BGH: Anspruch der Partei auf mündliche Befragung des Sachverständigen

Im Rahmen eines umfangreichen WEG-Prozesses, auf dessen Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann, hatte das Berufungsgericht ein Gutachten eines Sachverständigen aus einem Vorprozess verwertet. Allerdings hatte der Kläger zuvor beantragt, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuhören. Dem war das Berufungsgericht jedoch nicht nachgekommen.

Der BGH (Urt. v. 10.2.2023 – V ZR 246/21) sieht darin einen Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung nötigt. Grundsätzlich darf eine Partei einem Sachverständigen nach den §§ 397, 402 ZPO Fragen zur mündlichen Beantwortung vorlegen. Dies gilt selbst für den Fall, dass das Gericht keinen Erläuterungsbedarf mehr sieht. Anderenfalls liegt eine unzulässig vorweggenommene Beweiswürdigung vor.

In diesem Zusammenhang sieht der BGH noch einen weiteren Fehler des Berufungsgerichts: Es war einem Sachverständigengutachten nicht gefolgt, weil dieses einer im Internet veröffentlichten Studie widersprach. Allerdings hatte das Berufungsgericht insoweit weder den Sachverständigen dazu befragt noch war es nach § 412 ZPO vorgegangen. Damit hatte es gegen § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO verstoßen, da es nicht dargelegt hatte, aus welchem Grund es über die erforderliche Sachkunde, derartige Feststellungen gegen die Auffassung eines Sachverständigen zu treffen, verfügt.

Fazit: Die Gerichte müssen daher darauf achten, nicht gegen die Feststellungen eines Sachverständigen zu entscheiden, ohne diesen zuvor mit den entsprechenden Argumenten konfrontiert zu haben. Außerdem darf den Parteien nicht das Recht genommen werden, einem Sachverständigen in einem Termin Fragen zu stellen. Einfacher wird das Prozessieren durch diese Grundsätze allerdings nicht, vielmehr umständlicher und langwieriger. Aus der Sichtweise der Tatsacheninstanzen könnte man hinzufügen: Vor lauter Gewährung rechtlichen Gehörs kommt man gar nicht mehr dazu, die Rechtsstreitigkeiten auch einmal tatsächlich zu entscheiden.