Anwaltsblog 8/2025: Folgen der beharrlichen Verweigerung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses

Mit einem Rechtsanwalt, der bei einem elektronisch übersandten Urteil das eEB nicht zurückschickte, hatte sich das Kammergericht zu befassen (KG Berlin, Beschluss vom 24. Januar 2025 – 7 U 17/24):

 

Das angefochtene Urteil vom 16. Januar 2024 ist von der Geschäftsstelle des Landgerichts an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin – wie auch an den Beklagtenvertreter – mit eEB-Anforderung am 17. Januar 2024, 13:28 Uhr versandt worden. Unmittelbar darauf, um 13:28:17 Uhr, gingen elektronische Eingangsbestätigungen beider Parteivertreter ein. Nachdem das eB des Klägervertreters vom LG erfolglos moniert worden war, hat das LG das Urteil dem Klägervertreter erneut gegen Postzustellungsurkunde am 6. März 2024 zugestellt. Am 15. März 2024 ging die Berufung des Klägervertreters beim KG als elektronisches Dokument ein. Der Senat hat daraufhin den Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich der Wahrung der Berufungsfrist bestehen, und ihm aufgegeben zu erklären, wie es dazu kam, dass er trotz zweimaliger Aufforderung kein eB über die Zustellung des ihm am 17. Januar 2024 elektronisch übersandten Urteils zurückgesandt hat. Insbesondere wurde er dazu aufgefordert mitzuteilen, ob er keinen Empfangswillen hatte und, wenn ja, warum nicht. Auf dieses Schreiben hat der Klägervertreter nicht geantwortet. Daraufhin hat der Senat gemäß § 142 Abs. 1 ZPO angeordnet, dass die Kläger bis zum 2. Oktober 2024 das beA-Nachrichtenjournal des Klägervertreters zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils am 16. Januar 2024 in ausgedruckter Form vorzulegen haben. Da auf die elektronische Zustellung dieses Beschlusses kein eeB seitens des Klägervertreters zurückgesandt worden ist, hat der Senat mit Beschluss vom 1. November 2024 erneut angeordnet, dass die Kläger binnen zwei Wochen das beA-Nachrichtenjournal vorzulegen haben. Dieser Beschluss ist dem Klägervertreter sowohl elektronisch – wobei wiederum kein eeB vom Klägervertreter zurückgesandt worden ist – als auch gegen PZU am 20. November 2024 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2024 hat der Klägervertreter beantragt, die Frist zur Vorlage des Nachrichtenjournals bis zum 3. Januar 2025 zu verlängern. Der Senat hat daraufhin die Frist bis zum 3. Januar 2025 verlängert. Hierauf erfolgte keine weitere Reaktion seitens der Kläger.

Das Kammergericht verwirft die Berufung, weil die Berufungsfrist nicht gewahrt wurde. Die Berufung ist am 15. März 2024 beim KG eingegangen. Die Berufungsfrist war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen, weil dem Klägervertreter das Landgerichtsurteil schon deutlich früher, jedenfalls vor dem 15. Februar 2024 zugestellt worden war. Denn es ist von einer Zustellung vor dem 15. Februar 2024 jedenfalls gemäß § 189 ZPO auszugehen. Nach § 189 ZPO gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Allein der Umstand, dass der Rechtsanwalt – wie hier – eine Rücksendung des ihm zu Zwecken der Beurkundung des Zustellungsempfangs übermittelten eB unterlässt, hindert eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO nicht, wenn neben dem tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks die weiter erforderliche Empfangsbereitschaft des Zustellungsempfängers anderweit festgestellt werden kann.

Der Senat ist nach einer Gesamtwürdigung des Verfahrensstoffes jenseits vernünftiger Zweifel davon überzeugt, dass die Zustellung des Landgerichtsurteils an den Klägervertreter bereits deutlich vor dem 15. Februar 2024 erfolgt ist. Der Klägervertreter hat entgegen der Anordnung des Senats das beA-Nachrichtenjournal nicht vorgelegt. Die Nichtbefolgung dieser Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO ist gemäß §§ 286, 427 Satz 2 ZPO vom Senat frei zu würdigen. Der Senat hatte in dem Beschluss vom 1. November 2024 das beA-Nachrichtenjournal angefordert, das ausweist, wann die Nachricht des Landgerichts eingegangen ist und wer sie wann zum ersten Mal geöffnet hat. In diesem Journal ist u.a. gespeichert, wann eine empfangene Nachricht durch einen Benutzer erstmals geöffnet wurde („Gelesen von“-Vermerk). Auch wenn das beA-Nachrichtenjournal nicht mehr jederzeit ohne weiteres abrufbar ist, weil beA-Nachrichten inklusive des zugehörigen Journals nach 120 Tagen automatisch gelöscht werden, sind Rechtsanwälte gemäß § 50 BRAO verpflichtet, die beA-Nachrichten (und damit auch das Nachrichtenjournal) vor der Löschung zu exportieren und zu archivieren. Daher kann dahinstehen, ob der Klägervertreter das Nachrichtenjournal trotz Besitzes desselben nicht vorgelegt hat oder ob die Nichtvorlage des Nachrichtenjournals auf mangelnder Archivierung beruht, denn beides wäre gleichermaßen nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung zu würdigen. Des Weiteren bestätigt das Nachrichtenprotokoll, dass das am 17. Januar 2024 an den Klägervertreter per beA übersandte Landgerichtsurteil dort am 17. Januar 2024 um 13:28:17 Uhr empfangen wurde. Es ist nicht erkennbar, wieso gleichwohl zwischen dem Empfang, also der Sichtbarkeit der Nachricht in seinem Postfach ab 17. Januar 2024 um 13:28:17 Uhr und der für eine Rechtzeitigkeit der hiesigen Berufung zugrunde zu legenden tatsächlichen Kenntnisnahme frühestens am 15. Februar 2024 mehr als vier Wochen liegen sollen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss. Insgesamt würdigt der Senat diesen Sachverhalt dahingehend, dass der Klägervertreter das Urteil weit vor dem 15. Februar 2024 mittels seines beA tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Anders vermag sich der Senat das beharrliche Unterlassen des Klägervertreters, die angeforderte Unterlage zu übersenden, nicht zu erklären.

Wie bei einer Zustellung nach § 173 ZPO muss neben den tatsächlichen Zugang noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens hinzukommen, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegenzunehmen. Die erforderliche Empfangsbereitschaft kann nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs iSv. § 189 ZPO ersetzt werden. Auf der anderen Seite lässt die fehlende Zurücksendung des Empfangsbekenntnisses für sich genommen keinen entscheidend gegen eine fehlende Empfangsbereitschaft sprechenden Willen des Adressaten erkennen. Denn von einer Weigerung, das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen, kann auch bei fehlender Rücksendung eines unterschriebenen eB nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände gleichwohl in die gegenteilige Richtung weisen und hinreichend zuverlässig auf die Empfangsbereitschaft des Adressaten schließen lassen. Gemessen hieran ist von einer Empfangsbereitschaft des Prozessbevollmächtigten in Bezug auf das ihm bereits am 17. Januar 2024 per beA übersandte erstinstanzliche Urteil weit vor dem 15. Februar 2024 auszugehen. Insoweit ist wiederum zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen muss, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein muss. Es ist also nicht davon auszugehen, dass der Klägervertreter unter bewusstem Verstoß gegen für ihn geltende berufsrechtliche Regelungen für die Dauer von vier Wochen ohne weiteres nicht empfangsbereit für Zustellungen war. Ferner hat der Klägervertreter in der Folge – wenn auch erst nach erneuter Zustellung gegen PZU – Berufung eingelegt. Es ist weder vom Klägervertreter dargetan noch sonst ersichtlich, dass und warum er trotz tatsächlicher Kenntnisnahme des am 17. Januar 2024 per beA übermittelten erstinstanzlichen Urteils vier Wochen lang keinen Empfangswillen gehabt haben soll; auf die ausdrücklichen Nachfragen des Senats mit Verfügung vom 28. Juni 2024 hat der Klägervertreter nicht reagiert. Die unterlassene Rücksendung des eB lässt auch deshalb keinerlei Rückschlüsse auf eine fehlende Empfangsbereitschaft zu, weil der Kläger anscheinend auch den Senatsbeschluss vom 17. September 2024 empfangsbereit entgegengenommen hat, obwohl er bis heute kein eB zurückgesandt hat; denn sein Fristverlängerungsantrag vom 4. Dezember 2024 nimmt ausdrücklich Bezug auf diesen Beschluss. Soweit der Klägervertreter grundsätzlich bei gegen Empfangsbekenntnis zuzustellenden Dokumenten nie Empfangswillen haben sollte, wäre dies mit seiner Funktion als Rechtsanwalt nicht vereinbar und wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich.

 

Fazit: Für den Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses eines Rechtsanwalts betreffend die Zustellung eines Landgerichtsurteils kann es, wenn die elektronische Eingangsbestätigung des Systems des Rechtsanwalts und das in dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelldatum zeitlich erheblich auseinanderliegen, entsprechend § 427 ZPO den Ausschlag geben, dass der Rechtsanwalt entgegen einer Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO das beA-Nachrichtenjournal zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils nicht vorlegt. (OLG München, Beschluss vom 19. Juni 2024 – 23 U 8369/21 –, MDR 2024, 1234).

Kommt beA am 29.9. trotz Gegenwind?

Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und mit ihm des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs läuft – wie zu erwarten – nicht ganz störungsfrei. Ursprünglich sah das Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkerkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (ejustice-Gesetz) vor, dass ab 1.1.2016 allen zugelassenen Anwälte durch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) zur Verfügung gestellt wird, § 31a BRAO.

Mit Presseerklärung vom 26.11.2015 teilte die BRAK mit, das beA erfülle „derzeit“ nicht alle Erwartungen an die Qualität in Bezug auf die Nutzerfreundlichkeit. Man verschiebe daher den Starttermin auf unbestimmte Zeit. Mit Presseerklärung vom 14.04.2016 kam jetzt die lang ersehnte Information zu dem neuen Starttermin. Am 29.9.2016 soll es soweit sein: das beA kann genutzt werden. Die Erstregistrierung (also das Anlernen des Zugangsmediums) wird mindestens zwei Wochen vor dem Starttermin möglich sein. Auch die Bundesnotarkammer hat angekündigt, die Produktion und den Versand der Zugangsmedien ab sofort wieder aufzunehmen.

Die Kosten für die Einrichtung und den Betrieb dieses Postfaches legt die BRAK auf die regionalen Rechtsanwaltskammern um. Diese wiederum erheben von ihren Mitgliedern (höhere) Beiträge oder Umlagen. Hiergegen hat sich bereits ein Mitglied gerichtlich gewandt. Der BGH entschied mit Urteil vom 11.1.2016 (AnwZ (Brfg) 33/15), dass eine Umlage zur Finanzierung des beA rechtmäßig ist; insbesondere werfe § 31a BRAO keine verfassungsmäßigen Bedenken auf.

Die Frage, wer die Kostenlast für das beA zu tragen hat, wird mittlerweile überschattet von der Frage, ob das beA auch genutzt werden muss. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass keine Pflicht besteht, das beA aktiv für den Versand zu nutzen. Der Gesetzgeber hat im neuen § 130a ZPO mehrere alternative Zugangswege vorgesehen, um mit den Gerichten zu kommunizieren.

Ziel des Gesetzgebers bei Einführung des ejustice-Gesetz war es allerdings, alle zugelassenen Anwälte für Gerichte und Behörden elektronisch und auf einheitliche Art und Weise erreichbar zu machen. Daher vertritt die BRAK die Auffassung, das beA für alle Anwälte am 29.9. so einzurichten, dass es empfangsbereit ist. Um u.a. Haftungsgefahren zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, ab 29.9. das beA regelmäßig zu kontrollieren oder sich zumindest über E-Mail bei Eingängen benachrichtigen zu lassen.

Diese mittelbare Kontrollpflicht führt zu der häufig genannten passiven Nutzungspflicht. Diese Pflicht ist – wie die Pflicht den Hausbriefkasten zu leeren – naturgemäß gesetzlich nicht geregelt. Hiergegen wenden sich  Anwälte vor dem AGH Berlin in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Sie begehren, das beA nicht ohne Einwilligung des betroffenen Anwalts empfangsbereit zu schalten. Flankierend wurde nun durch Dehley, NJW 18/2016, 1274, festgestellt, dass § 31a BRAO keine passive Nutzungspflicht erlaube. Die faktische Freischaltung des Empfangs sei verfassungswidrig.

So bleibt mit Spannung zu erwarten, ob es bei dem Starttermin am 29.9. – für alle Anwälte – bleiben wird. Möglicherweise entschließt sich der Gesetzgeber noch zu einer Klarstellung im Gesetz.