Zur Pfändbarkeit von Haustieren

Die im Auftrag der Stadt Ahlen vorgenommene Pfändung des Mopses Edda, u.a. wegen ausstehender Hundesteuer macht derzeit Schlagzeilen. Während Nutz- und Hilfstiere sehr umfassenden Pfändungsschutz nach § 811 ZPO genießen (dazu hier), gibt es für Haustiere in der Tat Ausnahmen:

  • 811c
    Unpfändbarkeit von Haustieren

(1) Tiere, die im häuslichen Bereich und nicht zu Erwerbszwecken gehalten werden, sind der Pfändung nicht unterworfen.

(2) Auf Antrag des Gläubigers lässt das Vollstreckungsgericht eine Pfändung wegen des hohen Wertes des Tieres zu, wenn die Unpfändbarkeit für den Gläubiger eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der Belange des Tierschutzes und der berechtigten Interessen des Schuldners nicht zu rechtfertigen ist.

 

Die Pfändung darf also nur durch ein Gericht und jedenfalls nur dann zugelassen werden, wenn das Tier einen hohen Wert hat. Tierschutz, Gläubiger- und Schuldnerinteresse sowie Wert des Tieres müssen zueinander in Relation gebracht werden – kommt es dabei durch die Unpfändbarkeit zu einer ungerechtfertigten Härte für den Gläubiger, ist nach § 811c Abs. 2 ZPO auch das Haustier pfändbar.

Es ging dem Gesetzgeber bei dieser erst 1990 eingeführten Regelung um die emotionale Beziehung zwischen Mensch und Haustier und um den Tierschutz. Die Ausnahme in Absatz 2 wollte lediglich die Folgen eines zu weitgehenden Pfändungsverbotes zu vermeiden (BT-Drucks. 11/5463, S. 7). Es war also nur an wenige Fälle gedacht, in denen der Schuldner das Pfändungsverbot letztlich bewusst ausnutzt. Ansonsten sollte es nach der Neuregelung (anders als in der Vorgängerregelung des § 811 Nr. 14 ZPO aF) gerade nicht mehr auf den Wert des Tieres ankommen. Ein Fall, in dem ein vorhandenes Affektionsinteresse des Schuldners hinter dem Zugriffsinteresse des Gläubigers zurücksteht, ist insofern kaum vorstellbar. Zu beachten sind außerdem die Belange des Tierschutzes, das heißt insbesondere die Folgen, die es für das Tier hat, aus seiner gewohnten Umgebung herausgenommen zu werden. „Die Tiere“ werden inzwischen auch durch das Grundgesetz ausdrücklich geschützt, Art. 20a GG. Mögen sie auch keine Grundrechtssubjekte sein, so ist doch erforderlich, dass eine Maßnahme des einfachen Rechts mit dem Tierschutzgedanken in Einklang steht. Es ist nicht vorstellbar, dass diese Voraussetzungen vorlagen, ja, dass sie bei einem sozialisierten Haushund – dessen Domestizierung bis zur Hochkultur des Mopses begann wahrscheinlich vor mehr als 100.000 Jahren – überhaupt vorliegen können. Ohne dass die Details der Abwägungsentscheidung im Falle des Mopses Edda näher bekannt sind, bedeutet das, dass seine Pfändung nach geltendem Recht rechtswidrig war.

Übrigens: Dass es sich um eine Pfändung durch die öffentliche Hand wegen einer Steuerforderung handelte, macht keinen entscheidenden Unterschied. Sowohl die Abgabenordnung (§ 295 AO) als auch die Verwaltungsvollstreckungsgesetze Bund/Land (§ 5 VwVG/§ 27 VwVG NRW) verweisen auf § 811 c ZPO. Nur dass eben an Stelle des Vollstreckungsgerichts die Vollstreckungsbehörde entscheidet – hier lag wohl das Problem. Es geht auch im Zwangsvollstreckungsrecht um Gesetzesinterpretation und nicht nur um -exekution.

Mops Edda hätte bei richtiger Gesetzesauslegung nicht gepfändet werden dürfen.

Der „New Deal for Consumers“. Genügt die Musterfeststellungsklage den Anforderungen?

Am 1. 11. 2018 tritt in Deutschland das Gesetz über die Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft (BGBl. vom 17. Juli 2018, S. 1151). Am 11. April 2018 legte die Europäische Kommission im Rahmen des „New Deal for Consumers“ einen Richtlinienvorschlag für eine Verbandsklage zum Schutz kollektiver Verbraucherinteressen vor (COM(2018) 184 final).

 

Falls die Richtlinie erlassen wird – hält die Musterfeststellungsklage ihren Vorgaben stand oder sind Revision und Erweiterung des deutschen Gesetzes notwendig?

 

  1. Feststellung und Leistung

 

Der Richtlinienentwurf sieht in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Verbandsklagen zur Erwirkung eines Abhilfebeschlusseserhoben werden können; dieser soll Unternehmer unter anderem zu Entschädigungs-, Reparatur- oder Ersatzleistungen, Preisminderungen oder Kaufpreiserstattungen verpflichten.

 

Die Richtlinie gibt also ausdrücklich vor, dass Klagen auf Leistung des Unternehmers gerichtet werden können. Insoweit besteht für die Mitgliedstaaten keine andersgeartete Option: Sie müssen sicherstellen, dass verpflichtende Abhilfebeschlüsse möglich sind.

 

Nur ausnahmsweise („Abweichend von Absatz 1…“) und in hinreichend begründeten Fällen kann statt eines Abhilfebeschlusses ein reiner Feststellungsbeschluss ergehen. Hierzu verlangt Art. 6 Abs. 2, dass sich die Quantifizierung individueller Ansprüche aufgrund der Natur des individuellen Schadens komplex gestaltet. Im Falle eines Feststellungsbeschlusses müssen für die Rechtsschutzklagen einzelner Verbraucher beschleunigte und vereinfachte Verfahren zur Verfügung stehen (Art. 10 Abs. 3).

 

Es gibt es außerdem eine Gegenausnahme („…Absatz 2 gilt nicht…“) in Art. 6 Abs. 3, und zwar für den Fall identifizierbarer vergleichbar geschädigter Verbraucher (lit. a) und im Falle geringfügiger Verluste (lit. b). Hier genügt ein reiner Feststellungsbeschluss auch dann nicht, wenn es sich um komplexe Schäden handelt. In den beiden Fällen des Abs.3 ist zudem vorgesehen, dass eine Klage nicht am fehlenden Mandat der betroffenen Verbraucher scheitern darf (dazu sogleich 2.)

 

Da die deutsche Musterfeststellungsklage nicht auf Leistung gerichtet ist (§ 606 ZPOneu) und sich an sie auch keine geregelte Entschädigungsphase anschließt, entspricht sie den Vorgaben des Richtlinienvorschlags nicht. Ihr fehlt die als Grundsatz im Richtlinienentwurf vorgesehene, auf Verpflichtung eines Unternehmers gerichtete klageweise Abhilfe. Der europäische Entwurf geht hier deutlich über die deutsche Musterfeststellungsklage hinaus.

 

  1. Opt in vs. Opt out

 

Die Richtlinie sieht in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 vor, dass die Mitgliedstaaten das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucher vor Erlass eines Feststellungs- oder Abhilfebeschlusses verlangen können. Das bedeutet zum einen, dass das Opt in-Modell nicht zwingend ist; die Mitgliedstaaten können auch auf das Erfordernis eines individuellen Mandats verzichten. Zum anderen bedeutet es, dass der Zeitpunkt des Opt in flexibel gehandhabt werden kann: Es muss nicht vor Verfahrenseinleitung bzw. innerhalb einer bestimmten Frist danach mandatiert werden. Ein Mandat bis zum Zeitpunkt vor Erlass des Beschlusses genügt.

 

Ein Opt in-Modell, wie es die deutsche Musterfeststellungsklage mit einer Kombination aus Quoren für Betroffene (§ 606 Abs. 2 Nr. 2 ZPOneu) und Anmelder (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPOneu) sowie Fristen zur Anmeldung (§ 608 Abs. 1 ZPOneu) und Rücknahme der Anmeldung (608 Abs. 3 ZPOneu) vorsieht, entspricht also grundsätzlich den Ansätzen des Richtlinienentwurfs.

 

Zu beachten ist freilich, dass der Richtlinienvorschlag in einigen Fällen ausdrücklich vorsieht, dass die Klage am fehlenden Mandat der individuell Betroffenen nicht scheitern darf. Hierbei handelt es sich um den bereits erwähnten Fall des vergleichbaren Schadens, verursacht durch eine gleiche Praktik und ein bestimmtes Ereignis (Zeitraum oder Kauf), Art. 6 Abs. 3 lit a. In diesem Fall ist das Mandat des einzelnen betroffenen Verbrauchers keine Bedingung für die Klageerhebung. Eine reine Feststellungsklage ist, wie erwähnt (oben 1.), ausgeschlossen. Die Abhilfe muss dem einzelnen Betroffenen zu Gute kommen.

 

Zudem handelt es sich um den ebenfalls erwähnten Fall des geringfügigen Verlusts, bei dem die Entschädigung im Übrigen einem öffentlichen Zweck zugute kommen muss, der den Kollektivinteressen der Verbraucher dient, Art. 6 Abs. 3 lit.b. Auch hier darf, wie erwähnt (oben 1.), die Klage nicht nur auf Feststellung gerichtet sein.

 

In beiden Fällen ist die Vorgabe eines zwingenden Mandats der betroffenen Verbraucher vor Klageerhebung (Art. 6 Abs. 3 lit. a) bzw. im gesamten Verfahren (Art. 6 Abs. 3 lit. b) nicht gestattet. Im Fall von lit. a darf das Mandat insofern zumindest keine Voraussetzung für die Klageerhebung sein. Ein spätes Opt in zu verlangen, wäre also möglich (ErwGr 20). Eine Klageerhebung muss jedenfalls auch ohne ein solches Opt inzulässig sein.

 

Letzterer Variante (Art. 6 Abs. 3 lit. b – geringfügiger Verlust und Zuführung der Entschädigung an einen öffentlichen Zweck) dürfte cum grano salis die deutsche Gewinn-/Vorteilsabschöpfung nach § 10 UWG bzw. § 34a GWB entsprechen. Sie ist in der Tat eine sinnvolle Möglichkeit des Umgangs mit Streuschäden, zumindest wenn ihre Voraussetzungen nicht zu hoch angesetzt werden.

 

Erstere Variante (Art. 6 Abs. 3 lit. a – vergleichbarer Schaden und identifizierbare Verbraucher) bietet die deutsche Musterfeststellungsklage nicht an. Auch in einem solchen Fall kann bei ihr nicht auf das notwendige Quorum der betroffenen Verbraucher verzichtet werden. Auch hier genügt die deutsche Musterfeststellungsklage also den Grundsätzen des Richtlinienentwurfs nicht.

 

  1. Verjährungshemmung und Breitenwirkung

 

Art. 11 des Richtlinienentwurfs sieht vor, dass es zur Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung im Hinblick auf alle betroffenen Verbraucher kommt. Rechtskräftig festgestellte Verstöße gelten außerdem als unwiderlegbar nachgewiesen, sodass eine generelle Bindungswirkung für Folgeklagen vorgesehen ist (Art. 10). Die deutsche Musterfeststellungsklage beschränkt die Verjährungshemmung (§ 204 Nr. 1a BGBneu) und die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils (§ 613 Abs. 1 ZPOneu) auf die angemeldeten Verbraucher. Auch hier fehlt es also an Konformität zum Richtlinienentwurf.

 

  1. Klagebefugnis

 

Der Richtlinienentwurf lässt ein durch jedwede qualifizierte Einrichtung eingeleitetes Verfahren zu. In Deutschland wird die Klagebefugnis im Hinblick auf Mitgliederanzahl, Eintragungszeitraum, Zwecksetzung der Klage sowie Finanzierung des Verbandes deutlich eingeschränkt (§ 606 Abs. 1 Nr. 1-5 ZPOneu).  Ausweislich ErwGr 10 sollen die Mitgliedstaaten solche Kriterien im Rahmen der Voraussetzung „nach dem Recht eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß errichtet“ tatsächlich festlegen können. Nach Art. 4 Abs. 4 können die Mitgliedstaaten zudem festlegen, dass qualifizierte Einrichtungen nur eine oder mehrere Maßnahmen erwirken können. Insoweit dürfte die Klagebefugnis der Musterfeststellungsklage damit konform sein.

 

  1. Ergebnis

 

Die deutsche Musterfeststellungsklage entspricht in ihrem Ausschluss von Leistungsverpflichtungen und ihrer Beschränkung auf ein reines Opt in-Modell sowie in der begrenzten verjährungshemmenden Wirkung und Wirkung des Entscheids nicht den Vorgaben des Richtlinienentwufs. Zumindest Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Beschränkung der klagebefugten Einrichtungen.

Caroline Meller-Hannich und Elisabeth Krausbeck

Können Gläubiger auf die Pokale eines Sportlers zugreifen?

Aus gegebenem Anlass

 

Pokale eines Sportlers gehören zu dessen beweglichen Vermögen. Dieses ist grundsätzlich in vollem Umfang pfändbar. Die Pfändung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher, anschließend werden die gepfändeten Gegenstände versteigert oder anderweitig verwertet. Es gibt allerdings, vorausgesetzt das Verfahren läuft nach deutschem Recht, eine Reihe von Pfändungsverboten.

 

Nach wie vor aktuell ist etwa das Verbot der Pfändung von Gegenständen, die Personen für die Fortsetzung ihrer körperlichen oder geistigen Erwerbstätigkeit benötigen (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Dazu würde wohl der Tennisschläger, kaum aber der Pokal des Sportlers gehören. Sind Pokale aber vielleicht Orden oder Ehrenzeichen? Diese genießen ebenfalls Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 Nr. 11 ZPO, übrigens gemeinsam mit den Haushaltungs- und Geschäftsbüchern, den Familienpapieren sowie den (in Gebrauch befindlichen) Trauringen.

 

Nur die von einer inländischen oder ausländischen staatlichen Gewalt verliehenen Auszeichnungen sind aber nach dieser Regel unpfändbar (Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Kindl ZPO § 811, Rn 29 mwN). Soweit es sich um eine private Auszeichnung handelt, sind Pokale sehr wohl pfändbar. Und das ist der Regelfall: Hinter Wimbledon steht ein privater Tennisclub, ebenso sind FIFA und DFB private Verbände. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass etwa die Trophäen von Wimbledon traditionell durch ein Mitglied der königlichen Familie überreicht werden.

 

Die Pfändung eines Pokals wird für den Sportler auch keine sittenwidrige Härte darstellen (§ 765 a ZPO). Es ist dann nur noch daran zu denken, ob aus der Verwertung der zu pfändenden Gegenstände ein Überschuss über die Kosten der Zwangsvollstreckung zu erwarten ist (§ 803 Abs. 2 ZPO). Dafür wird es auf den Sportler und den Trophäengeber ankommen. Für die Pokale eines sechsfachen Grandslamtourniersiegers gilt dann anderes als für das Stadtteiltournier im Torwandschießen. Erstere werden einigen Ertrag bringen. Grundsätzlich sind damit Pokale und Trophäen eines Sportlers pfändbar. Damit unterfallen sie auch dem Insolvenzbeschlag (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO).

Musterfeststellungsklage – BMJV veröffentlicht Diskussionsentwurf – was ändert sich gegenüber dem Referentenentwurf?

Nach dem „geheimen“ Referentenentwurf (RefE) – dazu dieser Blogbeitrag vom Februar 2017  – hat das BMJV nun einen Diskussionsentwurf für eine Musterfeststellungsklage (DiskE) vorgelegt. Er ist seit Kurzem auf der Homepage des BMJV als Gesetzgebungsvorhaben veröffentlicht und wurde bereits an interessierte Verbände zur Stellungnahme versandt. Zwischen den Entwürfen gibt es eine Reihe von sehr entscheidenden Unterschieden.

  1. Einengung des Anwendungsbereichs

Die Musterfeststellungsklage hat ihren relativ weiten Anwendungsbereich zwischen RefE und DiskE verloren. Während der RefE allein an den Begriff des „Rechtsverhältnisses“ anknüpfte, verlangt der DiskE ein „Rechtsverhältnis zwischen Verbrauchern und Unternehmern“. Der DiskE ist also auf Verbraucherangelegenheiten beschränkt und bezieht Gewerbetreibende und sonstige Unternehmen nicht mehr ein. Das ist gerade bei Massenschäden ein entscheidender Nachteil, da nun deliktsrechtliche Ansprüche aus Verschuldens- und Gefährdungshaftung und die durch rechtswidrige Geschäftspraktiken entstandenen Schäden kleinerer und mittlerer Unternehmen nicht mehr Verfahrensgegenstand sein können. Der Anwendungsbereich sollte also wieder erweitert werden.

  1. Reduzierung der klagebefugten Einrichtungen

Klagebefugt sind nur noch die qualifizierten Einrichtungen, die beim Bundesamt der Justiz oder im Verzeichnis der Europäischen Kommission eingetragen sind. Dazu gehören vor allem inländische und ausländische Verbraucherzentralen, -vereine und -verbände. Weder die Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern noch die rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen sind klagebefugt. Es kommt damit übrigens zu solchen pikanten Details, dass eine griechische oder slowenische Industrie- und Handelskammer, die nach ihrem nationalen Recht zur Durchsetzung von Verbraucherrechten berechtigt und in die Liste der Kommission eingetragen ist, klagen kann – nicht aber eine deutsche IHK. Da die Verbandsklageaktivität der IHK und Handwerkskammern in Deutschland aber bislang ohnehin nicht spürbar ist, ist ihr Ausschluss aus der Klageberechtigung kein großer Verlust. Anders sieht es freilich bei den rechtsfähigen Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen aus. Darunter fallen auch die mehr als 5000 Innungen in Deutschland und die große Anzahl der Berufs- und Wettbewerbsverbände. Sie sind regelmäßig klageaktiv, wobei hier die Wettbewerbszentrale mit tausenden von Klagen und Abmahnungen jährlich herausragt. Sie sollte nicht außen vor bleiben, zumal das Wettbewerbsrecht inzwischen ausdrücklich auch dem Schutz der Verbraucher dient.

  1. Erhöhung des Quorums

Der RefE sah noch vor, dass durch die klagebefugte Einrichtung mindestens 10 Fälle anhand konkreter Anhaltspunkte dargelegt werden, die von dem Musterverfahren betroffen sind. Der DiskE erhöht auf 50 Verbraucher und stellt sogar eine Erhöhung auf 100 Betroffene zur Debatte. Außerdem muss die Betroffenenzahl nun glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht werden. Dafür soll „die detaillierte Beschreibung einschließlich der Angaben zu allen zur Begründung des Feststellungsziels dienenden tatsächlichen oder rechtlichen Umstände … konkreter Fälle mit Einwilligung der Betroffenen genügen“. Allein das Einholen der Einwilligungen und die Darlegung dürfte bei 50 oder 100 Fällen einen derartigen Aufwand machen, dass genau das passiert, was wir von der Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO bislang schon kennen: Sie findet nicht statt, weil sie nicht organisierbar ist. Es ist also dringend zu raten, das Quorum und die Darlegungslast zu den einzelnen Fällen nicht zu erhöhen.

  1. Einschränkung der Bindungswirkung

Während der RefE nur eine einseitige Bindung zu Gunsten der angemeldeten Verbraucher vorsah, stellt der DiskE auch eine beiderseitige Bindung zur Debatte. Das macht die Klage natürlich für den Beklagten attraktiver, da weitere Individualklagen effektiver ausgeschlossen werden können. Es trägt auch zur abschließenden Erledigung eines Gesamtschadensereignisses bei. Eigene Beteiligungsrechte der Anmelder gibt es im Gegenzug allerdings nicht. Für Verjährungswirkung und Bindungskraft genügt eine Anmeldung zum Verfahren, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Musterverfahren möglich ist, allerdings nicht mehr nach Kenntnis des Musterurteils. Ohne Beteiligungsrechte auch an ein negatives Urteil gebunden zu sein, verstößt allerdings gegen das rechtliche Gehör. Das Gesetz sieht auch keine Wahrnehmung der prozessualen Rechte der Anmelder durch den Kläger oder etwa nachlaufende Beteiligungsrechte der Anmelder vor. Zur Vermeidung eines Grundrechtsverstoßes muss das Gesetz deshalb entweder zu der einseitigen Bindung zurückkehren, oder gewährleisten, dass die Betroffenen ihre Beteiligungsrechte andersgeartet, ggf. über einen Repräsentanten, wahrnehmen.

  1. Keine Leistungstitel, Vergleich

Nicht vorgesehen ist – sowohl im RefE als auch im DiskE – eine Entschädigungsphase nach Abschluss des Musterverfahrens. Die Geschädigten müssen ihre Leistungsansprüche auch zukünftig auf der Grundlage des Musterentscheids in Einzelklagen durchsetzen. Damit werden die hinlänglich bekannten Probleme des behäbigen und umständlichen Verfahrens nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) nicht behoben. Bis die Individualverfahren abgeschlossen sind und individuelle Leistungsansprüche tituliert sind, können Jahre vergehen.

Immerhin sieht der Entwurf einen kollektiven und gerichtlich geprüften Vergleichsschluss vor, den die Angemeldeten aber nicht annehmen müssen. Hierzu können sie sich auch noch bis zur öffentlichen Bekanntmachung der gerichtlichen Genehmigung anmelden. Im Hinblick auf das Bedürfnis nach einer Gesamterledigung komplexer Schadensereignisse ist dies eine realistische Option schneller Anspruchs-durchsetzung. Insbesondere die Möglichkeit eines späten Opt in nach Kenntnis des Vergleichs ist eine gute Idee.

 

Verbände oder Anwälte – wer klagt besser?

Obwohl der Referentenentwurf des BMJV für eine Musterfeststellungsklage noch „geheim“ ist, hat sich der Deutsche Anwaltverein in der letzten Woche in einer Stellungnahme dazu positioniert: Stellungnahme 14/17 DAV. Grundsätzlich begrüßt der DAV das Vorhaben, bemängelt aber, dass nur Verbänden, insbesondere Verbraucherorganisationen und Industrie- und Handelskammern, ein Klagerecht zustehen soll. Die Anwälte würden dadurch benachteiligt.

In der Tat soll die Klage wohl getreu der deutschen Tradition als Verbandsklage konzipiert werden. Nähere Details sind noch nicht öffentlich bekannt. Die derzeit muntere Aktivität von inländischen und ausländischen Kanzleien, Prozesse in der „Abgasaffäre“ zu bewerben, zu sammeln und vorzufinanzieren zeigt jedenfalls ein gewisses strukturelles Defizit unseres Zivilprozesses. Wir haben in Deutschland für die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen kaum Klageinstrumente. Vor allem fehlt es an Möglichkeiten zur effektiven Bündelung individueller Ansprüche auf Kompensation.

Der Vorteil der Geltendmachung durch Verbände besteht immerhin darin, dass dann kein individueller Musterkläger mit den Mühen und dem Aufwand eines Musterverfahrens belastet wird, obwohl es doch letztlich um überindividuelle Interessen geht. Dennoch sollten mit Blick auf Massenschäden auch ad hoc (durch Anwälte) gebildete Interessengemeinschaften als Musterkläger zugelassen werden. Zudem sollte dem einzelnen Geschädigten auch ohne eigene Klage eine verjährungshemmende Registrierung möglich sein und eine Bindungswirkung des Musterentscheids zu Gute kommen.

Der problematische Aspekt der geplanten Musterfeststellungsklage ist insofern ein ganz anderer und weiterer: Wie kommt der einzelne Verbraucher an sein Geld? Eine Musterfeststellungsklage verschafft dem einzelnen Geschädigten keinen Titel gegen den Beklagten. Es muss eine individuelle Leistungsklage nachfolgen. Warum nicht auch hier gesetzgeberisch Hilfe leisten, etwa durch eine anschließende vergleichsweise Bereinigung von Gesamtschadensereignissen oder eine anschließende kollektive Titulierung von Leistungsansprüchen?