Verbandssanktionengesetz – Update

Gesetzgebungsverfahren schreitet voran

Die Bundesregierung hat nunmehr das Hauptverfahren eingeleitet und den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (BT Drs. 19/23568) in den Bundestag eingebracht. Die Änderungsvorschläge des Bundesrates vom September 2020 wurden von der Bundesregierung teilweise verworfen, einige Vorschläge sollen im Gesetzgebungsverfahren geprüft werden. Das geht aus der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates (BR Drs. 440/20 (B)) hervor. Mittlerweile dürfte absehbar sein, dass das Verbandssanktionengesetz (VerSanG), das Kernstück der Reform ist, das Gesetzgebungsverfahren zügig durchlaufen wird. Die Beschlussfassung des Bundestages erfordert drei Beratungen über den Gesetzesentwurf. Anschließend wird der vom Bundestag beschlossene Gesetzestext dem Bundesrat zur Zustimmung zugeleitet. Nach heutigem Stand kann spätestens bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode im Herbst 2021 mit einer Verabschiedung und Verkündung des Gesetzes gerechnet werden.

Auswirkungen auf die Praxis

Für die unternehmerische Praxis ist vor allem relevant, dass für Verfahren nach dem künftigen VerSanG das sog. Legalitätsprinzip gelten soll. Dies bedeutet, dass Verfolgungsbehörden fortan verpflichtet sein werden, gegen Mitarbeiter und gegen das Unternehmen zu ermitteln, wenn es Anhaltspunkte für strafbares Verhalten gibt. Geprüft werden soll eine Erweiterung der bislang vorgesehenen Einstellungsmöglichkeiten wegen Geringfügigkeit. Als mögliche Sanktionen für Verbandstaten sieht der Gesetzesentwurf insbesondere Verbandsgeldsanktionen vor. Deren Höhe kann bei einer vorsätzlichen Verbandstat bis zu EUR 10 Mio., bei Verbänden mit einem durchschnittlichen (Konzern-)Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. bis zu 10% des Gruppenumsatzes betragen. Geprüft werden soll insgesamt, ob und gegebenenfalls wie die Kriterien der Strafzumessung gerade auch im Hinblick auf KMU stärker ausdifferenziert werden können. An dem vorgesehenen, jedoch vom Bundesrat kritisierten „Pranger“ durch öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung hält die Bundesregierung fest, wird aber die Ausgestaltung der Voraussetzungen für eine Veröffentlichung eingehend prüfen. Zudem soll nach dem Gesetzesentwurf das Vorhandensein von Compliance-Vorkehrungen sanktionsmildernd berücksichtigt werden, ebenso wie eine Kooperation mit den Verfolgungsbehörden bei der Sachverhaltsaufklärung mittels Durchführung verbandsinterner Untersuchungen.

Handlungsbedarf für Unternehmen

Für Unternehmen ist insoweit von Bedeutung, dass das VerSanG nur für Verbandstaten gelten soll, die nach Inkrafttreten des Gesetzes begangen worden sind. Nach Art. 15 des Entwurfs des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft sollen die Neuregelungen zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten, konkret im ersten Monat des auf die Verkündung folgenden Quartals in zwei Jahren. Danach könnte das VerSanG, würde es noch in diesem Jahr das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen, bereits ab Anfang 2023 gelten. Zweck der Übergangsfrist ist es, der Justiz, aber auch den Unternehmen die Möglichkeit einzuräumen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Daher ist es zu begrüßen, dass auch der Vorschlag des Bundesrates, die Übergangsfrist auf drei Jahre zu verlängern, erneut geprüft werden soll. Bereits jetzt ist jedoch absehbar, dass das VerSanG, wenn es in der geplanten oder in ähnlicher Form in Kraft tritt, mit beträchtlichen Auswirkungen für Unternehmen verbunden sein wird. Insgesamt dürfte es bei unzureichenden präventiven und repressiven Compliance-Vorkehrungen schwieriger werden, sich gegen eine Sanktionierung zu verteidigen. Der Aufbau effektiver Compliance-Strukturen bedarf einer gewissen Vorlaufzeit, die Unternehmen Anlass gibt, frühzeitig auf die neue Gesetzeslage zu reagieren.

 

Das neue Verbandssanktionengesetz – Reform mit Augenmaß oder Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Lange hatte es den Anschein, als bliebe Deutschland seinem eingeschlagenen Sonderweg treu und verzichte trotz eines gegenläufigen weltweiten Trends darauf, ein Verbandsstrafrecht zu schaffen. Trotz zahlreicher Anläufe aus Wissenschaft und Praxis, auch hierzulande die Verbandsstrafbarkeit zu etablieren, behielten stets die Skeptiker die Oberhand. Mit der Vorlage eines „Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ vom 15.8.2019 durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat sich das Blatt nunmehr gewendet. Dass dieser Entwurf genauso sang- und klanglos in den Schubladen der Ministerialbürokratie verschwinden wird, wie weiland der Entwurf eines Unternehmensstrafrechts aus dem nordrhein-westfälischen Justizministerium steht nicht zu erwarten. Doch hält der Entwurf, was er verspricht – nämlich „eine angemessene Ahndung von Verbandsstraftaten zu ermöglichen“ (RefE, S. 1)?

Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E-VerSanG sieht bei vorsätzlichen Verbandsstraftaten einen Sanktionsrahmen vor, der von zehntausend Euro bis zu zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes reicht. Zwar trifft dieser Sanktionsrahmen nur wirtschaftlich tätige Unternehmen, die einen durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als einhundert Millionen Euro erwirtschaften. Gleichwohl hat sich an § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E-VerSanG erhebliche Kritik entzündet, die der Vorschrift nicht weniger als einen Verstoß gegen die Artt. 103 Abs. 2, 20 Abs. 3 GG vorwirft (umf. Rübenstahl, ZWH 2019, 233, 240). Richtig daran ist: Der weite Sanktionsrahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E-VerSanG gilt für jede vorsätzlich begangene Verbandsstraftat, auch wenn diese lediglich dem Bereich der leichten bzw. mittleren Kriminalität entstammt (dazu Rübenstahl, ZWH 2019, 233, 239). Allerdings erscheint die Prognose, die Gerichte würden bei der Festsetzung der Verbandsgeldbuße eher nach oben tendieren (Rübenstahl, ZWH 2019, 233, 240), dann doch etwas zu pessimistisch.

Problematischer als der weite Sanktionsrahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E-VerSanG, der es den Gerichten immerhin ermöglicht, auf unterschiedliche Kriminalitätsformen angemessen und mit Augenmaß zu reagieren, ist § 9 Abs. 2 Satz 2 E-VerSanG. Danach bemisst sich der durchschnittliche Jahresumsatz, der Grundlage der Verbandsgeldsanktion gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 E-VerSanG ist, am weltweiten Umsatz aller natürlichen Personen und Verbände, die mit dem beschuldigten Verband als wirtschaftliche Einheit operieren. Damit ermöglicht es § 9 Abs. 2 Satz 2 E-VerSanG seinem Wortlaut nach, die Höhe der Verbandsgeldsanktion auch gegen konzernabhängige Gesellschaften anhand des Gesamtkonzernumsatzes festzusetzen, da diese Gesellschaften mit der herrschenden Gesellschaft ebenfalls als „wirtschaftliche Einheit operieren“. Die Wirtschaftskraft von Gesellschaften die knapp die Umsatzschwelle des § 9 Abs. 2 Satz 1 E-VerSanG überschreiten, dürfte das nicht selten überfordern. Sollte der Wille des Gesetzgebers indes dahingehen, eine Umsatzzurechnung nur von unten nach oben zu ermöglichen, wäre eine entsprechende Klarstellung wünschenswert.