Bislang hat der BGH für die Ersatzfähigkeit der Sachverständigenkosten im Rahmen von Straßenverkehrsunfällen der tatsächlichen Begleichung der Rechnung entscheidende Bedeutung beigemessen (BGH v. 17.12.2019 – VI ZR 315/18, MDR 2020, 345 = NJW 2020, 1001; BGH v. 26.4.2016 – VI ZR 50/15, MDR 2016, 1137 = NJW 2016, 3092, 3094).
Das Begleichen der Rechnung bildete ein wesentliches Indiz für die Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO mit den beiden folgenden Konsequenzen:
- Darlegung und Beweis des Geschädigten für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten werden erleichtert.
- Auf Seite des Schädigers reicht in diesem Fall einfaches Bestreiten der Höhe der Forderung durch den Beklagten nicht mehr aus. Vielmehr muss er qualifiziert zur Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten vortragen (BGH v. 19.7.2016 – VI ZR 491/15, MDR 2016, 1378 = NJW 2016, 3363).
In mehreren Entscheidungen aus den Jahren 2022 und 2023 stellt der BGH für die Indizwirkung statt der Begleichung der Rechnung nun maßgeblich auf das Vorliegen einer Honorarvereinbarung ab soweit die Schadenersatzansprüche nicht an Erfüllungs statt abgetreten wurden. Darüber hinaus signalisiert der BGH in den folgenden Entscheidungen, dass das aus dem Werkvertrag mit dem Sachverständigen Geschuldete zu ersetzen ist soweit die fehlende objektive Erforderlichkeit dem Geschädigten im Rahmen der Plausibilitätskontrolle nicht erkennbar war:
- BGH v. 7.2.2023 – VI ZR 137/22, MDR 2023, 626 = NJW 2023, 1718: Die Preis- oder Honorarvereinbarung mit dem Sachverständigen bildet, wenn nicht zugleich eine Abtretung des Schadenersatzsanspruchs an Erfüllungs statt erfolgt ist, ein Indiz für die Schadensschätzung nach § 287 ZPO.
- BGH v. 7.2.2023 – VI ZR 138/22, BeckRS 2023, 2753: Es obliegt der unternehmerischen Entscheidung des Sachverständigen, ob er die Kosten für die Inanspruchnahme einer Restwertbörse in sein Grundhonorar einpreist oder extra ausweist.
- BGH v. 12.12.2022 – VI ZR 324/21, MDR 2023, 361 = NJW 2023, 1057: Die schadensrechtliche Erstattungsfähigkeit einer Corona-Desinfektionskostenpauschale des Sachverständigen richtet sich nach der werkvertraglichen Beziehung zwischen Geschädigtem und Sachverständigem. Ob die Desinfektionskostenpauschale gesondert berechnet wurde oder in das Grundhonorar des Sachverständigen eingepreist wurde, spielt keine Rolle.
Indiz für die Schätzung der Sachverständigenkosten ist damit neuerdings die Honorarvereinbarung soweit nicht Schadenersatzansprüche an Erfüllungs statt an den Sachverständigen abgetreten wurden.
Für die Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten ergab sich, auf Basis der ständigen Rechtsprechung ein Schema (Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2021, Rz. 29.7), das nun wie folgt zu ergänzen ist (rot):
- Grundsatz: Geschädigter ist nicht zur Marktforschung verpflichtet.
- Ausnahme: Erkennbarkeit des deutlichen Überschreitens der branchenüblichen Sätze aus ex-ante-Sicht bzw. Fehlen jeglicher Erkennbarkeit des Honorars
- Vorliegen einer Honorarvereinbarung (ohne Abtretung der Forderung an Erfüllungs statt) oder beglichene Rechnung als Indiz für die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten
- Ausnahme von der Indizwirkung bei Abtretung der Forderung erfüllungshalber an den Sachverständigen oder eine Verrechnungsstelle
Der BGH betont neuerdings, nach Zeiten einer eher restriktiven, sehr fein ausdifferenzierten Dogmatik zur Erstattung von Sachverständigenkosten, auffällig deutlich die indizielle Bedeutung der Honorarvereinbarung für die Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO. Diese neue Rechtsprechungslinie findet unschwer Anschluss an die aktuelle Rechtsprechung zum Werkstattrisiko bei konkreter Abrechnung von Reparaturkosten, wo ebenfalls die werkvertragliche Vereinbarung zwischen Geschädigtem und Leistungserbringer (Werkstatt) maßgebliche Grundlage der Schadensschätzung ist (BGH v. 26.4.2022 – VI ZR 147/21, MDR 2022, 1089 = NJW 2022, 2840).