Überlegungen zur Veröffentlichung von Maria Seehausen (ZKM 5/2019, 164 ff.)

Klaus-Dieter Neander, B.Sc.  Klaus-Dieter Neander, B.Sc.
Zertif. Mediator, Hamburg

Mit großem Interesse habe ich die Zusammenfassung der drei Studien (Seehausen, ZKM 2019, 164 ff., siehe auch Blogbeitrag Seehausen vom 21.10.) gelesen, die belegen, dass Paraphrasieren ein wirksamer Ansatz (nicht nur) in der Mediation darstellt. Grundsätzlich – so werden vermutlich die meisten Medatior_innen – diese Ergebnisse der Untersuchungen bestätigen, ohne dass sie aufwändige Forschung dazu betrieben hätten. Aber in unserer wissenschaftsgläubigen Zeit freuen wir uns natürlich, wenn das, was wir zu wissen glauben, endlich auch „bewiesen“ wird.

Diese Beweise wünschen wir uns auch deshalb, weil namhafte Wissenschaftler_innen z.B. Wirksamkeitsraten unterschiedlicher Psychotherapien bezweifeln und statt dessen konstatieren: „Die unterschiedlichen Richtlinienverfahren weisen im Durchschnitt dieselbe Wirksamkeit auf, die zudem viel geringer ist als offiziell behauptet und ungefähr dem „Drittelgesetz“ folgt, d.h. bei einem Drittel der Patienten zeigt sich eine deutliche längerfristige Wirkung, bei einem weiteren Drittel ist die Wirkung nur mäßig oder nicht dauerhaft, und beim restlichen Drittel ist keine Wirkung feststellebar. (Roth/Ryba 2016: 243).

Wie schön wäre es also, wenn wir mit naturwissenschaftlichen Methoden nachweisen könnten, dass bestimmte Interventionen „tatsächlich“ wirken. Tatsächlich ist dies in den Untersuchungen gelungen und in den Originalpublikationen nachzulesen und so ist Seehausen und ihrem Team in großes Kompliment für diese Untersuchungsserie auszusprechen.

Seehausen et al. verwenden dazu unterschiedliche neurophysiologische Methoden, die in der vorliegenden Zusammenfassung aufgezählt und als „verlässliche Indikatoren“ (Seehausen, ZKM 2019, 164, 165) bezeichnet werden.

Bei aller Begeisterung für die Untersuchungsergebnisse, möchte ich mit einigen kritischen Überlegungen die Diskussion um solche Untersuchungen – auch bei Mediator_innen, Coaches u.ä. Berufsgruppen – anstoßen:

1. Lassen sich Emotionen messen?

Mit den Untersuchungen von Seehausen und Kolleg_innen folgen sie einer gewissen „Neuromythologie“ (Hasler, 2014), die den Eindruck vermittelt, „die Hirnforschung wisse genau Bescheid über die biologischen Vorgänge, die unserem Erleben, Denken und Handeln zugrunde liegen.“ (Hasler, 2014, S. 8) Häufig wird in diesen Konzepten mit den Möglichkeiten, bestimmte Veränderungen am Gehirn (z.B. während einer Rechenaufgabe) mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) sehen zu können und damit Beweise zu liefern, wie das Gehirn im Detail arbeitet. Auch diese Annahme wurde von Fitsch (2014, vgl. auch Harnack, 2015) gründlich widerlegt. Unterstützt wird diese „Neuromythologie“ u.a. durch Neurobiologen, die in umfangreichen Monographien sich mit „Neurobiologischen Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte“ zu erklären suchen, warum sich Menschen ändern und wie genau das „neurobiologisch“ von statten geht (Roth/Ryba 2016).

Neben diesen sehr grundsätzlichen Überlegungen hat die hier vorgelegte Veröffentlichungen einige Schwächen, die erst „ausgemerzt“ werden können, wenn die Originalpublikationen gelesen werden.

 2. Es fehlen Aussagen zur Signifikanz der erhobenen Daten

Auch wenn dieser Artikel lediglich eine Zusammenfassung der sehr aufwändigen Publikationen aus der Zeit von 2012 – 2016 darstellt, wäre ein Hinweis darauf, wie signifikant die Messergebnisse wichtig gewesen, denn ohne diese statistische Größenordnung, sind die gesamten Aussagen dieser Publikation nur schwer zu bewerten.

 3. Es fehlen Aussagen zur Limitation der unterschiedlichen Untersuchungen

 Sowohl die eingesetzten Untersuchungsmethoden (fMRA etc.) als auch der Methodenmix (Einsatz von „Geräten“ und in der Psychologie häufig verwendeter Valenzratings) haben methodische Begrenzungen, die leider nicht gebührend zumindest benannt werden, so dass es notwendig ist, die Originalpublikationen zu studieren, um diese Begrenzungen einordnen zu können.

 4. Welchen Einfluss hat die „Empathiefähigkeit“ der Interviewer_innen?

Seemann (2019, S. 165) formuliert bei der Beschreibung der Studie 3, dass die „Interviewerin angab, sich nicht in die Situation des Probanden hineinversetzen zu können.“ Dieses interessante Detail macht die Bewertung der Ergebnisse nicht einfacher: denn, es stellt sich ja die Frage, wie die Ergebnisse ausgefallen wären, wenn die Interviewerin sich hätte empathisch in die Situation hätte hineinversetzen können. Und: reicht es – vom Untersuchungsdesign her – die Aussage der Interviewerin als Basis für die Ergebnisinterpretation zu nutzen?

Noch einmal: die Originalpublikationen beantworten einen Großteil der aufgeworfenen Fragen zur vorgelegten Veröffentlichung und ich bin überzeugt, dass die Ergebnisse der Untersuchungen einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Wirkmechanismen der Mediation beizutragen vermögen, aber da die meisten Mediator_innen weder Neurowissenschaften, noch Psychologie oder Medizin studiert haben, ist es besonders wichtig, die Daten so aufzuarbeiten, dass auch „Laien“ sicher argumentieren können.

Literatur:

  • Fitsch, H. (2014): … dem Gehirn beim Denken zusehen? Sicht und Sagbarkeiten in der funktionellen Magnetresonanztomographie. Bielefeld: transcript
  • Harack, K. (2015): Die Neurowissenschaften – eine Einführung. Die Mediation 2015: 20 – 23
  • Harnack, K. (2019): Paltering – wie man mit Wahrheiten lügen kann. Die Mediation III/2019: 26 – 27
  • Hasler, V. (2014): Neuromythologie – Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung. Bielefeld: transcript, 4. Auflage
  • Roth, G., Ryba, A. (2016): Coaching, Beratung und Gehirn – Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte. Stuttgart: Klett, 2. Auflage
  • Seehausen, M., Kazzer, P., Bajbouj, M., Prehn, K. (2012): Effects of empathic paraphrasing – extrinsic emotion regulation in social conflict. Frontiers in Psychology 3: 482 (doi: 10.3389/psyg.2012.00482)
  • Seehausen, M., Kazzer, P., Bajbouj, M., Heekeren, H.R., Jacobs, A.M., Klann-Delius, G., Menninghaus, W., Prehn, K. (2016): Effects of empathic social responses on the emotions oft he recipient. Brain and Cognition 103: 50-61 (doi.org/10.1016/j.bandc.2015.11.004)
  • Seehausen, M., Kazzer, P., Bajbouj, M., Heekeren, H.R., Jacobs, A.M., Klann-Delius, G., Menninghaus, W., Prehn, K. (2013): Talking about social conflict in the MRI scanner: neural correlates of being empathized with. NeuroImage 84 (2014): 951 – 961 (dx.doi.org/10.1016/j.neuroimage.2013.09.056)

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