Das BVerfG (Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23) hatte über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BFH zu entscheiden. Zugrunde lag eine Videoverhandlung eines FG. Im Sitzungssaal war eine Kamera eingesetzt, die lediglich die gesamte Richterbank abbildete. Die Beschwerdeführer sahen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, da sie nicht die Möglichkeit hatten, durch Zoomen die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick in deren Gesicht zu prüfen.
Der BFH selbst hat bekanntlich schon mehrere Entscheidungen zu Videoverhandlungen getroffen. U. a. wurde entschieden (Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22, MDR 2023, 1131 = MDR 2023, 1366 [Greger]), dass die fehlende Möglichkeit der beständigen Überprüfung des Aussehens der Richter eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darstellen kann.
Diese Sichtweise weist das BVerfG allerdings klar zurück, so dass die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat. Diese zunächst begrüßenswerte Entscheidung wird aber gleich wieder dahingehend relativiert, dass das BVerfG den Hinweis gibt, unter Umständen käme ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren in Betracht. Im konkreten Fall war jedoch die Verletzung dieses Grundrechts gar nicht gerügt worden. Außerdem würde eine solche Rüge voraussetzen, dass im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt wird, wie die Ausstattung, die Übertragungsqualität usw. beschaffen waren. Schließlich sieht das BVerfG den Grundsatz der Subsidiarität nicht als gewahrt an, weil die Beschwerdeführer im Laufe der mündlichen Verhandlung insoweit nichts geltend gemacht haben.
Wenn man diese Ausführungen zur Kenntnis nimmt und diesen Weg weiterdenkt, so wird man fast sicher annehmen können, dass es der höchstrichterlichen sowie der Rechtsprechung des BVerfG gelingen wird, die Anforderungen an eine nicht mehr zu beanstandende Videoverhandlung so auszubauen, dass sie letztlich praktisch nicht mehr durchzuführen sein wird, da die entsprechende Technik nirgendwo vorhanden und auch praktisch gar nicht mehr beherrschbar sein wird.
Es wird sich damit hoffentlich nicht so entwickeln, wie bei dem verspäteten Vorbringen: Der Gesetzgeber hatte die Regelungen seinerzeit eingeführt, um den Zivilprozess zu beschleunigen. BGH und BVerfG haben diese Regelungen durch ihre restriktive Rechtsprechung in der Folgezeit jedoch so weit eingeschränkt, dass heute niemand mehr von einer Zurückweisung wegen Verspätung spricht. Auch Entscheidungen dazu werden praktisch nicht mehr getroffen, geschweige denn veröffentlicht.
Fazit: Es bleibt daher abzuwarten, ob auch die Videoverhandlung nunmehr auf diesem kalten Wege praktisch abgeschafft werden wird. Hoffentlich bleibt insoweit wenigstens der Grundsatz der Subsidiarität im Gespräch. Dann müsste man jedenfalls verlangen, dass eventuelle Bedenken bereits während der jeweiligen Verhandlung geltend gemacht werden müssen und nicht erst im Nachhinein erhoben werden können.