Blog powered by Zöller: Video erobert die Justiz

„Hören Sie mich?“ Diese für Videokonferenzen typische Frage wird bald auch in Gerichtsverhandlungen häufiger zu vernehmen sein. Der Grund: Einem soeben veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten des Bundesjustizministeriums zufolge soll künftig wesentlich häufiger per „Bild- und Tonübertragung“ (§ 128a ZPO) verhandelt werden.

  • Bisher konnte das Gericht den Beteiligten nur gestatten, sich per Video zu einer im Gerichtssaal stattfindenden Verhandlung zuzuschalten; künftig soll der Vorsitzende anordnen können, dass die ganze Verhandlung virtuell stattfindet.
  • Bisher konnte ein Beteiligter trotz der Gestattung persönlich zur Verhandlung seiner Sache erscheinen; künftig bedarf er hierfür einer Ausnahmebewilligung.

Und wenn beide Parteien virtuell verhandeln wollen, kann der Vorsitzende dies dem Entwurf zufolge nur mit guten Gründen ablehnen. Weil der Entwurf hiergegen die sofortige Beschwerde zulässt, kann dem Gericht eine virtuelle Verhandlung auch von oben auferlegt werden. Laut Entwurfsbegründung darf die Ablehnung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht mit der Bedienung der Videokonferenztechnik nicht vertraut ist oder die Technik als störend empfindet. Es wird also unabdingbar sein, die Richterinnen und Richter in der durchaus anspruchsvollen Moderation von Videokonferenzen fortzubilden.


 

 

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Nach dem Entwurf kann der Vorsitzende künftig auch vom Büro oder von Zuhause aus die Verhandlung leiten. Die weiteren Mitglieder des Spruchkörpers bekommen einen gesonderten Zugang, sodass Gerichtsverhandlungen mehr einem Video-Chat ähneln, bei dem Richter, Rechtsanwälte, Parteien, Dolmetscher, ggf. auch Sachverständige und Zeugen nur noch als Kacheln auf dem Monitor erscheinen, eventuell mit einer bunten Vielfalt von virtuellen oder realen Hintergründen und sehr unterschiedlicher Bild- und Tonqualität. Die gesetzlich gebotene Öffentlichkeit dieser Veranstaltung soll dadurch hergestellt werden, dass sie in einen allgemein zugänglichen Raum des Gerichts übertragen wird. Den beim TV-Publikum so beliebten Gerichtsshows wird also ein ganz neues Format hinzugesellt – noch dazu mit realen Fällen. Wie dieses Reality-TV – insbesondere bei größeren Gerichten – organisatorisch bewältigt werden soll, überlässt der Entwurf den Gerichtsverwaltungen. Eine Monitorwand mit Kopfhörern dürfte kaum eine angemessene Lösung sein.

Auch zur Urteilsberatung müssen sich die Richter künftig nicht mehr in nüchternen Diensträumen zusammensetzen. Möglicherweise fällt die Rechtsfindung ja von der heimischen Couch aus leichter –  vorausgesetzt, dass Mitbewohner zur Wahrung des Beratungsgeheimnisses ferngehalten werden (auch das steht sinngemäß in dem Entwurf). Ob die Diskussion mit dem Monitorbild dieselbe Qualität hat wie der Diskurs in Rede und Widerrede, darf freilich bezweifelt werden. Auch könnte das kollegiale Klima darunter leiden, dass die Kammer- oder Senatsmitglieder sich auf die Form der Beratung einigen müssen und hierbei die Abwägung zwischen Bequemlichkeit und Gründlichkeit unterschiedlich ausfallen kann.

Die öffentliche mündliche Verhandlung mag in manchem Standardfall als unnötige Formalität erscheinen – dann sollte auf sie aber, was § 128 Abs. 2 ZPO ja ermöglicht, ganz verzichtet werden. Erscheint mündliches Verhandeln geboten, sollte auf elektronische Medien nur dann zurückgegriffen werden, wenn dies nach richterlichem Ermessen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten ist. Kein Prozessbeteiligter sollte zu dieser Form der Kommunikation gezwungen, wo sie sachgerecht ist, ein dem Rechtsprechungsvorgang angemessener Rahmen gewahrt werden. Vermehrt sollte die Videotechnik aber bei der informellen Kommunikation zwischen Gericht und Parteivertretern außerhalb der mündlichen Verhandlung zum Einsatz kommen, etwa um Verfahrensmodalitäten abzusprechen oder rechtliche Hinweise zu geben. Durch solche Verfahrenskonferenzen oder Erörterungstermine (s. dazu Zöller § 273 Rn 15) können echte Verfahrenserleichterungen herbeigeführt werden. Eine zu weitgehende Virtualisierung der Rechtsprechung ginge hingegen zu Lasten ihrer Qualität und ihrer Reputation (dazu Zöller § 128a Rn 1 m.w.N.).

 


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