Blog powered by Zöller: Video-Verhandlung und faires Verfahren

Die mündliche Verhandlung per Video-Übertragung (§ 128a ZPO) soll den Zivilprozess erleichtern und beschleunigen. Zunehmend müssen sich aber Rechtsmittelgerichte mit Rügen eines verfahrensfehlerhaften Ablaufs befassen – jüngst auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23). Die Kläger in einem finanzgerichtlichen Verfahren  hatten mit der Verfassungsbeschwerde gerügt, ihr Recht auf den gesetzlichen Richter sei dadurch verletzt worden, dass die eingesetzte Kamera nur die gesamte Richterbank abbildete und nicht die Möglichkeit bot, mittels einer von ihnen steuerbarer Zoomfunktion die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick ins Gesicht zu überprüfen.

Die Verfassungsbeschwerde stützte sich auf eine Entscheidung des BFH vom 30.6.2023 – V B 13/22, MDR 2023, 1131 (mit Anm. Greger, MDR 2023, 1366; s. auch Blog vom 4.8.2023), mit der eine Verletzung des  Rechts auf den gesetzlichen Richter bejaht wurde, weil bei der Video-Übertragung  nicht alle Richter ständig zu sehen waren. Von diesem hohen verfassungsrechtlichen Podest hat das BVerfG die Unzulänglichkeiten der Video-Verhandlung aber heruntergeholt. Die Garantie des gesetzlichen Richters werde durch solche nicht verletzt; allenfalls könne das Recht auf ein faires Verfahren tangiert sein. Dazu gehöre nämlich, dass die Verfahrensbeteiligten die Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank überprüfen können, und daran könne es fehlen, wenn bei Videoverhandlungen aus der Distanz gefilmt wird und die Übertragungsqualität hinter der Beobachtungsmöglichkeit bei Anwesenheit vor Ort zurückbleibt.

Im vorliegenden Fall hatten die Beschwerdeführer nicht vorgetragen, dass eine solche Beschränkung vorlag und von ihnen in der Verhandlung beanstandet wurde. Die Verfassungsbeschwerde wurde daher nicht zur Entscheidung angenommen. Dem Nichtannahmebeschluss sind gleichwohl zwei wichtige Aussagen zu entnehmen:

  1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens erfordert bei Videoverhandlungen eine Übertragungstechnik, die es den Beteiligten ermöglicht, die Neutralität und Unabhängigkeit der Richterbank zu überprüfen. Hieran kann es fehlen, wenn wegen zu großer Distanz die Körpersprache nicht hinreichend wahrnehmbar ist.
  2. Beeinträchtigungen des fairen Verfahrens durch Unzulänglichkeiten der Video-Technik sind sogleich zu beanstanden.

Der auf den absoluten Revisionsgrund des „gesetzlichen Richters“ gestützten Ansicht des BFH, Übertragungsmängel könnten auch noch nachträglich gerügt werden, hat der Beschluss die Grundlage entzogen. Es bleibt aber das Risiko, dass eine Video-Verhandlung abgebrochen werden muss, weil eine Partei die Unzulänglichkeit der Übertragungsqualität rügt.

In der Online-Ausgabe des Zöller ist der Beschluss des BVerfG v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23 bereits berücksichtigt, Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 128a ZPO Rn. 6.2).

Blog powered by Zöller: Vorsicht bei Video-Verhandlung

Eine aktuelle Entscheidung des BFH macht deutlich, dass bei der Durchführung von mündlichen Verhandlungen per Video-Übertragung hohe Anforderungen an die „Bildregie“ zu stellen sind. Es muss sichergestellt sein, dass zugeschaltete Teilnehmer alle an der Verhandlung Beteiligten jederzeit sehen können. Dies gilt insbesondere für die Richterbank. Es genügt nicht, dass – wie im vorliegenden Fall – nur der Vorsitzende oder der gerade sprechende Richter zu sehen ist. Die Richterbank sei dann nicht ordnungsgemäß besetzt, denn der Zugeschaltete könne nicht überprüfen, ob ein Richter z.B. eingeschlafen oder vorübergehend abwesend ist. Damit liege ein absoluter Revisionsgrund vor; dass der Mangel während der Verhandlung nicht gerügt wurde, sei unerheblich. Das aufgrund dieser Verhandlung ergangene Urteil wurde daher aufgehoben. Die Sache wird vor der Kammer – entweder in Präsenz oder mit ordnungsgemäßem Kamerasystem – erneut zu verhandeln sein (BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22).

Diese Entscheidung ist als Warnruf, auch an die anderen Gerichtsbarkeiten, zu verstehen. In der Corona-Zeit wurde – notgedrungen – eine gewisse Großzügigkeit beim Einsatz von Video-Technik an den Tag gelegt; viele Prozesse wären sonst überhaupt nicht zu erledigen gewesen. Inzwischen ist es anders: Die Videoverhandlung wird als entlastende und beschleunigende Alternative zur Präsenzverhandlung geschätzt und soll nach einem aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung noch gefördert werden. Deshalb rücken nun wieder die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Gestaltung der Gerichtsverhandlung in den Vordergrund, die sich gerade in der geordneten, nicht durch Sicht- oder Gehörsbeeinträchtigungen gestörten Interaktion zwischen den Prozessbeteiligten manifestiert. Auch nach der Begründung des genannten Gesetzentwurfs ist sicherzustellen, dass die im Gericht befindlichen Personen von den per Video zugeschalteten visuell und akustisch während der gesamten Verhandlung gut wahrnehmbar sind (BR-Drucksache 228/23, S. 49). Das wird in der Regel nur möglich sein, wenn mehrere Kameras zum Einsatz kommen, die jeden Beteiligten – auch gut erkennbar – erfassen. Systeme, die jeweils nur den Sprechenden zeigen, sind damit nicht zu vereinbaren; Raumkameras, die alle Anwesenden zusammen abbilden, hält der Entwurf nur bei einfach gelagerten Terminen ohne Beweisaufnahme und mit wenigen Verfahrensbeteiligten für ausreichend.

Verfügt das Gericht nicht über eine entsprechende Ausstattung, muss von einer Videoverhandlung abgesehen werden. Nach der jüngst ergangenen Entscheidung drohen sonst massenhafte Urteilsaufhebungen.

Davon unberührt und daher vorzuziehen ist der Einsatz der Videokommunikation bei informellen Erörterungsterminen außerhalb der mündlichen Verhandlung (durch die eine solche samt ihres technischen und organisatorischen Aufwands oft erspart werden kann; s. dazu Zöller/Greger, § 128 ZPO Rn 1a, auch Greger, MDR 2020, 957 Rn. 29 ff. und MDR 2023, 810 Rn. 22 ff.).

Mehr dazu im neuen Zöller, 35. Auflage.

Viel Dynamik im Zivilprozessrecht: Welche Gesetzesänderungen sollten Berater und Richter unbedingt kennen und warum ist die Neuauflage des Zöller besonders hilfreich? – Ein Interview von Dr. Birgitta Peters mit dem Zöller-Autor und VorsRiLG Dr. Hendrik Schultzky

Peters: Die 19. Legislaturperiode ist zu Ende gegangen. Was sind die wichtigsten Neuregelungen im Bereich des Zivilprozessrechts?

Schultzky: Der Gesetzgeber war zum Ende der Wahlperiode hin sehr aktiv und hat eine Vielzahl von Gesetzen erlassen, die das zivil- und familiengerichtliche Verfahren betreffen. Das sind nicht nur Gesetze, die Normen der ZPO oder des FamFG ändern, sondern auch solche, die mittelbar Auswirkungen auf den Zivilprozess haben. Hervorzuheben ist zunächst die „kleine ZPO-Reform“ aus dem Dezember 2019, die anlässlich des Auslaufens der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH auf den Weg gebracht wurde, aber inhaltlich ganz verschiedene Einzelfragen neu regelt.

In der Rechtspraxis besonders bedeutsam sind die Änderungen durch das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.10.2021. Zum 1.1.2022 wird der elektronische Rechtsverkehr durch dieses erheblich erweitert. Der Regelfall ist dann die Zustellung eines elektronischen Dokuments – und zwar nicht nur an Rechtsanwälte, sondern auch an beliebige Dritte, die über das sog. eBO – das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach – ebenfalls am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmen können. Der Kreis der zur Teilnahme verpflichteten Teilnehmer wird dabei bis zum 1.1.2024 schrittweise erweitert.

Neben diesen eher allgemeinen Neuregelungen sind auch einzelne Verfahren erheblich geändert worden. So ist das Zwangsvollstreckungsrecht von der Reform des Pfändungsschutzkontos durch Gesetz vom 22.11.2020 und durch das Gesetz vom 7.5.2021, das die Gerichtsvollziehertätigkeit betrifft, betroffen. Das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 ändert nicht nur das Verfahren in Kindschaftssachen, sondern auch das Gerichtsverfassungsgesetz. Die Liste ließe sich noch eine ganze Zeit fortsetzen.

Peters: Sie haben darauf hingewiesen, dass es auch viele Rechtsänderungen mit mittelbaren Auswirkungen auf den Zivilprozess gibt. Können Sie uns relevante Beispiele nennen?

Schultzky: Die Neuregelungen im Berufsrecht der Rechtsanwälte zum 1.8.2022 werden sich auch auf den Zivilprozess massiv auswirken. Das Gesetz vom 7.7.2021 regelt die Berufsausübungsgesellschaften völlig neu und ermöglicht, dass diese über ein Kanzleipostfach kommunizieren. Hier sind etwa im Bereich der Parteifähigkeit, der Bevollmächtigung, des elektronischen Rechtsverkehrs und des Zustellungsrechts neue Antworten zu geben.

Eine künftig große Umwälzung wird auch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts bringen, das die Gesellschaftsformen der GbR, oHG und KG völlig umgestaltet. Ab dem 1.1.2024 wird es eine eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts geben. Zwar werden dadurch einige Probleme bei der Parteibezeichnung der GbR im Zivilprozess gelöst, es stellen sich aber auch Folgefragen, z.B. hinsichtlich des Gerichtsstandes und im Vollstreckungsrecht.

Schon jetzt wirft die am 1.12.2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsrechts mit der Schaffung einer vollrechtsfähigen Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zahlreiche neue prozessuale Probleme auf.

Peters: Was bedeutet die Hyperaktivität des Gesetzgebers für die Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Es ist Tradition, dass der Zöller alle zwei Jahre kurz vor dem Ende des jeweiligen Jahres erscheint. Dieser feste Rhythmus hat dazu geführt, dass die 34. Auflage Ende 2021 und damit nur wenige Monate nach dem Ende der 19. Wahlperiode des Bundestags in den Buchhandel kommt. Online gestellt wurde sie bereits Ende Oktober 2021. Der diesjährige Erscheinungstermin ist eine besondere Herausforderung gewesen, denn Verlag und Autoren waren sich darin einig, dass alle in der Legislaturperiode verabschiedeten Gesetze in der Kommentierung vollständig verarbeitet werden müssen. Und das gilt auch für die Gesetze, die erst nach Erscheinen des Zöller in Kraft treten. Da sich der Bundesrat mit einzelnen Gesetzesbeschlüssen des Bundestags erst nach der Sommerpause beschäftigt hat, hat das zu einem sehr engen Zeitplan geführt. Beispielsweise hat das bereits erwähnte Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs erst am 17.9.2021 den Bundesrat passiert und wurde im Bundesgesetzblatt vom 11.10.2021 verkündet.

Die umfassende Berücksichtigung im Zöller war nur dadurch möglich, dass Autoren und Lektorat die verschiedenen Gesetzgebungsverfahren ganz eng mit begleitet haben, oftmals bereits seit den ersten Diskussionsentwürfen. Wir konnten so für unsere endgültigen Kommentierungen bereits auf umfassende Vorarbeiten zurückgreifen. Am Ende musste dann in Tag- und Nachtsitzungen der letzte Feinschliff erfolgen.

 Peters: Wie gehen Sie als Autoren mit den Neuregelungen im Zöller ganz konkret um?

Schultzky: Zunächst sollte der Gesetzesstand zum Ende der Legislaturperiode vollständig dokumentiert werden. Das hat dazu geführt, dass sich zu einigen Vorschriften, z.B. § 53 ZPO oder § 173 ZPO, mehrere Gesetzestexte – natürlich übersichtlich angeordnet – im Werk finden. Das Datum des Inkrafttretens ist immer besonders hervorgehoben, so dass sich der Leser leicht orientieren kann. In den Kommentierungen selbst beschränken wir uns nicht darauf, auf die Neuregelungen hinzuweisen, sondern wir bieten die für den Zöller übliche vollständige und tiefgreifende Erläuterung auch aller neuen Normen an. Das gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbar wirkenden Gesetzesänderungen. Dem Praktiker soll so eine fundierte Hilfestellung beim Umgang mit den Neuregelungen gegeben werden. Für die von den Gerichten noch nicht entschiedenen neuen Rechtsfragen wollen wir zudem stets gut begründete Lösungen anbieten.

Peters: Neben den vielen Gesetzesänderungen – wo liegen weitere Schwerpunkte der Neuauflage des Zöller?

Schultzky: Der Zöller hat den Anspruch, die Rechtsprechung nachzuvollziehen und alle wichtigen Gerichtsentscheidungen zu nennen und einzuordnen. Das ist neben der Auswertung der Fachliteratur ein Schwerpunkt in jeder Auflage. Um eine Größenordnung zu nennen: Allein für den Bereich der Prozesskostenhilfe habe ich etwa 700 Urteile und Beschlüsse gesichtet, die in den letzten zwei Jahren veröffentlicht wurden.

Die Digitalisierung der Gesellschaft wirkt natürlich auch in den Zivilprozess hinein. Die Corona-Pandemie hat dies noch einmal ganz erheblich beschleunigt. Das beste Beispiel sind die Videoverhandlungen. Sie sind bereits seit 2002 im § 128a ZPO geregelt, wurden aber bis zum Beginn der Pandemie nur selten durchgeführt. Die Nachfrage ist dann 2020 sprunghaft gestiegen. Damit sind auch neue Rechtsfragen virulent geworden. Welche Anforderungen sind an die Übertragung zu stellen? Was ist zur Wahrung der Öffentlichkeit erforderlich? Wie ist mit einem fehlenden Einverständnis der Parteien umzugehen? Aber auch im Zwangsvollstreckungsrecht sind neue Ausführungen durch die zunehmende Bedeutung von elektronischen Wertpapieren, Kryptowährungen und Daten nötig geworden.

Die Pandemie hat auch viele andere Aktualisierungen an unterschiedlichsten Stellen nötig gemacht. Sie hat Folgen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betrifft das Ausbleiben von Zeugen und kann die Gewährung von Räumungsfristen erforderlich machen. Bei der Gewährung von PKH ist mit gewährten Corona-Prämien umzugehen. Neue Anforderungen ergeben sich auch an die Gerichtsorganisation, z.B. wie die Öffentlichkeit der Verhandlungen mit den AHA-Regeln in Einklang gebracht werden kann.

Peters: Betrifft die Digitalisierung auch den Zöller selbst?

Schultzky: Der Zöller ist schon seit mehreren Auflagen über Otto Schmidt online und juris abrufbar. Der elektronische Text entspricht dem der Printausgabe, bietet darüber hinaus aber natürlich die inzwischen gewohnten Verlinkungen. Gemeinsames Ziel von Verlag und Autoren ist es, beide Ausgaben gleichermaßen sinnvoll benutzbar zu gestalten. Bereits in der letzten Auflage sind daher bei den ABC-Aufzählungen von Stichworten Randnummern eingefügt worden, die die Auffindbarkeit erleichtern. Durch noch einmal verbesserte Gliederungen in den Überschriften haben wir in der 34. Auflage versucht, die Lesbarkeit am Bildschirm weiter zu optimieren. Zudem enthält die elektronische Ausgabe flächendeckend bei allen Kommentierungen Inhaltsübersichten – in der Printauflage müssen wir aus Platzgründen darauf leider verzichten. Wir haben bereits nach Erscheinen der letzten Auflage auf wichtige Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen in der elektronischen Ausgabe hingewiesen – diesen Aktualitätendienst wollen wir beibehalten.

Peters: Ich danke Ihnen sehr für diese informativen Ausführungen. Online ist der neue Zöller bereits verfügbar, im Print erscheint er am 1.12.2021. Weitere Informationen und eine Leseprobe mit Beispielen für die herausragende Aktualität finden Sie unter otto-schmidt.de/zpo34.