OLG Frankfurt: Übersendung von Schriftsätzen an die Anwaltskammer

In einem Lauterkeitsverfahren vor dem OLG Frankfurt (OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 19.2.2020 – 6 W 19/20, MDR 695) stritten zwei Rechtsanwälte über Unterlassungsansprüche. Der Antragsgegner nahm dies zum Anlass, mehrere Schriftsätze des Antragstellers an die Anwaltskammer zu schicken und auf das seiner Ansicht nach standeswidriges Verhalten des Antragstellers hinzuweisen. Später erteilte der Vorstand der Anwaltskammer dem Antragsteller tatsächlich eine Rüge.

Der Antragsteller beantragte, nunmehr gegen den Antragsgegner eine einstweilige Verfügung, und zwar wie folgt: „Dem Antragsgegner wird bei Meidung gesetzlicher Ordnungsmittel untersagt, personenbezogene Daten des Antragstellers (Name, Privatanschrift, Sachverhalt, rechtliche Ausführungen, Behauptungen etc.) einschließlich Geschäftsgeheimnissen (Abmahnung, Vertragsstrafenforderung, Streitwert, Gebührenbestimmung), die in der Abmahnung des Antragstellers vom … nebst Anlagen (vorgefertigte Unterlassungserklärung und Werbe-E-Mail an das private E-Mail Postfach des Antragstellers) in dem Schriftsatz des Antragstellers vom … ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Antragstellers oder ohne überwiegende berechtigte Interessen des Antragsgegners bzw. seiner Mandantschaft durch Übermittlung offenzulegen, wie geschehen am … und … gegenüber der Rechtsanwaltskammer in …“

Das LG wies diesen Antrag zurück, die sofortige Beschwerde des Antragstellers hatte keinen Erfolg. Weder aus § 3 UWG noch aus Art. 79 DS-GVO noch aus den §§ 823, 1004 Abs. 1 BGB ergibt sich hier ein Unterlassungsanspruch. Es fehlt an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse des Antragstellers, und zwar, weil die Äußerung des Antraggegners gegenüber der Anwaltskammer hier als sogenannte privilegierte Äußerung anzusehen ist. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Unterlassung von Behauptungen, wie z. B. auch ehrverletzenden Äußerungen, wenn diese – ungeachtet ihres Wahrheitsgehaltes – der Rechtsverfolgung in einem Verfahren dienen. In der Bejahung eines Anspruchs läge nämlich eine unzulässige Einengung der Äußerungsfreiheit von Verfahrensbeteiligten. Diese müssen in einem rechtsstaatlichen Verfahren vortragen können, was sie zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung für erforderlich halten. Diese Rechtsprechung gilt auch für verfahrensbezogene Handlungen, wie hier die Übersendung von Schriftsätzen.

Zwar ist grundsätzlich noch eine Interessenabwägung geboten. Das Interesse des Betroffenen überwiegt aber nur dann, wenn es sich um bewusst unwahre oder leichtfertig aufgestellte falsche Behauptungen handelt, die in dem eingeleitete Verfahren gar nicht geklärt werden können. Dies scheidet hier jedoch schon deswegen aus, weil der Antragsteller tatsächlich von der Anwaltskammer gerügt wurde.

Schließlich hält das OLG Frankfurt den Antrag auch für unbegründet. Eine Übermittlung der Daten war jedenfalls nach § 6 Abs. 1 f DS-GVO zulässig. Der Antragsteller unterliegt damit also „in Bausch und Bogen“.

 

BGH: Gehörsverletzung durch unterbliebene Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

Der BGH hat mit Beschl. v. 21.1.2020 – VI ZR 346/18, MDR 2020, 751 über die Gehörsverletzung wegen unterbliebener Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf einen nicht nachgelassenen Schriftsatz nach erst in der mündlichen Berufungsverhandlung erteiltem Hinweis entschieden.

Sachverhalt

Die Entscheidung betrifft nur einen kleinen Ausschnitt eines sehr umfangreichen Prozesses. Der über 80 Jahre alte Kläger bezog von dem Beklagten, einem Apotheker, ein in der Apotheke hergestelltes Medikament. Eine pharmazeutisch-technische Assistentin verwendete bei der Herstellung des Medikamentes Methadon anstatt Meprobamat (bei beiden Arzneimitteln handelt es sich um Betäubungsmittel). Nachdem der Kläger das fehlerhaft hergestellte Medikament eingenommen hatte, fand ihn seine Lebensgefährtin im Koma liegend auf. Der Kläger erlitt letztlich einen schweren Hirnschaden.

Bezüglich des von dem Kläger geltend gemachten Haushaltsführungsschadens hatte das LG der Klage in Höhe von 162.513,64 Euro stattgegeben. Der Beklagte legte Berufung ein. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wies das OLG darauf hin, dass seitens des Klägers weiterer Vortrag dazu erforderlich sei, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er für Pflege und Betreuung sowie – in Abgrenzung dazu – für die Haushaltsführung geltend mache. Entsprechender Vortrag des Klägers erfolgte im Termin nicht mehr. Ein Schriftsatznachlass (§ 139 Abs. 5 ZPO) wurde von dem Kläger nicht beantragt. Das OLG bestimmte einen Verkündungstermin. Der Kläger trug vor diesem Termin schriftsätzlich noch weiter zu den Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin vor. Das OLG wies dann die Klage bezüglich des Haushaltsführungsschadens ab und vertrat die Auffassung, eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sei nicht geboten gewesen.

Die Gründe des BGH

Der BGH nimmt diese Entscheidung nicht hin, sondern hebt das Urteil des OLG insoweit auf und verweist die Sache zurück.

Zentraler Punkt der Entscheidung ist einmal wieder das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Bleibt der Vortrag einer Partei ohne Stütze im Prozessrecht unberücksichtigt, stellt dies eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs dar. Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine erstinstanzlich siegreiche Partei darauf vertrauen darf, sie werde von dem Berufungsgericht einen Hinweis erhalten, wenn es der erstinstanzlichen Entscheidung nicht folgen möchte oder dafür weiteren Vortrag oder einen zusätzlichen Beweisantritt für erforderlich hält. Dabei muss der Hinweis so rechtzeitig erfolgen, dass die Partei noch vor einem Termin reagieren kann. Wird dann ein Hinweis – entgegen § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO (!) – erst im Termin erteilt, muss die betroffene Partei die Gelegenheit haben, darauf zu reagieren. Wenn offensichtlich ist, dass eine Reaktion nicht sofort erfolgen kann, muss der Partei die Gelegenheit gegeben werden, noch vorzutragen, und zwar entweder durch einen Übergang in das schriftliche Verfahren oder eine Vertagung. Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Partei keinen Schriftsatznachlass beantragt. Daraus folgt dann die Pflicht, aufgrund eines noch eingehenden Schriftsatzes gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

Das Verfahren des Berufungsgerichts entsprach nicht diesen Grundsätzen. Der Hinweis erfolgte erst im Termin. Der Kläger hatte sich rechtzeitig geäußert, nämlich durch einen Schriftsatz, der vor dem Verkündungstermin einging. Die Verhandlung hätte vorliegend demgemäß wiedereröffnet werden müssen.

Der Beklagte wollte dem noch entgegenhalten, ein Hinweis wäre nicht erforderlich gewesen, da er bereits in erster Instanz den von dem OLG aufgegriffenen Einwand erhoben habe. Insofern könne es für den Kläger nicht überraschend gewesen sein, dass das OLG so entschieden habe. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass das Berufungsgericht darauf hinweisen muss, wenn es den Vortrag der erstinstanzlich siegreichen Partei für nicht ausreichend hält.

Der Gehörsverstoß ist auch erheblich. Der Kläger hatte in dem erwähnten Schriftsatz weiter erheblich vorgetragen, weswegen nicht ausgeschlossen werden kann, dass das OLG bei Berücksichtigung des Vortrages abweichend entschieden hätte.

Das OLG muss sich also mit dem Haushaltsführungsschaden erneut befassen. Im Übrigen hatte das Rechtsmittel keinen Erfolg. Der BGH verfuhr insoweit nach § 544 Abs. 6 S. 2 Hs. 2.

Folgerungen für die Praxis

Die Entscheidung stellt, wie überhaupt die gesamte Rechtsprechung des BGH, sehr strenge Anforderungen an die Beachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Um Verfahrensfehler zu vermeiden, bleibt den Gerichten nichts anderes übrig als auf Vortrag, der auf verspätete Hinweise noch erfolgt, stets noch zu reagieren. Der BGH nimmt den Parteien die Verantwortung ab, indem sogar auf einen Antrag auf Schriftsatznachlass verzichtet wird.

Hinweis für die Beratungspraxis

Die Gerichte sollten bestrebt sein, erforderliche Hinweise, wie dies das Gesetz auch vorsieht, möglichst früh zu erteilen, jedenfalls vor einem Termin. Das praktische Problem besteht jedoch darin, dass dies wegen der hohen Arbeitsbelastung oftmals nicht möglich ist. Gerade in der zweiten Instanz ist eine sachgerechte Vorbereitung der Akte überwiegend erst kurz vor dem Termin möglich.

Wenn vom Gericht in einem Termin ein Hinweis erfolgt und eine sofortige Reaktion nicht möglich ist, muss der Rechtsanwalt darauf hinwirken, dass er noch eine Möglichkeit zur Reaktion erhält. Entweder durch Vertagung oder durch Übergang in das schriftliche Verfahren oder – wenigstens – durch einen Schriftsatznachlass. Mit dem Schriftsatznachlass sollte vorsorglich auf die geschilderte Rechtsprechung hingewiesen werden, damit der Vortrag auch berücksichtigt wird. Besonders gefährlich wird es natürlich, wenn das Gericht keinen Verkündungstermin bestimmt, sondern eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ankündigt. Dann muss sofort im Termin reagiert werden!

AG Leipzig: Anrechnung von Kosten eines Inkassobüros

In einem Verfahren vor dem AG Leipzig (Beschl. v. 7.1.2020 – 108 C 2014/19) hatte der Kläger  ein Inkassobüro (vgl. § 10 Abs. 1 RDG) mit der außergerichtlichen Beitreibung seiner Forderung gegen den Beklagten beauftragt. Die Bemühungen des Inkassobüros waren nicht erfolgreich. Es fielen jedoch Inkassokosten ungefähr in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr eines Rechtsanwalts an (vgl. auch § 4 EGRDG). Daraufhin klagte ein Rechtsanwalt die Forderung nebst der Inkassokosten ein. Der Kläger gewann den Prozess. Im Kostenfestsetzungsverfahren meldete der Klägervertreter eine 1,3-Geschäftsgebühr zur Festsetzung an.

Der Beklagte widersprach und meinte, es habe eine Anrechnung nach Vorb. 3 IV VV-RVG zu erfolgen. Hätte der Kläger nämlich sogleich einen Rechtsanwalt beauftragt, der vorgerichtlich tätig geworden wäre, wäre anzurechnen gewesen.

Mit diesem Einwand hatte der Beklagte jedoch keinen Erfolg. Die Voraussetzungen einer Anrechnung liegen schon ihrem Wortlaut nach nicht vor. Anzurechnen ist nur dann, wenn derselbe Anwalt außergerichtlich und alsdann gerichtlich tätig geworden ist. Findet hingegen zwischendurch ein Anwaltswechsel statt, kommt eine Anrechnung nicht in Betracht. Dies hat der BGH bereits ausdrücklich entschieden (Beschl. v. 10.12.2009 – VII ZB 41/09, MDR 2010, 293). Die Anrechnungsvorschrift dient nicht dem Schutz des Prozessgegners. Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass außergerichtlich ein Inkassobüro tätig geworden war, zumal dieser Fall noch nicht einmal von dem Wortlaut der Vorschrift überhaupt erfasst wird. Eine fiktive Anrechnung findet eben nicht statt.

Letztlich bedeutet dies: Der Beklagte hat bei der Einschaltung eines Inkassobüros sowohl die Inkassokosten zu erstatten als auch die anwaltliche Geschäftsgebühr in voller Höhe. Eine fiktive Anrechnung kommt nicht in Betracht.

 

 

 

BGH: Verwerfung einer Berufung ohne Berücksichtigung eines angeblichen Fristverlängerungsantrages

Der BGH hatte über folgenden Fall zu entscheiden: Der Beklagte hatte rechtzeitig Berufung eingelegt, jedoch die Frist zur Begründung derselben versäumt. Das OLG wies den Beklagten darauf hin. Der Beklagte beantragte einige Tage später, die Frist zur Begründung der Berufung nachträglich zu verlängern. Mit Beschluss vom selben Tage verwarf das OLG die Berufung. Wiederum einige Tage später trug der Beklagte erstmals vor, er habe bereits vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist deren Verlängerung beantragt. Gegen die Verwerfung wurde Rechtsbeschwerde eingelegt.

Die Rechtsbeschwerde wurde von dem BGH (Beschl. v. 26.2.2020 – XII ZB 402/19)  verworfen, da kein Zulassungsgrund vorliegt. Zunächst weist der BGH darauf hin, dass bei Verwerfungsentscheidungen lediglich Ausführungen zu den die Verwerfung tragenden Umständen erforderlich sind. Weiterhin weist der BGH darauf hin, dass auch vor einer Verwerfung nach § 522 Abs. 1 ZPO rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG zu gewähren ist. Dieser Pflicht war das OLG hier nachgekommen. Der Beklagte hat sich auch geäußert. Er hat jedoch bei seiner Äußerung nicht darauf hingewiesen, dass er bereits vor Ablauf der Begründungsfrist deren Verlängerung beantragt haben will. Das OLG durfte daher davon ausgehen, dass sich der Beklagte erschöpfend geäußert hat. Weiteren Ermittlungen brauchte es nicht anzustellen.

Wenn aber der Rechtsmittelführer trotz eines entsprechenden Hinweises erst nach der Verwerfung der Berufung darlegt, dass er rechtzeitig eine Fristverlängerung beantragt hatte, lässt dies die Rechtmäßigkeit der ergangenen Entscheidung unberührt. Eine nachträgliche Verlängerung der Frist ist nicht möglich. Demgemäß hat das OLG die Berufung zu Recht verworfen.

Damit musste sich der BGH nur noch mit der Frage befassen, ob eventuell eine Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Diese Frage ist jedoch gar nicht Gegenstand des Rechtbeschwerdeverfahrens geworden! Das OLG hat hierzu auch noch keine Entscheidung getroffen. Vorsorglich erwähnt der BGH noch, dass eine – grundsätzlich zulässige – Wiedereinsetzung aufgrund eines rechtzeitig gestellten Antrages auch noch nach der Verwerfung einer Berufung möglich ist. Eine solche Wiedereinsetzung wird jedoch vorliegend daran scheitern, dass die versäumte Prozesshandlung entgegen § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO von dem Beklagten nicht rechtzeitig nachgeholt wurde. Ansonsten gilt: Eine nachträgliche Wiedereinsetzung macht die Verwerfung dann gegenstandslos.

 

 

Die Wiederaufnahme des Sitzungsbetriebes bei Gericht in Corona-Zeiten

Derzeit denken alle an die Zeit „danach“. Aber so schnell wird die Normalität voraussichtlich nicht zurückkehren können. Nun soll aber wenigstens der Sitzungsbetrieb bei den Gerichten teilweise wieder aufgenommen werden. Hierfür werden bei den Gerichten Vorbereitungen getroffen. Was genau geschieht?

Zunächst einmal wird durch entsprechende Hausverfügungen und Instruktionen des Kontrollpersonals an den Eingängen sichergestellt, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt wird bzw. erhalten bleibt. Weiterhin müssen die Sitzungssäle umgestaltet werden. Die Säle müssen so ausgestattet werden, dass der Mindestabstand von 1,5 Metern durchweg gewahrt werden kann. Dies geschieht in aller Regel durch Verschiebung des Mobiliars, Markierungen auf dem Boden und auf den Tischen, mitunter durch das Aufstellen von Trennscheiben. All dies wird teilweise in ständigem Kontakt der Gerichtspräsidenten untereinander und mit den Präsidenten der Oberlandesgerichte (Videokonferenzen) beschlossen und entschieden. Besonders problematisch ist die Einhaltung des Mindestabstandes bei den Kollegialgerichten, zumal dadurch auch eine sonst unproblematisch mögliche kurze Verständigung zwischendurch sehr erschwert wird. Durch die Markierungen sehen die Säle zum Teil etwas seltsam aus.

Ein besonderes Problem stellen die Aufenthalts- und Wartebereiche dar. Diese sind oftmals ohnehin bei der Planung der Gebäude zu kurz gekommen. Nunmehr entsteht das Problem der Wahrung des Mindestabstandes bei den Wartenden und der ausreichenden Belüftung der betroffenen Bereiche. Es wird daher voraussichtlich nichts anderes übrigbleiben, als jedenfalls teilweise Sitzungssäle zu Aufenthaltsräumen umzufunktionieren, zumal die Gänge oftmals sehr schwer zu belüften sind.

Gleichzeitig kann nicht einfach jeder Richter irgendwie Termine bestimmen, weil sonst die Gefahr besteht, dass sich zu viele Personen auf den Fluren aufhalten und der Mindestabstand schon deswegen nicht gewahrt werden kann. Es bedarf daher eines Mindestmaßes an Absprachen und Organisation. All dies wird noch dadurch erschwert, dass einige Mitarbeiter (und auch Richter) immer noch krank sind bzw. als Risikogruppe in das Homeoffice gezwungen sind.

Es gilt daher, eine Fülle von praktischen Schwierigkeiten mit Improvisationsgeschick, Geduld und Erfindungsgeist zu überwinden.

Gleichwohl besteht die Hoffnung, dass demnächst bei den Gerichten wieder ein wenig Normalität einkehren kann. Alle Beteiligten sind dazu aufgerufen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beizutragen, dass keine besonderen Schwierigkeiten auftreten werden. So können beispielsweise die Rechtsanwälte die Mandanten schon vor dem Termin auf die voraussichtliche Situation vorbereiten bzw. hinweisen.

Gleichwohl sollte es gelingen, in wenigen Wochen wieder halbwegs normale Verhältnisse bei den Gerichten herbeizuführen.

OLG Frankfurt: Beschwer der Partei bei Festsetzung eines zu niedrigen Streitwerts

In einem Zivilprozess hatte das LG den Streitwert auf 25.000 EUR festgesetzt. Die Beklagtenvertreter legten ausdrücklich „namens des Beklagten“ gegen den entsprechenden Beschluss Beschwerde ein und beantragten die Festsetzung des Streitwertes auf über 22 Millionen EUR. Das LG half der Beschwerde teilweise ab, indem es den Streitwert auf etwas über 4 Millionen EUR festsetzte. Im Übrigen half das LG der Beschwerde nicht ab, sondern legte die Sache dem OLG zur Entscheidung vor.

Das OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.8.2019 – 8 W 36/19, verwarf die Beschwerde – soweit ihr von dem LG nicht abgeholfen wurde – als unzulässig. Dieses vielleicht auf den ersten Blick überraschende Ergebnis ist bei näheren Hinsehen klar: Die Partei selbst kann durch eine zu niedrige Festsetzung des Streitwertes regelmäßig nicht beschwert sein, denn sie müsste bei einem höheren Streitwert mehr an ihren Rechtsanwalt zahlen, was einen Nachteil darstellt und keinen zu erstrebenden Vorteil. Es gibt von diesem Grundsatz zwar Ausnahmen (z.B., wenn eine Honorarvereinbarung bei einem höheren Streitwert zu einem niedrigeren Gesamthonorar führen könnte), eine solche liegt jedoch hier nicht vor. Die Partei kann auch eine Streitwertbeschwerde nicht dazu nützen, das finanzielle Prozessrisiko der Gegenpartei zu steigern. Ein solches Begehren begründet gerade keine Beschwer.

Nachdem vorliegend die Beschwerde ausdrücklich „namens des Beklagten“ erhoben wurde, und auch weiterhin im Rahmen der Beschwerde erklärt wurde, der Beklagte halte an dem Rechtsmittel ausdrücklich fest, kommt eine Umdeutung oder andere Auslegung des Rechtsmittels nicht in Betracht.

Beschwert ist durch eine zu niedrige Streitwertfestsetzung hingegen der Rechtsanwalt. Deswegen darf er gegen eine zu niedrige Festsetzung des Streitwertes Beschwerde einlegen (§ 32 Abs. 2 RVG).

Zwar ist die Rechtsprechung der Beschwerdegerichte in Zweifelsfällen oftmals durch eine großzügige Auslegung von Rechtsmitteln behilflich (das Rechtsmittel wird im Zweifel so ausgelegt, dass es wirksam ist), darauf sollte man sich allerdings nicht unbedingt verlassen. Der Rechtsanwalt sollte vielmehr vor dem Einlegen einer Streitwertbeschwerde genau überlegen, ob er sie im Namen der von ihm vertretenen Partei oder im eigenen Namen einlegt. Da die Beschwerde nicht so schnell verfristet (§§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG), wird es auch noch häufiger möglich sein, nach Verwerfung einer Beschwerde noch eine weitere, zulässige Beschwerde einzulegen.

 

 

 

Verkündungstermine in Corona-Zeiten

Wegen der Corona-Pandemie ist die Bestimmung von Terminen derzeit mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Daher dürfte es sich empfehlen, vor der Terminsbestimmung mit den Parteivertretern ein telefonisches Einvernehmen herbeizuführen, ob der Termin durchgeführt werden soll. Im Sitzungssaal ist sicherzustellen, dass der Mindestabstand eingehalten werden kann.

Allerdings geht es dabei nicht nur um Verhandlungstermine. Zahlreiche Verkündigungstermine sind ebenfalls bestehen geblieben. Die Situation wirft die Frage auf, ob bei diesen Verkündungsterminen derzeit der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt ist.

Bekanntlich muss eine Urteilsverkündung in Zivilsachen in öffentlicher Sitzung erfolgen (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zahlreiche Gerichtspräsidenten haben jedoch Anordnungen bezüglich des Betretens der Gerichte erlassen, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob eine Verkündung tatsächlich noch öffentlich wäre. Zwar erhalten Personen, die von dem Verkündungstermin Kenntnis haben, an dem Verfahren beteiligt sind und/oder sich erkundigen wollen, regelmäßig Zutritt. Aber dies alleine reicht nicht aus, um die Verkündung tatsächlich zu einer öffentlichen Verkündung zu machen. Notwendig ist dafür vielmehr, dass jedermann jederzeit grundsätzlich Zutritt haben könnte.

Dem Grundsatz der Öffentlichkeit ist große Bedeutung beizumessen. Das BAG hat ein Urteil eines LAG nur deswegen aufgehoben, weil der Grundsatz der Öffentlichkeit bei der Verkündung desselben infolge einer Nachlässigkeit nicht gewahrt wurde (§ 547 Nr. 5 ZPO; BAG, Beschl. v. 22.9.2016, 6 AZN 376/16)! Glücklicherweise gibt es nur absolute Revisionsgründe, jedoch keine absoluten Berufungsgründe. Die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit ist in § 538 Absatz 2 ZPO als Grund für eine notwendige Aufhebung und Zurückverweisung nicht genannt.

Gleichwohl stellt sich die Frage: Wie kann man gegenwärtig sicherstellen, dass eine Verkündung tatsächlich dem Grundsatz der Öffentlichkeit genügt? Folgender Weg könnte das Problem lösen: Direkt am Eingang des Gerichts wird deutlich sichtbar eine Nachricht angebracht, worin vermerkt ist, dass alle Verkündungstermine in einem dort bezeichneten Saal stattfinden. Dieser Saal muss so beschaffen sein, dass durch ein Fenster zur Straße hin verkündet werden kann. Auf der Nachricht muss beschrieben sein, wie man von außen zu dem Saal gelangen kann. Wer also einem Verkündungstermin beiwohnen will, kann sich zur genannten Zeit vor dem Fenster positionieren. Es muss mit der Verkündung einige Minuten gewartet werden, damit eventuelles Publikum den Saal von außen finden kann. Am ursprünglich vorgesehenen Verkündungsort muss ein Hinweis auf den neuen Verkündungsort angebracht worden sein. Auf diesem Wege dürfte der Grundsatz der Öffentlichkeit jedenfalls gewahrt sein.

BVerwG: Erstattungsfähige Reisekosten bei Bahnreisen

Eine interessante Entscheidung hat das BVerwG (Beschl. v. 27.6.2019 – 2 KSt 1.19) zur Frage der Reisekosten bei Bahnfahrten getroffen. Die Entscheidung erging auf eine Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.

Nachdem der Kläger den Prozess letztinstanzlich verloren hatte, beantragte die beklagte Behörde, die Kosten für die Bahnreise eines Behördenvertreters zum Termin der mündlichen Verhandlung vor dem BVerwG zu Lasten des Klägers festzusetzen.

Zwar muss jede Partei die Kosten möglichst niedrig halten, jedoch sind die Kosten für die Teilnahme an einem Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich erstattungsfähig, selbst wenn ein persönliches Erscheinen nicht angeordnet war. Gemäß § 5 Abs. 1 JVEG sind Kosten für Bahnfahrten ohne weiteres erstattungsfähig. Dem Grunde nach bestehen gegen den Anspruch somit keine Bedenken.

Fraglich war hier deswegen vor allem die Höhe. Die Beklagte wollte die Kosten für einen eingekauften „Flexpreis“-Tarif erstattet haben, der Kläger wollte nur den „Super-Sparpreis“ bezahlen. Das BVerwG gibt der Behörde Recht. Insoweit sind aus mehreren Gründen berechtigte Interessen des zum Termin Anreisenden (bzw. der von ihm vertretenen Partei) anzuerkennen. Der Anreisende muss in gewissem Sinne flexibel sein und bleiben. Für den Abreisezeitpunkt ergibt sich dies bereits daraus, dass die Dauer eines Termins nicht immer zuverlässig voraussehbar ist. Aber auch bei der Anreise kann es Probleme geben, die eine frühere oder spätere Anreise erforderlich machen können. Darüber hinaus sind die „Super-Sparpreise“ regelmäßig nicht erstattungsfähig. Wenn also – was durchaus nicht selten vorkommt – der Termin ausfällt bzw. verschoben werden muss, z.B. wegen einer Erkrankung eines Beteiligten, sind die Kosten für die „Super-Sparpreis“-Fahrkarte verloren. Bei einem Flexpreis-Tarif hingegen ist regelmäßig wenigstens eine Erstattung zu einem überwiegenden Teil möglich. Zu einer „Jagd auf Fahrpreis-Schnäppchen“ ist der Anreisende nicht verpflichtet. Eine solche Pflicht zu statuieren, würde zu weit gehen.

Fazit: Reisekosten eines Verfahrensbeteiligten in Gestalt von Fahrkarten der Deutschen Bahn im sog. „Flexpreis“-Tarif sind stets erstattungsfähig. Eine lebensnahe Entscheidung, die Zustimmung verdient und Schule machen sollte.

 

 

 

BGH: Aufklärung von Widersprüchen zwischen Sachverständigengutachten

Die Klägerin lieferte der Beklagten ein Substrat zur Pflanzenaufzucht. Die darin alsdann aufgezogenen Pflanzen wiesen einen Trauermückenbefall auf und konnten deswegen nicht verkauft werden. Die Klägerin verlangte daraufhin von der Beklagten Schadensersatz. Das LG hatte der Klage stattgegeben, das OLG hatte sie abgewiesen und war im Wesentlichen der Auffassung eines von der Beklagten eingeschalteten Privatgutachters gefolgt, die der gerichtlich bestellte Gutachter allerdings überwiegend nicht geteilt hatte.

Der BGH (BGH, Beschl. v. 5.11.2019 – VIII ZR 344/18, MDR 2020, 114) hebt die Entscheidung des OLG auf und verweist – sogar an einen anderen Spruchkörper – zurück. Er wirft dem OLG vor, ohne logische und nachvollziehbare Begründung von den Ausführungen des Privatgutachters ausgegangen zu sein. Auch wenn es sich bei einem Privatgutachten nur um urkundlich belegten Parteivortrag handelt, muss das Gericht Widersprüchen zwischen dem Privatgutachten und dem Gerichtsgutachten nachgehen. Wie dies erfolgt, steht im Ermessen des Gerichts, beispielsweise können die Gutachter in einem Termin gegenübergestellt werden. Unter Umständen muss dann noch gemäß § 412 Abs. 1  ZPO ein weiteres Gutachten eingeholt werden, wenn es nicht gelingt, die Widersprüche aufzuklären. Erst wenn alle Aufklärungsbemühungen erfolglos geblieben sind, dürfen die verbliebenen Diskrepanzen frei gewürdigt werden.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall war zunächst zu beachten, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sich jede Partei ein ihr günstiges Beweisergebnis jedenfalls hilfsweise zu eigen macht. Dies galt hier für verschiedene Umstände, die der Gerichtssachverständige zu Gunsten der Klägerin ermittelt hatte. Eben auf diese verschiedenen Umstände wurde im Rahmen der Entscheidungsgründe vom OLG gar nicht eingegangen, wenngleich der Widerspruch zum Privatgutachten auf der Hand lag.

Damit kann festgehalten werden: Klärt das Gericht entscheidungserhebliche Widersprüche zwischen den Schlussfolgerungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen und denjenigen eines Privatgutachters nicht hinreichend auf, sondern folgt ohne logische und nachvollziehbare Begründung den Ausführungen eines von ihnen – vorliegend denjenigen des Privatgutachters -, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 286 ZPO) und ist damit das rechtliche Gehör (Art 103 Abs. 1 GG) derjenigen Partei, die sich das ihr günstige Beweisergebnis – vorliegend in Form eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens – zu eigen gemacht hat, verletzt.

Fazit: Für die Praxis bedeutet dies, dass das Gericht bei Widersprüchen zwischen verschiedenen Sachverständigengutachten nicht vorsichtig genug sein kann und sich sehr tief in die Materie einarbeiten muss. Keinesfalls darf einem von zwei Gutachten ohne überzeugende Begründung gefolgt werden.

OLG Frankfurt: Kostenhaftung des Antragsgegners im Streitverfahren

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Verfahren „versanden“. Sie kommen irgendwie aus den verschiedensten Gründen (z. B.: Mandant unerreichbar oder verstorben, Anwälte reagieren nicht mehr, Gericht entfaltet keine Tätigkeiten mehr, allseitige Unlust usw.) zum Erliegen. Das Gericht legt die Akte dann gemäß der Aktenordnung nach sechs Monaten weg. Sehr häufig passiert dies im Anschluss an ein Mahnverfahren. Regelmäßig ereignet sich in der Praxis die folgende Konstellation, wie in einem Verfahren vor dem OLG Frankfurt (Beschl. v. 18.7.2019 – 18 W 107/19): Es ergeht ein Mahnbescheid, diesem wird in vollem Umfang widersprochen. Der Streitantrag von Antragsteller war gestellt, der erforderliche weitere Kostenvorschuss wird von diesem jedoch nicht mehr gezahlt.

In einer solchen Konstellation hat der Antragsgegner oftmals ein eigenes Interesse daran, das Verfahren zu Ende zu bringen; und sei es nur, um einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsteller zu erlangen. Da der Antragsteller – wie im Zivilprozess üblich – zu nichts gezwungen werden kann, muss dann der Antragsgegner selbst aktiv werden. Er kann seinerseits einen Streitantrag stellen, dann wird das Verfahren vom Mahngericht an das Streitgericht abgegeben. Gemäß § 12 Abs. 3 Satz 3 GKG darf die Abgabe in diesem Fall allerdings nicht von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses abhängig gemacht werden. Reagiert dann der Antragsteller nicht mehr, kommt es oft letztlich zu einem klageabweisenden Versäumnisurteil gegen den früheren Antragsteller und nunmehrigen Kläger. Meistenteils geben die Kläger aber vorher auf und nehmen die Klage zurück, weil dies viel billiger ist. Es fallen dann nämlich nur 1/3 der Gerichtskosten und keine weiteren Anwaltskosten an, insbesondere keine Termingebühren.

Es ist allerdings zu beachten, dass der Antragsgegner durch den Streitantrag zum Kostenschuldner wird (§ 22 Abs. 1 GKG)! Mahn- und Streitverfahren sind kostenrechtlich zwei Rechtszüge. Hatte der Antragsteller – ohne den Kostenvorschuss gezahlt zu haben – schon den Streitantrag gestellt, so haften beide Parteien als Gesamtschuldner; eine Enthaftung des Antragsgegners folgt daraus nicht. Dies begründet das OLG Frankfurt ausführlich.

Dieses Kostenrisiko muss bei Streitanträgen von Antragsgegnerseite unbedingt beachtet werden. Wenn z. B. – was sich in der Praxis durchaus ereignet (!) – ein Antragsteller ohne zureichende finanzielle Mittel im Mahnverfahren – lediglich aus sachfremden Motiven heraus – einen Mahnbescheid über eine sehr hohe, angebliche Forderung beantragt, so sollte man als Antragsgegner von einem eigenen Streitantrag Abstand nehmen, sonst erreicht der Antragsteller genau das, was er eigentlich will: Die Belastung des Antragsgegners mit Kosten. Auf dieses Risiko muss der Rechtsanwalt, der den Antragsgegner vertritt, diesen unbedingt hinweisen, sonst könnte er sich schadensersatzpflichtig machen!

Das OLG Frankfurt wurde im Erinnerungsverfahren mit dieser Sache befasst. Es hat bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dass  dieses Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren kosten- und kostenerstattungsfrei ist (§ 66 Abs. 8 GKG).