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Montagsblog: Neues vom BGH

Dr. Klaus Bacher  Dr. Klaus Bacher
Vorsitzender Richter am BGH

Diese Woche geht es um eine eher selten einschlägige Vorschrift aus dem Wohnungsmietrecht – und um den Umgang einer Kirche mit langjährigen Bediensteten

Auflösende Bedingung in einem Wohnungsmietvertrag
Urteil vom 11. November 2020 – VIII ZR 191/18

Mit § 572 Abs. 2 BGB und der Geschäftsgrundlage einer Räumungsvereinbarung befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Die Klägerin, eine kirchliche Organisation, vermietete im Jahr 1977 an die Beklagte und deren Ehemann, der seit 1969 als Diakon im Dienst der Klägerin tätig war, ein Reihenhaus. In einer Anlage zum Mietvertrag war vermerkt, das Mietverhältnis ende ohne weiteres mit dem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst. Als der Ehemann im Jahr 2002 in den Ruhestand trat, wurde das Mietverhältnis fortgesetzt, weil die Beklagte ebenfalls im kirchlichen Dienst tätig war. Im März 2015 bat die Klägerin im Hinblick auf den am 31. Mai desselben Jahres anstehenden Eintritt der Beklagten in den Ruhestand um baldige Vereinbarung eines Rückgabetermins. Ende April unterschrieb die Beklagte anlässlich eines Besichtigungstermins eine Vereinbarung, wonach das Mietverhältnis bis 31.05.2016 zu denselben Konditionen fortgesetzt wird. In der Folgezeit trat sie von der Vereinbarung wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage zurück. Ferner erklärte sie deren Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung. Die Räumungsklage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Die Vorinstanzen haben die geschlossene Vereinbarung zwar ohne Rechtsfehler als verbindlich angesehen. Mit der vom LG gegebenen Begründung kann aber weder ein wirksamer Rücktritt wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage noch eine wirksame Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung verneint werden.

Aus den Feststellungen des LG ergibt sich, dass beide Parteien davon ausgingen, der Mietvertrag ende mit dem Eintritt in den Ruhestand. Diese Annahme war unzutreffend, weil sich der Vermieter von Wohnraum gemäß § 572 Abs. 2 BGB auf eine Vereinbarung, nach der das Mietverhältnis auflösend bedingt ist, nicht berufen kann. Entgegen der Auffassung des LG gehörte die Frage, ob das Mietverhältnis über den 31.05.2015 hinaus fortbesteht, nicht zum Inhalt der getroffenen Räumungsvereinbarung (was einen Rücktritt gemäß § 779 Abs. 1 BGB ausgeschlossen hätte). Die gemeinsame Fehlvorstellung über das bevorstehende Ende bildete vielmehr die Geschäftsgrundlage der Räumungsvereinbarung.

Aus dem Vorbringen der Beklagten ergibt sich ferner eine widerrechtliche Drohung seitens der Klägerin. Die von der Beklagten behauptete Ankündigung der Klägerin, ohne Einigung werde sie am 31.05.2015 mit einem Rechtsanwalt vor der Türe stehen und die Beklagte müsse ausziehen, ist angesichts der kurzen Zeit, die der Beklagten bis zu der angedrohten Räumung verblieben wäre, und der angespannten Situation auf dem betreffenden Wohnungsmarkt als widerrechtlich anzusehen.

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LG zu prüfen haben, ob der Beklagten trotz Fehlens der Geschäftsgrundlage ein Festhalten an der Räumungsvereinbarung zumutbar ist und ob die Klägerin die behauptete Drohung tatsächlich ausgesprochen hat.

Praxistipp: Einen Mietvertrag über Wohnraum, der mit Rücksicht auf ein Dienstverhältnis abgeschlossen worden ist, kann der Vermieter nach Beendigung des Dienstverhältnisses gemäß § 576 BGB mit relativ kurzer Frist kündigen. Ansonsten gelten die allgemeinen Bestimmungen, d.h. der Vermieter muss ein berechtigtes Interesse an der Kündigung haben (typischerweise Bedarf für einen neuen Mitarbeiter) und der Mieter kann der Kündigung nach Maßgabe von § 574 BGB widersprechen.

Mehr zum Autor: Der Autor ist Vorsitzender des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Er gehört zum Herausgeberbeirat der MDR und ist Mitautor des Prozessformularbuchs (Hrsg. Vorwerk).

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