Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um das Nachreichen einer Prozessvollmacht.

Heilung des Mangels der Prozessvollmacht
Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZB 18/18

Mit den Anforderungen an die Prozessvollmacht eines Inkassodienstleisters befasst sich der VII. Zivilsenat.

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil über eine Forderung in Höhe von rund 5.500 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten. Sie ist durch eine in das Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin vertreten. Auf deren Antrag erließ das AG im Januar 2017 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Eine Erinnerung des Schuldners blieb erfolglos. Mit seiner Beschwerde rügte er unter anderem das Fehlen einer Prozessvollmacht. Die Inkassodienstleisterin legte daraufhin eine Inkassovollmacht der Gläubigerin im Original vor. Das LG wies die Beschwerde zurück.

Die Rechtsbeschwerde des Schuldners bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde hätte der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss allerdings nicht ergehen dürfen. Die Ausnahmeregelung in § 88 Abs. 2 ZPO, wonach Mängel der Vollmacht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, wenn ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf Inkassodienstleister, die nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO zur Vertretung befugt sind, nicht entsprechend anwendbar. Die für diesen Personenkreis geltende Ausnahmeregelung in § 753a ZPO gab es im hier relevanten Zeitraum noch nicht.

Dieser Fehler führte jedoch nicht zur Nichtigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, sondern nur zu dessen Anfechtbarkeit. Der Mangel der Vollmacht konnte deshalb bis zur Entscheidung über die Beschwerde geheilt werden. Dies ist im Streitfall durch Vorlage der Inkassovollmacht geschehen. Die Heilung wirkt auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück.

Praxistipp: Nach der seit 1.1.2021 geltenden Ausnahmeregelung in § 753a ZPO ist die Vorlage einer Vollmacht durch Inkassodienstleister und öffentlich geförderte Verbraucherverbände entbehrlich, wenn diese ihre ordnungsgemäße Bevollmächtigung versichern.

Professor Udo Hintzen im Interview zu den Möglichkeiten der Beitreibung einer titulierten Forderung trotz vielfältigem Schuldnerschutz und Restschuldbefreiung

Ziel der Zwangsvollstreckung ist die Befriedigung des Gläubigers als Rechtserfolg. Die Wirklichkeit zeigt jedoch ein ganz anderes Bild. Für eine effektive und zielgerichtete Vollstreckung sind vertiefte Kenntnisse in diversen Rechtsgebieten vonnöten, will man sich nicht nur auf die Pfändung von Arbeitseinkommen und Girokonten beschränken. Hierüber habe ich mit dem Autor des gerade in neuer Auflage erschienenen Buchs „Musteranträge für Pfändung und Überweisung“ Professor Udo Hintzen[1] gesprochen.

Forner: Lieber Herr Prof. Hintzen, haben Sie vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch nehmen. Was ist für einen Gläubiger die größte Herausforderung, will er seinen titulierten Anspruch zwangsweise durchsetzen?

Hintzen: Den Überblick zu gewinnen, welche Möglichkeiten es außer den in den amtlichen Formularen vorgesehenen „Klassikern“ wie Arbeitseinkommen, Arbeitslosengeld, Steuererstattungsanspruch, Lebensversicherung und Bausparvertrag noch gibt. Aber selbst bei diesen vorformulierten Ansprüchen kann es im Einzelfall Abweichungen geben, die dann extra im Anwendungsformular korrigiert werden sollten.

Forner: Muss ein Gläubiger denn die amtlichen Formulare benutzen, auch wenn er andere als die von Ihnen gerade genannten Ansprüche pfänden will?

Hintzen: Ja, muss er. Das Formular enthält einen „offenen“ Baustein; der Gläubiger muss dann – wie früher generell – den zu pfändenden Anspruch selbst formulieren. Allerdings würde der allgemeine Justizgewährungsanspruch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, wenn der gesetzlich geregelte Formularzwang so zu verstehen wäre, dass die Formulare ohne Einschränkung zu verwenden wären. Mit dem Formularzwang wird insbesondere eine Entlastung der Vollstreckungsgerichte bezweckt. Durch die Vereinheitlichung der Antragsformulare soll die Effizienz bei der Bearbeitung der Anträge bei Gericht gesteigert werden. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Umsetzung dieses in Anbetracht der Vielschichtigkeit der Forderungspfändung anspruchsvollen gesetzgeberischen Anliegens durch die verbindliche Vorgabe des Formulars den Anspruch des Rechtsuchenden auf effektiven Rechtsschutz unverhältnismäßig einschränkt. Daher gibt es trotz Formularzwangs immer die Möglichkeit, von den Vorgaben abzuweichen.

Forner: Wo können denn in einem Formular, das ja immerhin vom Gesetzgeber gesetzlich vorgeschrieben ist, Korrektur- bzw. Anpassungsmöglichkeiten überhaupt auftreten?

Hintzen: Die Ausfüllprobleme haben den BGH bereits kurz nach Einführung der Formulare beschäftigt. Mit seinem ersten Beschluss v. 13.2.2014  – VII ZB 39/13, MDR 2014, 495 hat der BGH das Formular in mehreren Punkten kritisiert und entschieden, dass ein Gläubiger vom Formularzwang entbunden ist, soweit das Formular unvollständig, unzutreffend, fehlerhaft oder missverständlich ist. In diesen Fällen kann der Gläubiger auch Streichungen, Berichtigungen oder Ergänzungen vornehmen oder das Formular insoweit nicht nutzen, sondern auf beigefügte Anlagen verweisen. Nicht zuletzt diese Entscheidung führte dann zur Änderungsverordnung vom 16.6.2014. Leider brachte diese VO außer der „SEPA-Umstellung“ keine Verbesserung, die Kernprobleme sind geblieben.

Forner: Wann benötigt ein Gläubiger neben den amtlichen Formularen, die ja textlich bereits die zu pfändenden Ansprüche genau bezeichnen, noch weitere Unterstützung, z.B. in Form eines Formularbuchs?

Hintzen: Ein Gläubiger sollte sich grundsätzlich nie auf vorgefertigte Texte verlassen. Insbesondere Rechtsanwälte sind ihren Mandanten gegenüber verpflichtet. Ob ein zu pfändender Anspruch im Einzelfall hinreichend bezeichnet und auch alle möglichen Nebenrechte mitgepfändet sind, entscheidet nicht der Gesetzgeber mit Textbausteinen, sondern der Gläubiger selbst ist gefragt und das Vollstreckungsgericht muss dann entscheiden, ob dem Pfändungsantrag stattgegeben wird oder nicht. Bei der Vielfalt der Pfändungsmöglichkeiten wird ein Gläubiger ohne ein Nachschlagewerk kaum auskommen können.

Forner: Ihr soeben erschienenes Buch mit mehr als 200 Musteranträgen zur Pfändung und Überweisung ist so ein Nachschlagewerk. Was erwartet den Nutzer hier an inhaltlichen Neuerungen?

Hintzen: Viele einzelne Gesetzesänderungen haben dazu geführt, dass man bei den einzelnen Anträgen genau hinsehen muss. Es fängt mit der neuen Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung an, die zu beachten ist. In den individuellen Anträgen werden unterschiedliche Änderungen relevant, z.B. durch die Reform des Bauvertragsrechts, durch das Gesetz „Ehe für alle“ oder durch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Grenzüberschreitend ist auch das neue EU-KontenpfändungsVO-Durchführungsgesetz und das Gesetz zum Internationalen Erbschein zu achten. Daneben gibt es viele kleine Details, die für den Antrag wichtig sind; beispielhaft erwähnt werden kann hier die Verschmelzung der PostbankAG mit der DB Privat- und Firmenkunden. Für den Vollstreckungsgläubiger ist es ja enorm wichtig, wer der richtige Drittschuldner ist.

Forner: Wichtig ist für den Vollstreckungsgläubiger auch, dass er alle Möglichkeiten ausschöpft. Können Sie einmal kurz ein Beispiel außerhalb der eingangs genannten Pfändungsmöglichkeiten nennen?

Hintzen: Viele Schuldner verfügen über Grundbesitz, sei es in Form eines Grundstücks oder einer Eigentumswohnung. Die Zwangsvollstreckung in Vermögensrechte, die sich aus dem Grundbuch ergeben bzw. sich auf das Grundstück beziehen, wird nur selten in Anspruch genommen. Der Grund liegt möglicherweise in den praktischen und rechtlichen Problemen, die aus der Verzahnung des allgemeinen Zwangsvollstreckungsrechts mit Fragen des materiellen und formellen Grundbuchrechts und nicht zuletzt mit dem Recht der Zwangsversteigerung resultieren. Diese äußerst komplexen Fragen sind nicht immer einfach und eindeutig zu beantworten. Die Rechtspfändung und mögliche Sicherung im Grundbuch bietet aber durchaus vielversprechende Realisierungschancen, die der Gläubiger nicht ungenutzt lassen sollte.

Ein weiteres Beispiel sind Pfändungsmöglichkeiten im Rahmen einer Erbfolge. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes wurde 2017 in Deutschland ein Vermögen von insgesamt etwa 97 Milliarden Euro vererbt und verschenkt. Der Betrag dürfte von Jahr zu Jahr steigen. Hinter diesem Betrag verbergen sich Häuser, Wohnungen, Wertpapiere und Bargeld. Pfändungsmöglichkeiten, die man nicht außer Acht lassen sollte.

Forner: Lieber Herr Prof. Hintzen, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

[1] Professor Udo Hintzen ist durch langjährige Tätigkeit als Rechtspfleger ausgewiesener Experte im Umgang mit Forderungspfändungen. Er lehrt an der HWR Berlin (u.a. mit Schwerpunkt Zwangsvollstreckungsrecht) und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Rpfleger“.