Entwurf für „Wirecard-Folgen“-Gesetz vorgelegt

Mitte Oktober wurde ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz – FISG) veröffentlicht.

Der Referentenentwurf stellt eine Reaktion auf die Insolvenz des Zahlungsanbieters Wirecard und die hiermit verbundene öffentliche Kritik an der Abschlussprüfung des Unternehmens und der Finanzmarktaufsicht durch die BaFin dar. Der Gesetzesentwurf betont dabei ausdrücklich, dass Bilanzmanipulationen von Kapitalmarktunternehmen das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt erschüttern und ihm schweren Schaden zufügen.

Vor diesem Hintergrund sieht der Referentenentwurf grundlegende Reformen im Bereich der Abschlussprüfung, der Corporate Governance von (kapitalmarktorientierten) Unternehmen sowie der Finanzmarktaufsicht vor und erstreckt sich inhaltlich auf diverse Wirtschaftsgesetze. Die praxisrelevantesten Reformvorschläge des Entwurfs werden nachfolgend skizziert.

Stärker staatlich-hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren

Reform & Regelungsort:  Das derzeitige zweistufige, auf freiwillige Mitwirkung der geprüften Unternehmen ausgerichtete Bilanzkontrollverfahren soll grundlegend reformiert werden, hin zu einem stärker staatlich-hoheitlich geprägten Bilanzkontrollverfahren. Denn bei mutmaßlichen betrügerischen Strukturen auf internationaler Ebene habe sich eine Kontrolle auf rein privatrechtlicher Ebene auf der ersten Stufe als ungeeignet erwiesen. Vor diesem Hintergrund soll das Bilanzkontrollverfahren künftig vollständig im WpHG geregelt werden (§§ 107a-107c WpHG-E, S. 54 RefE).

Mehr Befugnisse für BaFin:  Zudem sollen die Befugnisse der BaFin ausgeweitet werden, indem diese bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar mit hoheitlichen Befugnissen gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten können soll. Hierzu erhält die BaFin gemäß dem Gesetzesentwurf

  • ein Prüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen (§ 264d HGB) einschließlich Auskunftsrechte gegen Dritte,
  • die Möglichkeit forensischer Prüfungen sowie
  • das Recht, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren.

Ziel: Durch diese Kompetenzen werde der BaFin die Kontrolle über das Prüfungsgeschehen ermöglicht und sichergestellt, dass in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel zur Verfügung stehen. Bilanzkontrollen sollen auf diese Weise in Gänze schneller, transparenter und effektiver werden.

Stichproben- & Anlassprüfungen:  Zwar soll auch künftig noch eine privatrechtlich organisierte Einrichtung zur Prüfung von Verstößen gegen Rechnungsunterlagen (sog. Prüfstelle) anerkannt werden. Allerdings wird die Prüfstelle nach dem Referentenentwurf künftig lediglich für Stichprobenprüfungen zuständig sein, während Anlassprüfungen (= Prüfungen aufgrund konkreter Anhaltspunkte) allein die BaFin einleiten kann. Solche Anlassprüfungen kann die BaFin in der Folge entweder selbst durchführen oder auf die Prüfstelle oder andere Einrichtungen übertragen. Die Prüfung auf Verlangen der BaFin (sog. Verlangensprüfung) wird abgeschafft.

Stärkere Unabhängigkeit der Abschlussprüfer

Externer Prüferrotation:  Künftig soll für alle kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften (§ 264d HGB) eine verpflichtende externe Prüferrotation nach zehn Jahren geben. Dieser Grundsatz ist in der europäischen Abschlussprüferverordnung niedergelegt, wobei bislang durch eine öffentliche Ausschreibung die Höchstbestelldauer auf bis zu 24 Jahre verlängert werden konnte. Durch die externe Prüferrotation soll der Gefahr einer zu großen Nähe der Abschlussprüfer zu dem geprüften Unternehmen entgegengewirkt und die Unabhängigkeit von Abschlussprüfern gestärkt werden. Darüber hinaus würde nach dem Referentenentwurf künftig ein Gleichlauf mit den Pflichten zur externen Rotation bei Kreditinstituten und Versicherungen erzielt, bei denen schon heute grundsätzlich eine zehnjährige Höchstlaufzeit für Abschlussprüfungsmandate gilt.

Trennung von Prüfung & Beratung:  Für Unternehmen von „öffentlichem Interesse“ (§ 316a S. 2 HGB n.F.) soll zudem die Pflicht zur Trennung von „Prüfung“ und „Beratung“ ausgeweitet werden. Unternehmen von öffentlichem Interesse werden definiert als kapitalmarktorientierte Unternehmen, bestimmte CRR-Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Dies kann als Reaktion auf die öffentliche Kritik verstanden werden, dass gerade die sog. „Big-4“ Prüfgesellschaften bei der Abschlussprüfung bisweilen Interessenkonflikten unterliegen können, weil sie auch in anderen Bereichen des Unternehmens beratend tätig sind bzw. sein wollen.

Schärfere Haftung der Abschlussprüfer:  Darüber hinaus ist beabsichtigt, die zivilrechtliche Haftung der Abschlussprüfer bei Pflichtverletzungen künftig gegenüber dem geprüften Unternehmen zu verschärfen, indem die Haftungshöchstgrenzen von 1 Mio. Euro allgemein für die Abschlussprüfung auf 2 Mio. Euro heraufgesetzt wird und für die Prüfung von Unternehmen von öffentlichem Interesse künftig 20 Mio. Euro beträgt (S. 55 RefE, § 323 Abs. 2 HGB-E). Darüber hinaus sollen Abschlussprüfer künftig auch in Fällen grober Fahrlässigkeit der Höhe nach unbeschränkt haften. Die Berufung auf eine Haftungshöchstgrenze soll für den Abschlussprüfer außerdem nicht mehr möglich sein, wenn er selbst zwar einfach fahrlässig handelte, sein Gehilfe aber vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, und dieses Verhalten des Gehilfen dem Prüfer nach allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen zuzurechnen ist (S. 102 RefE).

Qualitätssteigerung oder Marktkonzentration?  Ob die beabsichtige Anhebung der Haftungshöchstgrenzen zu einer Qualitätssteigerung der Abschlussprüfung beitragen kann oder nicht primär den Prozess beschleunigen würde, kleine und mittelständische Unternehmen weiter aus der Prüfung zu drängen, sollte kritisch hinterfragt werden. Schon seit einer Weile ist zu beobachten, dass immer weniger Prüfgesellschaften Unternehmen, deren Aktien zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, prüfen wollen wegen der damit verbundenen zusätzlichen berufsrechtlichen Anforderungen die sich nur dann rechnen, wenn ein Abschlussprüfer regelmäßig solche Prüfmandate hat. Die Neuregelungen werden zu erhöhten Versicherungskosten für die Regelprüfung führen und damit aller Wahrscheinlichkeit auch zu einer weiteren Konzentration im Prüfermarkt.

Verschärfung des Bilanzstrafrechts

Straftatbestände:  Im Bilanzstrafrecht soll durch gesetzliche Modifikationen eine erhöhte abschreckende Ahndung der Unternehmensverantwortlichen bei der Abgabe eines unrichtigen „Bilanzeids“ (künftig eigener Straftatbestand: § 331a HGB-E („unrichtige Versicherung“)) und der Abschlussprüfer bei Erteilung eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks zu Abschlüssen von Unternehmen von öffentlichem Interesse ermöglicht werden.

Ordnungswidrigkeiten:  Im Bilanzordnungswidrigkeitenrecht werden zudem die Bußgeldvorschriften für Abschlussprüfer, die Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, inhaltlich ausgeweitet und der Bußgeldrahmen deutlich angehoben.

Angemessenes und wirksames internes Kontroll- und Risikomanagementsystem

Sorgfaltspflichten von Vorstand & Aufsichtsrat:  In § 93 AktG soll künftig in einem neuen Abs. 1a eine Präzisierung der Sorgfaltspflicht für den Vorstand bei börsennotierten Unternehmen (= regulierter Markt) erfolgen. Demnach umfasst künftig die Sorgfaltspflicht des Vorstands bei derartigen Gesellschaften „auch die Einrichtung eines im Hinblick auf den Umfang der Geschäftstätigkeit und die Risikolage des Unternehmens angemessenen und wirksamen internen Kontrollsystems und Risikomanagementsystems.“ Durch die Klarstellungen „angemessenen“ und „wirksamen“ wird deutlich, dass der Vorstand künftig stärker noch als bislang, fortlaufend die Adäquanz des Kontrollsystems in Bezug auf die tatsächlichen Unternehmensumstände und die Effizienz des Compliancesystems überprüfen muss, um eine etwaige Haftung zu vermeiden. Gleiches gilt über den Verweis in § 116 AktG auch für den Aufsichtsrat des Unternehmens und dessen Kontrollpflichten. In der Begründung zum Referentenentwurf wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch bei nicht (im regulierten Markt) börsennotierten Unternehmen der Vorstand zu prüfen hat, ob die Einrichtung eines Risikomanagement- oder internen Kontrollsystems für das konkrete Unternehmen erforderlich und sinnvoll ist. Es wird auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gleiches (unabhängig von der Börsennotierung) für die Einrichtung von Compliance-Management-Systemen gilt – dies sei bei „größeren“ Unternehmen erforderlich.

Eigener Prüfungsausschuss:  Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften, die zugleich ein Unternehmen von öffentlichem Interesse sind, müssen künftig zudem verpflichtend einen Prüfungsausschuss einrichten, der mit unmittelbaren Auskunftsrechten gegenüber dem Leiter der internen Kontrolle, dem Leiter des Risikomanagements und dem Leiter der Internen Revision ausgestattet wird (§ 107 Abs. 4 AktG-E). Durch einen gesetzlichen Verweis in § 324 Abs. 2 Satz 2 HGB-E auf § 100 Abs. 5 AktG soll zudem sichergestellt werden, dass im jeweiligen Prüfungsausschuss Sachverstand sowohl bezüglich der Rechnungslegung als auch der Abschlussprüfung vorhanden ist.

Höhere Qualität bei der Zulassung zu Börsen-Qualitätssegmenten

Ziel:  Die Stärkung der Corporate Governance durch börsennotierte Gesellschaften wird flankiert durch Änderungen des Börsengesetzes (BörsG, Art. 2 des RefE). Hierdurch soll die Qualität der Zulassung von Unternehmen zu den qualifizierten Marktsegmenten der Börsen verbessert werden und Emittenten bei Verstößen aus den Qualitätssegmenten der Börsen einfacher ausgeschlossen werden können, wie etwa durch eine Erleichterung des Ausschlusses insolventer Emittenten (S. 52 RefE).

Mechanismus:  Konkret soll durch eine Neufassung von § 42 BörsG klargestellt werden, dass ein Ausschluss aus einem Teilbereich des regulierten Marktes mit zusätzlichen Pflichten (z.B. Prime und General Standard der FWB) auch möglich ist, wenn eine Vorrausetzung für die Zulassung zu dem entsprechenden Teilbereich nicht mehr vorliegt. Wenn für den jeweiligen Teilbereich Voraussetzungen festgelegt wurden, die nicht nur im Zeitpunkt der Zulassung, sondern während der gesamten Dauer der Zulassung vorliegen müssen, ist ein Widerruf ohne weitere Fristsetzung durch die Geschäftsführung der Börse nach pflichtgemäßem Ermessen möglich (S. 83 RefE).

Fazit

Es ist zu vermuten, dass es im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens noch zu Anpassungen kommen wird. Bis zum 9. November 2020 besteht die Gelegenheit zum Referentenentwurf Stellung zu nehmen.

Die vorgesehenen Neuregelungen sind im Grundsatz zu begrüßen und können einen Beitrag dazu leisten, die Überwachung der Abschlussprüfung, die Corporate Governance sowie die Effektivität der Finanzmarktaufsicht zu fördern. Gleichwohl werden sich auch hierdurch betrügerische Handlungen von Unternehmen nicht gänzlich verhindern lassen. Daher sollte bei den vorgeschlagenen Neuregelungen aus Sicht der Praxis kritisch analysiert werden, wieweit hier Aufwand und potenzielle Vorteile im Verhältnis stehen. Erste sehr weitgehende Überlegungen im Vorfeld des Referentenentwurfs (etwa zur Schaffung einer Europäischen „SEC“) hatten dies nicht immer berücksichtigt und sind dann auch nicht in den Gesetzgebungsvorschlag eingeflossen (vgl. zusammenfassend und illustrativ zur Diskussion das Positionspapier des Deutschen Aktieninstituts zu Konsequenzen aus dem Fall Wirecard vom 2. Oktober 2020).

Sowohl Abschlussprüfer als auch die Unternehmensorgane werden infolge der öffentlichen Diskussionen rund um die Wirecard-Insolvenz künftig allerdings auch unabhängig von einer gesetzlichen Neuregelung unter besonderer Beobachtung – v.a. durch Stimmrechtsberater – stehen. Vorstände und Aufsichtsräte sollten daher in besonderem Maße auf die Einrichtung, stetige Aktualisierung und laufende Überwachung adäquater interner Kontrollsysteme (Compliance) achten, um etwaige Haftungsrisiken und kritische Nachfragen auf Hauptversammlungen zu vermeiden.

 

COVID-19-Sonderregelungen zu Gesellschafterversammlungen und virtuellen Hauptversammlungen – Verlängerung bis Ende 2021 geplant

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat einen Referentenentwurf für eine Verordnung veröffentlicht, nach der die bestehenden COVID-19-Erleichterungen zur Abhaltung von Gesellschafterversammlungen und (virtuellen) Hauptversammlungen bis Ende 2021 verlängert werden sollen. Im Referentenentwurf sind auch einige Hinweise enthalten, wie Gesellschaften künftig mit den Ausnahmeregelungen umgehen sollen.

Hintergrund
Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie hatte der Gesetzgeber am 27. März 2020 durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I S. 569, 570) verschiedene Maßnahmen eingeführt, um Gesellschafterversammlungen und Hauptversammlungen trotz der Pandemie durchführen zu können. Sämtliche Instrumente waren dabei bis zum 31. Dezember 2020 befristet. Von hoher praktischer Relevanz waren vor allem die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, virtuelle Hauptversammlungen durchzuführen und / oder eine ordentliche Hauptversammlung bis zum Ende des Geschäftsjahres (und nicht in den ersten acht Monaten) abzuhalten sowie GmbH-Beschlüsse in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen. Insbesondere von der Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung haben nahezu alle Publikums-Aktiengesellschaften Gebrauch gemacht.

Erleichterungen für Hauptversammlungen auch in 2021
Der nun vorgelegte Verordnungsentwurf verlängert die bestehenden COVID-19-Sonderregelungen bis zum 31. Dezember 2021.

Das betrifft zum einen folgende Erleichterungen für die AG, die KGaA, den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) und die Europäische Gesellschaft (SE):

Möglichkeit der „virtuellen“ Hauptversammlung mit eingeschränkten Anfechtungsrechten, alternativ Online-Teilnahme an der Hauptversammlung auch ohne Satzungsermächtigung, Möglichkeit einer präsenzlosen Hauptversammlung mit eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeiten, Möglichkeit der Verkürzung der Einberufungsfrist auf 21 Tage, Möglichkeit, Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn auch ohne Satzungsregelung vorzunehmen, sowie (dies nicht für die SE) Ermöglichung der Durchführung der Hauptversammlung innerhalb des Geschäftsjahres) bis zum 31. Dezember 2021.

Virtuelle Hauptversammlungen nur noch bei Erforderlichkeit aufgrund der Pandemie im Einzelfall möglich
Der Referentenentwurf begrenzt in seiner Begründung die Option der virtuellen Hauptversammlung allerdings: Unternehmen können von diesem Instrument nur „im Einzelfall“ Gebrauch machen, wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens erforderlich erscheint. Ziel sei es, durch die Verlängerung für diejenigen Unternehmen Planungssicherheit zu schaffen, die ihre ordentlichen oder außerordentlichen Hauptversammlungen in den ersten Monaten des Kalenderjahres 2021 abhalten wollen. Sollten Großveranstaltungen wieder möglich sein, seien die Gesellschaften keineswegs zur Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung gezwungen, sondern könnten wieder zur Präsenzversammlung zurückkehren oder hybride zweigleisige Formate wählen. Interessant ist zudem der Hinweis im Entwurf, wonach Gesellschaften auch Gelegenheiten zur entsprechenden Anpassung ihrer Satzungen oder Statute nutzen sollen. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass auch künftig zumindest Mischformen der Normalfall sein werden.

Aktionärsfreundliche Umsetzung virtueller Hauptversammlung gefordert
Einen von der Praxis als wesentlich empfundenen Vorteil der virtuellen Hauptversammlung schafft die Begründung aber faktisch ab: Die Unternehmen sollen in Bezug auf Aktionärsfragen möglichst aktionärsfreundlich verfahren. Es sollte – im Rahmen der im Einzelfall zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten – gegebenenfalls ermöglicht werden, dass Fragen auch noch während der Hauptversammlung eingereicht werden können und nicht nur – wie bislang zumeist – bis zwei Tage vor der Versammlung. Zudem solle der Vorstand das ihm zustehende pflichtgemäße und freie Ermessen dahingehend ausüben, möglichst viele der eingereichten Fragen auch zu beantworten und nicht nur ausgewählte Fragen. Letzteres entsprach allerdings sowieso der überwiegenden Praxis in 2020.

Verlängerung der Einberufungsfrist für SE noch offen
Mangels nationaler Gesetzgebungskompetenz kann die Frage, ob auch die Einberufungsfrist für Europäische Aktiengesellschaften auf zwölf Monate (SE) verlängert wird, hingegen nur auf europäischer Eben entschieden werden (siehe zur Problematik in 2020 unseren Blog-Beitrag).

Auch GmbH-Beschlussfassungen in Textform weiterhin möglich

Der Verordnungsentwurf sieht zudem eine Verlängerung der Möglichkeit vor, abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG, Beschlüsse der GmbH-Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter zu fassen. Daneben sollen auch die bestehenden Erleichterungen im Recht der Genossenschaften sowie im Vereins- und Stiftungsrecht verlängert werden.

Längere Frist für Stichtagsbilanz bei Verschmelzungen / Spaltungen
Ebenfalls bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden soll die derzeitige Sonderregelung für Verschmelzungen und Spaltungen, wonach es abweichend von § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG für die Zulässigkeit der Handelsregistereintragung genügt, wenn die Bilanz auf einen höchstens zwölf Monate vor der Anmeldung liegenden Stichtag aufgestellt worden ist.

Fazit
Es bleibt abzuwarten, ob es im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch zu Änderungen kommt. Der Referentenentwurf ist noch nicht innerhalb der Bundesregierung abgestimmt und erste Kritik an den aktienrechtlichen Vorschriften von Fraktionen bereits vernehmbar. Länder und Verbände können bis zum 25. September 2020 Stellung nehmen. Auch wenn es zu keinen weiteren Anpassungen mehr kommen sollte, ist zu erwarten, dass Aktionärsschützer und Stimmrechtsberater auf eine aktionärsfreundliche Umsetzung der Sonderregelungen im Jahr 2021 drängen werden. Dies gilt umso mehr, als im regulierten Markt notierte Gesellschaften erstmals über das Vergütungssystem für den Vorstand und damit eine wesentliche Neuerung durch das ARUG II abstimmen müssen. Gesellschaften sollten daher in jedem Fall das Erfordernis einer virtuellen Hauptversammlung sorgfältig abwägen und frühzeitig nach technischen Möglichkeiten einer aktionärsfreundlichen Umsetzung Ausschau halten. Die geplante Verlängerung der bestehenden Erleichterungen im GmbH- und Umwandungsrecht ist ausdrücklich zu begrüßen.

Verlängerte HV-Einberufungsfrist nun auch für Europäische Aktiengesellschaften (SE)?

Am 29.4.2020 hat die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag publiziert, nach dem Europäische Aktiengesellschaften (SE) in diesem Jahr die Möglichkeit erhalten sollen, ihre ordentliche Hauptversammlung nicht – wie bislang – in den ersten sechs, sondern innerhalb von zwölf Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahrs abzuhalten (spätestens jedoch bis 31.12.2020).

Vergleichbare Regelung besteht bereits für AG und KGaA

Ende März hatte der deutsche Gesetzgeber bereits für Aktiengesellschaften (AG) und Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) im Zuge des „Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVID-19-Gesetz) die Möglichkeit eingeführt, die ordentliche HV innerhalb von 12 Monaten (statt 8 Monaten) nach Ablauf des Geschäftsjahrs stattfinden zu lassen. Eine entsprechende Erstreckung auch auf die SE war jedoch mangels Gesetzgebungskompetenz nicht möglich, da die Frist zur Abhaltung der ordentlichen SE-Hauptversammlung im europäischen Recht (Art. 54 Abs. 1 SE-VO) normiert ist.

Verschiebung der SE-HV würde zur echten Alternative

Bislang führte dies für sämtliche SE zu der misslichen Situation, dass sie faktisch nur die Option hatten, eine (virtuelle) Hauptversammlung innerhalb des ersten Halbjahres abzuhalten und nicht – wie es das nationale COVID-19-Gesetz auch für die SE vorsieht – eine Verschiebung der Hauptversammlung in Betracht zu ziehen. In noch größere „Zeitnot“ kamen SE, die ein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr haben. Zwar ist im Falle der Missachtung der HV-Frist (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) beispielweise die Festsetzung von Zwangsgeld oder das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gegen die Unternehmensleitung denkbar. In der Praxis hat eine Fristversäumung jedoch üblicherweise keine praktischen Auswirkungen. Dennoch ist der Vorschlag der EU-Kommission zur Fristverlängerung ausdrücklich zu begrüßen, um der Unternehmensleitung die Sorge gesetzes- und sorgfaltswidrigen Verhaltens zu nehmen und mehrere Handlungsoptionen zur (zeitlichen) HV-Durchführung zu geben.

Schnelles Inkrafttreten zu erwarten

Die EU-Verordnung soll bereits am Tag nach Bekanntmachung im EU-Amtsblatt in Kraft treten.

Eine zeitnahe Verabschiedung der Verordnung wäre wünschenswert, damit auch SE die Möglichkeit erhalten, ihre ordentliche Hauptversammlung erst im zweiten Halbjahr abzuhalten, ob als virtuelle HV oder (sofern möglich) Präsenz-HV.