Anwaltsblog 14/2024: Aufhebung und Zurückverweisung nur bei Notwendigkeit einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme!

Mit den Voraussetzungen einer Aufhebung und das Zurückverweisung durch das Berufungsgericht an das erstinstanzliche Gericht hatte sich in einem Bauschadensersatzprozess der BGH zu befassen (BGH, Urteil vom 1. Februar 2024 – VII ZR 171/22):

 

Die Klägerin als Bestellerin begehrt von dem Beklagten als Werkunternehmer den Ersatz von Mehrkosten und Schadensersatz nach fünf Teilkündigungen eines zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages über ein Kongresszentrum. Das LG hat nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter durch einen Beschluss, der nur von zwei Mitgliedern der Kammer unterzeichnet worden ist, der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs in voller Höhe stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Eine Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das LG komme nicht in Betracht. Zwar sei das angefochtene Urteil entgegen den gesetzlichen Vorschriften vom Einzelrichter und nicht von der Kammer gefasst worden. Der Verstoß gegen den gesetzlichen Richter sei von Amts wegen zu berücksichtigen. Er sei dadurch begründet, dass gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c ZPO grundsätzlich die Zuständigkeit der Kammer gegeben sei, hingegen der Einzelrichter entschieden habe. Zwar habe die Kammer einen Übertragungsbeschluss auf den Einzelrichter gemäß § 348a Abs. 1 ZPO gefasst. Den Beschluss hätten aber nur zwei von drei Kammermitgliedern unterschrieben. Der Übertragungsbeschluss sei aus diesem Grund nicht wirksam geworden. Eine Zurückverweisung der Sache an das LG komme nicht in Betracht, weil das Verfahren entscheidungsreif sei.

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht war befugt, in der Sache selbst zu entscheiden. Es kann dahinstehen, ob die Zivilkammer des LG wirksam einen Beschluss gemäß § 348a Abs. 1 ZPO gefasst hat, mit dem der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist. Allerdings war nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. c ZPO die Kammer zur Entscheidung berufen, weil es sich um eine Streitigkeit aus einem Bauvertrag handelte, für die nach § 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG Spezialkammern bei den Landgerichten bestehen. Gemäß § 348a Abs. 1 ZPO kann die Zuständigkeit des Einzelrichters begründet werden, wenn die Kammer die Sache durch Beschluss auf den Einzelrichter überträgt. Eine Beschlussfassung gemäß § 348a Abs. 1 ZPO setzt indes eine entsprechende interne Willensbildung der vollbesetzten Zivilkammer voraus, deren Vorliegen vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist. Diese Prüfung hat das Berufungsgericht nicht hinreichend vorgenommen. Aus dem bei den Akten befindlichen schriftlichen Originalbeschluss, auf dem sich lediglich die Unterschriften der Vorsitzenden der Kammer und eines Beisitzers befinden, geht nicht ohne weiteres hervor, ob dem Beschluss eine entsprechende Willensbildung der vollbesetzten Zivilkammer zugrunde lag. Selbst wenn unterstellt wird, dass mangels wirksamer Übertragung der Sache auf den Einzelrichter die angefochtene Entscheidung des Landgerichts nicht von dem gesetzlich zur Entscheidung berufenen Richter getroffen worden ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), war eine Zurückverweisung der Sache an das LG nicht geboten. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO lässt im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht grundsätzlich nur dann zu, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Ein in erster Instanz unterlaufener Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zwingt allerdings ausnahmsweise – ungeachtet der weiteren in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO genannten Voraussetzungen – dann zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht, wenn das erstinstanzliche Verfahren überhaupt keine Grundlage für das Berufungsverfahren darstellen kann. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht schon mit Blick auf § 547 Nr. 1 ZPO vor, weil erkennendes Gericht dieser Vorschrift nur das Berufungsgericht ist, dessen Entscheidung mit der Revision angegriffen wird.

Nach diesen Maßstäben war eine Zurückverweisung der Sache durch das OLG an das LG gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht geboten. Zu Recht hat das OLG angenommen, die Voraussetzung für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, dass aufgrund des Verfahrensfehlers eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme erforderlich sei, liege nicht vor; der Rechtsstreit sei vielmehr zur Entscheidung reif. Das OLG selbst, das durch drei seiner Mitglieder entschieden hat, war bei der angefochtenen Entscheidung vorschriftsmäßig besetzt. Da es eine eigene Sachentscheidung unter Würdigung der vom LG getroffenen tatsächlichen Feststellungen getroffen und sich nicht lediglich auf die Übernahme der Feststellungen des Einzelrichters beim LG beschränkt hat, ist das Berufungsurteil auch nicht durch eine etwaige fehlerhafte Besetzung des LG beeinflusst worden.

Das OLG war aufgrund der vom LG getroffenen Feststellungen in der Lage, unter selbständiger Würdigung der festgestellten Tatsachen eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Die Zurückverweisung an das Erstgericht soll nach der Konzeption des Gesetzgebers ein Ausnahmefall bleiben. Das Berufungsgericht hat nach § 538 Abs. 1 ZPO grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung an das Gericht erster Instanz ist deshalb für den Fall, dass das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), nur geboten, wenn eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme durch oder infolge der Korrektur des wesentlichen Verfahrensmangels zu erwarten ist, in deren Folge die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz ausnahmsweise zu noch größeren Nachteilen führen würde als die Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht

 

Fazit: Im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, ist eine Zurückverweisung der Sache grundsätzlich nur dann zulässig, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die sukzessive Geltendmachung von Teilforderungen in getrennten Prozessen.

Keine Aussetzung bei getrennter Geltendmachung von Teilforderungen
Beschluss vom 27. Juni 2019 – IX ZB 5/19

Mit dem Anwendungsbereich von § 148 ZPO befasst sich der IX. Zivilsenat.

Der klagende Rechtsanwalt war von den Beklagten beauftragt worden, die Freigabe von zwei Grundschulden zu erwirken. Die Beklagten hatten einen Vorschuss von rund 7.000 Euro gezahlt. Nach Abschluss seiner Tätigkeit stellte der Kläger insgesamt rund 11.000 Euro in Rechnung. Die Beklagten klagten in einem ersten, mittlerweile in der Berufungsinstanz anhängigen Rechtsstreit auf Rückzahlung von rund 4.000 Euro, mit der Begründung, sie hätten mit dem Kläger ein Pauschalhonorar von rund 3.000 Euro vereinbart. Der Kläger trat diesem Begehren entgegen und erklärte die Aufrechnung mit einem Teil seiner Honorarforderung. Gut ein Jahr später klagte er in einem separaten Rechtsstreit den nach seiner Auffassung noch offenen Betrag von rund 4.000 Euro ein. Das AG setzte das Verfahren gemäß § 148 ZPO aus. Das LG wies die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers zurück.

Die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde des Klägers hat schon deshalb Erfolg, weil das LG durch den Einzelrichter entschieden hat und dies nach der ständigen Rechtsprechung des BGH das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt, wenn ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegt. In seinen Hinweisen für das weitere Verfahren gibt der BGH zu verstehen, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen auch inhaltlich unzutreffend sind. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn die in dem anderen Rechtsstreit zu treffende Entscheidung für das auszusetzende Verfahren präjudiziell ist, also Rechtskraft-, Gestaltungs- oder Interventionswirkung entfaltet. Eine solche Wirkung kann zwar auch dann entstehen, wenn dieselbe Forderung im einen Verfahren eingeklagt und im anderen Verfahren zur Aufrechnung gestellt wurde. Im Streitfall betreffen die Aufrechnung im ersten Rechtsstreit und die Klage im vorliegenden Rechtsstreit aber unterschiedliche Teile der Honorarforderung. Die Rechtskraft der Entscheidungen ist auf den jeweils betroffenen Teil der Forderung beschränkt. Eine präjudizielle Wirkung kann deshalb nicht eintreten.

Praxistipp: Eine zeitliche Synchronisierung der beiden Prozesse können die Parteien in der gegebenen Konstellation allenfalls durch einen einvernehmlichen Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens erreichen. Eine solche Anordnung führt aber gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB dazu, dass die Verjährung nach sechs Monaten weiterzulaufen beginnt.