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„Weihnachtsgeschenk“ des Gesetzgebers: Virtuelle Hauptversammlung (HV) 4.0!

Dr. Stefan Mutter und Dr. Carsten Kruchen  Dr. Stefan Mutter und Dr. Carsten Kruchen

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens als „Omnibus“-Gesetz in einem Husarenritt (siehe die enge Taktfolge von Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 15.12.2020, BT-Drucks. 19/25251, dazu erläuternder Bericht der Abgeordneten Dr. Heribert Hirte, Dr. Karl-Heinz Brunner, Fabian Jacobi, Judith Skudelny, Gökay Akbulut und Dr. Manuela Rottmann, BT-Drucks. 19/25322 vom 16.12.2020, Plenardebatte des Deutschen Bundestages vom 17.12.2020, Plenarprotokoll 19/202, dort insbesondere 25377-25381 und Beschluss des Bundesrates vom 18.12.2020, BR-Drucks. 761/20) kurz vor Jahresende die Rechtsgrundlagen für die Durchführung virtueller Hauptversammlungen in 2021 geändert. 

I. Paradigmenwechsel von der Fragemöglichkeit zurück zum Fragerecht

1. Die Neuregelung und deren ratio

Zum Anliegen der gesetzlichen Neuregelung berichtet der Rechtsausschuss (BT Drucks. 19/25322, 10) kurz und knapp:

„Hervorzuheben sei hier, dass der Vorstand auf der Hauptversammlung nun nicht mehr über das „Ob“ des Fragerechts von Aktionären entscheiden könne, sondern nur noch über das „Wie“ der Beantwortung.“

Gemündet hat dies in die Änderung von § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG, wo in Satz 1 die Wörter „eine Fragemöglichkeit“ durch „ein Fragerecht“ ersetzt wurden und dessen Satz 2 nun lautet:

„Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, wie er Fragen beantwortet; er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind.“

2. Ausgewählte offene Fragen und Probleme der Neuregelung

a) Das erste Problem der Neuregelung beginnt bereits mit der Frage, was „bis spätestens einen Tag vor der Versammlung“ bedeutet. Das führt nämlich unmittelbar zurück zum Streitstand, der sich an der entsprechenden Zweitagesfrist des § 1 GesRuaCOVBekG entzündet hat.

Diese Debatte hätte der Gesetzgeber durch ein klarstellendes Wort gleich miterledigen können. Die Chance hat er zwar vertan, die Praxis wird sich aber dadurch Rechtssicherheit verschaffen können, dass sie sich an der für die Aktionäre jeweils günstigsten Meinung orientiert und die Belastung der Gesellschaft hierdurch in Kauf nimmt. Dies wäre die punktgenaue Berechnung in Stunden rückgerechnet vom Beginn der virtuellen Hauptversammlung. Zwingend geboten ist dies unseres Erachtens aber nicht, weil der Gesetzeswortlaut jedenfalls bei börsennotierten Aktiengesellschaften eindeutig und unabdingbar ist, wenn man das Aktiengesetz in den Blick nimmt, wo § 121 Abs. 7 AktG schon nach seinem Wortlaut zweifelsfrei einen „Allgeltungsanspruch“ hat.

b) Das leitet über zum größten Problem der Neuregelung. In der klassischen Präsenzhauptversammlung kann es nicht zur Überforderung der Gesellschaft durch zahlreiche Fragen kommen, deren Beantwortung soviel Zeit braucht, dass die Hauptversammlung nicht mehr bis Mitternacht zu beenden ist. Denn die Möglichkeiten der Redezeitbegrenzung, der Schließung der Rednerliste und der Schließung der Debatte durch den Versammlungsleiter verhindern, dass es dazu kommen kann.

Das ist bei einer virtuellen Hauptversammlung anders. Hier können, insbesondere wenn gesellschaftsfeindliche, aktivistische Aktionäre sich entsprechend organisieren, tausende Fragen eingereicht werden, die eine Einreichungsfrist, egal wie berechnet, nicht verhindern kann. Deren Beantwortung in der virtuellen Hauptversammlung kann schnell dazu führen, dass diese mehr Stunden dauert als man bis Mitternacht hat, also „gesprengt“ wird, soweit man nicht vorsorglich auf mehrere Tage einlädt. Daher hatte der Gesetzgeber gerade nichts falsch gemacht, als er im März 2020 nur eine Fragemöglichkeit regelte. Der Sündenfall ist der „Dezember“-Beschluss. Dies wirft die Frage der Schadensbegrenzung auf:

aa) Hier bietet der Hinweis der Gesetzesmaterialien auf die „schriftliche“ Beantwortung nur eine fragile Abhilfe. Denn das kann nicht bilateral gelten, sondern jede Antwort muss – wie in der Präsenzhauptversammlung – auch allen Mitaktionären zur Verfügung stehen, was zur Beantwortung über die Webseite der Gesellschaft führt. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AktG verlangt für solche Antworten aber an sich, dass Antworten über die Webseite bereits 7 Tage vor der Hauptversammlung verfügbar sein sollen. Das kann bei Fragen, die man auch nach diesem Tag noch stellen kann, nicht eingehalten werden. Unseres Erachtens wird das Gesetz insoweit wohl im Sinne einer impliziten Abbedingung der 7-Tages-Frist zu lesen sein.

bb) Auch nicht zwingend zielführend ist der Hinweis in den Gesetzesmaterialien auf die Möglichkeit, gleichartige Fragen gebündelt zu beantworten. Gerade gut organisierte aktivistische Aktionäre werden die nötige Sorgfalt aufbringen, um mit ihren Anwälten hinreichend verschiedene Fragen in großer Zahl zu stellen. Dann läuft diese „Erleichterung“ für den Vorstand im Rahmen der Beantwortung leer.

cc) Interessanter ist der Hinweis der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 19/25322, 10) auf die Möglichkeit, einer „zeitlichen Obergrenze“ für Fragen. Gemeint ist wohl genauer eine zeitliche Obergrenze für die Beantwortung von Fragen in der virtuellen Hauptversammlung. Das steht zwar auf den ersten Blick in Widerspruch zur neuen Antwortpflicht, aber eben nur auf den ersten Blick. Denn natürlich ist auch in der Präsenzhauptversammlung das Auskunftsrecht des § 131 AktG durch die Leitungsbefugnisse des Versammlungsleiters zu Redezeitbegrenzung, Schluss der Rednerliste und Schluss der Debatte faktisch begrenzt. Nichts anderes gilt, wenn man also in der Einberufung der virtuellen Hauptversammlung festlegt, dass für die Beantwortung von Fragen beispielsweise höchstens acht Stunden zur Verfügung stehen.

c) Eine weitere Folgefrage der Umstellung auf ein Fragerecht ist schließlich auch, ob man das Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG wird zulassen müssen, was man bislang aufgrund der bloßen Fragemöglichkeit verneint hatte. Im Ergebnis wird man hier unseres Erachtens nicht anders urteilen müssen, denn die Gesetzbegründung stellt auch das neue Fragerecht dem Auskunftsrecht des § 131 AktG nicht vollständig gleich, wenn es dem Vorstand weiterhin erlaubt ist, dass er Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen kann, wenn ihm dies sinnvoll erscheint. Für eine Anwendung der Vorschrift des § 132 AktG spricht allerdings zugegebenermaßen, dass der Gesetzgeber den Aktionären dezidiert ein Fragerecht geben will. Entscheiden werden (auch) das erst die Gerichte.

d) Hingegen sollte der breite Ausschluss der Anfechtungsklage aufgrund des insoweit unveränderten Gesetzeswortlauts in § 1 Abs. 7 GesRuaCOVBekG weiter Raum greifen.

II. Nachfragemöglichkeit auch in der Hauptversammlung 

Aufgrund einer unglücklichen formulierten Erläuterung der Koalitionsfraktionen ist ein Streit entbrannt, ob in der virtuellen Hauptversammlung zudem auch die Möglichkeit zur Gewährung von Nachfragen zu eröffnen ist. Daraus leiten interessierte Kreise bereits entsprechende Rechtspflichten ab. Diese zu bejahen, würde freilich zu erheblichen (Kosten)Belastungen der virtuellen Hauptversammlung führen, weil diese dann in einer geeigneten Form interaktiv mittels Zwei-Wege-Kommunikation auszugestalten wäre.

Hier wird jedoch übersehen, dass die virtuelle Hauptversammlung nach ihren rechtlichen Grundlagen, grundsätzliche Antwortpflicht hin oder her, gerade nicht auf einen Dialog ausgerichtet ist. Unzweifelhaft besteht nach § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG keine Pflicht des Vorstands, eine elektronische Teilnahme in einer virtuellen Hauptversammlung vorzusehen. Insoweit wäre ein verpflichtender Aktionärsdialog in Form einer Zwei-Wege-Kommunikation ein offener Bruch mit dem Gesetzeswortlaut.

III.  Fiktion zur Stellung von Anträgen

Eine weitere wichtige Änderung findet sich in § 1 Abs. 2 GesRuaCOVBekG neuer Fassung, der nun regelt:

„Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären, die nach § 126 oder § 127 des Aktiengesetzes zugänglich zu machen sind, gelten als in der Versammlung gestellt, wenn der den Antrag stellende oder den Wahlvorschlag unterbreitende Aktionär ordnungsgemäß legitimiert und zur Hauptversammlung angemeldet ist.“

Auch das ist eine klare Abkehr von der bisherigen Rechtslage. Kritisch daran ist, dass wiederum die Tür dazu geöffnet wird, dass gesellschaftsfeindliche, aktivistische Aktionäre sich entsprechend organisieren und zahlreiche Anträge rechtzeitig eingereicht werden, deren Behandlung (insbesondere in Kombination mit vielen Fragen) soviel Zeit benötigt, dass eine virtuelle Hauptversammlung über Mitternacht hinaus dauert, also „gesprengt“ wird, wenn man nicht vorsorglich auf mehrere Tage einlädt.

Auch wenn hier weder Gesetzeswortlaut, noch Gesetzesmaterialien den Hinweis auf eine Beschränkung der Zeitdauer für die Behandlung von Gegenanträgen enthalten, wird man eine solche Möglichkeit mit einem „erst recht“-Schluss aus der Möglichkeit in der Präsenzhauptversammlung zur Schließung der Rednerliste und damit implizit zur faktischen Beendigung der Möglichkeit zur Stellung von Anträgen ableiten können. 

IV. Zeitlicher Anwendungsbereich

Die Übergangregelung aus Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht ordnet die Geltung der neuen Bestimmungen mit einer zweimonatigen Übergangszeit an. Hier scheint der Gesetzgeber in den Dimensionen der aktienrechtlichen Einberufungsfristen des § 123 AktG gedacht zu haben. Dies verkennt freilich, dass die Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat zur Einberufung der Hauptversammlung nicht in Sondersitzungen fallen, die rückwärts gerechnet vom Tag der Hauptversammlung terminiert werden, sondern „ganz normal“ in den turnusmäßigen Sitzungen, was regelmäßig zu längeren Fenstern zwischen den Entscheidungen der Organe, der Einberufung und der Durchführung der Hauptversammlung führt. Es bedarf daher keiner großen Phantasie, um zu erahnen, dass das übereilte Vorpreschen des Gesetzgebers einzelne Gesellschaften zwingen wird, nochmals Vorstand und Aufsichtsrat einzuberufen, um auf Grundlage der am Tag der Hauptversammlung geltenden Aktionärsrechte neu zu beraten und zu entscheiden.

Eine Übergangsregelung nach dem Vorbild des § 26j Abs. 3 und Abs. 4 EGAktG hätte dies vermieden.

Eine ausführlichere Darstellung erfolgt in Ausgabe 3/2021 der AG.

RA Dr. Stefan Mutter und RA Dr. Carsten Kruchen, M.Jur. (Oxford),
MUTTER & KRUCHEN Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB

Ein Kommentar

  1. Avatar christian
    Veröffentlicht 7. Januar 2021 um 14:00 | Permalink

    Die Aussage
    „Das ist bei einer virtuellen Hauptversammlung anders. Hier können, insbesondere wenn gesellschaftsfeindliche, aktivistische Aktionäre sich entsprechend organisieren, tausende Fragen eingereicht werden, die eine Einreichungsfrist, egal wie berechnet, nicht verhindern kann. “
    ist leider größtmöglicher Blödsinn. Es ist nachgewiesen, dass, abgesehen von der Axel Springer – Squeeze-out-HV es zu keinerlei übermäßiger Fragestellung kam. Und in 2021 sind schon viele Strukturmaßnahmen in den jeweiligen Hauptversammlungen behandelt worden.

    Leider sind auch die übrigen vom Blogger angesprochenen Punkte verfälscht oder verfälscht dargestellt. Der Autor verkennt den Nutzen des §131 AktG.
    Beispielsweise ist auch der BGH-Beschluss grob mißachtet worden. Dazu schlage ich ganz dringend vor, dass der Autor sich einmal den Beschluss des BGH (II ZR 94/08 vom 8.2.2010) zu Gemüte führt.

    Folglich schade, dass der Blogger sich nicht ordentlich und sachgerecht mit der Änderung auseinander setzt.

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