Die Weiterentwicklung der Zivilprozessordnung zu einer Zivilkonfliktlösungsordnung

Dr. Felix Steffek, LL.M. (Cambridge)  Dr. Felix Steffek, LL.M. (Cambridge)
University of Cambridge

Die Reformen und Neuerungen des Rechts der Konfliktlösung in den letzten 10 Jahren spiegeln den gesellschaftlichen und technischen Wandel wider. Das Mediationsgesetz und das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz sind Antworten des Gesetzgebers auf das Verlangen nach einer differenzierten Konfliktbewältigung. Zugang zum Recht (access to justice) bedeutet im 21. Jahrhundert nicht mehr Zugang zum Gericht, sondern Zugang zu einer Vielzahl gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegungsverfahren, die den Konfliktlösungsinteressen der Parteien gerecht werden. Die Online-Streitbeilegungsverordnung auf europäischer Ebene und das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz in Deutschland sind Beispiele für die Digitalisierung der Konfliktlösung. Trotz dieser wichtigen Fortschritte ist die Regelung der Konfliktlösungsverfahren in Deutschland allerdings weiterhin lückenhaft, inkonsistent und zu stark auf das Gerichtsverfahren hin ausgerichtet.

Die Integration der alternativen Konfliktlösung in die Zivilprozessordnung und deren Weiterentwicklung hin zu einer Zivilkonfliktlösungsordnung würden die Streitbeilegung in Deutschland fundamental verbessern. In einem jüngst in der Zeitschrift für Konfliktmanagement erschienenen Beitrag lege ich dar, wie eine Zivilkonfliktlösungsordnung ausgestaltet sein könnte und welche Schritte dafür zu gehen wären (Steffek, ZKM 2021, 142 ff.). Ich nenne außerdem die Gründe dafür, warum eine integrierte Zivilkonfliktlösungsordnung besser geeignet wäre, den Herausforderungen der gesellschaftlichen und technischen Veränderungen gerecht zu werden. Im Kern geht es um die Vorteile einer Kodifizierung in einem formalen Gesetzestext im Gegensatz zur aktuellen zersplitterten Regelung in verschiedenen Gesetzen.

Was wären die Eckpfeiler einer Zivilkonfliktlösungsordnung? Die Zivilkonfliktlösungsordnung – abgekürzt ZKLO – würde die Zivilprozessordnung, das Mediationsgesetz und das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz ersetzen und in sich aufnehmen. Zusätzlich würde die Zivilkonfliktlösungsordnung weitere Verfahren regeln, zum Beispiel die Moderation, das Expertenvotum, die neutrale Konfliktbewertung (Early Neutral Evaluation, Mini-Trial), die Schlichtung, das Schiedsgutachten und die Adjudikation. Geregelt würden aber nicht nur die Verfahren selbst, sondern auch die Beziehungen zwischen den Verfahren. Dabei geht es zum einen um die Auswirkungen eines Verfahrens auf ein anderes (etwa betreffend die Vertraulichkeit oder die Kosten) und zum anderen um den Wechsel von einem Verfahren hin zu einem anderen. Die Regeln der Zwangsvollstreckung blieben in dem neuen Gesetz enthalten, bezögen sich nun aber – soweit angezeigt – auch auf die neu aufgenommenen Konfliktlösungsverfahren.

Um Missverständnissen vorzubeugen sei betont, dass das Plädoyer für eine Zivilkonfliktlösungsordnung kein Aufruf zu einer überbordenden Regulierung der Konfliktlösungsverfahren ist. Vielmehr ist für jede einzelne Regelungsfrage zu prüfen, ob, und falls ja, welche Regelung am besten geeignet wäre. Die Integration aller Konfliktlösungsverfahren in ein Gesetz böte jedoch neue Chancen für bessere Regelungen und Vereinfachungen. Zum Beispiel gäbe es die Möglichkeit, dem neuen Gesetz – ähnlich wie im Bürgerlichen Gesetzbuch – einen Allgemeinen Teil mit verfahrensübergreifenden Grundsätzen voranzustellen. Ein Beispiel für eine Vereinfachung wäre die Errichtung einer zentralen, bundesweiten Eingangsstelle für die Verbraucherschlichtung. Gegenwärtig scheitern viele Verbraucher an den unübersichtlichen Zuständigkeiten der Verbraucherschlichtungsstellen und stellen ihren Antrag bei der falschen Stelle (dazu empirisch Creutzfeldt/Steffek, ZKM 2021, 65 ff.).

Welche Vorteile hätte eine Zivilkonfliktlösungsordnung? In dem oben angesprochenen Beitrag behandle ich die folgenden 10 Vorteile:

  1. Verbesserung der Verfahrenswahl: Ein integriertes Gesetz würde die Parteien bei der Auswahl des richtigen Verfahrens unterstützen, indem es eine umfassende, kohärente und rechtssichere Auswahl ermöglichen würde.
  2. Weiterentwicklung des Vorverfahrens: Die Zivilkonfliktlösungsordnung böte den geeigneten Rahmen zur Etablierung eines Vorverfahrens, das den Konfliktstoff klärt und den Parteien eine selbstbestimmte Konfliktlösung erlaubt.
  3. Verbesserung der Verfahrensdurchführung: Die Kodifizierung aller Verfahren in einem Gesetz würde Regelungsumfeld für eine differenzierte Verfahrensleitung schaffen, die an den individuellen Konfliktlösungsinteressen der Parteien orientiert wäre.
  4. Schließung von Lücken: Ein umfassendes Gesetz würde Lücken im bestehenden System der Konfliktlösungsverfahren aufzeigen und böte einen geeigneten Rahmen zu deren Behebung. Gegenwärtig sind zahlreiche praktisch bedeutsame Verfahren nicht ausreichend geregelt, darunter das Expertenvotum, die neutrale Konfliktbewertung, das Schiedsgutachten, die Adjudikation und die Schlichtung zwischen Unternehmen.
  5. Klärung der Wirkungen zwischen den Verfahren: Die aktuell zersplitterte Regelungsstruktur führt dazu, dass Wirkungen zwischen einzelnen Verfahren im Dunkeln bleiben, etwa betreffend die Vertraulichkeit und die Kosten. Eine umfassende Zivilkonfliktlösungsordnung könnte dies ändern.
  6. Erleichterung von Verfahrenswechseln: Die Regelung aller Verfahren in einem formalen Gesetz könnte den Parteien Wege eröffnen, eine ursprünglich falsche Verfahrenswahl durch den Wechsel in ein anderes Verfahren zu korrigieren. Zurzeit sind solche Verfahrenswechsel häufig nicht geregelt und für die Parteien daher mit Unsicherheiten behaftet.
  7. Verbesserte Durchsetzung von Verfahrensergebnissen: Die Zivilprozessordnung nimmt insbesondere die Durchsetzung von gerichtsbezogenen Verfahrensergebnissen in den Blick. Ein umfassendes und kohärentes System für die Durchsetzung auch außergerichtlicher Verfahrensergebnisse fehlt jedoch. Eine Zivilkonfliktlösungsordnung könnte dies – sofern für spezifische Verfahren angezeigt – ergänzen.
  8. Vereinfachung und Zugangserleichterung: Ein integriertes Verfahrensgesetz könnte den Zugang zu und die Durchführung von Verfahren an vielen Stellen erleichtern, etwa durch die Schaffung der oben genannten zentralen Eingangsstelle für Verbraucherschlichtungen.
  9. Vorteile für den Einsatz von Technologie: Eine Zivilkonfliktlösungsordnung würde die Schaffung von umfassenden und widerspruchsfreien Datenprotokollen und Plattformen erleichtern, die ihrerseits die Datensicherheit, den Datenschutz und vor allem die Qualität der Konfliktlösungsverfahren verbessern würden.
  10. Klärung des Verhältnisses zwischen staatlicher und privater Konfliktlösung: Schließlich böte der Erlass einer Zivilkonfliktlösungsordnung die Gelegenheit zu klären, wer die Kompetenz und die Verantwortung für die Regelsetzung, den Betrieb und die Finanzierung bestimmter Konfliktlösungsstellen hat.

Ähnlich wie bei der großen Reform des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor rund 20 Jahren, bei der zahlreiche Nebengesetze, insbesondere betreffend den Verbraucherschutz, in das Bürgerliche Gesetzbuch integriert wurden, ist die Zeit nun reif für eine grundlegende Reform der Zivilprozessordnung. Sowohl das Mediationsgesetz als auch das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz hatten Zeit heranzureifen und wurden mehrfach evaluiert. Nicht übersehen werden sollte auch der Umstand, dass die hier angesprochenen Regelungsfragen sich in jedem Fall stellen. Im Kontext einer Zivilkonfliktlösungsordnung können sie aber besser gelöst werden. Dabei kann der Gesetzgeber auch auf zahlreiche Vorarbeiten von Wissenschaft, Praxis und internationalen Organisationen zurückgreifen. Ein erster Schritt wäre die Entwicklung von Definitionen und Regelungsprinzipien, die dann in einem zweiten Schritt zur Grundlage detaillierter Regelungen würden. Bei der konkreten Ausgestaltung der Zivilkonfliktlösungsordnung sollte der Ausgangspunkt ihrer Idee stets im Blick behalten werden: die Bereitstellung eines Konfliktlösungssystems, das den Interessen der Parteien gerecht wird.

 

Hinweis der Redaktion: Sie haben die ZKM nicht abonniert? Der Beitrag „Die Zivilkonfliktlösungsordnung (ZKLO)“ von Dr. Felix Steffek, LL.M. steht hier als kostenloses Download zur Verfügung. Oder Sie testen die ZKM im kostenlosen Probeabo!

 

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