Diese Woche geht es um den steckengebliebenen Bau einer Wohnungseigentumsanlage.
Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums
BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2024 – V ZR 243/23
Der V. Zivilsenat befasst sich mit einer in der Praxis eher seltenen Situation und stellt diese der üblicherweise anzutreffenden Konstellation gegenüber.
Die Klägerin ist mit knapp einem Drittel der Miteigentumsanteile an einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern beteiligt. Bei Entstehung der Gemeinschaft im Jahr 2013 war das Grundstück mit einer Abbruchimmobilie bebaut. Die Teilungserklärung sieht die Errichtung eines neuen Wohn- und Geschäftshauses mit elf Einheiten vor. Die Wohnungseigentümer beauftragten eine Generalunternehmerin mit den vorgesehenen Arbeiten.
Die Arbeiten gerieten bereits während des Abrisses des Bestandsgebäudes in Stillstand. Die Eigentümer von zwei Nachbargrundstücken, deren Giebelwände durch den Abriss freigelegt wurden, machen gerichtlich Schadensersatzansprüche in Höhe von rund 500.000 Euro geltend. Die Generalunternehmerin ist mittlerweile insolvent.
Die Klägerin möchte, dass die beklagte Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Verwalterin beauftragt, Angebote für die restlichen Abbrucharbeiten und die Erstellung von Ausführungsplänen einzuholen, die Aufträge für diese Arbeiten zu vergeben, die Arbeiten durchführen zu lassen und eine Sonderumlage in Höhe von 50.000 Euro zu erheben. Die Eigentümerversammlung lehnte die darauf gerichteten Beschlussanträge ab.
Die von der Klägerin erhobene Beschlussersetzungsklage ist vor dem AG erfolglos geblieben. Das LG hat im Wege der Beschlussersetzung angeordnet, dass ein Gutachten zu den voraussichtlichen Kosten der erforderlichen Abriss- und Baumaßnahmen eingeholt wird.
Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.
Zu Recht ist das LG allerdings davon ausgegangen, dass grundsätzlich jeder Wohnungseigentümer von der Gemeinschaft die erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums verlangen kann.
Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass der jeweilige Anspruchsteller bereits Wohnungseigentümer geworden ist.
Daran fehlt es in der Praxis zumeist, weil das Eigentum in der Regel beim Bauträger verbleibt und erst nach Errichtung des Objekts und vollständiger Bezahlung des Kaufpreises auf den Erwerber übertragen wird. Nach § 8 Abs. 3 WEG gilt ein Erwerber, zu dessen Gunsten eine Vormerkung eingetragen ist, zwar schon dann als Wohnungseigentümer, wenn ihm der Besitz der zum Sondereigentum gehörenden Räume übergeben worden ist. Auch dies kommt in der Regel aber erst nach weitgehender Fertigstellung des Objekts in Betracht. Vor dem Übergang der Eigentümerstellung können die Erwerber nur vertragliche Ansprüche gegen den Bauträger oder sonstige Vertragspartner geltend machen.
Im Streitfall ist das Wohnungseigentum hingegen bereits vor Abriss des Bestandsgebäudes auf die Klägerin übertragen worden. Diese kann deshalb schon im jetzigen Stadium Ansprüche gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend machen.
Die der Gemeinschaft obliegende Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung umfasst grundsätzlich die Pflicht zur erstmaligen Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums. Die Sonderregelung in § 22 WEG, wonach der Wiederaufbau eines zur mehr als der Hälfte seines Werts zerstörten Gebäudes nicht verlangt werden kann, wenn der Schaden nicht durch eine Versicherung oder anderweit gedeckt ist, findet auf die erstmalige Errichtung weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung.
Der Anspruch auf erstmalige Errichtung oder Fertigstellung entfällt aber nach Treu und Glauben, wenn seine Erfüllung den übrigen Wohnungseigentümern nicht zuzumuten ist.
Entgegen der Auffassung des LG muss die Frage, ob die Erfüllung des Anspruchs zumutbar ist, im Konfliktfall durch das Gericht selbst entschieden werden. Dieses muss die für die Errichtung erforderlichen Kosten gegebenenfalls mit gutachterlicher Hilfe schätzen und auf dieser Grundlage unter Abwägung aller relevanten Umstände entscheiden, ob der Gemeinschaft die Errichtung des Objekts zuzumuten ist.
Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren gibt der BGH folgende Hinweise:
- Ein Errichtungsanspruch ist schon nach § 275 BGB ausgeschlossen, wenn das Bauvorhaben nicht genehmigungsfähig ist.
- Eine Inanspruchnahme der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist treuwidrig, wenn der Anspruchsteller sein Begehren verwirklichen kann, indem er den Bauträger, Generalunternehmer oder sonstige Vertragspartner bzw. deren Insolvenzverwalter in Anspruch nimmt. Die Darlegungslast liegt insoweit bei der in Anspruch genommenen Gemeinschaft.
- Die Erfüllung des Errichtungsanspruchs ist unzumutbar, wenn die Herstellung unverhältnismäßige Kosten verursacht. Hierfür ist insbesondere von Bedeutung, wieviel die Wohnungseigentümer bereits investiert haben und wieviel sie voraussichtlich noch investieren müssten. In diesem Zusammenhang kann der Rechtsgedanke des § 22 WEG als Richtschnur herangezogen, also die Errichtung als grundsätzlich zumutbar angesehen werden, wenn die zu erwartenden Kostensteigerungen den ursprünglich kalkulierten Betrag um nicht mehr als die Hälfte übersteigen.
- Ersatzansprüche Dritter können auch dann zu einer Unzumutbarkeit führen, wenn die Einstandspflicht unabhängig von der weiteren Errichtung des Objekts ist.
- Unzumutbar kann die Errichtung auch dann sein, wenn feststeht, dass ein Teil der Wohnungseigentümer zahlungsunfähig ist und die übrigen Wohnungseigentümer deshalb einen höheren Anteil zu tragen haben.
- Unzumutbar kann die Errichtung sein, wenn ein Investor bereit ist, das unfertige Objekt zu einem angemessenen Preis zu kaufen und die Mehrheit der Wohnungseigentümer dieses Angebot annehmen möchte.
- Unzumutbar kann die Errichtung sein, wenn der bauwillige Eigentümer in einem Näheverhältnis zum insolventen Bauunternehmer steht und deshalb die Gefahr einer Kollusion besteht.
Praxistipp: Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Beschlüsse sowie Klagen auf Beschlussersetzung sind gemäß § 44 Abs. 2 WEG stets gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten.