Spätestens seit die Künstliche Intelligenz (KI) Ende letzten Jahres in Form von ChatGPT 4.0 präsentiert wurde, wird viel über Selbstexperimente mit dem neuen Tool berichtet. Auch die ADR-Szene befasst sich intensiv mit Einsatzmöglichkeiten in Konfliktlösung und Mediation. Im Vordergrund steht hier in aller Regel der Einsatz des Tools als Assistenz des menschlichen Mediators (siehe ausführlich Heetkamp/Piroutek ZKM 2023, 80 ff.)
Auf ein weiteres interessantes Anwendungsfeld machte kürzlich der Österreicher Michael Lardy aufmerksam, der sich im Rahmen seiner Mediationsausbildung am WiFi in Salzburg näher mit ChatGPT und dessen Einsatzmöglichkeiten im Kontext Mediation befasste. Lardy machte im Rahmen seiner Experimente u.a. die Erfahrung, dass ChatGPT sich hervorragend zur Mediationssimulation eignet. Er nutze die besondere Dialogkompetenz des Tools und setzte ChatGPT quasi als persönlichen Mediationstrainer ein. In einem in Social Media veröffentlichten Artikel schildert er einen Ausschnitt seines Austausch mit ChatGPT:
Beispiel:
Übende(r): Ich möchte bewusst üben, wie man Mediationen durchführt. Sie werden mein Mediationslehrer sein…
ChatGPT: Sicher, ich kann dabei helfen, ein solches Szenario zu erstellen und zu leiten. Für diese Mediationssimulation sind Sie die Mediatorin und ich werde die Rolle von Herrn Smith und Frau Jones spielen.
Herr Smith war ein Fahrer der einen Autounfall verursacht hat, und Frau Jones war die Passagierin im anderen Auto, die Verletzungen erlitten hat. Herr Smith bestreitet die Tatsache, dass er den Unfall verursacht hat, und Frau Jones fordert Schadensersatz für die Verletzungen, die sie erlitten hat. Sie sind beide bereit, den Konflikt durch Mediation zu lösen, anstatt vor Gericht zu gehen.
Sie betreten den Raum, in dem Herr Smith und Frau Jones bereits auf Sie warten. Beide sehen angespannt aus und haben ihre Arme verschränkt.
Als Mediatorin, wie würden Sie diese Situation angehen? Bitte antworten Sie und danach werde ich Ihnen Feedback geben.
Laut Lardy ist ChatGPT in der Lage, sich Szenarien mit steigenden Schwierigkeitsgraden und in vielfältigen Nuancierungen auszudenken. Angehende Mediatoren könnten durch die Simulation vieler verschiedener Mediationsszenarien viel schneller lernen, gute Mediationsgespräche zu führen. Besonders nützlich sei dabei, dass ChatGPT auch ein gutes Feedback gebe.
Vor dem Hintergrund, dass es angehenden Mediatoren oft an Möglichkeiten fehlt, theoretisches Wissen und erlernte Fertigkeiten in der Praxis aktiv einzuüben und zu verfestigen, könnten die Erfahrungen von Lardy insbesondere für die Ausbildungsbranche schon in naher Zukunft von Wert sein. Denn anders als andere potentielle KI-Einsatzmöglichkeiten in der Konfliktlösung, wie bspw. das Generieren von Lösungsvorschlägen oder das Formulieren einer Abschlussvereinbarung, birgt die Nutzung von ChatGPT zu Trainingszwecken deutlich weniger Gefahren, vorausgesetzt es wird mit gänzlich anonymisierten Daten gearbeitet.
Es bleibt spannend, die weiteren Entwicklungen zu beobachten. Wichtig ist, dass sich erfahrene menschliche Mediationstrainer der Fragestellung annehmen und die Tauglichkeit des digitalen Kollegens unvoreingenommen prüfen – bestenfalls didaktische Konzepte für ein effizientes und sicheres Training mit ChatGPT entwickeln.
Der Artikel von Michael Lardy ist abrufbar unter: http://michaellardy.com/blog/
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