rvRecht – das unbekannte Juwel

rvRecht – noch nie gehört? Schade! Unter dieser Bezeichnung finden Sie eine für familienrechtlich Tätige und insbesondere für den Versorgungsausgleich ergiebige Datenbank der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

Der Fall: Ihre Mandantin F(65) bezieht vorgezogene Rente seit 6/2020 und hat gleichzeitig – anwaltlich beraten – ein versorgungsausgleichsrechtliches Abänderungsverfahren eingeleitet, weil in der 2003 ergangenen Versorgungsausgleichsentscheidung ein betriebliches Anrecht des Ehemannes durch Anwendung der BarwertVO deutlich unterbewertet und der schuldrechtliche Ausgleich nicht vorbehalten wurde. Die neue Auskunft des Versorgungsträgers ergibt einen Ausgleichswert von 30.000 €, der Versorgungsträger optiert auf externe Teilung. F wählt als Zielversorgung sinnvollerweise die DRV. Rechtskraft der Entscheidung wird frühestens 10/2022 eintreten, wenn die F die Regelaltersgrenze überschritten hat.

Es stellt sich die Frage, wie lange kann man die DRV als Zielversorgung der externen Teilung einer betrieblichen oder privaten Versorgung bestimmen (§ 187 Abs. 4 SGB VI)? Der Normwortlaut:

(4) Nach bindender Bewilligung einer Vollrente wegen Alters ist eine Beitragszahlung zur Wiederauffüllung oder Begründung von Rentenanwartschaften nicht zulässig, wenn der Monat abgelaufen ist, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde.

Der Normwortlaut macht nicht ohne weiteres klar, auf welchen Zeitpunkt es versorgungsausgleichsrechtlich ankommt. Wird die Regelaltersgrenze der ausgleichspflichtigen Person in 6/2021 erreicht, ein von der ausgleichsberechtigten Person versorgungsausgleichsrechtliches Abänderungsverfahren ist aber bereits seit 6/2020 anhängig und die Entscheidung ergeht 9/2022 und wird erst einen Monat später rechtskräftig.

Sie haben keinen SGB VI-Kommentar zur Hand? Kein Problem: wählen Sie https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/, da wird „Sie“ geholfen. Die Datenbank enthält neben allen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (nebst erläuternder und mit Beispielen angereicherten Kommentierung) die Verwaltungsvorschriften, einen sozialversicherungsrechtlichen „Findex von A–Z“ und vieles mehr. Dort können Sie dann auch einfach erfahren, dass es im obigen Fall nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft ankommt:

Für die Prüfung der Zulässigkeit der Beitragszahlungen ergeben sich folgende Zeitpunkte:

  • bei einer Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich, die Folgesache im Sinne von 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG ist (Verbundentscheidung), das Ende der Ehezeit,
  • bei einer isolierten Erstentscheidung, beispielsweise bei einer Scheidung im Ausland, der Tag des Eingangs des Antrags auf Durchführung des Versorgungsausgleichs beim Familiengericht,
  • bei einer Abänderungsentscheidung der Tag des Eingangs des Abänderungsantrags beim Familiengericht.

Eine Beitragszahlung im Rahmen der externen Teilung ist stets zulässig, wenn zu dem vorstehend genannten maßgebenden Zeitpunkt (zum Beispiel Ende der Ehezeit) der Monat, in dem die versicherte Person die Regelaltersgrenze erreicht, noch nicht abgelaufen ist. Der Bezug einer bindend bewilligten Altersvollrente vor Ablauf des Monats des Erreichens der Regelaltersgrenze ist dabei unschädlich. Fallen das Ende der Ehezeit und der Ablauf des Monats des Erreichens der Regelaltersgrenze auf denselben Zeitpunkt, ist die Beitragszahlung zulässig.

Hätten Sie es gewusst? Und so hat die Vorstellung dieser exzellenten Datenbank mit diesem Beitrag vielleicht auch etwas zur Fortbildung beigetragen.

Übrigens: Der Fundstelle ist auch zu entnehmen, dass die DRV in ihren Auskünften nach § 5 VersAusglG von sich aus darauf hinweist, wenn die externe Teilung eines Anrechts in die DRV nicht mehr zulässig ist. Danke DRV!

Achtung bei Abtrennung des Versorgungsausgleichs in Versorgungsbezugsfällen

Der Fall: M(63) bezieht als dienstunfähiger Beamter eine Versorgung i.H.v. 3.500 €. F(61) hat einen ehezeitlichen Ausgleichsanspruch i.H.v. 1.200 €. Aus ihrem Anrecht in der DRV hätte M einen Ausgleichsanspruch i.H.v. 500 €.
M ist anwaltlich nicht vertreten. Das Gericht trennt im Einverständnis der Beteiligten den Versorgungsausgleich aus dem Verbund ab. Vier Jahre später beantragt F die Durchführung des Versorgungsausgleichs.
Der Versorgungsträger verlangt von M 48 x 1.200 € = 57.600 € Versorgungsüberzahlung. M stellt daraufhin den Antrag auf Aussetzung der Versorgungskürzung nach § 35 VersAusglG und verlangt die Reduktion der Forderung auf 48 x (1.200 – 500) = 33.600 €.

Der bereits eine Versorgung beziehende vorzeitig pensionierte ausgleichsberechtigte verbeamtete Ehegatte fürchtet die Versorgungskürzung durch den Versorgungsausgleich und empört sich insbesondere darüber, dass er aus der ihm zustehenden Versorgung des anderen Ehegatten – mangels Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen – keine Versorgung beziehen kann. Sowohl Laien, als auch anwaltlich vertretene Beteiligte verfallen daher auf den Gedanken, den Versorgungsausgleich aus dem Verbund abzutrennen und erst darüber entscheiden zu lassen, wenn der andere Ehegatte aus der ihm zustehenden Versorgung Leistungen beziehen kann.

Folge dieses Verhaltens ist, dass die ausgleichspflichtige Person die Versorgung zunächst ungekürzt erhält.

Zweierlei ist dabei jedoch zu beachten:

  1. Wird der Versorgungsausgleich später – bezogen auf das Ehezeitende – durchgeführt, steht dem Versorgungsträger der Beamtenversorgung wegen der dann feststehenden Versorgungsüberzahlungen ein Rückforderungsanspruch gegen den Beamten nach § 52 BeamtVG zu. Die Norm verweist auf die bereicherungsrechtlichen Vorschriften des BGB und lässt die Entreicherungseinrede nicht zu, da die Zuvielzahlung dem Versorgungsbezieher bekannt ist (sonst wäre ja nicht die Abtrennung des Versorgungsausgleichsverfahrens aus dem Verbund beantragt worden).
    Bereicherungsrechtliche Ansprüche unterliegen aber der 3-jährigen Verjährung (§ 197 BGB), die mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. Da der Anspruch erst mit der Entscheidung über den Versorgungsausgleich entsteht, besteht der bereicherungsrechtliche Anspruch des Versorgungsträgers ggf. über viele Jahre rückwirkend.
    Dem „überzahlten“ Versorgungsbeziehers bleibt dann nur die „mitleidsdogmatisch“ erklärbare Billigkeitseinrede (§ 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG) und die Hoffnung auf Einsicht und Zustimmung „der obersten Dienstbehörde“ zum vollständigen oder teilweisen Absehen auf Geltendmachung der Rückforderung.
  1. Vergessen wird leider oft, dass der eine Versorgung beziehende Beamte nach § 35 VersAusglG die Aussetzung seiner Versorgungskürzung in der Höhe beantragen kann und muss, soweit er aus der zu seinen Gunsten auszugleichenden Versorgung keine Leistungen beziehen kann. Dieser Antrag sollte in Versorgungsbezugsfällen zur Vermeidung nicht revisibler Nachteile stets bereits mit Einleitung des Scheidungsverfahrens gestellt werden, da er nicht zurückwirkt (OVG Saarlouis v. 16.3.2022 – 1 A 34/21 FamRB 2022, 217 [Hauß]).

Beraterhinweis § 35 VersAusglG ermöglicht die Aussetzung von Versorgungskürzungen nur bei den öffentlich-rechtlichen Grundversorgungen nach § 32 VersAusglG. Im Regelfall will ein verbeamteter Versorgungsbezieher durch Verzögerung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich in den Genuss der ungekürzten Versorgung kommen. Das ist nachvollzieh-, aber meist nicht realisierbar, weil irgendwann der andere Ehegatte in Versorgungsbezug geht und dann auf Entscheidung des Versorgungsausgleichs dringen wird.

Dem Interesse des Versorgungsbeziehers kann man dadurch Rechnung tragen, dass eine Verrechnungsvereinbarung auf Renten- oder Kapitalwertbasis zwischen der Beamtenversorgung und der gesetzlichen Rente des anderen Ehegatten geschlossen wird. Im langjährigen Vergleich ist die Dynamik beider Versorgungssysteme nahezu identisch,[1] weshalb eine Verrechnung meist unproblematisch ist.

Kommt es zu keiner saldierenden Vereinbarung, ist der Antrag nach § 35 VersAusglG auf Aussetzung der Versorgungskürzung zu stellen. Das sollte bereits im Scheidungsverfahren geschehen und die Mandantschaft dringend darauf hingewiesen werden. Anderenfalls drohen haftungsrechtliche Konsequenzen für die anwaltliche Vertretung.

Die Verschleppung der Versorgungsausgleichsentscheidung und ihre Abtrennung aus dem Verbund birgt die Gefahr, Unterhaltsansprüche des Versorgungsbeziehers gegen den anderen Ehegatten nach der durch den Versorgungsausgleich bedingten Versorgungskürzung zu verlieren. Während nämlich die Rückforderung der Versorgungsüberzahlung rückwirkend auf das Ehezeitende vom Versorgungsträger geltend gemacht wird, können Unterhaltsansprüche für den Überzahlungszeitraum nicht erhoben werden, wenn in dieser Zeit ein unterhaltsrechtlicher Bedarf – wegen der Überzahlung – nicht gegeben war.

[1] Mit leichten Vorteilen z.G. der gesetzlichen RV, weil diese – jedenfall bei einem Rentenbeginn vor 2040 – geringer besteuert wird (§ 22 EStG) und einen Zuschuss in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Krankenversicherungsbeitrags (derzeit 7,3 %) auch für die Privatversicherung der Beamten zahlt (§ 315 SGB VI).

Gefahr aus dem Briefkasten – Beschwerden nur elektronisch oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einlegen!

In einer Entscheidung v. 15.2.2022 hat das OLG Frankfurt (OLG Frankfurt v. 15.2.2022 – 4 UF 8/22) und zwei Tage später das OLG Bamberg (OLG Bamberg v. 17.2.2022 – 2 UF 8/22) die von einer Behörde (im ersten Fall einem Jugendamt, im zweiten Fall der DRV) schriftlich eingelegte Beschwerde gegen einen Beschluss des AG als unzulässig verworfen, weil die Anträge entgegen § 14b Abs. 1 FamFG nicht – so das OLG Frankfurt – oder nicht per ordnungsgemäßem elektronischem Dokument eingereicht worden seien.

Dem Jugendamt half auch nicht, den – im Übrigen gescheiterten – Versuch einer Faxübermittlung nachzuweisen, weil ein Faxausdruck kein elektronisches Dokument sei. Der DRV half nicht einmal die Übermittlung eines elektronischen Dokuments, weil dieses nur die freundlichen Grüße der Beschwerdeführerin, nicht aber den Namen der für den Inhalt verantwortlichen Person am Ende des Schreibens erkennen ließ.

Beraterhinweis

  • Aus den berühmten Gründen „äußerster anwaltlicher Vorsorglichkeit“, sollten alle Schriftsätze in elektronischer Form mit namentlicher Benennung der Autorenschaft am Schluss des Dokuments eingereicht werden. Das namenlose Ende eines einen Antrag enthaltenden elektronischen Dokuments entwertet dieses vollständig.
  • Ein Fax ist kein elektronisches Dokument.
  • Wer es elektronisch nicht mag, kann in FamFG-Sachen den Antrag auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle einreichen. Das gilt aber nicht für Ehe- und Familienstreitsachen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 FamFG) und entgegen dessen Wortlaut nach BGH v. 26.4.2017 – XII ZB 3/16, FamRZ 2017, 1151 = FamRB 2017, 290 auch nicht für Folgesachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (z.B. im Versorgungsausgleich).

Beide Volltexte finden Sie in Ihrem Beratermodul Familienrecht. In einer der nächsten Ausgaben des FamRB erfolgt dann die ausführliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit den seit 1.1.2022 geltenden Formvorschriften.

„Unechte“ interne Teilung und Ziff. 5 der Teilungsordnung der Privatversicherer

Seit 44 Jahren führe ich einen „Kuriositäten-Ordner“. Auf die Idee brachte mich ein Mandant zu Beginn meiner Anwaltslaufbahn, noch als Referendar. Dieser (eine rheinische Frohnatur) gaunerte Briefmarkenfreunden ihre teils wertvollen Sammlungen mit dem Versprechen hoher Verkaufserlöse ab, ohne diese jemals an die Opfer zu leiten. Auf die Beschwerde eines Geschädigten schrieb er ihm: „Bereits bei unserer letzten Zusammenkunft habe ich Ihnen gesagt, dass Sie Illusionen am Leib haben. Aber, wie Apfelbaum (Philadelphia)“ (was, den kennen Sie nicht?) „sagt, ‚we give you facts, no fiction‘.“ Trotz dieses intellektuell anmutenden Einschüchterungsversuchs erstattete der Geschädigte Anzeige, was die Angelegenheit zu uns auf den Tisch brachte.

An diesen Text fühlte ich mich erinnert, als mir eine Kollegin ein Schreiben der ERGO-Versicherung zuleitete, in welchem diese Ziff. 5 der Teilungsordnung, hier einer betrieblichen Altersversorgung, verteidigt. Nach Ziff. 5 der Teilungsordnung wird das Anrecht der ausgleichsberechtigten Person zu den im Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung maßgeblichen Versicherungsbedingungen begründet. Die Rechtsprechung hat dutzendfach diesen „Tarifwechsel“ als unzulässig zurückgewiesen, entsprechende Klauseln in den Teilungsordnungen als „nichtig“ gebrandmarkt und die Teilung „mit der Maßgabe“ vollzogen, „dass auf das zu begründende Anrecht Rechnungszins und Sterbetafeln der auszugleichenden Versorgung“ anzuwenden seien (zuletzt: BGH v. 18.8.2021 – XII ZB 359/19, FamRZ 2021, 1955 = FamRB 2022, 12; OLG Frankfurt v. 22.8.2019 – 4 UF 86/17, FamRZ 2020, 673 = FamRB 2020, 16).

Unangefochten von all diesen Erkenntnissen – mit beharrlicher Erkenntnisaversion – beruft sich die ERGO jedoch auf eine „jüngere“ Entscheidung des BGH v. 19.8.2015 – XII ZB 443/14, FamRZ 2015, 1869 = FamRB 2015, 407, wonach die Wertentwicklung der Zielversorgung nicht identisch, sondern nur „vergleichbar“ zu sein habe und auf den „Grundsatz der Aufwandsneutralität“, wobei „der Aufwand für die Anwartschaft des Ausgleichspflichtigen ex ante zum Zeitpunkt des Versicherungsbeginns zu bewerten“ sei.

Nun, jünger als Entscheidungen aus dem Jahr 2015 ist vielleicht die Entscheidung des BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, FamRZ 2020, 1053 = FamRB 2020, 261, in der das Verfassungsgericht ein grundrechtskonformes Teilungsergebnis nur annimmt, wenn das in der Zielversorgung realisierte Versorgungsvolumen mindestens 90 % des Versorgungsvolumens der Quellversorgung beträgt. Dem hat sich der BGH (mit einigen Varianten) zwischenzeitlich angeschlossen (BGH v. 24.3.2021 – XII ZB 230/16, FamRZ 2021, 1094 = FamRB 2021, 279).

Fühlen wir also der „empörten“ ERGO auf den Zahn:

Dem im Jahr 2009 begründeten Versicherungsvertrag lag ein Garantiezins von 2,25 % zugrunde. Rechtskraft der Entscheidung kann erst 2022 eintreten, dann beträgt der Garantiezins nur mehr 0,25 %. Bei einem ehezeitlichen Versorgungserwerb, den die ERGO mit 16.300 € mitteilt, hätte sie an ihren Versicherungsnehmer bei vertragsgemäßem Auslauf des Vertrages im August 2042 mindestens 25.400 € zu zahlen gehabt. Die durch den Versorgungsausgleich verursachte Teilung der Versorgung führt für den Mann zu einem Auszahlungsbetrag im Jahr 2042 von rd. 12.700 €.

Der drei Jahre jüngeren, dann geschiedenen Ehefrau müsste die ERGO nach ihrer Berechnung im Jahr 2045 nur rd. 8.632 € zu zahlen (8.150 x (1 + 0,25 %)23). Die Gesamtzahlung aus dem 2009 geschlossenen Vertrag beträgt also für die ERGO anstatt der geplanten 25.400 € nur 21.332 €. Einsparung: 4.068 € oder satte 16 % Extragewinn für den Versorgungsträger! Bei diesen Perspektiven wird man sich alsbald darauf einstellen müssen, dass die ERGO in ganzseitigen Werbeanzeigen für die Scheidung ihrer Versicherungsnehmer wirbt und diesen einen Scheidungs-Bonus in Form einer Beteiligung an deren Kosten verspricht.

Die ERGO selbst schreibt: „… die Versicherung ist so kalkuliert, dass das Kapital zum Vertragsablauf ausgezahlt wird. Die bei Vertragsabschluss kalkulierte Verzinsung endet damit am 1. August 2042.“ Damit will die ERGO offensichtlich insinuieren, dass sie, wenn sie 2009 gewusst hätte, dass sie die Hälfte der Versicherungsleistung 3 Jahre später als vertraglich vorgesehen auszuzahlen hätte, ganz andere (schlechtere) Zinskonditionen zugrunde gelegt hätte, nämlich einen Rechnungszins von nur 0,25 %.

Die Annahme, die ERGO hätte bereits im Jahr 2009 für drei Jahre jüngere Versicherte einen um 2 % abgesenkten Rechnungszins verwendet, ist eine unintellektuelle Zumutung. Die Vertragsgeneration 2009 der ERGO hat für alle Versicherten die gleichen Rechnungszinsen angewendet. Das Gegenteil hätte die ERGO darzulegen, weil nur sie über entsprechende Unterlagen verfügt. Sie „droht“ mit einem Sachverständigengutachten. Quatsch. Sie kann ganz einfach ihre Tarife aus dem Jahr 2009 für einen Versicherten des Geburtsjahrgangs 1978 vorlegen. Wenn dieser Tarif einen Rechnungszins von 0,25 % aufweist und die vom Versorgungsträger zur Kalkulation der Leistungen angewendeten Sterbetafeln bereits damals die heute bekannte Tendenz zur Längerlebigkeit punkgenau trafen, mag die Versorgung zu den jetzt konzipierten miserablen Bedingungen begründet werden. Anderenfalls zu den Bedingungen der Quellversorgung. Ich verwette eine Kiste guten Rotweins, dass die ERGO diesen Nachweis nicht führen kann.

Für das von der ERGO beklagte Dilemma einer nicht kostenneutralen Teilung der Versorgung habe ich einen einfachen Lösungsvorschlag: Die ERGO legt das Vertragsende für die ausgleichsberechtigte Ehefrau auf das gleiche Datum wie im Vertrag für den ausgleichspflichtigen Ehemann vorgesehen. Dann ist die Frau 64 Jahre alt und freut sich über 12.700 €, anstatt drei Jahre später nur 8.632 € zu bekommen, und die ERGO kann der Zukunft kopfschmerzfrei entgegensehen. Denn: Auch auf Gewinne, die aus der Anwendung nichtiger Vertragsklauseln erzielt werden, sind Steuern zu zahlen. Dann würde sich die ERGO selbst auch ernst nehmen, statt die Justiz zu veralbern. „Der Aufwand“ schrieb die ERGO, müsse „ex ante zum Zeitpunkt des Versicherungsbeginns“ kalkuliert werden.

Ganz abgesehen davon: Wenn die ERGO auf dem Tarifwechsel besteht, handelt es sich nicht um eine interne, sondern eine externe Teilung. Zwar beim gleichen Versorgungsträger, aber eben nach anderem Tarif (BGH v. 18.8.2021 – XII ZB 359/19, FamRZ 2021, 1955 = FamRB 2022, 12). Dann darf der Versorgungsträger aber auch keine Kosten nach § 13 VersAusglG erheben, die im konkreten Fall aber mit 250 € recht günstig ausfielen.

Und noch zum Schluss – liebe ERGO – „We give you facts – no fiction“.

Beraterhinweis: Ziff. 5 der Teilungsordnung privater Versorgungträger, wonach nach interner Teilung die Versorgung zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auf der Basis der bei Rechtskraft „aktuellen Versicherungsbedingungen“ begründet wird, ist angesichts stetig gesunkener Garantiezinsen eine absolute „Versorgungsvernichtung“. Ohne ausdrückliche Korrektur in der Tenorierung werden die ausgleichsberechtigten Personen um erhebliche Versorgungsansprüche geschädigt. Deshalb muss sowohl bei privaten, aber auch bei betrieblichen Versorgungträgern stets geprüft werden, ob bei interner Teilung auf die „aktuellen“ Vertragsbedingungen oder die der Quellversorgung verwiesen wird. Das zu übersehen, dürfte ein haftungsträchtiger Fehler sein.

Richtigerweise wäre wie folgt zu tenorieren: „Zu Lasten des Anrechts der <ausgleichspflichtigen Person> bei der <Versorgungsträger nebst VersNr.> wird zu Gunsten der <ausgleichsberechtigten Person> bezogen auf den <Ehezeitende> eine Versorgung aus einem Ausgleichswert in Höhe von <… € (Kapital/Rente)> nach Maßgabe der Teilungsordnung <des Versorgungsträgers in der Fassung vom …> mit der Maßgabe begründet, dass abweichend von <…Ziff. 5…> der Teilungsordnung auf das zu begründende Anrecht Rechnungszins und Sterbetafel der auszugleichenden Versorgung anzuwenden sind.


Diese und andere Probleme des Versorgungsausgleichs
möchte ich mit Ihnen zukünftig mittwochs um 11:00 Uhr in Form einer Videokonferenz diskutieren. Anmeldung – nur für Kolleginnen und Kollegen – zu meiner „Kaffeerunde Versorgungsausgleich“ über hauss@anwaelte-du.de.

Da kommt was auf uns zu – zu den familienrechtlichen Implikationen des Sondierungspapiers von SPD, Grünen und FDP

 

Die zukünftigen Koalitionäre haben uns mit dem Sondierungspapier eine familienrechtliche Reformoffensive angekündigt. Unter Ziff. 8. 2. Absatz heißt es:

„Wir wollen unsere Rechtsordnung der gesellschaftlichen Realität anpassen. Dazu werden wir u.a. das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin anpassen und beispielsweise Verantwortungsgemeinschaften bzw. einen Pakt für Zusammenleben möglich machen.“

So schmal und bescheiden die Sätze dahingeschrieben sind, so inhaltsschwer sind sie. Kommt nun nach der Ehe für alle die ‚Ehe light‘?

Die Daten der Statistiker sind eindeutig: Die ehevermeidenden Lebensformen wachsen stetig. Zwar sinken die Scheidungszahlen und die Ehedauer steigt, was aber wohl daran liegen dürfte, dass auch das Heiratsalter stetig steigt und Ehen nicht mehr im hormonell bedingten Verwirrungszustand geschlossen werden. Das institutionelle Eheverständnis des Gesetzes, wonach die Ehe eine auf Lebenszeit ausgerichtete solidarisch Gemeinschaft zweier Menschen darstellt, scheint mehr oder minder überholt. Wenn 1/3 aller Ehen geschieden, Kinder zunehmend nicht in eine bestehende Ehe hineingeboren werden und die eheliche Solidarität über das Unterhaltsrecht weit über das Ende der sie begründenden Ehe hinaus die Lebensverhältnisse des pflichtigen beeinträchtigt und den berechtigten Ehegatte an den ‚ehelichen Lebensverhältnisse‘ teilhaben lässt, obgleich die Ehe nicht mehr besteht, kann man verstehen, dass die Politik und der Gesetzgeber sich nun anschicken, neben die Ehe einen der Lebenswirklichkeit vieler Menschen eher entsprechenden rechtlichen Rahmen für das verantwortungsvolle Zusammenleben zu schaffen.

Die Grünen nannten es in ihrem Wahlprogramm „Pakt für das Zusammnleben“, SPD und FDP „Verantwortungsgemeinschaft“, wobei die SPD dabei ausdrücklich auf den von der französischen Bevölkerung sehr stark akzeptierten PACS (Pacte civil de solidarité) verwies.

Bei so viel programmatischer Harmonie der zukünftigen „Verantwortungsgemeinschaft Regierung“ wird sich etwas ändern. Es ist höchste Zeit, dass die Praktiker des Familienrechts und die Familienrechtswissenschaft sich in die Diskussion um die Verrechtlichung solidarischer Lebensgemeinschaften einmischt. Es besteht Nachholbedarf.

Zu klären ist die Frage, welche und wie weitreichende Verpflichtungen aus einem sochen Pakt für das Zusammenleben resultieren sollen, und welche steuer- und sozialrechtlichen Konsequenzen ein verrechtlichtes, aber nichteheliches Zusammenleben haben soll. Interessant wäre es, einen Rechtsrahmen zur Verfügung zu stellen, dessen einzelne Bausteine von den Partnern angewählt werden können (Opt-In). Dies würde auch die Eigenverantwortlichkeit bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse des Zusammenlebens stärken.

Auch vor dem Versorgungsausgleich muss ein derartiges Institut nicht Halt machen. § 120a SGB VI ermöglicht heute schon das „Privatsplitting“ von Renteneinkünften der Ehegatten. Nichts spricht dagegen, das auch auf „Zusammenlebende“ auszuweiten, wodurch Nachteile eines der Beteiligten, die durch die Rollenverteilung entstehen, ausgeglichen werden könnten. All das in freier – widerrufbarer – Entscheidung der zukünftigen Partner. Und das Beste daran wäre, die Auflösung einer solchen Beziehung könnte durch einseitigen Widerruf oder Erklärung gegenüber dem Standesamt erfolgen, wenn man denn einem solchen Pakt steuerliche oder sozialrechtliche Konsequenzen zuschreiben würde. Der „Pakt“ würde so zur „freien Ehe“ und damit auch zum Pakt unter Freien. Das wäre die Einlösung einiger Programmsätze des Grundgesetzes, das zwar nicht die „freie Ehe“ aber „freie Bürger“ wollte, die eigenverantwortlich ihre Lebensverhältnisse gestalten.

Das Sondierungspapier kommen Sie hier: Ergebnis_Sondierungen

Das Problem mit der Grundrente im Versorgungsausgleich

Die Grundrente bereitet zurzeit in Versorgungsausgleichsverfahren zunehmend Probleme, weil die Deutsche Rentenversicherung derzeit nicht in der Lage ist, Auskünfte über die Höhe eines möglichen ehezeitlichen Grundrentenerwerbs zu erteilen. Der dafür zuständige § 76g SGB VI muss als einer der Höhepunkte sozialrechtlicher Gesetzgebungskunst bezeichnet werden, weshalb er – mit besonderem Hinweis auf seinen Abs. 4 – am Ende dieses Textes aufgeführt ist.

Unstreitig ist ein Ehezeitanteil der Grundrente nach §§ 2, 5 VersAusglG im Versorgungsausgleich zu berücksichtigen. Es ist auch völlig unstreitig, dass Entgeltpunkte und die Zuschläge aufgrund der Grundrente unterschiedlich zu tenorieren sind. Grundrentenzuschläge sind im Tenor gesondert als Grundrentenentgeltpunkte auszuweisen.[1] Ebenso unstreitig ist, dass die Übertragung von Grundrentenentgeltpunkten im Versorgungsausgleich der insoweit ausgleichsberechtigten Person nur nutzen, wenn sie nicht an der Einkommensprüfung scheitert, also selbst bedürftig ist und

In Versorgungsausgleichsverfahren, deren beteiligte Ehegatten noch in rentenfernem Alter sind, ist es ohne weiteres möglich, den Versorgungsausgleich insgesamt vom Verfahren abzutrennen und zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu entscheiden.

Problematisch sind die Fälle, in denen ein oder beide Ehegatten bereits Rentenbezieher sind. Ein monate- oder auch jahrelanges Abwarten auf eine Auskunft der Versorgungsträger, bevor eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich ergeht, würde in diesen Fällen zu Versorgungsverlusten der in der Bilanz ausgleichsberechtigten Person führen und gegebenenfalls Unterhaltsansprüche eines Ehegatten gegen den anderen unnötigerweise erhöhen, weil der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden kann. In diesen Fällen hilft die Möglichkeit der Teilentscheidung über den ehezeitlichen Versorgungserwerb, über den die Versorgungsträger eine vollständige Auskunft erteilt haben und die Abtrennung des Versorgungsausgleichs (§ 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG) aus dem Scheidungsverbund insoweit, als die Versorgungsträger über den ehezeitlichen Grundrentenerwerb keine Auskunft erteilen konnten.[2]

Der Vorteil dieser Lösung besteht darin, dass

  • die Ehe geschieden werden kann,
  • Unterhaltsansprüche reduziert werden und
  • bereicherungsrechtliche Ausgleichsansprüche der Beteiligten weitgehend vermieden werden können, da die Grundrentenzuschläge relativ gering sein werden und die übrigen Versorgungen ausgeglichen sind.

Ob überhaupt ein Grundrentenbezug in Betracht kommt, kann anhand der Versorgungsauskunft der gesetzlichen Rentenversicherung des Rentenbescheids oder bei Kenntnis der Erwerbsbiografie des betreffenden Ehegatten ermittelt werden. Ein Zuschlag an Grundrentenentgeltpunkten setzt mindestens 33 bzw. 35 Jahre Grundrentenzeiten voraus. Grundrentenzeiten sind im Wesentlichen

  • Pflichtbeitragszeiten aufgrund versicherungspflichtiger Beschäftigung, Kindererziehungszeiten oder Pflege,
  • rentenrechtliche Zeiten wegen Bezugs von Leistungen bei Krankheit und Rehabilitation
  • Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung und Pflege und
  • Ersatzzeiten (§ 76g Abs. 2 SGB VI).

Ergibt der Blick in den Versicherungsverlauf, dass unter Berücksichtigung dieser Faktoren nicht mindestens 33 Jahre Grundrentenzeit zusammenkommen, kann man davon ausgehen, dass die im Übrigen sehr komplizierten Voraussetzungen für den Bezug von Grundrente nicht erfüllt werden. In diesen Fällen kann auf der Basis der vorhandenen Auskünfte in der Regel der Versorgungsausgleich fehlerfrei durchgeführt werden. In der klassischen Hausfrauen- oder Hausmannsehe, in der einer der Ehegatten Küche und Kinder und die Versorgung des anderen Ehegatten gemanagt hat ohne selbst über einen längeren Zeitraum berufstätig zu sein, kommt ein Grund Rentenbezug nicht in Betracht. Man müsste schon elf Kinder erzogen haben, um allein aus Kindererziehungszeiten die notwendige Grundrentenzeit anzusammeln. In diesem Fall allerdings käme ein Grundrentenbezug nicht in Betracht, weil die Höchstbegrenzung nach § 76g Abs. 4 SGB VI überschritten wären.

 

76g SGB VI

Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung

(1) Ein Zuschlag an Entgeltpunkten wird ermittelt, wenn mindestens 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorhanden sind und sich aus den Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten ein Durchschnittswert an Entgeltpunkten ergibt, der unter dem nach Absatz 4 maßgebenden Höchstwert liegt.

(2) Grundrentenzeiten sind Kalendermonate mit anrechenbaren Zeiten nach § 51 Absatz 3a Satz 1 Nummer 1 bis 3; § 55 Absatz 2 gilt entsprechend. Grundrentenzeiten sind auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten. Abweichend von Satz 1 sind Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld keine Grundrentenzeiten.

(3) Grundrentenbewertungszeiten sind Kalendermonate mit Zeiten nach Absatz 2, wenn auf diese Zeiten Entgeltpunkte entfallen, die für den Kalendermonat mindestens 0,025 Entgeltpunkte betragen. Berücksichtigt werden für die Grundrentenbewertungszeiten auch Zuschläge an Entgeltpunkten nach den §§ 76e und 76f.

(4) Der Zuschlag an Entgeltpunkten wird ermittelt aus dem Durchschnittswert an Entgeltpunkten aus allen Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten und umfasst zunächst diesen Durchschnittswert. Übersteigt das Zweifache dieses Durchschnittswertes den jeweils maßgeblichen Höchstwert an Entgeltpunkten nach den Sätzen 3 bis 5, wird der Zuschlag aus dem Differenzbetrag zwischen dem jeweiligen Höchstwert und dem Durchschnittswert nach Satz 1 ermittelt. Der Höchstwert beträgt 0,0334 Entgeltpunkte, wenn 33 Jahre mit Grundrentenzeiten vorliegen. Liegen mehr als 33, aber weniger als 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vor, wird der Höchstwert nach Satz 3 je zusätzlichen Kalendermonat mit Grundrentenzeiten um 0,001389 Entgeltpunkte erhöht; das Ergebnis ist auf vier Dezimalstellen zu runden. Liegen mindestens 35 Jahre mit Grundrentenzeiten vor, beträgt der Höchstwert 0,0667 Entgeltpunkte. Zur Berechnung der Höhe des Zuschlags an Entgeltpunkten wird der nach den Sätzen 1 bis 5 ermittelte Entgeltpunktewert mit dem Faktor 0,875 und anschließend mit der Anzahl der Kalendermonate mit Grundrentenbewertungszeiten, höchstens jedoch mit 420 Kalendermonaten, vervielfältigt.

(5) Der Zuschlag an Entgeltpunkten wird den Kalendermonaten mit Grundrentenbewertungszeiten zu gleichen Teilen zugeordnet; dabei werden Kalendermonaten mit Entgeltpunkten (Ost) Zuschläge an Entgeltpunkten (Ost) zugeordnet.

 

[1] § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI; Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609, 1611.

[2] Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609, 1613.

Vom Kopf auf die Füße gestellt! (BGH v. 24.3.2021 – XII ZB 230/16 zu BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18)

Es hat nicht einmal ein Jahr gedauert, bis der BGH Gelegenheit hatte, die Entscheidung des BVerfG vom 26.5.2020 umzusetzen (BVerfG v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, FamRB 2020, 261). Es ist nicht überraschend, dass der BGH in der Frage, wie der grundrechtlich geschützte Halbteilungsgrundsatz im Versorgungsausgleich bei externer Teilung einer Versorgung durchzusetzen ist, der Entscheidung des BVerfG folgt: Eine grundrechtswidrige Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes liegt dann vor, wenn der Versorgungsertrag aus dem Ausgleichswert den Versorgungsertrag aus der Quellversorgung um mehr als 10 % unterschreitet. Ist dies der Fall, hat der Versorgungsträger der Quellversorgung entweder den Ausgleichswert auf ein hinreichendes Niveau zu erhöhen oder die interne Teilung vorzunehmen.

Im Versorgungsausgleich muss daher umgedacht werden. Galt bisher der Grundsatz, dass der Kapitalwert einer Versorgung insbesondere im Fall ihrer externen Teilung genauestens zu prüfen sei, gilt nun – praxisnäher – der Grundsatz, dass die Versorgungsleistung der Zielversorgung die Messlatte für Grundrechtskonformität ist.

Allerdings wird die Entscheidung die Debatte eröffnen, was denn unter dem Begriff derVersorgungsleistung“ zu verstehen ist.

Die reine Höhe der monatlichen Rentenzahlung kann es nicht sein. Eine betriebliche Altersversorgung, deren Ehezeitanteil eine Rente i.H.v. 100 € monatlich im Ehezeitende für einen 50-jährigen Mann beträgt, und die eine 1 %-ige Leistungsdynamik aufweist, bleibt in Ihren Leistungen meilenweit hinter einer Rente der DRV zurück, die ebenfalls im Ehezeitende 100 € Monatsrente aufweisen würde. Während die betriebliche Rente bei Renteneintritt im Alter 67 noch immer lediglich 100 € betrüge, würde sich die in der gesetzlichen Rentenversicherung anzunehmende Dynamik von 2 % zu einem Versorgungsergebnis bei Renteneintritt i.H.v. 140 € errechnen. Diese Rentendifferenz vergrößert sich bis zum Tod der berechtigten Person wegen der unterschiedlichen Dynamik von betrieblicher und gesetzlicher Rentenversicherung. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielte der Versicherte bei einer Rente im Ehezeitende von 100 € Altersrente von insgesamt mehr als 42.000 € bis zum Tod, der betrieblich Versicherte erhielte nicht einmal 30.000 €. Nimmt man Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung hinzu, differiert das Volumen der Versorgungserwartung um fast 50 %.

Leider ist die Berechnung der Leistung einer Versorgung auf der Basis der Summe der zukünftigen Rentenleistungen nicht ganz banal. Für alle, die es genau wissen wollen sei die dazu erforderliche mathematische Formel präsentiert:

Rentenvolumen = {[(1 + Leistungsdynamik in %)Leistungszeit – 1] / Leistungsdynamik in %} x Rente im Renteneintritt x 12

Ein solches „Ungetüm“ einer mathematischen Formel ist praktisch unzumutbar, weshalb im Programm Kapitalwertkontrolle 2021 dieser Rechenarbeit juristengerecht mit wenigen Eingaben transparent erledigt wird. Und bevor allgemeines Wehklagen über unsere obersten Gerichte ausbricht sei darauf hingewiesen, dass die Berechnung der Barwerte von Versorgungen und ihre korrespondierenden Kapitalwerte nicht einfacher war. Der einzige Unterschied war der, dass in der Praxis diese Berechnung leichtsinniger Weise nie kontrolliert, sondern den Versorgungsträgern erleichtert jede Zahl abgenommen wurde.

Damit muss es nun nicht vorbei sein. Spätestens seit Januar 2018 ist die Deutsche Rentenversicherung für alle Fälle der externen Teilung die richtige Zielversorgung. Lediglich bei Rentnerscheidungen oder großen Altersunterschieden zwischen den Ehegatten oder bei einem Rechnungszins von mehr als 3 %, der zur Ermittlung der Kapitalwerte vom Quellversorgungsträger angewandt wurde, wäre eine genaue Prüfung des Versorgungsergebnisses für die ausgleichsberechtigte Person erforderlich.

Zum Glück hat der BGH in seiner Entscheidung in analoger Anwendung von § 220 Abs. 4 FamFG eine Auskunftsverpflichtung des Quellversorgungsträger über die Rentenerwartung der ausgleichsberechtigten Person im System der Quellversorgung etabliert. Das hilft aber bedauerlicherweise bei einem großen Altersunterschied der Ehegatten nicht wirklich weiter. Denn nicht einmal die nominelle Höhe der Summe aller Versorgungsleistungen definiert die Leistungsfähigkeit einer Versorgung, sondern die aus ihr resultierende Kaufkraft. Deshalb ist dieser Korrekturfaktor bei großem Altersunterschied der Ehegatten zusätzlich zu berücksichtigen. 100 € Rente im Ehezeitende haben bei Annahme einer 2 %-igen Geldentwertung pro Jahr zehn Jahre später lediglich noch eine Kaufkraft von 82 €. Damit wäre indessen die vom BVerfG gebilligte maximal 10 %-ige Differenz zwischen einem Versorgungsertrag aus Quell- und Zielversorgung bereits überschritten.

Für die Familienrechtler wird durch die beiden Entscheidungen von BVerfG und BGH nicht alles leichter, aber für alle Betroffenen ist es leichter verständlich geworden. Es ist nämlich haptisch begreifbar, wenn ich die Leistungen einer Versorgung in den zur Auszahlung gelangenden Versorgungsvolumen ausdrücke. Unter einer Rentenleistung bis zum Lebensende von 29.000 € kann ich mir konkret vorstellen, ca. 3.600 Maß Bier trinken zu können. Mit Entgelt- oder Versorgungspunkten, Steigerungszahlen oder Prozentpunkten einer Bemessungsgrundlage kann sich kein Betroffener einen konkreten Konsum vorstellen.

Familienrechtlich wird man nun meist lediglich noch kontrollieren müssen, mit welchem Rechnungszins der Ausgleichswert berechnet worden. Liegt er über 3 %, wird keine bestehende Zielversorgung ein adäquates Versorgungsniveau bieten können. Liegt er darunter, ist die Deutsche Rentenversicherung die richtige Zielversorgung. Diese einfache Gleichung trifft nur in den Rentnerfällen nicht zu.

In jedem Fall hilft aber sowohl bei der Berechnung und Kontrolle der Kapital- und damit der Ausgleichswerte als auch beim Vergleich der aus den verschiedenen Versorgungen resultierenden Versorgungsvolumen das Programm Kapitalwertkontrolle 2021 auf der Homepage des FamRB unter www.famrb.de/muster_formulare.html kostenlos nebst Erläuterungstext herunterladen können.

20 Jahre FamRB!

Mit der Januarausgabe 2021 ist der FamRB in seinen 20. Jahrgang gestartet. Das Konzept war damals neu: kurze und knackige Urteilsbesprechungen und ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Familienrechts, gepaart mit Aufsätzen für Praktiker, ohne dass wissenschaftlicher Tiefgang und Innovationskraft darunter leiden sollten. Das damals Neue hat sich bewährt. Jetzt haben sich alle an dieses Format gewöhnt und einige haben es kopiert.

Der damalige Konzeptwandel war möglich, weil die bis dahin notwendige Dokumentation von Urteilen und Beschlüssen aus dem Familienrecht durch das aufkommende Internet obsolet wurde. Jeder kommt heute an alle Entscheidungen der Gerichte. Bei dieser Ausgangslage konnte auf ellenlange Entscheidungsdokumentation verzichtet werden. Die Einordnung einer Entscheidung in die familienrechtliche Entwicklung und die Darstellung ihrer praktischen Bedeutung wurde möglich und wichtiger.

Beraterzeitschriften betreiben keine elitäre Wissensvermittlung. Sie sind für die Lektüre auf dem Gerichtsflur, in U- und S-Bahn und zum Durchblättern am Mittag geschaffen. Sie haben der Fachanwaltschaft „Waffengleichheit“ mit der Richterschaft verschafft. Sie sind schnell und konkret.

Der Verlag hat dem FamRB zwei Geschwister zur Seite gestellt, den monatlichen Newsletter und den FamRB-Blog, in dem aktuelle Fragen oder Entscheidungen aufgegriffen, vorgestellt und kommentiert werden. Einen Diskurs der Familienrechtler haben sie nicht zu begründen vermocht, obwohl dieser Gang in die Szene der Social Media eigentlich recht zeitgemäß erscheint. Es wäre also an der Zeit, dass Sie sich in die familienrechtliche Diskussion einmischen. Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion, chatten Sie mit uns – entwickeln Sie ein zeitgemäßes, mit der Lebenswirklichkeit der Menschen harmonierendes Familienrecht mit!

Fachzeitschriften operieren immer noch wie antiquierter Frontalunterricht. Dabei bin ich sicher, dass sich alle Autorinnen und Autoren lebhaftere Resonanz der Leser auf ihre Beiträge wünschen. Email, Telefon und Internet machen das möglich. Nur wenn es gelingt, über Fachzeitschriften die Fachdiskussion zu beleben, werden wir auch in weiteren 20 Jahren noch Printmedien haben, bei denen die Lektüre des Inhaltsverzeichnisses der jeweiligen Ausgabe die Neugier weckt, auch mal etwas zu lesen, was man nicht konkret sucht und im Alltagsgeschäft unmittelbar verwerten kann. Online-Medien füllen mit ihrer Information eine Wissenslücke, derer man sich bewusst ist. Print-Medien bilden, weil Sie dem Leser Wissenslücken erst bewusstmachen, die sie im besten Fall auch gleich füllen. Deshalb werden sie auch noch in 20 Jahren ihre Berechtigung und Leser haben. Es bleibt die Aufgabe, wie wir die „alten“ mit den „neuen“ Medien noch besser verzahnen. Aber dazu haben wir ja die nächsten 20 Jahre Zeit. Den Geburtstagsglückwunsch wird dann aber ein anderer Autor schreiben dürfen.

Oh, wie schön ist das Familienrecht

Ich sitze mit Werner Schulz an der Fertigstellung der 7. Auflage unseres Buchs Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung. Man sagt Juristinnen und Juristen ja eine gewisse Fantasielosigkeit nach. Das wäre zu prüfen:

Fall: M verliert bei der Einfahrt in sein Grundstück die Kontrolle über sein einkaufsbeladenes Fahrrad, das den 14 Jahre alten Wagen des mit ihm befreundeten Nachbarn N beschädigt. Da M haftpflichtversichert ist, lässt N ein Schadensgutachten erstellen und bittet M um Regulierung in Höhe von 3.000 €. Die Versicherung verweigert aus vertraglichen Gründen die Regulierung. Weil der Wagen alt, aber gleichwohl voll funktionsfähig ist, lässt N ihn nicht reparieren, macht aber den Schaden gegen seinen Freund M auch nicht weiter geltend. Vier Jahre nach diesem Ereignis trennen sich M und seine Frau FM, die eine intime Beziehung zu FN, der Frau des Nachbarn N begonnen hat. Unmittelbar nach der Scheidung fordert sie M zur Auskunft über sein Endvermögen auf. M gibt dieses mit 100.000 € an und vermindert es um die Schadenersatzforderung von N über 3.000 €. FM protestiert dagegen und vertritt die Ansicht, die Forderung sei verjährt und daher nicht zu passivieren. Auch FN fordert nach der Scheidung von N von diesem Auskunft über sein Vermögen. N gibt dieses mit 50.000 € an und wendet auf den Hinweis der Existenz der Schadensersatzforderung ein, diese sei verjährt und daher mit Null zu bilanzieren.

Dieser ‚kleine‘ Fall führt in die Herzkammer der Forderungsbewertung im Güterrecht und zu deutlich wahrnehmbaren Herzflimmern. Wenn der eine die einredebehaftete Forderung voll passiviert, der andere die gleiche Forderung aber nicht aktivieren kann, wird man nachdenklich und fragt, ob das richtig sein kann.

Ich meine ‚ja‘. Der Marktwert einer mit der Verjährungseinrede behafteten Forderung ist Null. Niemand würde N diese Forderung abkaufen. Die Schuld als Kehrseite der verjährten Forderung besteht aber, solange die Einrede nicht erhoben wird. Im Stichtag war dies nicht der Fall, weshalb es richtig ist die Forderung des N zu passivieren.

Dagegen könnte eingewandt werden, M habe die ‚Obliegenheit‘, die Einrede zu erheben und diese habe – als latente Konsequenz aus der Ehe – bereits vor dem Stichtag bestanden. Das allerdings widerspräche dem im Güterrecht herrschenden strengen Stichtagsprinzip. Ist die die Forderung vernichtende Verjährungseinrede ehezeitlich nicht erhoben worden, besteht die Schuld am Stichtag. Die nachehezeitliche Erhebung der Einrede ist eine nachehezeitliche Leistung. Es kann güterrechtlich keine ‚unsichere Schuld‘, wohl aber ‚unsichere Forderungen‘ geben. Die Schuld steht fest. Der Vermögenswert einer Forderung hängt – im Unterschied zur Schuld – vom Schuldner ab. Man würde ja bei im Stichtag bestehenden Verbindlichkeiten auch nicht die Chance der Restschuldbefreiung durch Insolvenz in die Bewertung der Höhe der zu bilanzierenden Schuld einbeziehen.

Deshalb wäre im obigen Beispiel die Schuld bei M zu passivieren und die Forderung bei N nicht als Vermögenswert einzustellen. Ein ‚sauberes Ergebnis‘, das vielleicht nicht von allen geteilt und von den im Beispiel beteiligten Frauen nicht goutiert werden wird.

Um das Problem noch ein wenig zu toppen: Nachdem die Frauen eine gleichgeschlechtliche Beziehung aufgebaut haben, ziehen die beiden Männer nach. FM verlangt von M Unterhalt. Kann dieser die Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung mit Verweis auf die dem N gegenüber bestehende Schadensersatzpflicht vermindern und zulasten des Unterhaltsanspruchs die Forderung des N in 10 monatlichen Raten zu 300 € tilgen?

Ich meine nein, weil einerseits die Tilgung dieser Verbindlichkeit die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt hat und andererseits M die unterhaltsrechtliche Obliegenheit hat, sich – zur Verbesserung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit – auf Verjährung zu berufen. Außerdem würde es gegen das Verbot der Doppelberücksichtigung sprechen, die Forderung sowohl im Güterrecht, als auch im Unterhalt leistungsmindernd zu berücksichtigen.

Nacheheliche Solidarität wird im Unterhaltsrecht, nicht aber im Güterrecht geschuldet.

Über Widerspruch und Zustimmung zu diesen Thesen würde ich mich freuen. Nutzen Sie zu diesem Zweck die Kommentarfunktion!

Straßburg locuta – causa finita (EuGH v. 17.9.2020 – C-5/18)

Im Elternunterhalt war unklar und streitig, ob der Sozialhilfeträger, der Sozialhilfeleistungen an eine pflegebedürftige Person erbringt, den ausschließlich im Ausland ansässigen Unterhaltspflichtigen auch vor dem Wohnsitzgericht der unterhaltsberechtigten Person im Inland auf Unterhalt in Anspruch nehmen kann oder ob am Wohnsitzgericht der unterhaltspflichtigen Person im Ausland Klage zu erheben sei.

Der EuGH hat diese Frage nun dahin gehend abschließend entschieden, dass auch ein Sozialhilfeträger den auf ihn übergegangenen Unterhaltsanspruch am Wohnsitzgericht der unterhaltsbedürftigen Person geltend machen kann, wenn die unterhaltspflichtige Person im Inland keinen Wohnsitz hat (EuGH v. 17.9.2020 – C-5/18).

Das ist eine schlechte Nachricht für all diejenigen, die hofften, die Sozialhilfeträger würden den Unterhaltsanspruch gegen sie im Ausland nicht geltend machen, weil sie die sprachlichen Hürden, die deutlich höheren Gebühren der Anwälte im Ausland und das Unverständnis der ausländischen Justiz gegenüber dem deutschen Recht scheuten.

Gut ist indessen, dass die Frage nunmehr entschieden ist.