Auswirkungen von Mängeln bei der Urteilsverkündung

Der BGH (Beschl. v. 5.12.2017 – VIII ZR 204/16) hat entschieden, dass Verkündungsmängel (hier: Verkündung im Dienstzimmer des Richters) dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen stehen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde.

Die Berufungskammer des LG hatte einen Verkündungstermin auf 12.00 Uhr bestimmt. Der Beklagte war persönlich erschienen. Die Tür zum Sitzungssaal war verschlossen. Später am Tag erklärte der Vorsitzende dem Beklagten nach mündlicher Mitteilung der Entscheidung, dass die Tür nicht geöffnet worden wäre, da man davon ausgegangen sei, es werde niemand erscheinen. Im vom Vorsitzenden unterzeichneten Verkündungsprotokoll waren er und zwei Beisitzer aufgeführt. Darüber hinaus hieß es, das anliegende Urteil sei in öffentlicher Verhandlung verkündet worden. Das Urteil wurde dann auch zugestellt.

Aus den von dem BGH eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der drei Richter ergab sich: Die Beisitzer waren bei der Verkündung nicht zugegen. Der Vorsitzende erklärte, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Vorgang. Üblicherweise würde die Tür zum Sitzungssaal verschlossen, wenn vor einer Verkündung eine längere Pause liege und dann bei der eigentlichen Verkündung geöffnet.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte gleichwohl keinen Erfolg. Es liegt kein Scheinurteil vor, da tatsächlich ein Urteil verkündet wurde und dieses auch unterschrieben und zugestellt wurde. Verkündungsmängel eines Urteils stehen dem wirksamen Erlass eines solchen nur dann entgegen, wenn es sich um elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse handelt, so dass letztlich von einer Verlautbarung im Rechtssinne gar nicht gesprochen werden kann. Nachdem das Urteil unterschrieben und zugestellt wurde und das Ergebnis auch dem Beklagten persönlich mitgeteilt wurde, bestehen aber keine Zweifel daran, dass die Verlautbarung des Urteils vom Gericht beabsichtigt war.

Zwar spricht nach den eingeholten dienstlichen Stellungnahmen alles dafür, dass die Verkündung lediglich im Dienstzimmer des Vorsitzenden in Abwesenheit der Beisitzer erfolgt ist. Auch dies würde das Urteil jedoch nicht zum Scheinurteil machen, sondern wäre lediglich ein letztlich insoweit nicht beachtlicher Verkündungsmangel, zumal das Urteil bei der Verkündung in vollständiger Form vorlag und unterschrieben war. Letzteres wird durch das Protokoll nachgewiesen und ist nicht in Frage gestellt worden.

Der BGH weist allerdings zu Recht darauf hin, dass es sich gleichwohl bei einer derartigen Verfahrensweise um eine richterliche Dienstpflichtverletzung handelte. Den Gerichten steht es in der Tat schlecht an, bei den Förmlichkeiten nachlässig zu sein. Gerade hier müssen die Gerichte mit gutem Beispiel vorangehen.

Auch Verkündungstermine sollten daher stets „sauber“ abgehalten werden. Es muss die Möglichkeit der Teilnahme durch die Parteien und der Öffentlichkeit gegeben sein, eine vollständig abgefasste und unterschriebene Entscheidung sollte unbedingt vorliegen. Das Protokoll muss nur diejenigen wiedergeben, die auch tatsächlich anwesend sind. Bei der Verwendung eines Formulars müssen die richtigen „Kreuzchen“ gesetzt werden. Und schließlich: Bei den Unterschriften der Richter sowohl unter dem Urteil als auch unter dem Protokoll muss es sich um solche handeln, nicht etwa um Kurzzeichen o. ä.

BGH zum zutreffenden Beginn der Verzinsung

Eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.7.2017 – XI ZR 562/15, MDR 2017, 1196) mit beträchtlichem Umfang befasst sich eigentlich mit der Wirksamkeit von Bearbeitungsgebühren bei Darlehen an Unternehmer. Auf die Frage des Zinslaufes geht sie nur ganz am Rande ein. Sie zeigt insoweit nicht wirklich etwas ganz Neues auf, weist aber auf einen Fehler hin, der der Praxis sehr häufig unterläuft. Sie betrifft die Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 BGB. Die Gerichte sprechen sehr oft Zinsen ab dem Datum, das die in der Akte vorliegende Zustellungsurkunde als Zustellungsdatum für die Klageschrift oder den Mahnbescheid ausweist, zu. Dies ist jedoch nicht richtig! In entsprechender Anwendung des § 187 BGB beginnt der Zinslauf nicht mit dem Tage der Zustellung der Klage oder des Mahnbescheides, sondern erst mit dem Tag danach. In der Regel wird dies mit der Formel „minima (oder: de minimis) non curat praetor“ (teilweise sinngemäß: Um Kleinigkeiten kümmert sich der Richter nicht.) abgetan. Allerdings kann dieser Umstand, über einen längeren Zeitraum gesehen oder bei sehr hohen Beträgen oder bei vielen zu führenden Prozessen, durchaus einmal eine nicht mehr zu vernachlässigende Bedeutung bekommen. Auf derartige alltägliche Unsicherheiten und Irrtümer sollte an geeigneter Stelle hin und wieder hingewiesen werden!

Denn: Was man unproblematisch richtigmachen kann, sollte man auch tatsächlich so handhaben.

 

 

 

BGH zur rechtzeitigen Zustellung demnächst

Der BGH hat sich (Urt. v. 29.9.2017 – V ZR 103/16) mit der Wahrung der Klagefrist von einem Monat des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG befasst. Die angefochtenen Beschlüsse wurden am 26.2.2015 gefasst. Am 11.3.2015 ging die Anfechtungsklage bei dem AG ein. Die Gerichtskostenrechnung ging am 24.3.2015 bei der Klägervertreterin ein. Am 23.4.2015 wurde der Vorschuss gezahlt, am 29.4.2015 wurde die Klage zugestellt.

Da die Monatsfrist offensichtlich versäumt wurde, konnte eine Fristwahrung nur nach § 167 ZPO erreicht werden. Es kommt also darauf an, ob die Klage noch demnächst zugestellt wurde. Nach ständiger Rechtsprechung ist von einer Zustellung „demnächst“ nur auszugehen, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten. Dabei wird regelmäßig von einer Frist von 14 Tagen ausgegangen. Dies gilt für alle Fallgruppen, auch die Einzahlung der Gerichtskosten. Es kommt allerdings darauf an, um wieviele Tag sich der ohnehin erforderliche Zeitraum verzögert hat.

Gänzlich unerheblich ist allerdings der Zeitraum bis zum 26.3.2015, denn der Kläger hatte die Klage zu früh eingereicht, er hätte aber bis zum 26.3.2015 abwarten dürfen.

Der BGH geht davon aus, dass der Partei im Normalfall eine Woche dafür zusteht, die erforderlichen Gerichtskosten zu bezahlen. Dies ist insofern bemerkenswert, als ein anderer Senat hierfür nur drei Tage angesetzt hat. Einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen bedurfte es jedoch nicht, da die Ausführungen des anderen Senats nicht entscheidungserheblich waren.

Interessant ist weiterhin, dass der BGH den Zeitraum, der erforderlich ist, um die Kostenrechnung von der Klägervertreterin zu dem Kläger weiterzuleiten, nicht in die 14 Tage-Frist einrechnet!

Die Frist berechnet sich daher wie folgt: Die Frist begann am 27.3.2015. Eine Einzahlung wäre daher bis zum 7.4.2015 zu erwarten gewesen. Allerdings fiel das Osterfest in diesen Zeitraum. Es kann aber von einer Partei nicht verlangt werden, an Feiertagen für die Zahlung der Kosten zu sorgen. Damit sind zwei Tage (Karfreitag und Ostermontag) hinzuzurechnen. Mithin hätten die Kosten bis zum 9.4.2015 unter normalen Umständen beglichen sein müssen. Ab diesem Tag lieft die oben erwähnte 14 Tages-Frist. Damit war die Zahlung am 23.4.2015 gerade noch rechtzeitig.

Fazit: Diese Entscheidung ist sehr lehrreich. Gleichwohl sollte man es auf eine solche Fristberechnung nicht ankommen lassen, sondern vorsorglich stets innerhalb der 14 Tages-Frist reagieren bzw. die vertretene Partei entsprechend belehren.

 

 

BGH zum wirksamen Beglaubigungsvermerk

Eine Klage wurde am 30.12.2013 eingereicht, der Anspruch wäre am 31.12.2013 verjährt. Wenig später wurde dem Beklagten eine Kopie der Klageschrift zugestellt, die auf der ersten Seite zwischen Briefkopf und Überschrift den Vermerk „Beglaubigt zwecks Zustellung Beglaubigt {Unterschrift} Rechtsanwalt“ enthielt. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass die Verjährungsfrist nicht gewahrt worden sei, da der Beglaubigungsvermerk regelmäßig auf der letzten Seite oder auf einem gesonderten Deckblatt anzubringen sei. Der BGH (Urt. v. 13.9.2017 – IV ZR 26/16) teilt diese Auffassung grundsätzlich, kommt aber über § 189 ZPO (Heilung von Zustellungsmängeln) gleichwohl zur Fristwahrung.

Für die Hemmung der Verjährung ist grundsätzlich die Zustellung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift erforderlich. Daneben wäre natürlich auch die Zustellung einer Urschrift oder einer Ausfertigung ausreichend. Bei der beglaubigten Abschrift muss sich die Beglaubigung auf das gesamte Schriftstück erstrecken und mit diesem zu einer Einheit verbunden sein. Dies muss der entsprechende Vermerk entweder ausdrücklich beinhalten oder er muss am Ende des Schriftstückes angebracht sein, dann folgt aus dem Vermerk – sozusagen – automatisch, dass er sich auf das gesamte Schriftstück bezieht. Letzteres ist allgemein üblich. Im hier zu beurteilenden Fall war jedoch nicht ersichtlich, in welchem Umfang die Beglaubigung erfolgen sollte, da er sich ohne weitere Erläuterung nur auf der ersten Seite befand.

Allerdings hatte das Berufungsgericht die Heilungsvorschrift des § 189 ZPO nicht berücksichtigt. Der BGH hatte bereits entschieden, dass die Zustellung einer einfachen anstatt einer beglaubigten Abschrift einen Zustellungsmangel darstellt, der nach § 189 ZPO geheilt werden kann, wenn die einfache mit der beglaubigten Abschrift übereinstimmt (was hier der Fall war). Auch bereits durch den BGH entschieden wurde: § 167 ZPO (Die Zustellung – wie hier – demnächst) umfasst auch eine Zustellung mit Heilungsfiktion nach § 189 ZPO.

Letztlich bedeutet dies: Die Verjährungsfrist wurde über die §§ 204 Abs. 1 BGB, 167, 189 ZPO noch gewahrt, so dass das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben werden musste, damit dieses die Berechtigung des Anspruchs noch prüfen kann.

 

OLG Hamm: Willkürliche Verweisung in einem Verkehrsunfallprozess

Der Kläger reichte bei dem Wohnsitzgericht des Beklagten zu 1) eine Klage gegen den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) aufgrund eines Verkehrsunfalls ein. Eine Zuständigkeit für die Beklagte zu 2) war nicht ersichtlich, da der Unfallort in einem anderen Gerichtsbezirk lag. Das Gericht verwies den Rechtsstreit insgesamt an das Gericht des Unfallortes. Das OLG Hamm (Beschl. v. 13.4.2017 – 32 SA 6/17) hielt diesen Verweisungsbeschluss für willkürlich bezüglich der Beklagten zu 1)!

Diese Auffassung greift viel zu kurz. Bereits im Jahre 1993 hatte der Verfasser ausführlich begründet (F. O. Fischer MDR 1993, 198): „Die Verweisung eines Rechtsstreites trotz bereits ausgeübten Wahlrechts ist dann zulässig, wenn dadurch erreicht werden soll, dass gegen Streitgenossen einheitlich in einem Prozess verhandelt werden soll.“ Das (damals noch bestehende, aber später als „Stoiber-Opfer“ schändlicherweise aufgelöste) BayObLG hat später eine derartige Sicht der Dinge ausdrücklich nicht als willkürlich bezeichnet (NJW-RR 2001, 646 f.; hierzu ausführlich F. O. Fischer MDR 2002, 1401 zu VI.). Wenn das OLG Hamm nunmehr von dieser Entscheidung abweicht, hätte es sich ausführlicher mit dieser Fallkonstellation befassen müssen. Natürlich ist die Frage, ob in einer solchen Konstellation verwiesen werden darf, umstritten, wie könnte es anders sein. Dann kann aber natürlich nicht ohne weiteres eine der beiden Auffassungen als willkürlich bezeichnet werden, ohne sich wirklich mit den tatsächlich vorhandenen Gegenargumenten auseinanderzusetzen.

Der Entscheidung des OLG Hamm sollte daher nicht gefolgt werden, vielmehr sollte nach wie vor davon ausgegangen werden, dass eine Verweisung dann ausnahmsweise möglich ist, wenn sie dazu dient, gegen mehrere Gesamtschuldner einheitlich zu verhandeln. Alles andere führt nur zu chaotischen Verfahrensabläufen, die niemandem nutzen.

Im Übrigen stellt sich die hochinteressante Frage, ob das OLG Hamm den Fall nicht gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH hätte vorlegen müssen, da es von einer Entscheidung des BayObLG ersichtlich abgewichen ist. Zwar ist in dieser Vorschrift nur von anderen Oberlandesgerichten die Rede, die Vorlagepflicht dürfte aber erst recht gelten, wenn von einer Entscheidung des BayObLG abgewichen wird, oder etwa nicht?

 

 

Das Recht der Parteien auf Anhörung eines Sachverständigen

Nach einem in den Tatsacheninstanzen verlorenen Arzthaftungsprozess griff die Klägerin das Urteil des OLG mit einer Verfahrensrüge an. Entgegen ihrem Antrag sei der Sachverständige weder vom LG noch vom OLG angehört worden. Der BGH, Beschl. v. 30.5.2017 – VI ZR 439/16, sieht darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes (§§ 397, 402 ZPO; § 402 verweist für den Sachverständigenbeweis subsidiär auf die Vorschriften des Zeugenbeweises, § 397 Abs. 1 ZPO regelt das Fragerecht der Parteien an einen Zeugen) hat die Partei einen Anspruch darauf, den Sachverständigen selbst zu befragen. Es kommt nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht. Die Partei ist auch nicht dazu verpflichtet, die zu stellenden Fragen vorher mitzuteilen. Dieses Recht besteht unabhängig von einem Verfahren des Gerichts nach § 411 Abs. 3 ZPO. Gibt das erstinstanzliche Gericht dieses Recht nicht, muss das Berufungsgericht diesem Antrag entsprechen. Geschieht dies nicht, ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt.

Fazit: Rein vom Wortlaut her ist das Ergebnis zutreffend. Ob eine solche Vorgehensweise in der Praxis immer die richtige Taktik ist, muss sorgfältig erwogen werden. Muss der Sachverständige zur Beantwortung der Fragen möglicherweise noch recherchieren, ist es sinnvoll, die Fragen vorher mitzuteilen, da sonst die Sache im Termin nicht vorankommen wird. Wer das Verfahren verschleppen oder Verwirrung stiften will, wird allerdings von diesem Recht gerne Gebrauch machen! Das Gericht muss dann gute Miene zu bösem Spiel machen.

Hinweis: Zum Recht der Prozesspartei auf mündliche Befragung des Sachverständigen, s.a. BGH Beschl. v. 21.2.2017 – VI ZR 314/15, MDR 2017, 785 und MDR 2017, 933 (Laumen) .

 

„Diese Frage ist so Unsinn“, sprach der Sachverständige und wurde als befangen abgelehnt.

Bei einer Sachverständigenanhörung in einem selbständigen Beweisverfahren betreffend ein Gewerbegebäude hatte sich laut Protokoll folgendes ereignet: „Hinsichtlich der Tür, die eine Schwelle aufweist, ist in der Baubeschreibung keine Ausführung vereinbart worden, weder eine schwellenlose noch eine mit Schwelle. Für ein Gebäude, das als Büroverwaltungsgebäude genutzt wird, gibt es keine anerkannte Regel der Technik, die eine Ausführung der Eingangstüren in schwellenloser Ausführung vorschreiben würde. Die Ausführung mit einer Schwelle ist allerdings nicht rollstuhlgerecht. Allerdings ist im Bauvertrag auch nicht angegeben, dass das Gebäude rollstuhlgerecht oder barrierefrei herzustellen ist.“ Der Antragstellervertreter fragt den Sachverständigen, ob nicht unter Berücksichtigung dessen, dass ab einer bestimmten Betriebsgröße ein Arbeitgeber verpflichtet ist, Schwerbehinderte einzustellen, doch eine Ausführung ohne Türschwelle den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Daraufhin entgegnete der Sachverständige: Diese Frage ist so Unsinn. Solche arbeitsrechtlichen Themen interessieren mich nicht. Für mich ist entscheidend, ob im Bauvertrag eine rollstuhlgerechte oder barrierefreie Ausführung vereinbart wurde oder eben nicht.“ Nach kurzer Unterbrechung der Sitzung stellt der Antragstellervertreter den Antrag, den Sachverständigen als befangen abzulehnen und begründet dies damit, dass seine Frage als unsinnig bezeichnet wurde.

Während das LG den Antrag ablehnte, gab das OLG Stuttgart dem Befangenheitsantrag statt! Klar ist, dass unsachliche, unangemessene oder herabsetzende oder gar beleidigende Äußerungen des Richters grundsätzlich dazu geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, zumal von einem Richter gesteigerte Zurückhaltung erwartet wird. Dabei ist das hier von Sachverständigen verwendete Wort „Unsinn“ härter als das Wort „unsinnig“, da letzteres oftmals eher meint: „sinnwidrig“, „inkonsequent“ oder „zweckwidrig“. Dies wurde bereits so entschieden (z. B. LSG Nordrhein-Westphalen, Beschl. v. 16.6.2003 – L 11 AR 49/03 AB, NJW 2003, 2933).

Für den Sachverständigen als „Gehilfen“ des Richters soll nichts anderes gelten als für den Richter. Mit der beanstandeten Äußerung wird der Fragesteller herabgewürdigt und der Sachverständige hat gezeigt, dass er nicht gewillt ist, die Frage sachgerecht zu beantworten. Es sind hier auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Sachverständige provoziert oder heftig angegriffen wurde, was die Äußerung in einem milderen Licht hätte erscheinen lassen können.

Während sich die Parteien und ihre Bevollmächtigte vor Gericht (und auch im Vorfeld!) – auch nach der Rechtsprechung des BVerfG – durchaus „austoben“ dürfen, gilt für die Richter und die Sachverständigen anderes. Von ihnen wird immer erwartet, dass sie sich sehr zurückhalten und nie zu viel Engagement zeigen. Ist dies nicht ein Widerspruch, über den man einmal näher nachdenken müsste?

Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.7.2017 – 13 W 13/17, NJW-RR 2017, 1088

Möglichkeit des Rechtswegrüge nach § 17 a Abs. 3 S. 2 GVG

Mit einer sehr interessanten Möglichkeit zur Verzögerung von Verfahren beschäftigt sich das LG Köln (Urt. v. 9.11.2016 – 13 S 37/16) in einer Entscheidung, die der Begriffsjurisprudenz wieder zu einem unerwarteten Sieg verholfen hat.

Der Beklagte war ins Ausland verzogen. Nachdem er dann wegen eines Geschehens (er hatte ein Auto gemietet), das sich noch zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes hier ereignet hatte, auch hier verklagt wurde, rügte er den von der Klägerin beschrittenen Rechtsweg. § 17a Abs. 3 GVG lautet nun in der Tat wie folgt: „Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt“.

Das AG hatte nicht vorab entschieden, sondern ein Versäumnisurteil erlassen, anschließend dann auch ein zweites Versäumnisurteil. Dieses hob das LG Köln auf die Berufung des Beklagten hin auf und verwies den Rechtsstreit zurück, da das AG gegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG verstoßen habe. Vom Wortlaut her ist diese Entscheidung natürlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hatte die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt. Das AG hätte durch Beschluss vorab entscheiden müssen. Dieser Beschluss wäre gemäß § 17a Abs. 4 GVG dann auch noch im Wege der sofortigen Beschwerde anfechtbar gewesen. Das Verfahren hätte sich – mindestens – um drei Monate verzögert, je nach Belastung der Spruchkörper und Geschäftsstellen sogar noch deutlich länger.

Es besteht aber – wie auch das LG Köln in der Entscheidung selbst ausführt (!) – Einigkeit darüber, dass die Rechtswegrüge im hier zu beurteilenden Fall schlichtweg abwegig ist. Bestenfalls geht es vorliegend um eine Frage der internationalen Zuständigkeit, die aber auch eher trivial ist, weil der Beklagte erst nach dem Entstehen der Streitigkeit und Abschluss des maßgeblichen Lebenssachverhaltens ins Ausland verzogen war und vorher hier gewohnt hatte.

Hier hätte es sich wirklich angeboten, „klassisch“ nach dem Sinn und Zweck des § 17a Abs. 3 GVG zu fragen und die Vorschrift teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie nicht anwendbar ist, wenn die Rechtwegrüge ersichtlich abwegig ist. Alles andere ist eine Einladung an die immer zahlreicher werdenden Querulanten, den Justizorganen durch immer neue sinnlose Eingaben und Rechtsmittel ihre Tätigkeit zu erschweren und damit zu verhindern, dass andere Personen zeitnahe zu ihrem Recht kommen können. Solches Vorgehen sollte die obergerichtliche Rechtsprechung nicht durch begriffsjuristische Argumentationen unterstützen.

OLG Oldenburg: Unsachgemäßer Reifentransport, bedenkenloses Öffnen des Kofferraums und ein Schaden an der Garage

Über einen etwas kuriosen Fall hatte neulich das OLG Oldenburg (Urt. v. 31.5.2017 – 9 U 21/17) zu befinden: Der Kläger hatte bei der Beklagten seine Autoreifen wechseln lassen. Die aufzuziehenden Reifen hatte der Kläger waagrecht in sein Auto gelegt. Der Monteur der Beklagten klappte nach dem Reifenwechsel die rückwärtige Sitzbank um, stellte die abgenommenen Reifen jedoch aufrecht (!) hinten in den Wagen. Der Kläger fuhr dann zu Hause rückwärts in seine abschüssige Garageneinfahrt. Als er vor dem Garagentor stand, öffnete er vom Fahrersitz aus die Heckklappe. Daraufhin rollten die Reifen aus dem Auto heraus verursachten an dem Garagentor einen Schaden in Höhe von 6.000 €.

Der Kläger stellte sich auf den Standpunkt, der Monteur der Beklagten habe durch eine solche Verladung der Reifen einer Pflichtverletzung schuldig gemacht, die die Beklagte zum Schadensersatz verpflichte. Wegen der verdunkelten Scheiben seines Autos habe er nicht sehen können, dass die Reifen aufrecht gestanden hätten. Das OLG Oldenburg vermochte dieser Sicht der Dinge allerdings nicht zu folgen. Es hielt dem Kläger jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden vor. Er sei alleine für den Schaden verantwortlich, da er die Heckklappe ohne jegliche Prüfung geöffnet habe.

Hier gilt wie bei so vielen Alltagsfällen, die man oftmals mit einem gewissen Schmunzeln zur Kenntnis nimmt: So viele Juristen damit befasst sind, so viele Lösungen werden aufgeworfen werden. Die erfolgte Verladung der Reifen stellte mit Sicherheit eine Pflichtverletzung aus dem Werkvertrag dar. Eine derartige Verladung ist ungewöhnlich und ersichtlich gefährlich, da sich die Reifen stehend viel leichter bewegen können als liegend und damit zu eine Gefahr werden können. Die Tatsache, dass der Kläger – auch noch auf einer abschüssigen Strecke – und ohne besondere Kontrolle die Heckklappe geöffnet hat, ist als Mitverschulden berücksichtigungsfähig. Dieser Sichtweise würden sicher die meisten Juristen (und auch Nichtjuristen) zustimmen.

Hinweis: Aber überwiegt hier der Haftungsanteil des Klägers so stark, dass die Pflichtverletzung der Beklagten wirklich unberücksichtigt bleiben darf? Schon vor einigen Jahren hatte das AG München zwar entschieden, dass derjenige, der eine Heckklappe ohne Prüfung öffnet, regelmäßig alleine haftet (Urt. v. 9.11.2011 – 262 C 20120/11). Allerdings gilt ansonsten der Grundsatz, dass der Schaden zu teilen ist, wenn beide Parteien (grob) fahrlässig gehandelt haben. Aber vielleicht ist die Entscheidung des OLG Oldenburg doch ein erster Schritt in die Richtung „Mehr Eigenverantwortung bei beiderseitigen Pflichtverletzungen“. Nicht immer ist es tatsächlich angemessen, eine andere Person für einen eingetretenen Schaden verantwortlich zu machen, den man selbst ohne weiteres durch ein wenig Achtsamkeit hätte verhindern können.

OLG Frankfurt/M.: Wissenschaftlicher Beitrag als geschäftliche Handlung

Der Wettbewerbssenat des OLG Frankfurt/M. (Urt. v. 11.5.2017 – 6 U 76/16) hat zu der Frage Stellung genommen, inwiefern gegen eine wissenschaftliche Veröffentlichung wettbewerbsrechtlich vorgegangen werden kann. Der Beklagte ist Arzt an einer Universitätsklinik, Schlafforscher und Lehrbeauftragter. Er veröffentlichte in einer führenden Zeitschrift für Schlafmedizin einen Aufsatz über eine Studie betreffend die Wirksamkeit von Unterkieferschienen, die bei Schlafapnoe (Atemstörung mit Stillstand, vor allem nachts) helfen können. Das Ergebnis der Studie war, dass die von der Klägerin vertriebenen Schienen weniger wirksam sein sollen als andere Schienen, die von der A-Gruppe vertrieben werden. Die A-Gruppe hatte die Studie durch nicht unerhebliche Drittmittel gefördert.

Die Klägerin ging gegen den Beklagten wegen irreführender Angaben nach § 5 UWG vor. Während das LG (Kammer für Handelssachen) der Klage noch stattgegeben hatte, weist das OLG die Klage ab, eine Revision wurde nicht zugelassen. Nach der Auffassung des OLG fehlt es hier an einer geschäftlichen Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG. Wissenschaftliche Äußerungen unterfallen grundsätzlich nicht dem UWG. Die Veröffentlichung entspricht nach Form, Inhalt und Diktion einem wissenschaftlichen Beitrag. Der Beklagte kann sich auf die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) berufen.

Allerdings greift dieser Schutz dann nicht, wenn die wissenschaftliche Zielsetzung nur vorgeschoben ist. Wegen der finanziellen Unterstützung der Studie durch die A-Gruppe hatte das LG angenommen, dies sei hier der Fall. Das OLG hingegen hält die Verwendung von Drittmitteln nicht für ausreichend. Die Drittmittelförderung wurde in dem Aufsatz nicht verschwiegen, vielmehr wurde im Anhang ausdrücklich darauf hingewiesen. Darüber hinaus hat auch die Klägerin die Studie unterstützt, jedenfalls indem sie ihre Schienen zur Verfügung gestellt hat. Das OLG sah in der Studie allerdings durchaus gewisse Qualitätsmängel. Dies ist gleichfalls nicht ausreichend, notwendig wäre vielmehr eine objektive Fehlerhaftigkeit bzw. eine Unvertretbarkeit der Äußerungen. Davon kann hier jedoch keine Rede sein.

Auch die Tatsache, dass der Beklagte als Co-Promotor des Forschungsteams der A-Gruppe tätig war, reicht nicht aus, um schon von einer geschäftlichen Handlung auszugehen.

Hinweis: Die Entscheidung zeigt, dass auch ein Wissenschaftler sich oftmals genau überlegen muss, was er schreibt! Die Gummiklauseln des Wettbewerbsrecht ermöglichen Angriffe, mit denen man nicht gerechnet hätte. Voraussichtlich wird aber die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) bei derartigen Streitigkeiten immer siegen, wenn die wirtschaftliche Verstrickung nicht offensichtlich ist, die veröffentlichte Meinung offensichtlich gekauft ist oder der Beitrag schon einfachsten wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt. Über die Herkunft von Drittmitteln sollte allerdings stets Rechenschaft abgelegt werden. Auch der seriöse juristische Autor wird, wenn er irgendwie in die Materie verstrickt ist, immer wenigstens in der ersten Fußnote darauf hinweisen.