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Die Börsenmantelaktiengesellschaft – Update zu den §§ 44 BörsG-E im Regierungsentwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG)

Niklas Joser  Niklas Joser

I. Grundlagen zur SPAC-Initiative im Referentenentwurf

Das Bundeskabinett hat am 16.8.2023 den Entwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) beschlossen. Das ZuFinG dient gleich dem auf europäischer Ebene geplanten Listing Act der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Start-ups, Wachstumsunternehmen und KMU. Zudem soll der Finanzstandort Deutschland gestärkt werden.

Dies will der Gesetzgeber unter anderem durch die Einführung von Regelungen zu der in den USA zeitweise sehr beliebten Special Purpose Acquisition Company (SPAC) realisieren. Eine SPAC ist eine Mantelgesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft, die gegründet wird, um mittels eines Börsengangs Kapital einzusammeln und hiermit ein – vor dem Börsengang unbestimmtes – nicht-börsennotiertes Unternehmen zu übernehmen und so mittelbar an die Börse zu bringen (Zieltransaktion). SPACs haben das Potential, mit der Akquisition von Unternehmen, die noch nicht reif für einen IPO sind, eine Brücke zwischen Private Equity- bzw. Venture Capital-Finanzierung und einem klassischen Börsengang zu schlagen.

Ihre Struktur ist bislang mit dem deutschen Aktienrecht nicht vereinbar (ausf. Hell, BKR 2021, 26, 29 ff.), weshalb die wenigen Börsengänge von SPACs in Deutschland hauptsächlich mittels einer luxemburgischen SE erfolgten (z.B. GFJ ESG Acquisition I SE, Lakestar SPAC I SE, OboTech Acquisition SE; 468 SPAC I SE; 68 SPAC II SE. Nicht ganz dem klassischen SPAC-Modell entsprach hingegen die Fonterelli SPAC 1 AG).

Dem will das Zukunftsfinanzierungsgesetz Abhilfe schaffen. Der Gesetzesentwurf sieht in einem neuen Abschnitt 4a des Börsengesetzes Regelungen zur Börsenmantelaktiengesellschaft (BMAG) zum Zweck der Börsenzulassung vor. Die BMAG ist keine eigenständige Gesellschaftsform, sondern ähnlich der UG (haftungsbeschränkt) eine modifizierte Rechtsform der Aktiengesellschaft, die eng mit der Börsennotierung und dem Erwerb einer geeigneten Zielgesellschaft verknüpft und zeitlich befristet ist. Bei den §§ 44 ff. BörsG-E handelt es sich primär um Abweichungen von aktienrechtlichen Vorgaben zum Aktionärsschutz. Die Struktur einer SPAC hebelt den im Aktiengesetz vorgesehenen Aktionärsschutz nicht vollumfänglich aus, sondern schafft anderweitige Schutzmechanismen, deren Festsetzung mit der Satzungsstrenge des Aktiengesetzes unvereinbar wären.

Um in den Genuss jener Sonderregelungen zu kommen, muss die Gesellschaft folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Gegenstand der Gesellschaft ist die Verwaltung des eigenen Vermögens, die Vorbereitung und Durchführung des Börsengangs sowie die Vorbereitung und der Abschluss der Ãœbernahmetransaktion, die den im Börsenzulassungsprospekt beschriebenen Kriterien entspricht und sich auf ein Unternehmen bezieht, das nicht an einer Wertpapierbörse notiert ist (§ 44 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 BörsG-E).
  • Der Bestand der BMAG muss von der Durchführung der Zieltransaktion innerhalb der in der Satzung der Gesellschaft festgelegten Frist abhängig sein, welche zwischen 24 und 36 Monaten liegen darf und per satzungsänderndem Beschluss um jeweils bis zu zwölf Monate verlängert werden darf, sofern die Frist insgesamt nicht 48 Monate übersteigt (§ 44 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 BörsG-E).
  • Die Wertpapiere der BMAG wurden zum Handel an einem regulierten Markt nach § 32 BörsG zugelassen (§ 44 Abs. 4 Nr. 2 BörsG-E).
  • Die Satzung der BMAG muss die Möglichkeit vorsehen, eine virtuelle Hauptversammlung nach § 118a des Aktiengesetzes durchzuführen (§ 44 Abs. 4 Nr. 3 BörsG-E).

II. Änderungen des Regierungsentwurfs gegenüber dem Referentenentwurf

Der Regierungsentwurf enthält gegenüber dem Referentenentwurf vom 12.4.2023 neben vereinzelten sprachlichen Änderungen auch inhaltliche Überarbeitungen der §§ 44 BörsG-E ff. Diese stopfen primär Schlupflöcher des Regelungskomplexes zur Umgehung des BMAG-spezifischen Aktionärs- und Anlegerschutzes, zielen jedoch teilweise auch auf eine höhere Effizienz der SPAC-Praxis gegenüber dem gemeinsamen Entwurf des Finanz- und Justizministeriums ab.

1. Schutz vor Einflussnahme der Initiatoren gestärkt (§ 44 Abs. 6 Satz 2 BörsG-E)

Die Zieltransaktion ist Kern des Gegenstands der BMAG. Sie bedarf daher gem. § 46 Abs. 1 Satz 1 BörsG-E der Zustimmung der Hauptversammlung. Das SPAC-Modell läuft grundsätzlich Gefahr, dass die Initiatoren der SPAC (oftmals die Gründer, Definition in § 44 Abs. 6 Satz 1 BörsG-E) auf Kosten der einfachen Anleger hohe Gewinne erzielen. Das Stimmrecht der Initiatoren ist daher gem. § 46 Abs. 3 BörsG-E bei der Entscheidung der Hauptversammlung über die Zieltransaktion ausgeschlossen.

Um zu verhindern, dass diese Verlagerung von Macht von den Initiatoren auf die gewöhnlichen Anleger nicht über Strohleute, Treuhänder und andere Konstruktionen untergraben werden kann, schreibt § 44 Abs. 6 Satz 2 BörsG-E nun vor, dass die Vorgaben zur Zurechnung von Stimmrechten nach § 34 Abs. 1 WpHG bei der Bestimmung von Investoren entsprechend gelten.

2. Escrow account – Handlungsspielraum der BMAG erweitert

Bei SPACs wird das von den Investoren eingeworbene Kapital auf einem Treuhandkonto (escrow account) hinterlegt und kann nur auf Beschluss der Aktionäre freigegeben werden, sofern diese der Zieltransaktion zustimmen. Auf den escrow account soll die Geschäftsführung einer SPAC aus Gründen des Anlegerschutzes gerade keinen Zugriff haben. Dieser Grundsatz kollidiert mit der aktienrechtlichen Vorgabe, dass die Einlage endgültig zur freien Verfügung des Vorstands stehen muss, vgl. § 188 Abs. 2 Satz 1 i.V.m § 36 Abs. 2, § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG. § 45 BörsG-E ermöglicht die escrow account-Praxis und stellt klar, dass die Vorgehensweise bei der BMAG nicht mit den Vorgaben zur Kapitalaufbringung kollidiert.

Gegenüber dem Referentenentwurf enthält der Regierungsentwurf drei zentrale Änderungen:

  • Der escrow account kann nun neben dem Notar oder einem Kreditinstitut i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG auch von einem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 KWG tätigen Unternehmen verwaltet werden.
  • Zudem nimmt der Regierungsentwurf Geldmittel, die für laufende Verwaltungskosten, die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen und die Vorbereitung der Zieltransaktion erforderlich sind, bis zu einer Höhe von insgesamt fünf Prozent der Einlageverpflichtungen einschließlich Aufgeld von der Einzahlungspflicht auf den escrow account aus, vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 BörsG-E. Diese Kosten sind notwendig, fallen aber in einem Stadium an, in dem die Voraussetzungen für die Freigabe des Notars nicht vorliegen.
  • Die Leistung der Einlage kann nun auch durch unmittelbare Einzahlung auf den escrow account erfolgen und muss nicht zwingend – wie noch im Referentenentwurf vorgesehen – den Zwischenschritt über ein Konto der Gesellschaft mit Zugriff des Vorstands nehmen, vgl. § 45 Abs. 3 BörsG-E.

3. Naked warrants – Vermeidung einer gesetzgeberischen Einflussnahme auf ihre generelle aktienrechtliche Zulässigkeit

Zentrales Anreizvehikel zur Investition in eine SPAC ist die Ausgabe von naked warrants (selbständige Optionsscheine/Bezugsrechte auf Aktien der Gesellschaft). Der Referentenentwurf enthielt in § 47a Abs. 1 BörsG-E noch die Formulierung, die BMAG könne „abweichend von § 221 des Aktiengesetzes selbstständige Optionsscheine ausgegeben“. Dies widersprach der inzwischen überwiegenden Literaturansicht, wonach naked warrants ein von § 221 AktG erfasstes Finanzierungsinstrument sind – entweder infolge einer analogen Anwendung des § 221 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG (so erörtert bei Steiner, WM 1990, 1776; befürwortend Rieckers in BeckOGK/AktG, Stand: 1.7.2023, § 192 AktG Rz. 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 221 AktG Rz. 79.) oder infolge einer Einordnung als Genussrecht gem. § 221 Abs. 3 AktG (Habersack in MünchKommAktG, 5. Aufl. 2021, § 221 AktG Rz. 37; Fuchs, DB 1997, 661, 664 ff.; Kuntz, AG 2004, 480, 481 ff.; Joser, NZG 2022, 991, 994 ff.; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 151, 153 ff.; Casper, Der Optionsvertrag, 2005, 374 ff.). Die – wenn auch nicht zwingend in § 221 AktG, jedoch im Rahmen des bedingten Kapitals erforderliche – planwidrige Regelungslücke zur analogen Anwendung des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG zur Absicherung von naked warrants wäre wohl durch den im Referentenentwurf zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen als geschlossen anzusehen. Dies vermeidet der Regierungsentwurf, in dem er die Passage „abweichend von“ streicht. § 47a Abs. 1 BörsG-E stelle lediglich klar, dass die Begebung derartiger Optionsrechte auch bei der BMAG zulässig sei (Regierungsentwurf ZuFinG, S. 120).

4. Schutz vor Pseudo-Zieltransaktion (§ 47b Abs. 1 Satz 2 BörsG-E)

Der Ablauf der nach § 44 Abs. 3 BörsG-E zu bestimmenden Frist zur Durchführung der Zieltransaktion (maximal 48 Monate) ist gem. § 47 Abs. 1 Satz 1, 2 BörsG-E Auflösungsgrund i.S.d § 262 Abs. 1 Nr. 1 AktG sowie Grund für einen Widerruf der Zulassung nach § 39 Abs. 1 BörsG, sofern keine Zieltransaktion einschließlich der Bedienung des Andienungsrechts erfolgreich durchgeführt wurde.

Bei einem Fristablauf ohne Zieltransaktion droht dem in der Regel sehr bekannten wie kapitalmarkterfahrenen Management einer SPAC ein Ansehensverlust (siehe beispielsweise die Pressereaktionen auf Bill Ackmans Beschluss zur Liquidierung der PSTH SPAC). Diese Dynamik kann unter Umständen in wenig vorteilhaften, aber für das Management gesichtswahrenden Vorschlägen über eine Zieltransaktion münden.

Der Regierungsentwurf stellt gegenüber dem Referentenentwurf sicher, dass der mit der Befristung intendierte Anlegerschutz i.S.e. adäquaten Reinvestition der per IPO eingesammelten Gelder nicht durch eine unbedeutende Transaktion untergraben wird. Die Zieltransaktion muss nun von wesentlichem Umfang sein. Dies ist gem. § 47b Abs. 1 Satz 2 BörsG-E der Fall, wenn der Wert die (wohl eher: der) im Zuge der Zieltransaktion durch die Börsenmantelaktiengesellschaft erworbenen Vermögenswerte nicht um mehr als 20 Prozent hinter dem Wert der Einlagen einschließlich Aufgeld zurückbleibt.

5. Sicherstellung der Auflösung des escrow accounts bei Änderung der BMAG in gewöhnliche AG (§ 47b Abs. 2 Satz 2 BörsG-E)

Sofern keine Zieltransaktion mehr angestrebt wird oder der Ablauf der Höchstfrist nach § 44 Abs. 3 BörsG-E droht, kann mit satzungsändernder Mehrheit beschlossen werden, die Gesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft ohne die besonderen BMAG-spezifischen Modifikationen fortzuführen.

Der durch den Regierungsentwurf neu eingefügte § 47b Abs. 2 Satz 2 BörsG-E stellt sicher, dass dies nur möglich ist, nachdem die Gelder auf dem escrow account dem Vorstand entsprechend den Vorgaben des Aktiengesetzes zur freien Verfügung gestellt werden. Dem Antrag auf Eintragung der Satzungsänderung ist nun eine Einzahlungsbestätigung nach § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG bezüglich der Übertragung der Gelder vom escrow account auf die Gesellschaft zur freien Verfügung des Vorstands beizufügen.

III. Fazit

Der Regierungsentwurf übernahm den Entwurf des Finanz- und Justizministeriums, ohne an den großen Stellschrauben des Rechtsrahmens der BMAG zu drehen. Bedeutender als die geringfügigen, aber zu begrüßenden Korrekturen ist wohl, dass der Vorschlag zur Ermöglichung einer SPAC-AG/deutschen SPAC-SE überhaupt aufgegriffen wurde. Kritik am SPAC-Modell gibt es in der Praxis zu genüge. Infolge einer Überhitzung des SPAC-Marktes wurden die regulatorischen Anforderungen in den USA deutlich verschärft. Der Regierungsentwurf ist sich dieser Gemengelage bewusst. In der Begründung beruft er sich auf die in den USA gesammelten Erfahrungen sowie einen Report der International Organization of Securities Commissions (IOSCO) (Regierungsentwurf ZuFinG, S. 114 f.). Letzterer empfehle, dass die nationalen Gesetzgeber speziell auf SPACs zugeschnittene Maßnahmen treffen sollten. Der Regierungsentwurf erachtet SPACs somit als seriöse wie hilfreiche Finanzierungsalternative zwischen Private Equity bzw. Venture Capital und einem klassischen Börsengang, sofern die Regelungen einen angemessenen Aktionärs- und Anlegerschutz garantieren (Regierungsentwurf ZuFinG, S. 114 f.). Ob dies der Fall ist oder der zwischenzeitliche Boom von SPACs in der pre-Covid und pre-Lehman era lediglich Ausfluss risikofreudiger Initiatoren mit dry powder in einem nicht regulierten Framework war, wird der Markt nach Einführung der BMAG zeigen.

Literatur zu SPACs:

Zur BMAG:

Zur bisherigen Rechtslage in Deutschland:

  • Hell, BKR 2021, 26.
  • Seiler/Widder BKR 2021, 676.
  • Schalast/Geurts/Türkmen, BB 2021, 1283.
  • Strohmeier, Special Purpose Acquisition Companies, 2012.
  • Foppe, SPAC AG – Deutsche Aktiengesellschaft als Special Purpose Acquisition Company?, 2011.
  • Schanz, NZG 2011, 1407.
  • Just, ZIP 2009, 1698.

Allgemein zu SPACs und Aktionärs- bzw. Anlegerschutz:

 

 

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