Montagsblog: Neues vom BGH

Um das Spannungsverhältnis zwischen Auskunfts- und Geheimhaltungsinteressen unterschiedlicher Mandanten eines Rechtsanwalts geht es in dieser Woche.

Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der anwaltlichen Handakte
Urteil vom 17. Mai 2018 – IX ZR 243/17

Der IX. Zivilsenat bejaht einen grundsätzlichen Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der gesamten Handakte seines Rechtsanwalts.

Die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft hatte eine später insolvent gewordene Gesellschaft in zwei Verfahren gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Klage des Insolvenzverwalters auf Herausgabe der Handakten dieser Verfahren blieb vor dem AG und dem LG erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Nach § 675 und § 667 BGB hat ein Rechtsanwalt an seinen Mandanten grundsätzlich alles herauszugeben, was er aus Anlass der Mandatsausübung erhalten hat. Dazu gehören seine Handakten. Ein Anspruch ist zwar ausgeschlossen, soweit der Anwalt durch die Herausgabe der Akten seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber anderen Mandanten verletzen würde. Persönliche Geheimhaltungsinteressen von dritten Personen, die an Besprechungen beteiligt waren, reichen hierfür aber nicht aus. Der Anwalt darf sich auch nicht auf die Behauptung beschränken, die Handakte enthalte Schriftstücke von Personen, zu denen ein Mandatsverhältnis bestehe. Er muss zumindest aufzeigen, inwiefern das Mandat Berührungspunkte zu anderen Mandaten haben kann. Ferner muss er darlegen, weshalb er entgegen § 50 Abs. 1 BRAO für die unterschiedlichen Mandate nicht gesonderte Handakten geführt hat.

Praxistipp: Schon beim Ablegen eines Schriftstücks in eine Handakte sollte nach Möglichkeit sichergestellt werden, dass darin keine Geheimnisse eines anderen Mandanten enthalten sind.

Die Verschwiegenheitspflicht gilt auch für die Rechtsanwaltskammer

In einem kürzlich veröffentlichten Urteil des BGH (Urt. v. 11.1.2016 – AnwZ (Brfg) 42/14) vertrat dieser die Ansicht, dass die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammern auch gegenüber dem Beschwerdeführer im berufsaufsichtlichen Verfahren gelte.

Wird durch einen Dritten eine Beschwerde bei der Kammer eingereicht, so wird der betroffene Anwalt, der angeblich gegen Berufsrecht verstoßen haben soll, hierzu schriftlich angehört. Dessen Stellungnahme wird dem Dritten häufig wieder zugeleitet mit der Frage, ob sich das Beschwerdeverfahren dadurch erledigt habe.

Im konkreten Fall war Beschwerdeführer eine weitere Rechtsanwaltskammer. Der Beschwerdegegner wurde im Rahmen der Anhörung  darauf hingewiesen, er könne einer Weiterleitung widersprechen. Da ein Widerspruch nicht erfolgt war, gelangte seine Stellungnahme zur beschwerdeführenden Rechtsanwaltskammer.

Der Beschwerdeführer wandte sich hiergegen mit einer Feststellungsklage. Er unterlag vor dem AGH Hamm wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses. Die beklagte Kammer hatte zuvor geäußert, sie werde Stellungnahmen des Klägers nicht mehr an Dritte weiterleiten.

Der BGH gab der Klage statt. Insbesondere bestehe ein Feststellungsinteresse. Die beklagte Kammer hatte nämlich in einem weiteren Aufsichtsverfahren gegen den Kläger wieder auf die erwähnte Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen und damit zum Ausdruck gebracht, sie beabsichtige bei fehlendem Widerspruch weiterhin eine Weiterleitung an den Beschwerdeführer.

Überdies sei die Klage auch begründet. Denn die Kammer könne sich nicht auf eine Befugnis berufen, die die Verschwiegenheitspflicht nach § 76 BRAO einschränke. Insbesondere seien die beschwerdeführenden Dritten keine „Verfahrensbeteiligten“.

Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Kammer und Mitglied ist wesentlicher Bestandteil der anwaltlichen Selbstverwaltung und eine Fortsetzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht. Zukünftig darf daher keine Widerspruchslösung praktiziert werden. Die Weiterleitung von Stellungnahmen sollte nur erfolgen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Anwalts hierzu vorliegt.