OLG Karlsruhe: Besorgnis der Befangenheit durch Übersehen eines Befangenheitsantrages

In einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 11.5. 2022 – 9 W 24/22) ging es um die Frage, ob alleine das Übersehen eines Befangenheitsantrages schon die Besorgnis der Befangenheit begründen kann, was das OLG bejaht hat.

In einer über 100 Seiten langen Klageerwiderung befand sich ein Befangenheitsantrag der Beklagten. Der zuständige Richter las lediglich das Inhaltsverzeichnis des Schriftsatzes, übersah demgemäß den Befangenheitsantrag und stellte die Klageerwiderung mit einer Verfügung zu. Alsdann ging noch eine Widerklage ein, darin wurde erneut auf den Befangenheitsantrag hingewiesen sowie auf den Verstoß gegen § 47 ZPO durch die erwähnte Verfügung. Gleichzeitig wurde ein erneuter Befangenheitsantrag gestellt. In seiner dienstlichen Stellungnahme entschuldigte sich der Richter für sein Versäumnis.

Nach der Auffassung des OLG lässt der Verstoß gegen § 47 ZPO den Schluss darauf zu, dass der abgelehnte Richter bei der Wahrnehmung der Belange der Beklagten eine evident fehlende Sorgfalt an den Tag legt und deswegen bei der Beklagten der Eindruck entsteht, der Richter werde auch später das Vorbringen der Beklagten nicht ernst nehmen.

Diese Sicht der Dinge geht nach hiesiger Einschätzung an der Praxis vorbei. Die Überlastung der Gerichte ist allgemein bekannt. Es ist lebensfern davon auszugehen, dass jeder Schriftsatz, der bei Gericht eingeht, sofort vollständig gelesen und verarbeitet werden kann. Eine derartige Vorgehensweise wäre auch eine Verschwendung richterlicher Ressourcen. Wenn offensichtlich ist, dass eine über 100 Seiten lange Klageerwiderung nicht ohne eine erneute Stellungnahme des Klägers sachgerecht bewertet werden kann, macht es keinen Sinn, dieselbe gleich durch zu studieren. Wesentlich sinnvoller und ressourcenschonender ist es, diesen Schriftsatz erst dann vollständig zur Kenntnis zu nehmen, wenn die Sache soweit „ausgeschrieben“ erscheint, dass eine sachgemäße Förderung derselben möglich ist. Dies weiß im Normalfall auch jeder Rechtsanwalt. Deswegen wird bei langen Schriftsätzen auch stets am Anfang auf wichtige Anträge hingewiesen, oftmals sogar in Fettdruck.

Fazit: Diese Entscheidung sollte daher keinesfalls Schule machen, zumal sie geradezu dazu auffordert, durch versteckte Befangenheitsanträge Verfahren zu verzögern!

 

 

OLG Hamburg: Wartepflicht des Rechtsanwalts bei Verzögerungen durch das Gericht

In einer Entscheidung des Hanseatischen OLG in Hamburg (Beschl. v. 20.5.2022 – 7 W 57/22, MDR 2022, 1113) ging es letztlich um die Frage, wie lange ein Rechtsanwalt auf das Gericht warten muss, wenn sich ein vorheriger Termin des Gerichts länger hinzieht als geplant. Im Beschwerdeverfahren (§ 336 Abs. 1 ZPO) war zu beurteilen, ob der Rechtsanwalt zu früh gegangen war und deswegen das LG gegen die von ihm vertretene Partei ein Versäumnisurteil hätte erlassen müssen oder nicht. Das LG hatte im Widerspruchsverfahren gegen eine einstweilige Verfügung Termin auf 12:30 Uhr bestimmt. Das Gericht teilte um diese Uhrzeit mit, dass der Termin sich voraussichtlich um eine Stunde, möglicherweise auch noch etwas länger, verschieben würde. Um 12:55 Uhr gab der Rechtsanwalt bekannt, er könne nicht länger warten, da er um 14:00 Uhr einen nicht verschiebbaren Termin habe und entfernte sich. Gleichzeitig regte er an, den Termin zu verschieben. Das LG hatte dann den bei Aufruf der Sache gestellten Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückgewiesen und einen neuen Termin bestimmt. Das OLG hob diese Entscheidung auf und wies das LG an einen neuen Termin zu bestimmen, ohne den betroffenen Rechtsanwalt zu laden.

Ein Termin beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 220 Abs. 1 ZPO), von einer konkludenten Terminsaufhebung kann daher nicht ausgegangen werden. Allerdings war der Rechtsanwalt hier berechtigt, gemäß § 227 ZPO einen Antrag auf Verlegung des Termins zu stellen. Der Rechtsanwalt hat aber schuldhaft im Sinne des § 337 Satz 1 ZPO gehandelt, weil er nicht auf eine Verlegung des Termins vertrauen durfte. Unter Berufung auf eine ältere Entscheidung des BVerwG (Beschl. v. 28.12.1998 – 4 B 119-98, NJW 1999, 2131) hält das OLG eine Wartezeit von über einer Stunde noch für hinnehmbar. Der Verlegungsgrund sei zudem mit der einfachen Behauptung, einen nicht verschiebbaren Termin zu haben, nicht nachvollziehbar glaubhaft gemacht worden.

Gerichtstermine können sich leider immer wieder verzögern, regelmäßig durch unvorhersehbare Ereignisse. Die meisten dadurch entstehenden Probleme werden sicherlich kollegial und/oder pragmatisch gelöst. Wenn es jedoch einmal ernst wird, muss man zum einen mindestens eine Stunde warten können und zum anderen, wenn es nicht anders geht, einen Verlegungsgrund direkt glaubhaft machen können. Die Zeit von einer Stunde gilt für die Landgerichte und Oberlandesgerichte, bei den Amtsgerichten wird man, da die Verfahren in der Tendenz natürlich weniger umfangreich sind, diese Zeit vielleicht etwas reduzieren können.

Fazit: Wer als Rechtsanwalt einen Termin wahrzunehmen hat, muss daher stets gut planen. Zunächst einmal muss genug Zeit eingeplant werden, um auch überraschenden Verzögerungen bei der Anreise Rechnung tragen zu können. Verzögert sich dann der Beginn des Termins, muss man auch noch ausreichend Zeit mitbringen, um darauf zu warten. All dies ist sehr ärgerlich, lässt sich aber bedauerlicherweise nicht vermeiden.

 

 

 

Oberster Gerichtshof der USA lehnt „discovery“ für Schiedsgerichte ab

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass in den USA ein Verfahren praktiziert wird, das hierzulande regelmäßig auf wenig Gegenliebe stößt. Die sog. „discovery“ (Entdeckung, Ermittlung).  Über dieses Verfahren kann eine potentielle Streitpartei von der potentiellen Gegenpartei schon vor dem eigentlichen Prozess die Herausgabe von Dokumenten u. a. verlangen. Dabei besteht in den USA auch die Möglichkeit, dass dort entsprechende Ersuchen bearbeitet werden, die aus dem Ausland kommen.

Die entscheidende Frage war nun, ob auch Schiedsgerichte die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschrift erfüllen, ob also ein Schiedsgericht ein entsprechendes Ersuchen stellen kann. Der Oberste Gerichtshof der USA hat die Frage einstimmig entschieden, d. h. mit 9 : 0 Stimmen: Nein! Der einschlägige Wortlaut der Vorschrift lautete u. a. wie folgt: Discovery ist zulässig „for use in a proceeding in a foreign or international tribunal“; also in etwa: für den Gebrauch in einem Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht. Letztlich ist damit klar, dass Schiedsgerichte nicht als solche Gerichte angesehen werden können, zumal das Wort „arbitration“ an keiner Stelle in der Vorschrift enthalten ist.

Die Entscheidung hat die von Donald Trump vorgeschlagene jüngere Richter Amy Coney Barrett verfasst. Man kann an dieser Entscheidung jedoch sehen, dass die politische Orientierung der Richter, anders als in anderen Fällen, hier keine Rolle gespielt hat. Sie argumentiert sorgfältig unter Heranziehung von Wörterbüchern zum Wortlaut der Vorschrift und unterbreitet anschließend auch noch darüber hinaus gehende Sachargumente.

Für die Attraktivität von Schiedsgerichtsverfahren ist diese Entscheidung allerdings eher nachteilig. Aber wenigstens wurde die Frage nunmehr verbindlich geklärt, was angesichts divergierender Entscheidungen von Berufungsgerichten in den USA dringend erforderlich war.

OLG Braunschweig: Unstatthafte Beschwerde eines Rechtsanwalts gegen eine vorläufige Wertfestsetzung

Das OLG Braunschweig (Beschl. v. 13.6.2022 – 4 W 16/22) hat einen wichtigen Grundsatz des Streitwertrechts betont.

Das LG Itzehoe setzte den Wert eines Verfahrens auf 27.897,13 Euro fest und verwies anschließend das Verfahren wegen örtlicher Unzuständigkeit an das LG Braunschweig. Der Klägervertreter vertrat die Auffassung, der Wert sei zu niedrig festgesetzt worden und legte nach der Verweisung im eigenen Namen gegen den Streitwertbeschluss Beschwerde ein. Der Beschwerde wurde vom LG Braunshcweig nicht abgeholfen, sondern dem für das LG Braunschweig zuständigen OLG Braunschweig vorgelegt. Das OLG verwarf die Beschwerde als unzulässig.

Das für das LG Braunschweig zuständige OLG hatte hier richtigerweise zu entscheiden. Nach einer Verweisung eines Rechtsstreites ist über ein Rechtsmittel so zu entscheiden, als stamme die angefochtene Entscheidung von dem übernehmenden Gericht.

Die Beschwerde ist jedoch nicht statthaft. Das LG Itzhoe hatte den Streitwert nämlich nur vorläufig zur Bestimmung der Zuständigkeit festgesetzt. Dies wäre zwar nicht erforderlich gewesen, erfolgt jedoch gleichwohl durchaus häufig. Damit handelte es sich hier um die Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwertes, nicht des Gebührenstreitwertes. Eine derartige Wertfestsetzung ist für die Partei nicht anfechtbar. Die Beschwerdemöglichkeit der §§ 63, 68 GKG betrifft nur die verbindliche Festsetzung des Gebührenstreitwertes. Im Streitwertrecht steht dem Rechtsanwalt auch kein im Vergleich zur Partei weitergehendes Beschwerderecht zur Verfügung. Demensprechend hilft § 32 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt hier nach ganz h. M. gleichfalls nicht weiter.

Fazit: Die Festsetzung eines Zuständigkeitsstreitwertes durch ein Gericht kann somit weder von der Partei noch von einem Rechtsanwalt angefochten werden. Wenn es erforderlich werden sollte, steht es dem Rechtsanwalt im Übrigen frei, den Weg des § 32 RVG zu gehen, mithin aus eigenem Recht die Festsetzung des Wertes für seine Gebühren zu verlangen.

BAG: Entscheidung über einen nicht protokollierten Antrag

Der BAG hat mit Urt. v. 9.2.2022 – 5 AZR 347/21 über einen Verfahrensfehler im Zivilprozess, der zur Aufhebung eines Urteils führen musste, entschieden.

In einem Schlussurteil hatte das LAG entschieden, dass dem Kläger eine Vergütung wegen Annahmeverzugs für das Jahr 2016 nicht zustand. Dieser Antrag in dem ansonsten recht umfangreichen Prozess war erst in der Berufungsinstanz neu eingeführt worden. Ausweislich des Tatbestandes des Urteils des LAG war der entsprechende Antrag von dem Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt worden. Gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO sind die Anträge allerdings auch im Protokoll festzuhalten. Wenn dies unterbleibt, darf das Gericht nicht darüber entscheiden. Im Protokoll war der Antrag bezüglich des Annahmeverzugs für das Jahr 2016 jedoch nicht aufgeführt. Damit widersprachen sich Tatbestand und Protokoll. In einem solchen Fall geht das Protokoll vor (§ 165 S. 1 ZPO). Der Antrag bezüglich des Annahmeverzugs für das Jahr 2016 gilt daher als nicht gestellt, obwohl nach dem gesamten Verlauf der Angelegenheit offensichtlich war, dass es sich um ein Versehen des LAG gehandelt hatte, zumal der Kläger den Antrag nicht zurückgenommen hatte. Darüber hinaus ergab sich schon aus der Nichtzulassungsbeschwerde, dass der Kläger eine Entscheidung über diesen Antrag begehrt hatte.

Die Konsequenz: Damit hat das LAG gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Dieser Fehler nötigt das Revisionsgericht, das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das LAG zurückzuverweisen, damit der Kläger dort nochmals ordnungsgemäß seine Anträge stellen kann.

Fazit: Auch das BAG fällt durchaus häufig zivilprozessrechtlich interessante Entscheidungen! Der Fall zeigt mit Deutlichkeit, wie wichtig es sowohl für das Gericht als auch für die Rechtsanwälte ist, auf eine ordnungsgemäße Antragstellung in der mündlichen Verhandlung zu achten. Hier darf nichts schiefgehen. Ein Teil jeder Terminsvorbereitung muss daher immer sein: Das Herausarbeiten der richtigen Anträge. Die Folgen können sonst mehr als ärgerlich sein.

BGH: Zuständigkeit für die Kostenentscheidung nach Rücknahme einer nicht statthaften Beschwerde

Der BGH  hat sich mit der Zuständigkeit für eine Kostenentscheidung in einer besonderen Fallkonstellation befasst. Seiner Entscheidung (Beschl. v. 15.03.2022 –  X ZR 16/22) lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger gewann vor dem AG einen Prozess gegen die Beklagte. Der Streitwert betrug 883 Euro. Auf die Berufung der Beklagten änderte das LG jedoch das Urteil ab. Die Klage wurde abgewiesen. Der Kläger legte bei dem Berufungsgericht nach dem Erlass des Urteils Beschwerde ein, und zwar mit dem Antrag, die Revision zuzulassen. Das Gericht wies darauf hin, dass ein solcher Antrag nicht möglich sei. Daraufhin nahm der Kläger den Antrag wieder zurück. Die Beklagte beantragte sodann, dem Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Das LG war der Auffassung, dafür sei der BGH zuständig und legte die Akten dort vor.

Der BGH gab die Angelegenheit dem LG zurück, um die Kostenentscheidung in eigener Zuständigkeit zu treffen. Eine ausdrückliche Regelung für eine Kostenentscheidung in einer derartigen Fallkonstellation existiert zwar nicht, nach ständiger Rechtsprechung ist aber die Vorschrift des § 516 Abs. 3 ZPO (wonach derjenige, der die Berufung zurücknimmt, die Kosten zu tragen hat) auf praktisch alle Rechtsmittelrücknahmen anzuwenden.

Damit war allerdings noch nicht die Frage beantwortet, welches Gericht für die in einem solchen Fall sogar von Amts wegen zu treffende Kostenentscheidung zuständig ist. Der BGH begnügt sich insoweit damit, auf eine recht alte Entscheidung (Beschl. v. 18.6.1953 – IV ZB 51/53) zu verweisen. Darin wurde ausgesprochen, dass das Gericht, bei dem die unzulässige Beschwerde eingelegt wurde, jedenfalls dann für die Kostenentscheidung zuständig ist, wenn das Rechtsmittel zurückgenommen wird, bevor die Sache überhaupt an den BGH abgegeben wurde. Genauso lagen die Dinge hier.

Hier waren dem Rechtsanwalt des Klägers doch einige Missverständnisse unterlaufen: Die Nichtzulassungsbeschwerde wäre nicht bei dem LG, sondern bei dem BGH einzulegen gewesen (§ 544 Abs. 3 ZPO). Sie wäre aber auch dort offensichtlich unzulässig gewesen, da das LG nicht die Berufung verworfen, sondern in der Sache entschieden hat und – angesichts des Streitwertes – die Beschwer des Klägers 20.000 Euro nicht überstieg (§ 544 Abs. 2 ZPO). Schließlich hätte mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde natürlich auch ein bei dem BGH zugelassener Rechtsanwalt beauftragt werden müssen (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO).

Fazit: Die Entscheidung ist sachgerecht und erspart eine unnötige Aktenversendung, zumal der Inhalt der zu treffenden Entscheidung ohnehin vom Gesetz vorgegeben ist.

BGH: Rechtsanwalt in eigener Sache

Der BGH hat in einem Anwaltsprozess in eigener Sache entschiedenen, dass sich ein Rechtsanwalt, der sich selbst vertritt und wegen einer länger andauernden Erkrankung an einem Termin nicht teilnehmen kann, grundsätzlich vertreten lassen muss. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn er gewichtige Gründe darlegen kann, aus denen sich eine Notwendigkeit seiner persönlichen Anwesenheit ergibt. (Urt. v. 2.12.2021 – IX ZR 53/21, MDR 2021, 389)

Die klagende Rechtsanwältin, die sich selbst vertrat, nahm zwei andere Rechtsanwältinnen auf Schadensersatz wegen angeblich fehlerhafter Mandatsbearbeitung in Anspruch. Der Prozess ging in erster Instanz verloren. Die Klägerin legte Berufung ein. Nach mehreren Verlegungsanträgen der schon seit längerer Zeit gesundheitlich schwer angeschlagenen Klägerin erging schließlich vor dem OLG ein Versäumnisurteil gegen die Klägerin. Nachdem die Klägerin dagegen Einspruch eingelegt hatte, hatte das OLG nach Verlegung eines zunächst bestimmten Termins zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache sowie Zurückweisung eines Befangenheitsantrages schließlich einen Termin durchgeführt und den Einspruch der Klägerin verworfen. Die Klägerin war vom OLG darauf hingewiesen worden, dass der Termin nicht mehr verlegt wird. Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Klägerin, die keinen Erfolg hatte. Letztlich hatte die Klägerin den Einspruchstermin schuldhaft versäumt.

Da die Klägerin sich selbst vertreten hatte, ist sie auch als Rechtsanwältin zu behandeln, nicht als Partei. Ein Rechtsanwalt muss jedoch, wenn er wegen einer länger andauernden Krankheit nicht dazu in der Lage ist, sich selbst zu vertreten bzw. Termine wahrzunehmen, für seine Vertretung sorgen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn es wirklich gewichtige Gründe gibt, die seine Anwesenheit unbedingt erfordern. Solche waren hier nicht ersichtlich. Das OLG hatte der Klägerin auch mitgeteilt, dass der Termin nicht mehr verlegt werde und sie für ihre Vertretung sorgen müsse.

Auch ein allgemeiner Hinweis auf die derzeit immer noch andauernde Corona-Virus-Pandemie reicht für einen erfolgreichen Verlegungsantrag nicht aus. Es bestehen überall Hygiene-Schutzkonzepte. Ein gewisses Infektionsrisiko bleibt als allgemeines Lebensrisiko übrig (BVerfG, Beschl. v. 19.5.2020 – 2 BvR 483/20) und kann nicht zu einer Terminsverlegung führen.

Interessant ist auch noch, dass die Ablehnung des Antrages der Klägerin nach § 128a ZPO mit der Begründung, die erforderliche Technik stünde noch nicht zur Verfügung, vom BGH akzeptiert wurde.

Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin als Partei liegt nicht vor. Vorliegend gab es keine gewichtigen Gründe, die eine Anwesenheit der Klägerin als Partei im Termin zur mündlichen Verhandlung unbedingt erforderlich machten. Allein aus der Bedeutung des Prozesses für die Partei vermögen sich solche Gründe noch nicht zu ergeben. Damit bleibt es bei dem zweiten Versäumnisurteil des OLG und der Abweisung der Klage durch das LG.

Fazit: Es dürfte sich hier um einen offensichtlichen Versuch der Prozessverschleppung gehandelt haben. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass der BGH der Klägerin nicht „auf den Leim“ gegangen ist. Der Fall zeigt auch einmal wieder, dass man sich als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt tunlichst nicht selbst vertreten sollte. Nicht zu Unrecht geht der Satz umher: Der Rechtsanwalt, der sich vertritt, hat einen Esel zum Mandanten. Für Richterinnen und Richter gilt dies übrigens in verstärktem Maße.

KG zur Prozesskostenhilfe: Corona-Soforthilfe und Vermögensreserve

Eine interessante Entscheidung zu verschiedenen Fragen der Prozesskostenhilfe hat das KG (Beschl. v. 9.1.2021 – 16 W 154/21) getroffen. Der Antragstellerin stand ein Bankkonto mit einem recht hohen Guthaben zur Verfügung. Grundsätzlich sind Bankguthaben als Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO einzusetzen. Die Antragstellerin machte aber geltend, dennoch sei ihr Guthaben aus verschiedenen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Zunächst berieft sich die Antragstellerin darauf, 5.000 Euro für die Teilrückzahlung einer Corona-Soforthilfe seien kein einsatzpflichtiges Vermögen. Dem folgte das KG. Unpfändbares Vermögen ist auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe nicht einzusetzen. Der BGH hat bereits entschieden, dass eine Corona-Soforthilfe nicht pfändbar ist (BGH, Beschl. v. 10.3.2021 – VII ZB 24/20, MDR 2021, 642 = MDR 2021, 661 [Meller-Hannich]). Was für die Hilfe selbst gilt, muss auch für einen erforderlichen Rückzahlungsbetrag gelten.

Einen weiteren Betrag hat das KG gleichfalls akzeptiert. Dieser Betrag betraf eine Umsatzsteuervorauszahlung, die im Laufe des Beschwerdeverfahrens schließlich sogar fällig wurde.

Einen zusätzlichen Betrag, den die Antragstellerin noch berücksichtigt haben wollte, erkannte ihr das KG hingegen nicht zu. Diesen Betrag wollte die Antragstellerin für die innerhalb der nächsten fünf Wochen nach der Entscheidung fällige Einkommensteuervorauszahlung zurückhalten. In diesem Zusammenhang merkt das KG an, dass das Recht der Prozesskostenhilfe keine Vermögensreserve kennt. Die bloße Absicht eines Antragstellers, einen bestimmten Betrag für einen zukünftigen Zweck benutzen zu wollen, führt noch nicht dazu, dass dieser Betrag nicht als einsatzfähiges Vermögen angesetzt werden könnte. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass die selbständige Antragstellerin bis zur Fälligkeit der Vorauszahlung weitere Einnahmen erzielen könnte.

Damit blieb abschließend nur noch der Freibetrag übrig. Dies sind 5.000 Euro für die Antragstellerin und weitere 500 Euro für jedes ihrer Kinder. Da jedoch nach Abzug der als Vermögen nicht zu berücksichtigenden Beträge immer noch ein recht hoher Betrag verblieb, wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, da der Antragstellerin ein ausreichendes Vermögen zur Finanzierung des Prozesses zur Verfügung stand.

Fazit: Der Entscheidung ist zuzustimmen. Bezüglich der Corona-Soforthilfe ist dies sicherlich kaum angreifbar. Hinsichtlich der Einkommensteuervorauszahlung kann man sich natürlich auch der anderen Auffassung anschließen. Aber: Stichtag ist der Tag der Bewilligung oder eben der Ablehnung. Alles, was bis dahin seriös weg ist, ist eben weg. Und was noch da ist, ist eben noch da. Im Zweifel kann man auch, wenn sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geändert haben, noch einen erneuten Antrag stellen. Eine ablehnende Entscheidung erwächst nicht in Rechtskraft und wenn sich die Verhältnisse geändert haben, ist er auch nicht mutwillig.

OLG Hamm: Anfechtung einer gemischten Kostenentscheidung und zur Prüffrist der Kfz-Haftpflichtversicherung

Mit einigen interessanten und alltäglichen Fragen hat sich das OLG Hamm (Beschl. v. 19.10.2021 – I-7 W 11/21) befasst. Im Rahmen eines Verkehrsunfalls war darüber zu befinden, ob der Geschädigte zu früh geklagt hatte. Das LG hat eine verfrühte Klage bejaht und dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens auferlegt. Die Kostenentscheidung beruhte überwiegend auf § 91a ZPO (soweit die Beklagte zu 1), dies war die Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 2) bezahlt hatte). Durch den streitigen Teil der Entscheidung war der Kläger allerdings nur mit 350 Euro beschwert. Der Kläger legte gleichwohl Berufung und sofortige Beschwerde ein.

Die Berufung ist offensichtlich unzulässig, da es an der erforderlichen Mindestbeschwer von mehr als 600 Euro fehlt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Der Wunsch des Klägers, die Kostenentscheidung des LG auch insoweit zu Fall zu bringen, ändert daran nichts. Denn gemäß § 99 Abs. 1 ZPO ist eine Kostenentscheidung nicht anfechtbar, wenn über die Hauptsache durch Urteil entschieden wurde, dieses Urteil aber nicht anfechtbar ist. Der Anteil der Kosten, über den streitig entschieden wurde, verbleibt daher bei dem Kläger. Anders sieht es mit dem Teil der Kosten aus, über den das LG nach § 91a ZPO entschieden hat. Dieser Teil kann gemäß § 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO durch die sofortige Beschwerde (die erforderliche Beschwer war hier gegeben) angefochten werden.

Im Rahmen der Begründetheit der Beschwerde konnte unproblematisch festgestellt werden, dass sich die Beklagte in Verzug befunden hat, denn der Rechtsanwalt des Klägers hatte mehrfach gemahnt. Allerdings muss einer Haftpflichtversicherung eine angemessene Prüfungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche zugestanden werden. Diese Frist kann nicht allgemein festgelegt werden, sondern ist vom Einzelfall abhängig. Hier war das geparkte Fahrzeug des Klägers durch ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug beschädigt worden. Es handelte sich damit um einen einfach gelagerten Sachverhalt mit einer klaren Haftungslage. Der Klägervertreter hatte bei der Geltendmachung der Ansprüche bereits den Polizeibericht mitgeschickt. Unter diesen Umständen hält das OLG eine Frist von vier Wochen, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits abgelaufen war, für angemessen und ausreichend. Die Inverzugsetzung der Beklagten zu 1) (der Versicherung) wirkt hier – entgegen § 425 Abs. 2 BGB –auch gegen den Beklagten zu 2), und zwar aufgrund der in den AKB eingeräumten Regulierungsvollmacht.

Demgemäß ändert das OLG die Kostenentscheidung des LG ab und legt den Beklagten als Gesamtschuldner den überwiegenden Kostenanteil auf. Lediglich der rechtkräftig gewordene Anteil verbleibt bei dem Kläger.

BGH: Prozesskostensicherheit im Vollstreckbarkeitsverfahren sowie im Aufhebungsverfahren bezüglich eines Schiedsspruchs

Die in der Republik China ansässige Antragsgegnerin war durch ein Schiedsgericht der ICC durch inländischen Schiedsspruch u. a. verurteilt worden, an die Antragstellerin, die in der Republik Österreich ansässig ist, hohe Beträge zu zahlen. Im Vollstreckbarkeitsverfahren hatte das OLG Frankfurt a. M. den Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt und den Aufhebungsantrag der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin legt Rechtsbeschwerde ein. Die Antragstellerin beantragte daraufhin in der Rechtsbeschwerdeinstanz, der Antragsgegnerin die Erbringung einer Prozesskostensicherheit aufzugeben. Der BGH wies mit Beschl. v. 23.9.2021 – I ZB 21/21, MDR 2022, 191 diesen Antrag zurück.

Erst am Ende der Entscheidung weist der BGH daraufhin, dass der Antrag ohnehin verspätet war. Die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten ist eine verzichtbare Zulässigkeitsrüge und muss daher für alle Rechtszüge vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache erhoben werden. Eine Entscheidung über die Sicherheitsleistung ergeht einheitlich für alle Rechtszüge. Entsprechend § 296 Abs. 3 ZPO ist eine spätere Erhebung der Einrede nur zulässig, wenn entweder die Voraussetzungen der Erhebung der Einrede erst später eingetreten sind oder die Einrede ohne Verschulden nicht erhoben wurde. Dabei gilt § 85 Abs. 2 ZPO, d. h. ein Verschulden des Anwalts wird der Partei zugerechnet. Ein solches Verschulden liegt hier vor, da der Bevollmächtigte der Antragstellerin dies hätte wissen müssen.

Der BGH nutzt jedoch tatsächlich diese Gelegenheit, um sich auch in der Sache mit der Zulässigkeit dieser prozessualen Einrede zu befassen. Im Vollstreckbarkeitsverfahren kann die Einrede nicht erhoben werden. Dies hat der BGH bereits zum alten Schiedsverfahrensrecht entschieden. Stellt der Antragsgegner im Rahmen des Vollstreckbarkeitsverfahrens einen Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruches gegen den Antragsteller, kann die Einrede gleichfalls nicht erhoben werden. Dies ergibt sich bereits aus der formalisierten Betrachtungsweise: Gemäß § 110 Abs. 1 ZPO betrifft die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nur den Kläger, gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO nicht den Widerkläger. Nichts anderes gilt vorliegend.