Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Auswirkungen einer Verfahrenstrennung auf die Statthaftigkeit einer Berufung.

Wert des Beschwerdegegenstands nach Verfahrenstrennung
Beschluss vom 4. April 2019 – V ZB 108/18

Mit der Statthaftigkeit einer Berufung nach einer nach Auffassung des Rechtsmittelführers unzulässigen Verfahrenstrennung befasst sich der V. Zivilsenat.

Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft nahm den Beklagten auf Zahlung rückständigen Wohngelds in Höhe von 466,72 Euro in Anspruch. Der Beklagte machte mit zwei nacheinander erhobenen Widerklagen Gegenansprüche geltend. Das AG trennte die Verfahren über die Widerklagen jeweils ab und verurteilte den Beklagten entsprechend dem Klageantrag. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten bleibt erfolglos. Der BGH tritt dem LG darin bei, dass der für eine Berufung erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands von 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht überschritten ist. Anders als das LG lässt er offen, ob das AG die Verfahren über die Widerklagen zu Recht abgetrennt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH kann zwar der Wert des Beschwerdegegenstands aus mehreren Verfahren zu addieren sein, wenn die Vorinstanz diese zu Unrecht getrennt hat. Voraussetzung dafür ist aber, dass alle von der Trennung betroffenen Verfahren in die Rechtsmittelinstanz gelangt sind. Im Streitfall waren die Verfahren über die beiden Widerklagen noch beim AG anhängig. Deshalb ist die Berufung gegen die Entscheidung über die Klageforderung nicht statthaft.

Praxistipp: Ein Berufungskläger, der eine fehlerhafte Verfahrenstrennung rügen will, sollte beantragen, das erste Berufungsverfahren auszusetzen, bis auch die weiteren von der Teilung betroffenen Verfahren in die Berufungsinstanz gelangt sind.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um grundlegende Anforderungen an die Zulässigkeit einer Berufung geht es in dieser Woche.

Festhalten an erstinstanzlich vertretener Rechtsauffassung
Beschluss vom 7. Juni 2018 – I ZB 57/17

Der I. Zivilsenat sieht eine Berufung, die auf die bloße Wiederholung einer in erster Instanz erfolglos vertretenen Rechtsauffassung gestützt wird, als zulässig an.

Das LG hatte eine auf Unterlassung bestimmter Werbemaßnahmen gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin ihre ladungsfähige Anschrift nicht substantiiert dargelegt habe. Mit ihrer Berufung wiederholte die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen, an der in der Klageschrift benannten Adresse könnten auch an solchen Tagen Zustellungen vorgenommen werden, an denen ihr Geschäftsführer nicht anwesend sei, weil die Mitarbeiter eines anderen, an derselben Adresse ansässigen Unternehmens entsprechend bevollmächtigt seien. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Berufung ist zwar grundsätzlich unzulässig, wenn der Berufungskläger lediglich seinen erstinstanzlichen Tatsachenvortrag wiederholt, ohne sich mit abweichenden Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auseinanderzusetzen. Ist der Berufungskläger in erster Instanz aus rechtlichen Gründen erfolglos geblieben, genügt es aber, wenn er seine bereits in erster Instanz vertretene Rechtsauffassung erneut darlegt. Im Streitfall beruhte die erstinstanzliche Klageabweisung allein auf der rechtlichen Erwägung, die vorgetragene Bevollmächtigung reiche zur Begründung einer ladungsfähigen Anschrift nicht aus. Deshalb durfte die Klägerin ihre Berufungsbegründung auf die Wiederholung ihrer abweichenden Rechtsauffassung beschränken.

Praxistipp: Ungeachtet der relativ großzügigen Mindestanforderungen sollte sich der Berufungskläger in seiner Rechtsmittelbegründung vorsorglich auch mit der rechtlichen Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts auseinandersetzen.

Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands
Beschluss vom 21. Juni 2018 – V ZB 254/17

Der V. Zivilsenat bekräftigt die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die fristgerechte Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands nicht zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Berufung gehört.

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte beschlossen, die Außenfassade des bisher in grün gehaltenen Gebäudes grau anstreichen zu lassen. Die Anfechtung dieses Beschlusses blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Ein Berufungskläger muss zwar gemäß § 511 Abs. 3 ZPO darlegen und glaubhaft machen, dass der Wert des Beschwerdegegenstands die für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels maßgebliche Wertgrenze (600 Euro, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt. Anders als bei einer Nichtzulassungsbeschwerde führt ein Verstoß gegen diese Obliegenheit aber nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Vielmehr muss das Berufungsgericht den Wert auch ohne Glaubhaftmachung auf Grund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen schätzen. Im Streitfall sah sich der BGH außer Stande, die Schätzung selbst vorzunehmen. Auch wenn es nur um die Farbe geht, kann zwar der auf den Kläger entfallenden Anteil an den Kosten des Neuanstrichs als Anhaltspunkt genommen werden. Aus dem für die Rechtsbeschwerdeinstanz relevanten Tatsachenvorbringen ließ sich aber nicht entnehmen, wie hoch die maßgeblichen Gesamtkosten sind.

Praxistipp: Um eine ihm ungünstige Schätzung zu vermeiden, sollte der Berufungskläger stets bestrebt sein, die Überschreitung der Wertgrenze eingehend vortragen und glaubhaft machen.