Ein Bericht zum Internationalen Tag der Mediation am 18. Juni 2019 in Berlin
Seit Wochen richtet Greta Thunberg, 16-jährige Schülerin aus Schweden, mahnende Worte an die (politische) Welt. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund: „Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich möchte, dass Ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Ich möchte, dass Ihr handelt, dass Ihr so handelt, als würde das Haus in Flammen stehen. Denn es brennt wirklich.“ (Quelle: https://www.spiegel.de/video/davos-aktivistin-greta-thunberg-warnt-vor-klimwandel-video-99024484.html). Greta berührt, Greta rüttelt auf und Greta motiviert eine Vielzahl gleichgesinnter Schüler*innen weltweit, für ihre Zukunft einzustehen. Dabei fordert sie keinen grundlegenden Lebenswandel und Verzicht auf Luxus. Sie fordert die Regierungen lediglich auf, die CO2-Grenzen einzuhalten, die auf dem Pariser Klimagipfel verabredet wurden.
Bei all der Sympathie für dieses Mädchen müssen wir uns fragen (lassen): Wie kommt es, dass Greta Thunberg diesen Weg des Protests gehen muss? Wie kommt es, dass eine minderjährige Schülerin deutlicher für das Klima eintritt, als die meisten Politiker in den handlungsrelevanten Positionen? Wieso kommen wir eigentlich nicht selbst auf die Idee, nachhaltig etwas an unserem Verhalten zu ändern? Wir könnten es doch, oder?
Wenn man Tim Hicks, Mediator und international renommiertem Mediationswissenschaftler aus den USA, glauben kann, dann ist es keine Frage des Wissens, an der wir in Bezug auf den Klimawandel scheitern. Anlässlich des siebten Internationalen Tages der Mediation erläutert er in seinem Vortrag am 18. Juni 2019 in der Emmaus-Kirche in Berlin Kreuzberg* seine Sicht auf den Konflikt zwischen den Generationen.
Mit großer Leichtigkeit spannt Hicks unter dem Titel „Gesellschaftliche Veränderungen gestalten: Energiewende, Mediation, „Fridays for Future“. Wie Mediation, Neurowissenschaften und „Fridays for Future“ zusammenhängen“ am vergangenen Dienstag einen interessanten Bogen unter Bezugnahme auf verschiedene wissenschaftliche Ansätze, wie z.B. Neurowissenschaften, Sozialpsychologie und Epigenetik, sowie Mediation und Konfliktkultur in der Gesellschaft.
Hicks beschreibt, dass verschiedenartige Konflikterfahrungen in Form von identitätsbildenden Erfahrungen in unserem Körper fest verankert sind. Sie seien die Ursache für die verschiedenen Wahrnehmungen der Realität. Sie bestimmen, wie wir kommunizieren, Beziehungen gestalten und auch, wie und mit welcher Radikalität wir Konflikte angehen. Bereits zu Beginn seines Vortrags bringt er sehr unmissverständlich auf den Punkt, worin die Herausforderung unserer Zeit besteht: „Unser Verhalten bedroht unsere Existenz, nicht der Klimawandel (…) Wir haben nicht gelernt, nach den Konsequenzen zu fragen, wir haben einfach gehandelt.“
Seit vielen Jahren hören wir – die „erwachsene“ Generation – rund um die Uhr und den Globus von bedrohlichen Veränderungen des Klimas. Berichte aus Katastrophengebieten, Dokumentationen und wissenschaftliche Erkenntnisse rufen uns die Folgen der Erderwärmung fortwährend ins Gedächtnis. Wir erleben steigende Temperaturen, Jahrhundertsommer und Jahrtausend-Unwetter am eigenen Leib, denn in den letzten Jahren machen sintflutartige Regenfälle, Stürme und Waldbrände auch vor unseren Haustüren nicht Halt. Und trotzdem kleben wir an alten Verhaltensweisen, als gäbe es kein Morgen.
Tatsächlich umfasse „das Morgen“ für die heutige Generation nur eine kurze Zeitspanne, so Hicks. Die Lebenszeit eines Menschen betrage nur ca. 100 Jahre – ein Wimpernschlag im Vergleich zur 300.000-jährigen Menschheitsgeschichte. In dieser Zeit müssten wir Menschen (jeder wieder von neuem) alles lernen, was zum Zusammenleben auf diesem Planeten gehöre; danach verlassen wir ihn wieder, erleben keine Nachwirkungen unseres Handelns über das Ende unserer Lebenszeit hinaus. Es kann daher keine reale Angst vor der drohenden Klimakatastrophe bei uns entstehen; denn die heute Verantwortlichen werden in wenigen Jahren schon verstorben sein.
Hicks führt die Verdrängung der Realität u.a. auf eine Art Schutzreaktion des Gehirns zurück. Um sich in der komplexen Welt orientieren zu können, baue jede*r einzelne von uns neuronale und kognitive Strukturen im Gehirn auf, schaffe sich Ordnungsschemata und Muster. Daraus resultiere zugleich das Bestreben, sich an diesen Strukturen entlang zu hangeln und dieses Wissen als Leitplanken zu verwenden. Der Mensch strebe nach Stabilität und Verlässlichkeit. Ereignisse oder Erfahrungen, die von den bislang bekannten Mustern abweichen, lösen Unsicherheit, Ängste und Befürchtungen aus. Er tue daher alles, um in einem sicheren stabilen Zustand zu bleiben.
Eine weitere faszinierende und zugleich erstaunliche Beobachtung sei, dass das Gehirn zwei konträre Informationen nicht zeitgleich verarbeiten kann. In Experimenten könne nachgewiesen werden, dass divergierende Wahrnehmungen in den jeweils verarbeitenden Hirnarealen „hin- und herspringen“. Es sei, als ob sich das Gehirn nicht entscheiden könne, welche Perzeption die richtige sei. Als gültig würde eher die vertraute, bereits bekannte Information angesehen. So sei es auch mit dem Wissen um den Klimawandel. „Wir wissen, dass es den Klimawandel gibt. Aber wir glauben es nicht genug“, so Hicks. Die Folgen des Klimawandels setzen nicht auf einen Schlag ein, sondern entwickeln sich langsam und schleichend. Zusammenhänge mit dem eigenen Handeln ließen sich vor sich selbst sehr leicht relativieren, insbesondere dann, wenn sie das positive Selbstbild bedrohen.
Seiner Meinung nach helfe es daher nicht, Menschen mit noch mehr Informationen zu versorgen. Man erreiche die Menschen nicht mit Schreckensbildern und realitätsgetreuen Abbildungen von der drohenden Zukunft. Diese Nachrichten würden zwar gehört, aber bei der Einordnung und der Bedeutungszumessung wieder verdrängt. Sich mit den Folgen auseinanderzusetzen, sei neu. Bislang fehle zudem eine globale Perspektive, die Wechselwirkungen in Bezug zueinander setzte.
Die Gäste der anschließenden Podiumsdiskussion – Dr. Bettina Knothe (Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende), Edmund Ahrend (Verein zur Förderung von Wissenschaft und Praxis der Mediation e.V. (WPM)), Prof. Dr. Ulla Gläßer (Master-Studiengang Mediation und Konfliktmanagement der Europa-Universität Viadrina) sowie Tim Hicks und Michael Cramer (Moderation) – beschäftigten sich u.a. mit der Frage, wie die Menschen für eine Veränderung zu gewinnen seien. Eine wichtige Erkenntnis hob Hicks nochmals hervor: Drohungen und Bestrafungen würden keine Wirkung entfalten. Eine Lösungsidee bestehe im Modelllernen. Man müsse den Menschen ein neues, positiv besetztes Verhalten vorleben. Gute Modelle seien nach wie der beste Garant für einen Verhaltensumschwung.
Alle waren sich einig, Lösungen kooperativ und interessenbasiert zu finden, sei der beste Weg. Dafür müsse man jedoch den Menschen den Gewinn ganz direkt verdeutlichen, den eine Verhaltensänderung bewirken kann. Dies bedeute vor allem auch, sie da abzuholen und wo sie stünden und z.B. angesichts des Baus eines Windrades die konkreten Ängste und Befürchtungen kleinschrittig besprechen. „Dies kostet sehr viel Zeit“, berichtete Dr. Bettina Knothe. Aber die müsse man investieren, wenn man Schritte gehen und dabei die Betroffenen erreichen möchte.
Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Bewegung „Fridays for future“ und Greta Thunberg? Werden den Schüler*innen diese Erkenntnisse reichen?
In unserem gesellschaftlichen Verständnis von Nachfolge übergibt üblicherweise die ältere Generation der jüngeren ihre Erkenntnisse. Die Vergangenheit und die Gegenwart lehren uns jedoch, dass sich dieses Verhältnis insbesondere bei den Themen Klimaschutz und verantwortungsvollem Umgang mit endlichen Ressourcen nicht bewährt. Was unsere Generationen unterscheidet? Die jüngere Generation wird die Konsequenzen in ihrer Lebenszeit erleben, die unser Verhalten auslöst – dann, wenn wir für die Folgen nicht mehr geradestehen können / müssen.
Wir lernen von Greta Thunberg und allen Beteiligten an der „Fridays for future“-Bewegung die Bedeutung von Konfliktfähigkeit, d.h. Hinsehen, Einstehen für eigene Werte, Argumentieren und Wirksamkeit entfalten, An- und Aussprechen von gesellschaftlich heiklen Themen, angemessene Unnachgiebigkeit bei der Thematisierung dieser Themen, Hartnäckigkeit bei der Überprüfung von getroffenen Vereinbarungen und ihre ehrliche Evaluation, Einfordern von eingegangenen Verpflichtungen.
Wir können sehr stolz auf sie sein. Sie wenden an, was sie über Konflikte und ihre konstruktive Lösung gelernt haben und sie bringen uns mit dieser Fähigkeit in Bewegung. Stolz allein reicht jedoch nicht – es ist an uns, den Dialog aufzunehmen und die Verantwortung zu übernehmen. Und jede*r einzelne von uns ist gefordert, sein/ihr eigenes Verhalten jeden Tag von Neuem zu prüfen und sich vor sich selbst zu rechtfertigen: Welchen Teil trage ich zur Klimaveränderung bei? Verliere ich wirklich nur, wenn ich etwas in meinem Verhalten, in meinen Gewohnheiten ändere? Was steckt hinter meinen Verhaltensweisen? Wie kann ich die zugrundeliegenden Bedürfnisse anderweitig genauso effektiv befriedigen?
Wir Mediator*innen sind darin eigentlich Expert*innen. Warum gehen wir nicht mit leuchtendem Beispiel voran?
* Der Vortrag sowie die anschließende Podiumsdiskussion wurde veranstaltet von der Regionalgruppe Berlin-Brandenburg des Bundesverbandes Mediation e.V. in Kooperation mit dem Verein zur Förderung von Wissenschaft und Praxis der Mediation e.V. (WPM), dem Master-Studiengang Mediation und Konfliktmanagement der Europa-Universität Viadrina und der Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation e.V. (BAFM). Nähere Informationen zur Veranstaltung: https://rg-berlin-brandenburg.bmev.de/internationaler-tag-der-mediation-2019/