaben erteilte der Rechtsausschuss etwas lapidar eine Absage. Es werde kein Bedürfnis für derartige Regelungen gesehen.

Gleiches gilt übrigens für die Überlegungen als weiteres Sanktionsmittel im berufsaufsichtlichen Verfahren die Geldbuße mit vorzusehen. Bislang kann durch die Kammervorstände lediglich eine Rüge verhängt werden. Alternativ bleibt die Abgabe des Verfahrens an die Generalstaatsanwaltschaft. Für die Einführung eines weiteren Sanktionsmittels sah der Rechtsausschuss allerdings „aktuell keinen Anlass“.

Erfreulich ist zum Schluss noch das Ergebnis der Diskussion zur Anwendung des RDG auf ausländische Rechtsdienstleister. Hier konnte sich ein Vorschlag der BRAK durchsetzen. Nach § 1 Abs. 2 RDG wird voraussichtlich folgende Regelung gelten: „Wird eine Rechtsdienstleistung ausschließlich aus einem anderen Staat heraus erbracht, gilt dieses Gesetz nur, wenn ihr Gegenstand deutsches Recht ist.“

Zweiter Versuch: Kabinett beschließt Gesetzentwurf zur eAkte in Strafsachen

Nun kommt sie also doch noch, die elektronische Akte in Strafsachen. Am 4.5. wurde der Kabinettsentwurf beschlossen, vgl. http://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/05042016_Elektronische_Akte_.html und http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_elektronische_Akte_in_Strafsachen.pdf

Der Justizminister Maas meint hierzu laut Pressemitteilung: „Mit der Einführung der elektronischen Akte auch im Strafverfahren gehen wir einen wichtigen Schritt zur Modernisierung und Effektivierung der Strafjustiz. Wir müssen das Verfahrensrecht der Realität anpassen, in der die elektronische Arbeitsweise längst Einzug gehalten hat. Wenn die Mehrzahl der in einer Akte enthaltenen Dokumente bereits heute elektronisch erstellt wird, ist die elektronische Aktenführung konsequent und zeitgemäß.“

Nach  dem  Entwurf  soll  es  darüber  hinaus  ab  dem  Jahr  2018  möglich  sein,  alle  Anträge  und  Erklärungen  im  Mahnverfahren,  für  die  maschinell  lesbare  Formulare  eingerichtet
sind,  in  nur  maschinell  lesbarer  Form  zu  übermitteln.  Rechtsanwälte  und  Inkassodienstleister  werden  grundsätzlich  ab  diesem  Zeitpunkt  verpflichtet,  die  Folgeanträge,  für  die
maschinell  lesbare  Formulare  eingerichtet  sind,  in  nur  maschinell  lesbarer  Form  einzureichen.

Kommt beA am 29.9. trotz Gegenwind?

Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und mit ihm des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs läuft – wie zu erwarten – nicht ganz störungsfrei. Ursprünglich sah das Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkerkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (ejustice-Gesetz) vor, dass ab 1.1.2016 allen zugelassenen Anwälte durch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) zur Verfügung gestellt wird, § 31a BRAO.

Mit Presseerklärung vom 26.11.2015 teilte die BRAK mit, das beA erfülle „derzeit“ nicht alle Erwartungen an die Qualität in Bezug auf die Nutzerfreundlichkeit. Man verschiebe daher den Starttermin auf unbestimmte Zeit. Mit Presseerklärung vom 14.04.2016 kam jetzt die lang ersehnte Information zu dem neuen Starttermin. Am 29.9.2016 soll es soweit sein: das beA kann genutzt werden. Die Erstregistrierung (also das Anlernen des Zugangsmediums) wird mindestens zwei Wochen vor dem Starttermin möglich sein. Auch die Bundesnotarkammer hat angekündigt, die Produktion und den Versand der Zugangsmedien ab sofort wieder aufzunehmen.

Die Kosten für die Einrichtung und den Betrieb dieses Postfaches legt die BRAK auf die regionalen Rechtsanwaltskammern um. Diese wiederum erheben von ihren Mitgliedern (höhere) Beiträge oder Umlagen. Hiergegen hat sich bereits ein Mitglied gerichtlich gewandt. Der BGH entschied mit Urteil vom 11.1.2016 (AnwZ (Brfg) 33/15), dass eine Umlage zur Finanzierung des beA rechtmäßig ist; insbesondere werfe § 31a BRAO keine verfassungsmäßigen Bedenken auf.

Die Frage, wer die Kostenlast für das beA zu tragen hat, wird mittlerweile überschattet von der Frage, ob das beA auch genutzt werden muss. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass keine Pflicht besteht, das beA aktiv für den Versand zu nutzen. Der Gesetzgeber hat im neuen § 130a ZPO mehrere alternative Zugangswege vorgesehen, um mit den Gerichten zu kommunizieren.

Ziel des Gesetzgebers bei Einführung des ejustice-Gesetz war es allerdings, alle zugelassenen Anwälte für Gerichte und Behörden elektronisch und auf einheitliche Art und Weise erreichbar zu machen. Daher vertritt die BRAK die Auffassung, das beA für alle Anwälte am 29.9. so einzurichten, dass es empfangsbereit ist. Um u.a. Haftungsgefahren zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, ab 29.9. das beA regelmäßig zu kontrollieren oder sich zumindest über E-Mail bei Eingängen benachrichtigen zu lassen.

Diese mittelbare Kontrollpflicht führt zu der häufig genannten passiven Nutzungspflicht. Diese Pflicht ist – wie die Pflicht den Hausbriefkasten zu leeren – naturgemäß gesetzlich nicht geregelt. Hiergegen wenden sich  Anwälte vor dem AGH Berlin in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Sie begehren, das beA nicht ohne Einwilligung des betroffenen Anwalts empfangsbereit zu schalten. Flankierend wurde nun durch Dehley, NJW 18/2016, 1274, festgestellt, dass § 31a BRAO keine passive Nutzungspflicht erlaube. Die faktische Freischaltung des Empfangs sei verfassungswidrig.

So bleibt mit Spannung zu erwarten, ob es bei dem Starttermin am 29.9. – für alle Anwälte – bleiben wird. Möglicherweise entschließt sich der Gesetzgeber noch zu einer Klarstellung im Gesetz.

 

Die Verschwiegenheitspflicht gilt auch für die Rechtsanwaltskammer

In einem kürzlich veröffentlichten Urteil des BGH (Urt. v. 11.1.2016 – AnwZ (Brfg) 42/14) vertrat dieser die Ansicht, dass die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammern auch gegenüber dem Beschwerdeführer im berufsaufsichtlichen Verfahren gelte.

Wird durch einen Dritten eine Beschwerde bei der Kammer eingereicht, so wird der betroffene Anwalt, der angeblich gegen Berufsrecht verstoßen haben soll, hierzu schriftlich angehört. Dessen Stellungnahme wird dem Dritten häufig wieder zugeleitet mit der Frage, ob sich das Beschwerdeverfahren dadurch erledigt habe.

Im konkreten Fall war Beschwerdeführer eine weitere Rechtsanwaltskammer. Der Beschwerdegegner wurde im Rahmen der Anhörung  darauf hingewiesen, er könne einer Weiterleitung widersprechen. Da ein Widerspruch nicht erfolgt war, gelangte seine Stellungnahme zur beschwerdeführenden Rechtsanwaltskammer.

Der Beschwerdeführer wandte sich hiergegen mit einer Feststellungsklage. Er unterlag vor dem AGH Hamm wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses. Die beklagte Kammer hatte zuvor geäußert, sie werde Stellungnahmen des Klägers nicht mehr an Dritte weiterleiten.

Der BGH gab der Klage statt. Insbesondere bestehe ein Feststellungsinteresse. Die beklagte Kammer hatte nämlich in einem weiteren Aufsichtsverfahren gegen den Kläger wieder auf die erwähnte Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen und damit zum Ausdruck gebracht, sie beabsichtige bei fehlendem Widerspruch weiterhin eine Weiterleitung an den Beschwerdeführer.

Überdies sei die Klage auch begründet. Denn die Kammer könne sich nicht auf eine Befugnis berufen, die die Verschwiegenheitspflicht nach § 76 BRAO einschränke. Insbesondere seien die beschwerdeführenden Dritten keine „Verfahrensbeteiligten“.

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Kammer und Mitglied ist wesentlicher Bestandteil der anwaltlichen Selbstverwaltung und eine Fortsetzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht. Zukünftig darf daher keine Widerspruchslösung praktiziert werden. Die Weiterleitung von Stellungnahmen sollte nur erfolgen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Anwalts hierzu vorliegt.