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Anwaltsblog 6/2024: Wie weit geht das Bankgeheimnis, wenn die Fälschung von Unterschriften im Raume steht?

Hans Christian Schwenker  Hans Christian Schwenker
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Darf sich ein Bankinstitut unter Berufung auf das Bankgeheimnis weigern, Original-Urkunden einem Schriftsachverständigen vorzulegen, wenn ein als Bürge Inanspruchgenommener geltend macht, seine Frau habe seine Unterschriften gefälscht? Diese Frage hatte der BGH zu klären (BGH, Beschluss vom 29. November 2023 – XII ZB 141/22):

Getrenntlebende Eheleute sind gemeinsam mit der Mutter des Ehemanns Miteigentümer eines von ihnen bewohnten Anwesens. Auf Antrag der Ehefrau ist das Scheidungsverfahren anhängig. Der Ehemann hat beantragt, von der Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG (Wegfall wegen grober Unbilligkeit) abzusehen. Dazu hat er vorgetragen, die Ehefrau habe unberechtigt seine Unterschriften auf einer Bürgschaftsurkunde und einer Eigentümererklärung angebracht. Hiervon habe er erstmals erfahren, als die Bausparkasse ihn auf Zahlung von rund 19.500 € für ein Darlehen des volljährigen Sohnes in Anspruch genommen habe. Zum Beweis der behaupteten Fälschung seiner Unterschriften hat der Ehemann die Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens beantragt sowie zu diesem Zweck die an die Bausparkasse gerichtete gerichtliche Anordnung, die in ihrem Besitz befindlichen Originale der in Kopie vorliegenden Bürgschaftsurkunde und Eigentümererklärung vorzulegen, begehrt. Die Bausparkasse hat die Vorlage der beiden Original-Urkunden unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweigert, da die Unterlagen ein Darlehensverhältnis zwischen ihr und einer dritten, am gerichtlichen Verfahren nicht beteiligten Person beträfen, die ihr ausdrücklich die Herausgabe der Unterlagen untersagt habe.

Die Bausparkasse muss die Original-Urkunden vorlegen. Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Die Vorschrift, die auch für die Vorlegung von Urkunden durch Dritte Anwendung findet, begründet ein Zeugnisverweigerungsrecht für die dem zivilrechtlichen Bankgeheimnis unterfallenden Tatsachen. Dieses Bankgeheimnis gilt jedoch nicht grenzenlos. So sieht bereits das Gesetz selbst Durchbrechungen vor (vgl. etwa § 840 ZPO). Darüber hinaus kann es zu einer Kollision des Bankgeheimnisses mit Aufklärungs- oder Auskunftsansprüchen eines anderen Kunden oder eines Dritten kommen, die im Einzelfall durch eine Interessen- und Güterabwägung zu lösen ist. Insbesondere in Fällen von Kreditsicherheiten eines Dritten für eine fremde Darlehensschuld wie bei einer Bürgschaft oder Grundschuld kann im Einzelfall eine Aufklärungs- oder Informationspflicht bestehen, die dem Bankgeheimnis vorgeht. Daher ist die Bausparkasse nicht berechtigt, unter Berufung auf das Bankgeheimnis die Vorlage der Originale der Bürgschaftsurkunde und der Eigentümererklärung zu verweigern.

Denn dem als Drittsicherungsgeber in Anspruch genommenen Ehemann steht gegenüber der Bausparkasse ein Einsichtsrecht nach § 810 Alt. 2 BGB zu, hinter dem das Bankgeheimnis zurücktreten muss. Nach § 810 Alt. 2 BGB kann jeder die Gestattung der Einsicht in eine Urkunde von deren Besitzer verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse – nämlich zumindest auch für ihn als Beweismittel – errichtet wurde und in dieser ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes – gegebenenfalls unwirksames – Rechtsverhältnis beurkundet ist. Auf ein rechtliches Interesse kann sich jeder berufen, der – wie hier der Ehemann – die Einsichtnahme in eine Urkunde zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung seiner rechtlich geschützten Interessen benötigt. So steht etwa dem Bürgen gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners grundsätzlich ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden zu. Nichts Anderes kann für denjenigen gelten, der seiner Inanspruchnahme als Bürge mit der substantiierten Behauptung entgegentritt, die Bürgschaftserklärung sei gefälscht, und der die Einsichtnahme in die Bürgschaftsurkunde benötigt, um diese Behauptung zu beweisen. Hinter dem rechtlichen Interesse des Ehemanns muss unter den hier maßgeblichen Umständen das durch das Bankgeheimnis geschützte Geheimhaltungsinteresse der Bausparkasse zurücktreten. Dabei ist bei der erforderlichen Abwägung auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang die aufklärungspflichtige Bank gezwungen wäre, Einzelheiten ihrer Geschäftsverbindung mit einem anderen Kunden und über dessen Vermögenslage zu offenbaren. Die beiden Urkunden, insbesondere die Eigentümererklärung, enthalten nur wenige Einzelheiten über die Geschäftsverbindung zwischen der Bausparkasse und ihrem Kunden. Die Bürgschaftsurkunde benennt neben der Bausparvertrag-Nummer den Darlehensnehmer, den Darlehensbetrag sowie die Konditionen des Darlehens. Die Eigentümererklärung beschränkt sich demgegenüber auf die Mitteilung der Darlehensgewährung, des Darlehensnehmers und der Bausparvertrag-Nummer. Diese Umstände sind aber aufgrund der Kopien der Urkunden, die die Bausparkasse zur Realisierung ihrer eigenen Ansprüche übersandt hat, bereits offenbart und bekannt.

 

Fazit: Ein Bankinstitut kann nicht unter Berufung auf das Bankgeheimnis gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Vorlage von Original-Urkunden verweigern, wenn im Einzelfall das Interesse des Beweisführers an ihrer Vorlage höher zu gewichten ist (hier: zum Beweis der Unechtheit der Urkunden).

 

Anmerkung: Eine zivilprozessuale Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei kann sich nur aus den speziellen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder aus einer Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO ergeben. § 142 Abs. 1 ZPO ist auch anwendbar, wenn sich der beweispflichtige Prozessgegner auf eine Urkunde bezogen hat, die sich im Besitz der nicht beweisbelasteten Partei befindet. Auch die Vorschrift des § 142 Abs. 1 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substanziierungslast. Daher darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen (BGH, Urteil vom 26.06.2007 – XI ZR 277/05, MDR 2007, 1333).

 

Mehr zum Autor: Hans Christian Schwenker ist Rechtsanwalt in der Kanzlei add LEGAL in Hannover

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