Der Einsatz von generativen KI-Systemen in der Streitbeilegung

Prof. Dr. Christian Piroutek, LL.M.  Prof. Dr. Christian Piroutek, LL.M.
Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Stralsund

Co-Autor:
Prof. Dr. Simon J. Heetkamp, LL.M.

Professor an der TH Köln/ivwKöln | Richter am Landgericht

Befeuert durch die Markteinführung und weit verbreitete Nutzung von auf künstlicher Intelligenz basierenden Large Language-Modellen wie ChatGPT oder Google Bard, ist die Diskussion um Chancen und Risiken des Einsatzes von künstlicher Intelligenz derzeit allgegenwärtig. Auch im Rahmen von gerichtlichen und außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren ist der Einsatz solcher Textgeneratoren bereits Realität. Erst kürzlich geriet ein US-amerikanischer Anwalt ungewollt in die Schlagzeilen, als er vor Gericht einräumen musste, dass ein Teil der in einem Schriftsatz angeführten Rechtsprechungsnachweise auf Halluzinationen von ChatGPT beruhte und in Wirklichkeit nicht existierte. Diese (für den betroffenen Anwalt sicher unangenehme) Situation verdeutlicht die grundsätzlichen Chancen und Risiken, die der Einsatz von KI-Systemen mit sich bringt.

Reflektiert genutzt können derartige KI-Systeme dazu beitragen, Streitbeilegungsverfahren und Streitentscheidungen zu beschleunigen, indem diese Systeme die jeweiligen Stakeholder bei ihren Aufgaben unterstützen, z.B. bei der Verarbeitung von Unterlagen oder dem Auffinden von Informationen. So unterstützt eine KI-basierte Software im Rahmen eines Pilotprojekts die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Frankfurt in Fluggastrechte-Verfahren durch die Erstellung von Urteilsvorschlägen. Gerade in derartigen sog. Massenverfahren, also einer Vielzahl weitgehend gleich gelagerter Fälle, können KI-Systeme die Beteiligten spürbar unterstützen und entlasten.

Inzwischen gibt es sogar spezielle KI-Systeme, die gezielt mit rechtlichen und regulatorischen Datensätzen trainiert werden, um den Output im Vergleich zu generischen Sprachmodellen wie ChatGPT qualitativ zu verbessern. Ein Beispiel ist die bislang hauptsächlich auf das englische Recht spezialisierte Plattform Court Correct (https://www.courtcorrect.com/). Es dürfte auch hierzulande nicht mehr lange dauern, bis der Einsatz von mit juristischen Daten trainierten KI-Systemen zum Standard im Rahmen von Rechtsberatung und Streitbeilegung wird.

KI-Systeme könnten weiter dazu dienen, das Risiko und den wahrscheinlichen Ausgang von Gerichtsverfahren zu bewerten. Eine Analyse von vergangenen Entscheidungen des jeweils zuständigen Gerichts könnte die Parteien und ihren Anwältinnen und Anwälten bei der Entwicklung und Optimierung der Prozessstrategie sowie der Kosten-Nutzen-Analyse von Gerichtsverfahren unterstützen. In Rahmen von Schiedsverfahren könnten KI-Systeme die Parteien bei Auswahl der parteibenannten Schiedsrichter unterstützen, um basierend auf den spezifischen Merkmalen des Streitfalls und den Erfahrungen der potentiellen Schiedsrichter, eine optimale Zusammensetzung eines Schiedsgerichts zu erreichen. Auch im Rahmen von Mediations- oder Schlichtungsverfahren ist eine Assistenz durch ChatGPT & Co. denkbar. Neben der Bereitstellung von allgemeinen Informationen zum Ablauf einer Mediation könnte ein KI-System Fragen zum Konflikt und Zusammenfassungen offener Streitpunkte erstellen und diese den Medianden vorlegen (siehe ausführlich Heetkamp/Piroutek, ZKM 2023, 80 ff.).

Die derzeit zu beobachtende Leistungsfähigkeit der KI-Systeme (und deren zu erwartende zukünftige Entwicklung) lassen es möglich erscheinen, dass in Zukunft KI-Systeme auch autonom über Streitigkeiten entscheiden könnten. Dies wird zunächst eher geringere Streitwerte sowie besondere Vertrags- und Konfliktszenarien, wie etwa online geschlossene Verbraucherverträge, betreffen. Ein „Roll-out“ auf weitere Konstellationen wird im Erfolgsfall folgen.

Die zukünftige Entwicklung des KI-Einsatzes wird auch von der Ausgestaltung des regulatorischen Rahmens für KI-Systeme abhängen. Hierbei steht aus europäischer Perspektive insbesondere das Gesetzgebungsverfahren zur KI-Verordnung der Europäischen Union im Fokus. Am 14.06.2023 hat sich das Europäische Parlament zum Entwurf der Kommission positioniert. Der Entwurf sieht weiter eine abgestufte Regulierung des Einsatzes von KI-Systemen in Abhängigkeit ihrer Risikoklassifikation vor. So unterliegt der Einsatz von KI-Systemen, die Gerichte bei der Ermittlung und Auslegung von Sachverhalten und Rechtsvorschriften und bei der Anwendung des Rechts auf konkrete Sachverhalte unterstützen sollen, als sog. Hochrisiko-Systeme strengen Anforderungen. Generative KI-Systeme müssten nach dem Entwurf zusätzliche Transparenzanforderungen erfüllen. Die genaue Ausgestaltung des Regelwerks bleibt mit Blick auf die nun anstehenden Trilogverhandlungen abzuwarten. Ein Ergebnis soll bis zum Jahresende feststehen.

Ein ausführlicher Ein- und Ausblick zu den Anwendungsszenarien von Large Language-Modellen im Rahmen von Mediation und Schlichtung ist im aktuellen Heft der ZKM zu lesen (Heetkamp/Piroutek, ChatGPT in Mediation und Schlichtung, ZKM 2023, 80 ff.)

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