Erneut hatte sich der BGH mit der Frage befassen, ob fristgemäß einzureichende Anwaltsschriftsätze das (korrekte) Aktenzeichen des Gerichts aufweisen müssen (BGH, Beschluss vom 29.05.2024 – IV ZB 14/22):
Der Kläger hat gegen ein Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wurde beim Oberlandesgericht unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführt. Auf Antrag des Klägers, der das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug, ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Februar 2022 verlängert worden. Am 21. Februar 2022 ist über das besondere elektronische Anwaltspostfach eine Berufungsbegründung eingereicht worden, die wiederum das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug und in die elektronische Akte des Verfahrens 20 U 231/21 eingeordnet wurde. Nach einem Hinweis des OLG, dass mangels Eingangs einer Berufungsbegründung die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig beabsichtigt sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14. März 2022, der erneut unter dem Aktenzeichen 20 U 231/21 eingereicht und in die Akte dieses Verfahrens eingeordnet wurde, auf die Übermittlung der Berufungsbegründung am 21. Februar 2022 hingewiesen. Das Berufungsgericht hat sodann die Berufung als unzulässig verworfen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Das Berufungsgericht hätte das Rechtsmittel nicht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen. Der am 21. Februar 2022 eingegangene Schriftsatz hat die Frist gewahrt. Die Angabe des falschen Aktenzeichens steht für sich genommen dem fristgerechten Eingang der Berufungsbegründung nicht entgegen. Das Gesetz schreibt in den § 129 Abs. 1, § 130 ZPO – die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind – die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist. Für den Eingang der Berufungsbegründung ist es dabei unerheblich, ob der Schriftsatz anhand des Aktenzeichens bereits innerhalb der Berufungsbegründungsfrist in die für diese Sache angelegte Akte eingeordnet wurde. Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird, sondern allein, dass es vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt.
Der Berufungsbegründung muss allerdings zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren sie eingereicht werden soll. Unrichtige Angaben schaden nur dann nicht, wenn auf Grund sonstiger, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Prozessgegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist. Wurde durch die Angabe eines falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt, in welcher Sache die Rechtsmittelbegründung eingereicht wurde, ist diese nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Rechtsanwalts dem richtigen Verfahren zuzuordnen. An diesen – auch für die elektronische Übermittlung geltenden – Grundsätzen gemessen war die Berufungsbegründung vom 21. Februar 2022 – auch wenn sie das falsche Aktenzeichen trägt – ohne Zweifel dem richtigen Berufungsverfahren zuzuordnen. Denn der Schriftsatz enthält das richtige Rubrum des Berufungsverfahrens sowie im Eingangssatz und im Antrag eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit der Berufung angefochtene – nach Gericht, Entscheidungsdatum und erstinstanzlichem Aktenzeichen zutreffend bezeichnete – Entscheidung.
Fazit: Dem fristgerechten Eingang eines Schriftsatzes bei Gericht steht es nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz irrtümlich mit einem unzutreffenden Aktenzeichen versehen ist. Allein entscheidend ist, dass er vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt ist (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 – VIII ZR 238/22 – MDR 2024, 592).
Anmerkung: Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig hat den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt. Der in ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzten Partei verbleibt nur das zulässige Rechtsmittel, sofern die angefochtene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht (Rechtsbeschwerde). Der einfachere und kostengünstigere Weg der Gehörsrüge nach § 321a ZPO ist nicht eröffnet, da diese subsidiären Charakter hat. Voraussetzung für die Gehörsrüge ist nach § 312a Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist. Der Gesetzgeber sollte de lege ferenda dieses missliche Rechtsdefizit beenden, um eine schnelle und kostengünstige Reparatur der sog. Pannenfälle (G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 321a Rn. 8 mwN.) zu ermöglichen.