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10. GWB-Novelle – Compliance-Defense in Kartellbußgeldverfahren

Dr. Kristin Ullrich  Dr. Kristin Ullrich

Erstmals gesetzliche Anerkennung von Compliance-Defense

Mit der am 19. Januar 2021 in Kraft getretenen GWB-Novelle hat der deutsche Gesetzgeber die Compliance-Defense in kartellrechtlichen Bußgeldverfahren erstmals gesetzlich anerkannt. So sieht § 81 d Abs. 1 Satz 2 GWB ausdrücklich die Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldzumessung vor. Erfasst werden sowohl Compliance-Maßnahmen vor als auch nach Kartellverstößen. Der Gesetzgeber ist damit im parlamentarischen Verfahren jüngsten Stellungnahmen und Veröffentlichungen zum bisherigen Referentenentwurf der GWB-Novelle gefolgt. Im Entwurf war lediglich eine Berücksichtigung des Nachtatverhaltens vorgesehen. Deutschland weicht damit zwar von der bisher weiterhin klar ablehnenden Haltung der Europäischen Kommission ab. Die Novellenregelungen stehen jedoch im Einklang mit den Reformbestrebungen des aktuellen Regierungsentwurfs zum Verbandssanktionengesetz. Dass der deutsche Gesetzgeber nun Wege zur Compliance-Defense öffnet, entspricht dem Zeitgeist. Im August 2019 läutete die Kartellabteilung des US-Justizministeriums (Department of Justice) einen Paradigmenwechsel zur Anerkennung von Compliance-Programmen ein.

Novellenregelungen und Gesetzesbegründung

Nach dem Wortlaut des § 81d Abs. 1 Satz 2 GWB n.F. kommen bei der Bußgeldbemessung als abzuwägende Umstände insbesondere „vorausgegangene Zuwiderhandlungen des Unternehmens sowie vor der Zuwiderhandlung getroffene, angemessene und wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ (Nr. 4) und das „Bemühen des Unternehmens, die Zuwiderhandlung aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen sowie nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen“ (Nr. 5) in Betracht. Nach der Gesetzesbegründung sind Compliance-Maßnahmen angemessen und wirksam, wenn der Inhaber eines Unternehmens alle objektiv erforderlichen Vorkehrungen ergriffen hat, um Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen durch Mitarbeiter wirksam zu verhindern. Dies sei in der Regel anzunehmen, wenn die ergriffenen Maßnahmen zur Aufdeckung und Anzeige der Zuwiderhandlung geführt haben, und weder die Geschäftsleitung noch eine sonstige für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Person selbst an der Zuwiderhandlung beteiligt waren. Die Beurteilung der Angemessenheit getroffener Compliance-Maßnahmen soll nach der Gesetzesbegründung im Einzelfall und in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße, der Kartellgeneigtheit des Unternehmensgegenstandes, der Anzahl der Mitarbeiter, den zu beachtenden Vorschriften sowie dem Risiko ihrer Verletzung getroffen werden.

Praxisfolgen und Ausblick

Sicher ist, Compliance ist dann erfolgreich, wenn sie sich selbst zuvorkommt. Jeder Rechtsverstoß, der durch effektive Compliance-Maßnahmen verhindert wird, verursacht keine Kosten. Aufklärungs-und Beratungskosten fallen nicht an, das Unternehmen sieht sich keinen Schadensersatzansprüchen durch Dritte ausgesetzt, Sanktionen und Bußgelder sind nicht zu erwarten und es entsteht kein Reputationsschaden. Zugleich tragen gelebte Compliance-Programme zu einer werteorientierten Unternehmenskultur bei und schaffen dadurch Mehrwert für das Unternehmen. Gesetzgeber, Behörden und Gerichte haben die Compliance-Funktion in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil des Governance-Systems von Unternehmen ausgebaut. Dabei darf man nicht dem Irrglauben unterliegen, dass hierdurch sämtliche Rechtsverstöße vermieden werden können. Ein Restrisiko verbleibt auch bei der effektivsten Compliance-Arbeit. Dies bei den kommenden Entscheidungen angemessen zu berücksichtigen, wird künftig von erheblicher Bedeutung sein, um der Praxis bei der weiteren Ausgestaltung ihrer Compliance-Systeme die notwendige Rechtssicherheit zu geben.

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