BGH: Aussetzung eines Rechtsstreites bis zur Zustellung einer Streitverkündung

Der BGH (Urt. v. 22.3.2018 – I ZR 76/17) hatte über eine Klage aufgrund von Geschmacksmusterverletzungen wegen Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz zu entscheiden. Die Beklagte verkündete im Laufe des Prozesses einer Firma mit Sitz in der Volksrepublik China und einer weiteren Firma mit Sitz in Taiwan (Republik China) den Streit. Die Zustellung in Taiwan scheiterte, ein Zustellungsnachweis bezüglich der versuchten Zustellung in der Volksrepublik China ist bisher noch nicht zu der Verfahrensakte gelangt. Die Beklagte verlor den Prozess in den Tatsacheninstanzen.

Die Beklagte hatte allerdings beantragt, das Verfahren bis zur Zustellung der Streitverkündungen auszusetzen. Diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Der BGH billigt dies. Ein Fall des § 148 ZPO liegt hier nicht vor. Eine Aussetzung ist nur im Hinblick auf einen Prozess oder ein Verfahren möglich, das von dem Ausgangsverfahren verschieden ist. Bei einer Streitverkündung handelt es sich aber nicht um eine anderes Verfahren, sondern um einen innerprozessualen Vorgang im Ausgangsrechtsstreit.

Es könnte daher lediglich erwogen werden, § 148 ZPO analog anzuwenden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass eine Aussetzung zu einem Verfahrensstillstand führt und damit effektiver Rechtsschutz während der Zeit der Aussetzung nicht erfolgen kann. Die Regelung des § 148 ZPO ist daher aufgrund dieser Umstände als abschließend zu verstehen. Soweit vereinzelt in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eine Aussetzung im Hinblick auf eine Streitverkündung für zulässig erachtet worden war, betraf dies Aussetzungen im Hinblick auf Streitverkündungen in anderen Verfahren.

Somit steht fest: Ein Rechtsstreit kann nicht gemäß § 148 ZPO bis zur Zustellung einer Streitverkündung ausgesetzt werden, auch nicht in analoger Anwendung dieser Vorschrift. Trifft das Gericht mithin eine Entscheidung, obwohl die Streitverkündung noch nicht zugestellt wurde, werden durch diese Verfahrensweise die Rechte auf ein faires Verfahren, auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

Allerdings wird man sich durchaus die Frage stellen müssen, ob dies auch gilt, wenn eine Zustellung einer Streitverkündung unproblematisch möglich ist (z. B. im Inland) und den Prozess nur geringfügig verzögert. Eine förmliche Aussetzung dürfte dann im Übrigen gar nicht erforderlich sein, weil all dies noch im Rahmen eines „normalen“ Verfahrensablaufes liegt.

BGH zur Unterzeichnung eines Schriftsatzes mit „i. A.“

Der BGH hat sich in einer Entscheidung (Urt. v. 27.2.2018 – XI ZR 452/16) mit der Unterzeichnung eines Schriftsatzes mit dem Zusatz „i. A.“ befasst.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde: Eine Berufung wurde vor Fristablauf eingelegt. Im Briefkopf des Schriftsatzes hieß es: Rechtanwälte T., Ts., M. und Dr. T. Im Rubrum wurden die Parteivertreter als Rechtsanwälte T. Ts. & Partner bezeichnet. Unterzeichnet war die Berufungsschrift allerdings mit S. Darunter war vermerkt: „i. A. S. Rechtanwältin Freie Mitarbeiterin“. Das Gericht leitete die Berufungsschrift weiter, ohne Bedenken geltend zu machen. Nachdem jedoch der Prozessgegner Bedenken geäußert hatte, wurde vorgetragen, S. sei auch von der Partei mit der Einlegung der Berufung beauftragt worden, der Zusatz „i. A.“ kennzeichne nur das Auftragsverhältnis der S zur Kanzlei. Das Berufungsgericht entschied in der Sache, wohingegen der BGH dieses Urteil aufhebt und die Berufung verwirft.

Klar ist, dass das Revisionsgericht, selbst auf die Revision des Berufungsklägers hin (!), ohne Verstoß gegen die „reformatio in peius“ die Berufung noch als unzulässig verwerfen kann. Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet der Zusatz „i. A.“, dass der Unterzeichner nicht die Verantwortung für den Schriftsatz übernehmen, sondern lediglich als Erklärungsbote auftreten möchte. Dabei ist gleichgültig, ob der Zusatz gedruckt oder handgeschrieben ist. Unschädlich ist der Zusatz lediglich dann, wenn der Unterzeichner Mitglied der Sozietät ist, weil er dann ohnehin selbst beauftragt ist. Dies muss sich aber alles aus der Rechtsmittelschrift ergeben, andere Unterlagen können dafür nicht herangezogen werden. Hier ergab sich daraus jedoch lediglich, dass Rechtsanwältin S. gerade nicht Mitglied der Sozietät war.

Ein Wiedereinsetzungsantrag hätte keinen Erfolg: S hätte all dies wissen müssen. Eine Hinweispflicht des Gerichts auf den fraglichen Umstand nach Eingang der Berufung ginge zu weit.

Damit bleibt es dabei: S. war hier nur als Erklärungsbotin anzusehen. Die Berufung war unzulässig und damit auch in der Revisionsinstanz noch zu verwerfen.

Fazit: Man sieht es hier einmal wieder, dass der Zusatz „i. A.“ „tödlich“ sein kann. Dies hat sich offensichtlich noch immer nicht überall herumgesprochen. Ganz sicher geht, wer als Rechtsanwalt diesen Zusatz immer (betone: immer!) vermeidet. Dasselbe gilt für andere Zusätze, mit denen man sich von dem Schriftsatz distanziert, z. B. „auf ausdrückliche Weisung der Partei“ o. ä. Der Rechtanwalt muss nämlich die Verantwortung für seine Schriftsätze übernehmen.

BGH zur Beiziehung eines Dolmetschers von Amts wegen

Im Rahmen einer Darlehensstreitigkeit unter ausländischen Familienangehörigen hatte das OLG einen von der Klägerin benannten Zeugen nicht vernommen, da es sich nur um einen Zeugen vom Hörensagen handelte. Dieser soll bei einem Telefongespräch mitgehört haben, was die Klägerin gesagt habe. Der BGH (Beschl. v. 1.3.2018 – IX ZR 179/17, MDR 2018, 689) weist insoweit zunächst darauf hin, dass auch ein Zeuge vom Hörensagen grundsätzlich ein geeignetes Beweismittel ist, jedenfalls nicht auf seine Vernehmung nur deswegen verzichtet werden kann, weil er (nur) ein solcher Zeuge ist. Ob eine solche Aussage dann ausreichen kann, ist eine nach dessen Vernehmung zu entscheidende Frage der Beweiswürdigung.

Eigentlich ohne besonderen Anlass weist der BGH zudem darauf hin, dass das Berufungsgericht von Amts wegen einen Dolmetscher hinzuzuziehen haben wird, wenn die Klägerin beabsichtigen sollte, sich zu dem Sachverhalt zu äußern. Dies ergäbe sich zwar nach st. Rspr. des BVerfG noch nicht aus Art. 103 Abs. 1 GG, wohl aber aus dem Grundsatz der Gewährung eines fairen Verfahrens. Anderenfalls würde die fremdsprachige Partei zum Objekt des Verfahrens herabgewürdigt.

Dies gelte jedenfalls dann, wenn das Gericht das persönliche Erscheinen der Partei anordnet oder sich diese äußern will. Der BGH legt damit dem OLG unter Aufhebung und Zurückverweisung der ergangenen Entscheidung hier nahe, im „zweiten Aufguss“ nicht nur den Zeugen zu vernehmen, sondern darüber hinaus die Klägerin zu laden, sie persönlich unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers anzuhören und sich dann im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung zu bilden.

In den amtlichen Leitsatz ist hier übrigens nur der zweite Gedanke eingeflossen: Beabsichtigt eine nicht der deutschen Sprache mächtige Partei, in der mündlichen Verhandlung von dem Recht zur persönlichen Anhörung Gebrauch zu machen, hat das Gericht von Amts wegen einen Dolmetscher beizuziehen.

Es wird somit der Art. 6 Abs. 3 lit. e) EMRK letztlich auch auf das Zivilrecht erstreckt. Der BGH lässt allerdings ausdrücklich offen, ob ein Dolmetscher auch dann von Amts wegen beizuziehen ist, wenn eine fremdsprachige Partei ohne zwingende prozessuale Notwendigkeit aus eigenem Entschluss zur Verhandlung kommt.

Damit können die Tatsacheninstanzen, wenn eine Anhörung einer fremdsprachigen Partei geplant ist, guten Gewissens von Amts wegen einen Dolmetscher beiladen ohne einen Vorschuss dafür zu verlangen. Diese Entscheidung dürfte die Kassen der Dolmetscher doch etwas füllen! Am Rande sei noch erwähnt, dass die Rechtsanwälte immer mitteilen sollten, ob für eine Partei oder einen Zeugen ein Dolmetscher (welche Sprache!) erforderlich ist.

Versäumung der Berufungsfrist wegen plötzlicher Erkrankung des Anwalts

Über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist infolge plötzlicher Erkrankung des Anwalts hat der BGH entschieden (Beschl. v. 18.1.2018 – V ZB 114/17, MDR 2018, 548):

Eine Berufungsfrist wurde versäumt und hierzu folgendes vorgetragen: Am Abend des letzten Tages der Frist habe Rechtsanwalt P. geplant, zunächst eine Klageschrift in einer anderen Sache zu verfassen und erst alsdann die Berufungsschrift. Gegen 21.30 Uhr sei er dann aber von einer starken, völlig unvermittelten Übelkeit mit heftigem Erbrechen sowie Durchfall erfasst worden. Einen klaren Gedanken habe er nicht mehr fassen können. Er sei dann mit dem PKW 2,5 km nach Hause gefahren und habe schließlich nach mehreren Erkrankungsschüben in der Nacht am nächsten Morgen einen Arzt gerufen.

Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Es hielt die Angaben des P. zwar grundsätzlich für glaubhaft. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, wieso P. zunächst die Klageschrift und nicht zuerst die Berufung bearbeitet habe und wieso er nach Hause gefahren sei. Wäre er in der Lage gewesen, nach Hause zu fahren, hätte er auch ohne weiteres die eigentlich nur aus einem Satz bestehende Berufungsschrift fertigen können. Die Fahrt nach Hause sei deutlich schwieriger und komplexer gewesen als das Verfassen und Faxen der Berufungsschrift.

Zunächst ist dazu anzumerken, dass jede Frist nach ständiger Rechtsprechung bis zum Ende ausgenutzt werden darf. Von daher ist es völlig unerheblich, dass P. zunächst die Klageschrift bearbeitet hatte und sich erst danach der Berufungsschrift widmen wollte.

Im Übrigen gilt: Ein maßgeblicher Verstoß gegen Denkgesetze kann dann vorliegen, wenn ein Gericht von einem Erfahrungssatz des täglichen Lebens ausgeht, den es so nicht gibt. Hier war das LG offenbar von einem Erfahrungssatz ausgegangen, der in etwa lautet: Wer mit dem Auto 2,5 km nach Hause fahren kann, kann auch eine Berufungsschrift fertigen und faxen. Dies ist aber so nicht haltbar. Vielmehr ist es ohne weiteres denkbar, dass P. die Heimfahrt nur deswegen unfallfrei geschafft hat, weil ihm die Wegstrecke gut bekannt war. Weiterhin ist es vorliegend mehr als wahrscheinlich, dass P. nur noch das Ziel hatte, irgendwie nach Hause zu kommen, wofür auch spricht, dass er nicht einmal die Beleuchtung in der Kanzlei ausgeschaltet und auch nicht die Computer heruntergefahren hatte.

Fazit: Man muss also bei einer gerichtlichen Beweiswürdigung immer prüfen, ob ihr nicht ein Erfahrungssatz zu Grunde liegt, der bei näherer Betrachtung gar nicht haltbar ist. Wenn die Entscheidung darauf gestützt worden ist, kann sie der Aufhebung unterliegen.

BVerfG zur Selbsteinhaltung einer vom Gericht gesetzten Frist

Ein etwas merkwürdiges Geschehen war Gegenstands einer Kammerentscheidung des BVerfG (Beschl. v. 7.2.2018 – 2 BvR 549/17) geworden. Das LG war aufgrund vorgelegter Lichtbilder zu der Überzeugung gelangt, dass die Klage begründet sei. Das OLG beabsichtigte, die von der Beklagten eingelegte Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und setzte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 15.11. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 7.11. ausführlich Stellung genommen hatte, traf das OLG sogleich die angekündigte Entscheidung. Dagegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Hauptsächlich wurde gerügt, das OLG hätte die Frist zum 15.11. abwarten müssen.

Die 2. Kammer des zweiten Senates betont zunächst, dass das OLG hier das rechtliche Gehör der Beklagten tatsächlich verletzt hatte! Das Gericht ist dazu verpflichtet, eine selbst gesetzte Frist dann auch einzuhalten, bevor entschieden wird. Allerdings reicht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs alleine nicht dafür aus, um eine Entscheidung aufzuheben. Hinzukommen muss die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung. Hier hatte die Beklagte aber nicht dargelegt, was sie in der Frist, die ihr noch zur Verfügung gestanden hätte, noch vorgetragen hätte und welche Folgen dies für die Entscheidung hätte haben können. So bleibt die Verfassungsbeschwerde letztlich erfolglos!

Man konnte zunächst den Eindruck gewinnen, das Gericht sei hier in eine bewusst aufgestellte Anwaltsfalle getappt! Dagegen spricht allerdings, dass der Gesichtspunkt der Ursächlichkeit, der eigentlich Allgemeingut ist, später übersehen wurde.

Was unbedingt zum Basiswissen jedes Richters zählen muss: Selbst gesetzte (und natürlich auch gesetzliche!) Fristen müssen vor einer Entscheidung tatsächlich abgelaufen sein, selbst wenn schon Stellung genommen wurde. Besonderer Arbeitseifer in Verbindung mit Erledigungsdruck usw. darf nicht dazu führen, dass zu früh entschieden wird! Dabei empfiehlt es sich regelmäßig, nach Fristablauf noch weitere zwei bis drei Tage zu warten, damit auch auf anderen Faxgeräten eingehende Faxe und auf anderen Postwegen eingehende Schriftstücke, die nicht unverzüglich vorgelegt werden können, noch berücksichtigt werden. Bei einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör kommt es bekanntlich auf ein Verschulden des Gerichts nicht an. Der rechtzeitige Schriftsatzeingang auf irgendeinem zulässigen Weg bei Gericht ist regelmäßig ausreichend.

BGH zur Klageerweiterung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung

In einer etwas merkwürdigen Fallkonstellation hat sich der BGH (Beschl. v. 7.11.2017 – XI ZR 529/17) einmal wieder mit der Frage beschäftigt, ob eine nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich angebrachte Klageerweiterung zulässig ist.

Die Klägerin hatte gegen die Beklagte beim LG zunächst 8.221,15 € geltend gemacht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wurden die Anträge gestellt und der Kläger erhielt einen Schriftsatznachlass auf einen Schriftsatz der Beklagten. In dem fristgemäß eingegangenen Schriftsatz erweiterte die Klägerin die Klage dann auf 60.194,81 € (wahrscheinlich um den Rechtsstreit bis zur Revisionsinstanz führen zu können). Das LG behandelte die Klageerweiterung als unzulässig und wies im Verkündungstermin die Klage ab. Das OLG entschied über die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Klägerin erhob Nichtzulassungsbeschwerde. Noch vor der Begründung derselben legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für die Revisionsinstanz das Mandat nieder und beantragte die Festsetzung des Streitwertes (wahrscheinlich um gegen die Klägerin die Kosten seiner Vertretung festsetzen zu lassen).

Der BGH setzte den Streitwert auf lediglich 8.221,15 € fest. Ein höherer Betrag ist nicht Gegenstand des Nichtzulassungsverfahrens geworden.

Die Klageerweiterung ist in der ersten Instanz nicht rechtshängig geworden, weil Anträge – wie wohl eigentlich von § 296a ZPO nicht erfasst (!) – nach st. Rspr. gleichwohl spätestens am Ende der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen. Der gewährte Schriftsatznachlass änderte daran nichts, da dieser nur für Angriffs- und Verteidigungsmittel maßgeblich ist. Zwar wurde der Schriftsatz zugestellt, diese Zustellung erfolgte jedoch ersichtlich nicht, um die Rechtshängigkeit herbeizuführen, zumal der Schriftsatz mit dem Urteil zugestellt wurde.

In der Berufungsinstanz hat die Klägerin den Antrag zwar wiederholt, was als Klageerweiterung ausgelegt werden kann. Da das Berufungsgericht jedoch eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gefällt hatte, verlor die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Somit konnte nicht mehr als die ursprüngliche Klageforderung in der Revisionsinstanz anfallen.

In der Sache selbst wird der BGH später jedenfalls deswegen nicht mehr entschieden haben, da die Klägerin keine Beschwer von mindestens 20.000 € geltend machen kann und das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen hatte. Am kostengünstigsten dürfte ohnehin die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sein.

Fazit: Eine Klageerweiterung ist nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich, auch wenn zuvor ein Schriftsatznachlass gewährt wurde. Man muss sich also rechtzeitig überlegen, ob man die Klage noch erweitern will. Wenn es ganz „eng“ wird, darf man zur Not keinen Antrag stellen. Da die Klageerweiterung – wie gesehen – nicht rechtshängig geworden ist, könnte die Klägerin natürlich erneut klagen, wenn sie dies für sinnvoll hält.

 

BGH zur Räumungsvollstreckung bei einer Grundstücksbesetzung

Einer Entscheidung des BGH zur Räumungsvollstreckung bei einer Grundstücksbesetzung  (Beschl. v. 13.7.2017 – I ZB 103/16, MDR 2018, 174) lag folgender Sachverhalt zugrunde:

In einer vom LG erlassenen einstweiligen Verfügung wurde „einer Anzahl von 40 männlichen und weiblichen Personen, die sich als „Kulturkollektiv Arno-Nitzsche“ bezeichnen und sich zum Zeitpunkt der Zustellung“ auf einem näher bezeichneten Grundstück dauerhaft aufhalten (Schuldner) u. a. aufgegeben, das bezeichnete Grundstück zu räumen. Der Gerichtsvollzieher weigerte sich zu vollziehen, da die Schuldner – entgegen § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO – nicht hinreichend individualisierbar seien. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel (Erinnerung, sofortige Beschwerde, Rechtsbeschwerde) blieben alle erfolglos.

Die Regelung des § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO spricht ausdrücklich davon, dass der Schuldner namentlich bezeichnet werden muss. Dies war hier nicht der Fall. Auch aus einer Auslegung des Titels selbst – was ausreichend ist – konnten sich die Schuldner nicht mit erforderlichen Eindeutigkeit ergeben. Eine klare Abgrenzung wer zu diesem Kollektiv gehört und wie diese Personen von eventuellen Besuchern o. ä. abzugrenzen wären, ergab sich aus dem Titel nicht.

Auch Billigkeitserwägungen können es nicht rechtfertigen, von einer genauen Bezeichnung des Vollstreckungsschuldners abzusehen. Ein „Titel gegen Unbekannt“ oder „gegen den, den es angeht“ oder einen „lagebezogenen“ Titel kennt das geltende Recht nicht. Die Schaffung eines solchen Titels kann nicht durch die Rechtsprechung erfolgen, sondern ist dem Gesetzgeber vorbehalten.

Allerdings kann es nicht sein, dass der Gläubiger rechtlos gestellt wird. Dem Eigentümer eines besetzten Hauses muss es daher möglich sein, dessen Räumung zu erreichen. Dies sicherzustellen, ist dann aber die Aufgabe des Polizei- und Ordnungsrechtes. Liegt ein strafbarer Hausfriedensbruch vor, muss die zuständige Polizeibehörde auf Antrag auch zur Sicherung privater Rechte aktiv werden. Eine faktische Rechtsverweigerung liegt damit auch nicht vor.

Über die Rechtmäßigkeit des Titels hatte der BGH (Beschl. v. 13.7.2017 – I ZB 103/16, MDR 2018, 174) nicht zu entscheiden. Aus den Ausführungen zur Zwangsvollstreckung folgt aber zwangsläufig, dass die einstweilige Verfügung so nicht hätte ergehen dürfen.

Hinweis: In derartigen Fällen empfiehlt es sich, unter Hinweis auf diese Entscheidung, direkt die Polizeibehörden einzuschalten. In der Praxis wird dies freilich nicht ganz so einfach sein, wie der BGH sich dies vorstellt, da man zu dieser Thematik auch aus öffentlich-rechtlicher Sicht einiges sagen könnte. Aber jedenfalls hat der BGH mit dieser Entscheidung den „schwarzen Peter“ zunächst einmal in das öffentliche Recht verschoben. Man darf gespannt sein, wie sich diese Materie weiter entwickeln wird, wenn die Verwaltungsgerichte erneut damit befasst werden.

BGH zur Weiterleitung von Rechtsmittelschriften

Der BGH (Beschl. v. 19.9.2017 – VI ZB 37/16, MDR 2018, 173) hat sich mit den Pflichten des unzuständigen Gerichts bei Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes beschäftigt:

Der Kläger hatte die Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil des LG anstatt beim OLG beim LG eingelegt. Der Schriftsatz ging am letzten Tag der Frist gegen 13 Uhr ein. Der Schriftsatz wurde von dem LG nicht unmittelbar weitergeleitet. Das OLG lehnte die Wiedereinsetzung ab. Der Kläger versuchte hier, aus der Nichtweiterleitung durch das LG „Honig zu saugen“.

Nach ständiger Rechtsprechung gibt es ja bekanntlich eine Pflicht der Gerichte, fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Wird diese Pflicht vom Gericht verletzt, kann dies dazu führen, dass ein Verschulden der Partei bzw. des Anwalts (§ 85 Abs. 2 ZPO) dann nicht mehr für das Fristversäumnis ursächlich ist, weil diese nicht darauf, sondern auf der gerichtlichen Pflichtverletzung beruht. Dieser Gedanke führte hier aber nicht weiter, da bei einem Eingang um 13 Uhr des letzten Tages der Frist nicht mehr erwartet werden kann, dass bis 24 Uhr desselben Tages eine Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang erfolgen kann.

Der Kläger versuchte nun freilich, eine Verschärfung dieser Pflicht durchzusetzen. Dies machte der BGH nicht mit. Zu Maßnahmen außerhalb des Geschäftsganges besteht gerade keine Verpflichtung. Dem Rechtsmittelführer kann zum einen nicht die Verantwortung für das Rechtsmittel gänzlich abgenommen werden, zum anderen muss hier auch berücksichtigt werden, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit insoweit vor zusätzlichen Belastungen geschützt werden muss.

Interessant war noch der letzte Versuch des Klägers, einen „Rettungsanker“ auszuwerfen: Anstatt den Schriftsatz weiterzuleiten, kann natürlich auch ein Hinweis an die betroffene Partei erfolgen. Ein solcher Hinweis könnte – wenigstens theoretisch – natürlich auch sofort nach Eingang des Schriftsatzes erfolgen. Die Tatsache, dass das Gericht einen Hinweis erteilt darf, bedeutet jedoch gerade nicht, dass es auch verpflichtet ist, einen solchen auch tatsächlich und vor allem unverzüglich zu geben. Eine Hinweispflicht des Gerichts, aus der der Kläger etwas für sich herleiten könnte, bestehe daher nicht.

Damit blieb es bei der Entscheidung des OLG. Wenn an der Klage – es ging immerhin um 150.000 € – etwas dran gewesen sein sollte, muss der Kläger jetzt eben seinen Rechtsanwalt in Regress nehmen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch folgendes: Das OLG hatte noch nicht die Berufung verworfen, sondern lediglich die Wiedereinsetzung abgelehnt. In einem solchen Fall kann jedoch bereits gegen einen solchen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werden (§§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 S. 4, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO)!

 

 

Auswirkungen von Mängeln bei der Urteilsverkündung

Der BGH (Beschl. v. 5.12.2017 – VIII ZR 204/16) hat entschieden, dass Verkündungsmängel (hier: Verkündung im Dienstzimmer des Richters) dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen stehen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde.

Die Berufungskammer des LG hatte einen Verkündungstermin auf 12.00 Uhr bestimmt. Der Beklagte war persönlich erschienen. Die Tür zum Sitzungssaal war verschlossen. Später am Tag erklärte der Vorsitzende dem Beklagten nach mündlicher Mitteilung der Entscheidung, dass die Tür nicht geöffnet worden wäre, da man davon ausgegangen sei, es werde niemand erscheinen. Im vom Vorsitzenden unterzeichneten Verkündungsprotokoll waren er und zwei Beisitzer aufgeführt. Darüber hinaus hieß es, das anliegende Urteil sei in öffentlicher Verhandlung verkündet worden. Das Urteil wurde dann auch zugestellt.

Aus den von dem BGH eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der drei Richter ergab sich: Die Beisitzer waren bei der Verkündung nicht zugegen. Der Vorsitzende erklärte, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Vorgang. Üblicherweise würde die Tür zum Sitzungssaal verschlossen, wenn vor einer Verkündung eine längere Pause liege und dann bei der eigentlichen Verkündung geöffnet.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte gleichwohl keinen Erfolg. Es liegt kein Scheinurteil vor, da tatsächlich ein Urteil verkündet wurde und dieses auch unterschrieben und zugestellt wurde. Verkündungsmängel eines Urteils stehen dem wirksamen Erlass eines solchen nur dann entgegen, wenn es sich um elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse handelt, so dass letztlich von einer Verlautbarung im Rechtssinne gar nicht gesprochen werden kann. Nachdem das Urteil unterschrieben und zugestellt wurde und das Ergebnis auch dem Beklagten persönlich mitgeteilt wurde, bestehen aber keine Zweifel daran, dass die Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt war.

Zwar spricht nach den eingeholten dienstlichen Stellungnahmen alles dafür, dass die Verkündung lediglich im Dienstzimmer des Vorsitzenden in Abwesenheit der Beisitzer erfolgt ist. Auch dies würde das Urteil jedoch nicht zum Scheinurteil machen, sondern wäre lediglich ein letztlich insoweit nicht beachtlicher Verkündungsmangel, zumal das Urteil bei der Verkündung in vollständiger Form vorlag und unterschrieben war. Letzteres wird durch das Protokoll nachgewiesen und ist nicht in Frage gestellt worden.

Der BGH weist allerdings zu Recht darauf hin, dass es sich gleichwohl bei einer derartigen Verfahrensweise um eine richterliche Dienstpflichtverletzung handelte. Den Gerichten steht es in der Tat schlecht an, bei den Förmlichkeiten nachlässig zu sein. Gerade hier müssen die Gerichte mit gutem Beispiel vorangehen.

Auch Verkündungstermine sollten daher stets „sauber“ abgehalten werden. Es muss die Möglichkeit der Teilnahme durch die Parteien und der Öffentlichkeit gegeben sein, eine vollständig abgefasste und unterschriebene Entscheidung sollte unbedingt vorliegen. Das Protokoll muss nur diejenigen wiedergeben, die auch tatsächlich anwesend sind. Bei der Verwendung eines Formulars müssen die richtigen „Kreuzchen“ gesetzt werden. Und schließlich: Bei den Unterschriften der Richter sowohl unter dem Urteil als auch unter dem Protokoll muss es sich um solche handeln, nicht etwa um Kurzzeichen o. ä.

BGH zum zutreffenden Beginn der Verzinsung

Eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, MDR 2017, 1196) mit beträchtlichem Umfang befasst sich eigentlich mit der Wirksamkeit von Bearbeitungsgebühren bei Darlehen an Unternehmer. Auf die Frage des Zinslaufes geht sie nur ganz am Rande ein. Sie zeigt insoweit nicht wirklich etwas ganz Neues auf, weist aber auf einen Fehler hin, der der Praxis sehr häufig unterläuft. Sie betrifft die Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB. Die Gerichte sprechen sehr oft Zinsen ab dem Datum, das die in der Akte vorliegende Zustellungsurkunde als Zustellungsdatum für die Klageschrift oder den Mahnbescheid ausweist, zu. Dies ist jedoch nicht richtig! In entsprechender Anwendung des § 187 BGB beginnt der Zinslauf nicht mit dem Tage der Zustellung der Klage oder des Mahnbescheides, sondern erst mit dem Tag danach. In der Regel wird dies mit der Formel „minima (oder: de minimis) non curat praetor“ (teilweise sinngemäß: Um Kleinigkeiten kümmert sich der Richter nicht.) abgetan. Allerdings kann dieser Umstand, über einen längeren Zeitraum gesehen oder bei sehr hohen Beträgen oder bei vielen zu führenden Prozessen, durchaus einmal eine nicht mehr zu vernachlässigende Bedeutung bekommen. Auf derartige alltägliche Unsicherheiten und Irrtümer sollte an geeigneter Stelle hin und wieder hingewiesen werden!

Denn: Was man unproblematisch richtigmachen kann, sollte man auch tatsächlich so handhaben.