BGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs mangels Kenntnisnahme eines Schriftsatzes

Der BGH hat mit Beschl. v. 28.5.2020 – I ZR 214/19 eine Verletzung des rechtlichen Gehörs  auch für den Fall angenommen, dass ein frist­ge­recht ein­ge­reich­ter Schrift­satz aufgrund gerichtsinterner organisatorischer Probleme ver­se­hent­lich un­be­rück­sich­tigt bleibt.

Das LG hatte eine Klage im Wesentlichen abgewiesen. Die Beklagte legte Berufung ein. Das OLG kündigte im Rahmen eines Hinweisbeschlusses an, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Stellungnahmefrist für die Beklagte zu diesem Beschluss wurde mehrfach verlängert. Nach Fristablauf wies das OLG die Berufung zurück und nahm auf den Hinweisbeschluss Bezug. Am letzten Tag der Frist war jedoch eine Stellungnahme eingegangen, und zwar im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs. Diese wurde dem zuständigen Senat aber erst nach Erlass des Beschlusses vorgelegt. Dies lag daran, dass der Drucker in der Wachtmeisterei des Hauptgebäudes ausgefallen war und deswegen der Schriftsatz in einem Nebengebäude ausgedruckt wurde. Infolge des verlängerten Transportweges kam es zu der verspäteten Vorlage.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das OLG hat das rechtliche Gehör verletzt. Ein Verschulden des Spruchkörpers ist dafür nicht erforderlich. Gerichtsinterne organisatorische Probleme dürfen sich nicht zu Lasten der Rechtssuchenden auswirken. Eine versehentliche Nichtberücksichtigung eines Schriftsatzes reicht daher für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aus. Allerdings muss bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs die Entscheidung auch auf der Nichtberücksichtigung beruhen. Wenn die Beklagte in dem nicht berücksichtigten Schriftsatz nur auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen hätte, könnte ausgeschlossen werden, dass das OLG bei Kenntnis des Schriftsatzes abweichend entschieden hätte. Im hier zu beurteilenden Fall hatte sich der Schriftsatz jedoch mit dem Hinweisbeschluss argumentativ auseinandergesetzt, darüber hinaus war noch ein neuer Vortrag erfolgt. Zudem wurde noch ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt.

Unter diesen Umständen konnte nicht ausgeschlossen werden, dass das OLG – was ausreichend ist – bei Kenntnisnahme des Schriftsatzes abweichend von der tatsächlichen Entscheidung entschieden hätte. Demgemäß hat der BGH den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Fazit: Der Verfahrensablauf ist ärgerlich. Aufgrund eines Druckerausfalls wird der Rechtsstreit möglicherweise deutlich teurer. In derartigen Fällen sollten die Justizverwaltungen sofort reagieren und per Mail alle Gerichtsmitglieder darüber verständigen, dass die Vorlage von Schriftsätzen länger dauern könnte. Weiterhin ist zu erwägen, Gerichtskosten gegebenenfalls niederzuschlagen. Auch müssten unter Umständen seitens der Beteiligten Amtshaftungsansprüche geprüft werden.