BGH: Notwendiger Hinweis des Gerichts bei einer Wiedereinsetzung wegen plötzlicher Erkrankung der Rechtsanwältin

Der BGH hat sich mit Beschl. v. 6.9.2022 – VIII ZB 24/22, MDR 2022, 1363 mit den Pflichten des Rechtsmittelgerichts im Hinblick auf das Vorbringen zur Begründung eines auf eine unvorhergesehene Erkrankung des Rechtsanwalts gestützten Wiedereinsetzungsantrags befasst.

In dem Verfahren hat der Kläger behauptet und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, seine Anwältin sei am Tage des Ablaufes der Berufungsbegründungsfrist unvorhergesehen akut erkrankt (Fieber, starke Übelkeit, Erbrechen) und habe deshalb die Frist nicht wahren können. Die Beauftragung eines Vertreters sei genauso wenig zumutbar und möglich gewesen wie die Einholung der Zustimmung des Beklagtenvertreters zu einer erneuten Fristverlängerung. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die Einholung einer Zustimmung des Beklagtenvertreters zur erneuten Verlängerung der Frist nicht möglich gewesen wäre. Die pauschale Behauptung, dies sei nicht zumutbar und möglich gewesen, sei nicht ausreichend.

Der BGH teilt diese Sichtweise nicht, sondern fordert von dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung der Sache, die unrichtigerweise unterblieben sei; gegebenenfalls durch Vernehmung der Anwältin. Das Berufungsgericht habe richtig angenommen, dass der Kläger eine in sich geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe noch nicht abgegeben habe. Im Kern sei das Vorbringen des Klägers allerdings nachvollziehbar. In einem solchen Fall wäre das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO dazu verpflichtet gewesen, den Kläger auf die Lücken im Vortrag hinzuweisen und entsprechenden Beweis anzutreten. Es handele sich hier mithin um erkennbar unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, die auch noch nach Fristablauf und noch mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden könnten.

Fazit: Die Entscheidung liegt ganz auf der Linie der sich immer weiter und mehr ausdehnenden Aufklärungs- und Hinweispflichten, die die Anwaltschaft zu einem immer unsorgfältigeren Verhalten ermutigen. Es dürfte doch auf der Hand liegen, dass in Fällen der plötzlichen Erkrankung näher ausgeführt werden muss, warum man nicht mehr den Gegner anrufen und um Zustimmung zur Fristverlängerung bitten konnte! Was liegt eigentlich näher?