Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Bezugsberechtigung aus einer gekündigten, aber beim Versterben des Versicherten noch nicht beendeten Lebensversicherung.

Kündigung einer Lebensversicherung und Widerruf der Bezugsberechtigung
BGH, Urteil vom 22. März 2023 – IV ZR 95/22

Der IV. Zivilsenat befasst sich mit der Frage, ob es Erfahrungssätze für die Auslegung einer Erklärung gibt, mit der eine Lebensversicherung gekündigt wird.

Die Mutter der Beklagten (nachfolgend: Erblasserin) hatte bei der Klägerin eine Rentenversicherung gegen Einmalzahlung von 20.000 Euro abgeschlossen, aus der sie ab September 2012 eine vierteljährliche Rente von rund 180 Euro erhielt. Bei Abschluss der Versicherung bestimmte die Erblasserin ihren Lebensgefährten widerruflich zum Bezugsberechtigten im Todesfall. Im Februar 2019 erklärte die Erblasserin die Kündigung der Versicherung zum 1. April. Im Kündigungsschreiben bat sie um Überweisung des Restbetrags auf ihr Konto. Die Klägerin zahlte bereits im März rund 16.000 Euro an die Erblasserin aus. Einen Tag nach Gutschrift dieses Betrags verstarb die Erblasserin. Ihre Alleinerbin ist die Beklagte. Von dieser verlangt die Klägerin die Rückzahlung des ausgezahlten Betrags.

Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Das OLG wies die Klage bis auf einen Restbetrag von rund 950 Euro ab.

Der BGH stellt das erstinstanzliche Urteil wieder her.

Wie die Vorinstanzen qualifiziert der BGH den Versicherungsvertrag als Lebensversicherung, weil er eine Auszahlung für den Todesfall vorsieht. Da die Erblasserin vor Beendigung des Vertrags verstorben ist, steht der im Todesfall zu zahlende Betrag dem Bezugsberechtigten zu. Dies war ursprünglich nicht die Erblasserin, sondern deren Lebensgefährte. Entgegen der Auffassung des OLG hat die Erblasserin dieses Bezugsrecht nicht konkludent widerrufen.

Das OLG hatte angenommen, eine Kündigungserklärung sei im Regelfall dahin auszulegen, dass der Versicherungsnehmer konkludent auch ein zu Gunsten eines Dritten bestehendes Bezugsrecht widerrufe. Dies entspreche der regelmäßigen Interessenlage. Ähnlich hat mehrfach der IX. Zivilsenat des BGH für den Fall entschieden, dass ein Insolvenzverwalter die weitere Erfüllung eines Lebensversicherungsvertrags ablehnt.

Der IV. Zivilsenat tritt dieser Auffassung für die Konstellation des Streitfalls nicht bei.

Sofern aus dem Kündigungsschreiben nicht hervorgeht, aus welchen Gründen die Kündigung erfolgt, ist für den Versicherer nicht erkennbar, welche Dispositionen der Versicherungsnehmer für den Fall seines Todes treffen möchte. Ein konkludenter Widerruf der Bezugsberechtigung kann bei dieser Ausgangslage nur dann angenommen werden, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben selbst oder aus sonstigen für den Versicherer erkennbaren Umständen konkrete Anhaltspunkte für einen diesbezüglichen Willen ergeben. Solche Anhaltspunkte gab es – anders als bei der Erfüllungsverweigerung durch einen Insolvenzverwalter – im Streitfall nicht. Deshalb steht die für den Todesfall vorgesehene Zahlung dem früheren Lebensgefährten der Erblasserin zu.

Praxistipp: Für den Widerruf eines Bezugsrechts sehen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Regel eine besondere Form vor. Im hier entschiedenen Fall war Schriftform vorgeschrieben. Nach neueren Verträgen reicht oft Textform.