Blog powered by Zöller: Videoverhandlung – jetzt auch grenzüberschreitend

Die in § 128a ZPO gebotene Möglichkeit, an einer Verhandlung im Zivilprozess per Videoübertragung teilzunehmen, bietet dann besondere Vorteile, wenn sich eine Prozesspartei im Ausland aufhält und eine Anreise zum Gerichtstermin daher mit einem besonders großen Zeit- und Reiseaufwand verbunden wäre. Doch gerade diese Einsatzmöglichkeit begegnete bisher rechtlichen Bedenken, denn nach verbreiteter Ansicht würde damit die Gerichtshoheit unter Verstoß gegen internationales Recht auf ein fremdes Staatsgebiet erstreckt.

Dank der EU-Verordnung zur Digitalisierung der justiziellen Zusammenarbeit (VO (EU) 2023/2844) sind diese Bedenken jetzt zumindest innerhalb der Union hinfällig, denn sie lässt in Art. 5 der Verordnung die Zuschaltung von Parteien und Parteivertretern zu zivilgerichtlichen Verhandlungen oder Anhörungen ohne Genehmigung des Aufenthaltsstaates zu. Die Verordnung tritt am 1. Mai 2025 in Kraft. Das Bundesjustizministerium hat jedoch gem. Art. 17 Abs. 2 der Verordnung erklärt, dass sie bereits ab 1. Oktober 2024 wirksam ist.

Alles Nähere hierzu sowie ausführliche Kommentierung des kürzlich geänderten § 128a ZPO in der aktuellen Online-Version des ZÖLLER.

Blog powered by Zöller: Der moderne Zivilprozess kommt näher

Deutschland hinkt bei der Digitalisierung des staatlichen Sektors weit hinterher, und für die Justiz gilt dies in besonderem Maße. Sich aus den verkrusteten Strukturen der Reichsjustizgesetze des vorvorigen Jahrhunderts zu lösen, fällt offenbar schwer. Doch jetzt scheint die Rechtspolitik die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und den Zivilprozess für zeitgemäße Verfahrensweisen öffnen zu wollen.

Dass es nicht in jedem Fall erforderlich ist, Parteien, Rechtsanwälte und Beweispersonen zu einer Sitzung im Gerichtssaal zusammenzurufen, sondern dass mit Einsatz elektronischer Übertragungstechnik auch per Video verhandelt werden kann, hat sich in einer Novellierung des § 128a ZPO niedergeschlagen, die nach einem Umweg über den Vermittlungsausschuss soeben das parlamentarische Verfahren durchlaufen hat und am Tag nach der Verkündung im BGBl. in Kraft treten wird. Sie bietet, anders als der ursprüngliche Gesetzesbeschluss, die Grundlage für ein flexibles und praktikables, auf die konkreten Gegebenheiten abgestelltes Verfahrensmanagement des Gerichts und ermöglicht eine vollvirtuelle Verhandlung nur im Rahmen von landesrechtlich zugelassenen Modellversuchen; ein Videostreaming von Gerichtsverhandlungen, wie es der Bundestag zunächst zulassen wollte, ist ausgeschlossen. Die neue Gesetzesfassung ist hier abrufbar und wird in Kürze in der Online-Version des ZÖLLER, auch für alle Bezieher der gedruckten Ausgabe kostenfrei zugänglich, kommentiert.

Einen viel größeren Schritt in die Zukunft unternimmt aber das Bundesministerium der Justiz (BMJ) mit dem soeben veröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit. Mit diesem Gesetz sollen die Länder ermächtigt werden, an bestimmten Amtsgerichten für Zahlungsklagen bis zu 5.000 Euro ein vereinfachtes, digital unterstütztes Verfahren anzubieten. Die Klage kann dort auf einem sicheren Übermittlungsweg, persönlich oder mit anwaltlicher Vertretung, in digitaler Form eingereicht werden. Die Vorschriften über frühen ersten Termin oder schriftliches Vorverfahren gelten dann nicht. Das Gericht entscheidet vielmehr, ob eine mündliche Verhandlung überhaupt geboten ist und führt diese, einschließlich einer etwaigen Beweisaufnahme, im Regelfall mittels Video oder einer anderen Übertragungstechnik durch. Ansonsten wird der Prozess über eine elektronische Kommunikationsplattform abgewickelt, die auch zur Bereitstellung oder gemeinschaftlichen Bearbeitung elektronischer Dokumente durch die Verfahrensbeteiligten und das Gericht genutzt werden kann. Das Gericht soll anordnen können, dass die Parteien ihren Vortrag demjenigen der anderen Partei in digitaler Form gegenüberstellen und dass sie ergänzenden oder erläuternden Vortrag dem jeweiligen Streitstoff zuordnen. Die Verkündung von Urteilen oder Beschlüssen wird durch deren Zustellung ersetzt. Der Erprobungszeitraum ist auf zehn Jahre angesetzt. Es ist aber zu hoffen, dass eine begleitende Evaluierung stattfindet, die es ermöglicht, das Verfahren zu perfektionieren und möglichst bald in den Regelbetrieb zu überführen. Über die weitere Entwicklung wird im ZÖLLER-Blog fortlaufend unterrichtet werden.

Der größte Fortschritt ist aber von der vom BMJ auf Antrag der Justizministerkonferenz eingesetzten Reformkommission zu erwarten, die den Zivilprozess in seiner Gesamtheit mit einem interdisziplinären Ansatz grundlegend neu denken soll. Schon Ende des Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen. Auch hierüber wird selbstverständlich hier berichtet.

BVerfG zur Videoverhandlung

Das BVerfG (Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23) hatte über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BFH zu entscheiden. Zugrunde lag eine Videoverhandlung eines FG. Im Sitzungssaal war eine Kamera eingesetzt, die lediglich die gesamte Richterbank abbildete. Die Beschwerdeführer sahen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, da sie nicht die Möglichkeit hatten, durch Zoomen die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick in deren Gesicht zu prüfen.

Der BFH selbst hat bekanntlich schon mehrere Entscheidungen zu Videoverhandlungen getroffen. U. a. wurde entschieden (Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22, MDR 2023, 1131 = MDR 2023, 1366 [Greger]), dass die fehlende Möglichkeit der beständigen Überprüfung des Aussehens der Richter eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darstellen kann.

Diese Sichtweise weist das BVerfG allerdings klar zurück, so dass die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat. Diese zunächst begrüßenswerte Entscheidung wird aber gleich wieder dahingehend relativiert, dass das BVerfG den Hinweis gibt, unter Umständen käme ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren in Betracht. Im konkreten Fall war jedoch die Verletzung dieses Grundrechts gar nicht gerügt worden. Außerdem würde eine solche Rüge voraussetzen, dass im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt wird, wie die Ausstattung, die Übertragungsqualität usw. beschaffen waren. Schließlich sieht das BVerfG den Grundsatz der Subsidiarität nicht als gewahrt an, weil die Beschwerdeführer im Laufe der mündlichen Verhandlung insoweit nichts geltend gemacht haben.

Wenn man diese Ausführungen zur Kenntnis nimmt und diesen Weg weiterdenkt, so wird man fast sicher annehmen können, dass es der höchstrichterlichen sowie der Rechtsprechung des BVerfG gelingen wird, die Anforderungen an eine nicht mehr zu beanstandende Videoverhandlung so auszubauen, dass sie letztlich praktisch nicht mehr durchzuführen sein wird, da die entsprechende Technik nirgendwo vorhanden und auch praktisch gar nicht mehr beherrschbar sein wird.

Es wird sich damit hoffentlich nicht so entwickeln, wie bei dem verspäteten Vorbringen: Der Gesetzgeber hatte die Regelungen seinerzeit eingeführt, um den Zivilprozess zu beschleunigen. BGH und BVerfG haben diese Regelungen durch ihre restriktive Rechtsprechung in der Folgezeit jedoch so weit eingeschränkt, dass heute niemand mehr von einer Zurückweisung wegen Verspätung spricht. Auch Entscheidungen dazu werden praktisch nicht mehr getroffen, geschweige denn veröffentlicht.

Fazit: Es bleibt daher abzuwarten, ob auch die Videoverhandlung nunmehr auf diesem kalten Wege praktisch abgeschafft werden wird. Hoffentlich bleibt insoweit wenigstens der Grundsatz der Subsidiarität im Gespräch. Dann müsste man jedenfalls verlangen, dass eventuelle Bedenken bereits während der jeweiligen Verhandlung geltend gemacht werden müssen und nicht erst im Nachhinein erhoben werden können.