Co-Autor:in:
Dr. Carolin Holtkamp
Dr. Malte Steinbach
Crossmedialität erweitert Gestaltungsspielraum für das prozessuale Konfliktmanagement
Digitalisierung als Treiber
Partizipation ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels. Die dialogisch-konsultative Beteiligung der Öffentlichkeit hat in den letzten Jahrzehnten immer weiter an Bedeutung gewonnen. Es wird (an)erkannt, dass aufgrund der zunehmenden Komplexität der zu lösenden Aufgaben, etwa in der Stadtentwicklung, eine Erweiterung des Ideen- und Perspektivenpools hilfreich ist, um Probleme besser oder überhaupt verstehen und um zukunftsfähige Lösungen entwickeln zu können.
Jedoch verläuft Partizipation zumeist nicht reibungslos. Vielmehr müssen Partizipationsverfahren in komplexen Umfeldern Raum geben für die konstruktive Aushandlung von Konflikten. Durch den zunehmenden Einfluss sozialer Medien sind öffentliche Diskussionen inzwischen häufig geprägt durch Wut und Empörung sowie einer zunehmenden Intoleranz gegenüber anderen Meinungen. Dialog wird daher eine immer wertvollere Ressource. Und partizipative Verfahren ermöglichen Austausch, Perspektivwechsel und einen zivilen Umgang mit Konflikten.
Hinzu kommt, dass die Digitalisierung eine transformative Wirkung auf nahezu alle Aspekte des menschlichen Lebens hat. Einerseits entstehen völlig neue Beteiligungsanlässe und Beteiligungsgegenstände, wie beispielsweise in den Smart-City-Kommunen. Andererseits werden Partizipationsverfahren selbst unter Veränderungsdruck gesetzt: Soziale Medien oder andere digitale Plattformen, sorgen dafür, dass sich Akteure umfassend vernetzen, Informationen austauschen, sich über öffentliche Angelegenheiten informieren und ihre Anliegen und Forderungen formulieren und effektiv Unterstützung organisieren. (Elektronische) Partizipation steht also im doppelten Sinne „unter Strom“.
Crossmedialität als Chance
In der Mehrzahl der Partizipationsverfahren werden strategisch analoge und digitale Informations- und Dialogkanäle miteinander verknüpft. Diese crossmediale Gestaltung birgt viele Chancen für die Verfahrensträger:innen:
- Sie können mehr und mehr unterschiedliche Menschen erreichen, d.h. crossmediale Verfahren ermöglichen eine größere Diversifizierung der Teilnehmenden eines Beteiligungsverfahrens.
- In analogen Formaten verweisen sie auf dazugehörige digitale Beteiligungsangebote und umgekehrt: So für eine Mobilisierung zur verstärkten Teilnahme an den Verfahren gesorgt. Die so erzielte größere Teilnehmerzahl erhöht wiederum die Legitimität der erarbeiteten Ergebnisse.
- Der zusätzliche Einsatz von digitalen Beteiligungsplattformen unterstützt die Qualifizierung der Teilnehmenden: Informationen können im Vorfeld einer Beteiligung digital bereitgestellt werden und gemäß dem individuellen Informationsbedarf genutzt werden. Dies sorgt für eine qualitative Vertiefung der Verfahren.
Parallele und sequentielle Verfahrensgestaltung
Darüber hinaus bringt die Erweiterung der Beteiligungsbausteine durch die E-Partizipation neue Gestaltungsmöglichkeiten für Verfahrensarchitekturen und damit auch für das prozessuale Konfliktmanagement.
- Beim parallelen Einsatz von analogen und digitalen Angeboten werden auch die gleichen Fragen zu identischen Beteiligungsgegenständen gestellt. Ziel ist, mehr und mehr unterschiedliche Akteure zu rekrutieren und gleichen Akteuren durch Kanalwechseloption(en) mehr Beteiligungsmöglichkeiten zu geben. Parallele Verfahrensgestaltung kann sowohl synchrone als auch asynchrone Formen der Beteiligung ermöglichen. Zum einen kann eine Beschäftigung und Diskussion vor Ort (synchron) zur gleichen Zeit im Dialog von Angesicht zu Angesicht mit anderen Menschen ermöglicht werden. Zum anderen wird, zusätzlich oder alternativ zu den Vor-Ort Dialogen, ein Zeitraum gewährt, innerhalb dessen man sich zeit- und ortsunabhängig und (weitestgehend) unabhängig von anderen Akteuren (asynchron) einbringen kann.
- Neben parallelen Verfahrensarchitekturen haben sich sequenzielle Architekturen bewährt. „Partizipation ohne E“ und E-Partizipation werden hintereinander verknüpft, um zu unterschiedlichen Frage- und Aufgabenstellungen das geeignetste Format anzubieten. Darüber hinaus können in jeder Sequenz unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden. Sequenzielle Verfahren werden häufig für Planungsprozesse durchgeführt, die mehrere und fachlich unterschiedliche Phasen aufweisen. Durch den sequenziellen Wechsel zwischen Online und Vor-Ort, zwischen Öffnung und Einsehbarkeit und Schließung und Vertraulichkeit wird ein prozessuales Konfliktmanagement möglich, dass die öffentlichen und spezifischen Interessen involvierter Stakeholder ausbalanciert.
In unserem Beitrag „Beteiligung unter Strom“ in ZKM 2023, 192 zeigen wir anhand einiger Beispiele aus unserer Praxis, welche neuen Gestaltungsmöglichkeiten die elektronische Partizipation eröffnet und wie sie zur Institutionalisierung und Verankerung der Öffentlichkeitsbeteiligung insgesamt beiträgt.