Das BayObLG hat mit Beschluss vom 19.7.2024 – 102 VKI 1/24e, MDR 2024, 1264 entschieden, dass eine Abhilfeklage nach dem VDuG nicht mit Blick auf eine frühere Unterlassungsklage nach dem UWG ausgesetzt werden kann, auch wenn beide Verfahren dieselbe geschäftliche Handlung desselben Beklagten (hier die einseitige, die Kunden benachteiligende Änderung der Bedingungen für einen Videostreamingdienst) betreffen.
Worum geht es?
Amazon Germany hat seine Bedingungen für Videostreamingdienstleistungen geändert, indem Nutzer vor die Wahl gestellt wurden, entweder ein höheres Entgelt zu entrichten oder eine Verschlechterung der Dienstleistung (insbesondere durch Einspielen von Werbung) hinzunehmen.
Am 14.3.2024 reichte die Verbraucherzentrale Bundesverband eV deswegen vor dem sachlich und örtlich zuständigen LG München I eine Unterlassungsklage nach § 8 Abs. 1 UWG ein. Wenige Tage später, am 4.4.2024, ging beim BayObLG die Klage der Verbraucherzentrale Sachsen eV ein, mit der Abhilfe wegen derselben geschäftlichen Handlung begehrt wird. Soweit Verbraucher der Entgelterhöhung zustimmten, wird Schadensersatz nach § 9 Abs. 2 UWG verlangt, soweit sie nicht zustimmten, Schadensersatz wegen des Mangels des bezogenen digitalen Produkts (§ 327i Nr. 3 Alt. 2, § 327m Abs. 3 Satz 1, § 327e BGB). Die Beklagte beantragt, das spätere VDuG-Abhilfeverfahren mit Blick auf das frühere UWG-Verfahren auszusetzen.
Entscheidung des BayObLG
Das Gericht folgt dem Antrag nicht, weil kein Fall eines gesetzlichen Aussetzungstatbestandes gegeben sei. Für § 148 Abs. 1 ZPO fehlt es schon an der Identität der Parteien beider Prozesse (unterschiedliche Kläger), zudem ist fraglich, ob der UWG-Unterlassungsanspruch im Abhilfeprozess i.S.v. § 322 Abs. 1 ZPO vorgreiflich ist. Eine „Gesamtanalogie“ zu bestehenden Aussetzungsbestimmungen verbiete sich, weil keine planwidrige Regelungslücke bestehe; der Gesetzgeber habe vielmehr davon abgesehen, das Verhältnis von Abhilfe- und Unterlassungsklagen zu regeln.
Mehrfachverfolgung reloaded
Das Auftreten paralleler Verbandsprozesse mit dem Inkrafttreten des VDuG war (leider) abzusehen. Dabei hatten die bayerischen Gerichte sogar noch Glück, dass nicht auch noch eine dritte klageberechtigte Einrichtung wegen der Änderung beim Streamingdienst eine Unterlassungsklage nach dem UKlaG (§ 2 Abs. 1 UKlaG) vor dem dafür in Bayern ausschließlich zuständigen OLG Bamberg (§ 6 Abs. 1 UKlaG; § 13a Abs. 1 GVG; § 6 GZVJu) erhoben hat (Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024 (Online-Version), § 3 VDuG Rn. 1).
Das Problem ist nicht neu: Die Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes durch verschiedene klagebefugte Einrichtungen gab es schon immer. Neu ist aber die Schärfe, die es gewonnen hat: Die zur Verfügung stehenden Klagearten haben sich vermehrt (neben dem Unterlassungsanspruch gibt es auch die Abhilfeklage), hierfür sind jetzt erstmals unterschiedliche Gerichte ausschließlich sachlich zuständig (§ 13 Abs. 1 UWG: LG; § 3 Abs. 1 VDuG und § 6 Abs. 1 UKlaG: OLG, bzw. BayObLG und OLG) und gelten jeweils eigene Rechtszüge. Das BayObLG versteht den Gesetzgeber so, dass er diese parallele Prozessführung auf verschiedenen Ebenen bewusst in Kauf genommen hat. Wollte man dem noch ein Argument hinzufügen, wird man in der Begründung zum KapMuG 2024 schnell fündig: KapMuG und VDuG sind wegen derselben kapitalmarktrechtlichen Haftung ausdrücklich nebeneinander anzuwenden (§ 1 Abs. 3 KapMuG; § 1 Abs. 3 VDuG). Die damit verbundene doppelte Prozessführung wird ausdrücklich hingenommen, notfalls muss der Große Senat beim BGH eine auftretende Divergenz auflösen (siehe BT-Drucksache 20/10942, S. 30; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 1 VDuG Online-Aktualisierung vom 29.8.2024).
Der moderne Gesetzgeber verfolgt bei seinen Vorhaben ausweislich der Gesetzesbegründungen ausdrücklich „Nachhaltigkeitsaspekte“ (siehe BT-Drucksache 20/6520, S. 64 zum VDuG) – aus Sicht der betroffenen Zivilgerichte gilt hier: difficile est, satiram non scribere.
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