Die Bundesregierung will Ceta, das Handelsabkommen der EU mit Kanada, schnellstmöglich ratifizieren. Damit gießt sie Öl ins Feuer der Klimakrise, statt es zu löschen, warnen die Rechtswissenschaftlerinnen Alessandra Arcuri und Federica Violi von der Universität Rotterdam. Im Auftrag der Berliner Nichtregierungsorganisation Powershift haben sie ein juristisches Gutachten zur deutschen Interpretationserklärung zu Ceta erstellt. Federica Violi nahm als Sachverständige an einer Anhörung zu Ceta im Wirtschaftsausschuss des Bundestags teil.
Die Probleme, die sich derzeit aus der Energie- und Klimakrise ergeben, seien so groß, dass den europäischen Regierungen eigentlich alles daran gelegen sein müsste, die Energiewende zu sichern. Doch mit der Ratifizierung von Ceta torpediere sie selbst die Energiewende. Werde das Abkommen, das seit 2017 zu großen Teilen vorläufig in Kraft ist, ratifiziert, so würde auch der besonders umstrittene Investitionsschutz wirksam. Hunderttausende Menschen in der EU und Kanada sind dagegen in den vergangenen Jahren auf die Straße gegangen.
Zwar will in Deutschland die Bundesregierung den Investitionsschutz vor der Ratifizierung durch eine sogenannte Interpretationserklärung einschränken — sie soll dafür sorgen, dass Investoren Staaten nicht wegen Klimaschutzmaßnahmen vor einem Ceta-Schiedsgericht verklagen können. Doch auch trotz der Interpretationserklärung steht Ceta laut der beiden Jura-Professorinnen in grundsätzlichem Widerspruch zum Ziel, den Klimawandel zu bekämpfen. Es schützt alle Investitionen, also auch klimaschädliche Investitionen wie die Förderung fossiler Energien – und es enthält ausschließlich Rechte, aber keine Pflichten für Konzerne. Investoren können zudem direkt vor das Schiedsgericht ziehen, ohne zunächst den nationalen Rechtsweg auszuschöpfen – das ist auch deshalb ein Problem, weil Schiedsgerichte Staaten oft dazu verurteilt haben, gigantische Geldsummen in Milliardenhöhe an Unternehmen zu zahlen.
Dazu kommt: Wenn Ceta vollständig in Kraft tritt, wird es nicht nur kanadischen Investoren, sondern auch US-amerikanischen Investoren mit Geschäftstätigkeit in Kanada ermöglichen, EU-Mitgliedsstaaten vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen. Es führt dadurch ein System von Investor-Staat-Streitfällen ein, wo es vorher keines gab – noch dazu eines, das sicher nicht als fortschrittlich bezeichnet werden kann. Fortschrittliche Umwelt- und Klimapolitik braucht keine rückschrittlichen Abkommen. Parlamente sowie Abgeordnete sollten sich darüber im Klaren sein, dass es Alternativen gibt.
Als Alternative schlagen die Professorinnen vor, die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit aus Ceta zu streichen. Rechtlich wäre das ohne weiteres möglich und könnte beispielsweise über eine Vertragsänderung oder ein Umsetzungsabkommen erreicht werden. Dadurch würden weder neue Verpflichtungen entstehen noch die anderen Teile von Ceta beeinträchtigt werden. Kanada könnte für einen solchen Vorschlag offen sein, da das Land bereits fortschrittlichere Investitionsschutzstandards als die EU verfolgt.
Quelle: www.tagesspiegel v. 20.10.2022
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