BGH: Separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag

Der BGH (Beschl. v. 17.11.2022 – V ZB 38/22) hat entschieden, dass eine separate Entscheidung über einen Wiedereinsetzungsantrag möglich ist. Jedoch muss diese Entscheidung gesondert mit der Rechtsbeschwerde gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO angefochten werden, um sie nicht in Rechtskraft erwachsen zu lassen.

Folgender Fall lag der Entscheidung zugrunde: Der Kläger hatte den Prozess in erster Instanz verloren. Er beantragte sodann Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Der Antrag wurde zurückgewiesen, weil er seine Bedürftigkeit nicht ordnungsgemäß dargelegt hatte. Danach legte er die Berufung auf eigenes Kostenrisiko ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Dieser Antrag wurde vom OLG zurückgewiesen. Gut fünf Wochen später verwarf das OLG dann die Berufung. Der Kläger beantragte nunmehr Prozesskostenhilfe für die Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss.

Diesen Antrag weist der BGH zu Recht zurück. Grundsätzlich ist das Verfahren über die Wiedereinsetzung mit dem Verfahren über die nachzuholende Prozesshandlung zu verbinden (§ 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, separat darüber zu entscheiden (§ 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dann aber ist diese Entscheidung auch gesondert anzufechten (§§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 2 ZPO). Erfolgt keine Anfechtung, wird der Beschluss für das weitere Verfahren bindend und kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden, jedenfalls was den beschiedenen Sachverhalt betrifft.

Genauso liegen die Dinge hier. Zwar hatte sich das OLG bei dem Verwerfungsbeschluss erneut mit der Frage der Wiedereinsetzung auseinandergesetzt. Dies war jedoch genauso unnötig wie unschädlich. Die Wiedereinsetzung, vor allem im Rahmen von Antragsverfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Berufungsinstanz, ist ein sehr schwieriges Feld. Hier kann sehr viel falsch gemacht werden. Der Rechtsanwalt muss sehr vorsichtig sein und jede Entscheidung eines Gerichts stets genau auf ihre Richtigkeit und eventuelle Anfechtbarkeit prüfen.

BGH: Unpfändbarkeit des Pflegegeldes

In einem Verfahren vor dem BGH (Beschl. v. 20.10.2022 – IX ZB 12/22, MDR 2023, 187) ging es um die Einkommensberechnung einer Schuldnerin im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Der Sohn der Schuldnerin ist pflegebedürftig. Die Schuldnerin selbst übernimmt die Pflege. Das Pflegegeld, das dem Sohn zusteht, wird von diesem an die Schuldnerin weitergeleitet. Die Frage ist nun, ob dieses Geld bei der Schuldnerin als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Gemäß § 36 Abs. 1 InsO gehört sonstiges Einkommen des Schuldners, das nicht gepfändet werden darf, nicht zur Insolvenzmasse. Damit wird über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO auch § 850e ZPO anwendbar, insbesondere die Nrn. 2. und 2a (Arbeitseinkommen wird mit Sozialleistungen zusammengerechnet soweit diese der Pfändbarkeit unterworfen sind).

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I (Unpfändbarkeit von Geldleistungen, die Körperschaden ausgleichen) nicht einschlägig ist, denn die Schuldnerin selbst ist nicht pflegebedürftig (vgl. auch § 14 SGB XI). Das Pflegegeld ist eine Leistung der Pflegeversicherung an den Pflegebedürftigen. Das Pflegegeld bleibt bei Unterhaltsansprüchen und -verpflichtungen gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB XI unberücksichtigt. Daraus folgt, dass es im Übrigen an sich den allgemeinen Vorschriften der ZPO unterfällt.

Allerdings bejaht der BGH sodann die Voraussetzungen des § 851 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 399 BGB. Das Pflegegeld unterfällt § 399 Abs. 1 BGB. Die Leistung kann nicht ohne Veränderung ihres Inhaltes erfolgen, da hier die Leistung mit der Person so verknüpft ist, dass sie, würde sie ein anderer erbringen, als eine andere Leistung erscheinen wird. Eine andere Sicht der Dinge würde zudem auch den Zielen der Pflege, eine Betreuung in der häuslichen Atmosphäre zu ermöglichen, entgegenlaufen. Hinzu kommt, dass der Pflegebedürftige in seiner Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes frei ist.

Die zuvor streitige Frage ist daher nunmehr für die Praxis abschließend geklärt. Pflegegeld, das von dem Pflegebedürftigen an einen Pflegenden weitergeleitet wird, die die Pflege erbringt, ist bei diesem Pflegenden unpfändbar. Es ist bei der Einkommensberechnung daher nicht mit anderem Einkommen des Pflegenden zusammenzurechnen.

BGH: Erneute Anhörung eines Sachverständigen

Im Rahmen eines komplexen Schadensersatzprozesses war das OLG von einer sachverständigen Einschätzung des LG bezüglich der angemessenen Höhe eines Geschäftsführergehaltes abgewichen. Dies wurde damit begründet, dass ohnehin eine Schätzung nach § 287 ZPO geboten sei und die Mitglieder des Senats aus ihren früheren Tätigkeiten als Vorsitzende Richter eine Kammer für Handelssachen (Vorsitzende) sowie aus zahlreichen Unterhaltsprozessen (Beisitzer) selbst in der Sache erfahren seien.

Obwohl sich diese Begründung an sich gut las, lässt sie der BGH (Urt. v. 19.10.2022 – XII ZR 97/21) nicht gelten. Genauso wie bei der Würdigung von Zeugenaussagen geht der BGH auch bei Sachverständigen davon aus, dass diese erneut anzuhören sind, wenn die zweite Instanz von der ersten abweichen möchte. Das OLG hätte sich mithin über die Ausführungen des Sachverständigen nicht hinwegsetzen dürfen, ohne diesen erneut anzuhören. Das Argument des OLG, es verfüge über eine ausreichende eigene Sachkunde, lässt der BGH nicht gelten. Die von dem OLG in Anspruch genommene Sachkunde sei der Kenntnis des Sachverständigen nicht überlegen.

Diese Entscheidung sollte jeder Richter, der revisionssichere Urteile verfassen möchte, kennen. Freilich macht die Entscheidung es der Praxis nicht einfacher: Oftmals ergeben sich derartige Fragestellungen erst im Rahmen der Abfassung der Urteilsbegründung. Es kann nicht alles in Einzelheiten vorberaten werden, außerdem ergibt sich in einer Verhandlung doch oftmals etwas Neues. Dann wäre eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung notwendig. Dies kann jedoch unter Umständen zur Folge haben, dass noch weiterer Verfahrensstoff vorgetragen wird, der wiederum zu derartigen Schwierigkeiten führt. Letztlich führt diese Sicht der Dinge daher dazu, dass umfangreiche Prozesse kaum abgeschlossen werden können, schon gar nicht in angemessener Zeit.

BGH: Verpflichtung zur Terminsvertretung

Die beklagte Rechtsanwaltskammer nahm die Zulassung des klagenden Rechtsanwalts zurück. Dagegen ging dieser vor. Da in der Sache wohl wenig zu erreichen war, hatten der Rechtsanwalt und sein Prozessbevollmächtigter offensichtlich versucht, durch das Geltendmachen von Terminsverlegungsgründen, vor allem (Vor)Erkrankungen etc., den Anwaltsgerichtshof zu Verfahrensfehlern zu zwingen, um diese anschließend in der Berufungsinstanz vor dem BGH geltend machen zu können.

In der Berufungsinstanz vor dem BGH wurden dann diese angeblichen Verfahrensfehler auch gerügt. Der BGH ging dem Kläger jedoch nicht „auf den Leim“, sondern ließ die Berufung nicht zu. In diesem Zusammenhang hat der BGH (Beschl. v. 12.9.2022 – AnwZ (Brfg) 10/22) einige wichtige Grundsätze aufgestellt, die für die Behandlung derartiger Sachverhalte wichtig sind.

Im Einzelnen: Selbst eine schwere Vorerkrankung gebietet – auch im Rahmen der Corona-Virus-Pandemie – nicht ohne weiteres die Verlegung eines Termins, sondern stellt lediglich einen Umstand dar, der bei der Abwägung, ob ein erheblicher Grund (§ 227 ZPO) vorliegt, zu berücksichtigen ist. Gegen eine Verlegung sprechen zum Beispiel Maßnahmen, die das Gericht ergriffen hat, um die Verfahrensbeteiligten zu schützen. Genauso wie bei einer längeren Erkrankung muss ein Prozessbevollmächtigter, der davon ausgeht, Termine wegen eines Erkrankungsrisikos nicht wahrnehmen zu können, im Übrigen notfalls einen Unterbevollmächtigten,z.B. einen Kanzleikollegen, bestellen, vor allem dann, wenn die Sache nicht sehr komplex ist und eine Vertretung ohne weiteres möglich ist. Die Ablehnung der Durchführung einer Videoverhandlung ist nicht anfechtbar und kann demgemäß auch nicht in der nächsten Instanz gerügt werden. Zwar hätte der entsprechende Antrag von dem Gericht und nicht von der Vorsitzenden alleine beschieden werden müssen (§ 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies ist jedoch im Endeffekt unschädlich, da lediglich eine willkürliche Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften relevant ist und die Vorsitzende die einschlägige Regelung schlichtweg versehentlich übersehen hatte.

Natürlich wurde – nach der Ablehnung der Terminsverlegung – gleichfalls noch ein Befangenheitsantrag gestellt. Auch die Bestätigung der Zurückweisung desselben durch den BGH ist durchaus lesenswert.

Wer also häufiger mit Menschen zu hat, die einen Zivilprozess durch Terminsverlegungsanträge und Befangenheitsanträge verzögern wollen, sollte diese (recht lange!) Entscheidung einmal in Ruhe lesen.

OLG Frankfurt a. M.: Verzögerungsgebühr wegen Nichttragens einer Maske

Das OLG Frankfurt a. M. (Beschl. v. 27.9.2022 – 7 WF 116/22) hatte über die Verhängung einer Verzögerungsgebühr gem. § 32 FamGKG bei Zuwiderhandlung und Terminsvertagung zu entscheiden.

Im Rahmen einer Sitzung des Familiengerichts ordnete der Richter am Amtsgericht an, dass die Beteiligten eine Maske zu tragen haben. Eine Rechtsanwältin war dazu nicht bereit. Der Richter bestimmte daher einen neuen Termin. Das Gericht legte der Partei gemäß § 32 S. 1 FamGKG eine Verzögerungsgebühr auf. Dagegen richtet sich die unbefristete Beschwerde der Partei nach § 60 FamGKG, die allerdings erfolglos bleibt.

Gemäß § 176 Abs. 1 GVG obliegt dem Vorsitzenden die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Eine Maskenanordnung fällt darunter, da eine Infektion der Beteiligten mit dem Corona-Virus verhindert werden kann. Die Aufrechterhaltung der Ordnung ist auch gegenüber den Prozessvertretern möglich. Die erfolgte Anordnung ist von dem Ermessen des Vorsitzenden gedeckt. Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot nach § 176 Abs. 2 S. 1 GVG liegt darin nicht. Die Befugnis des § 176 Abs. 1 GVG ist von dem Hausrecht unabhängig. Der Umstand, dass andere Richter abweichende oder gar keine Anordnung treffen, macht die vorliegende Anordnung der Richterin weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Es ist offensichtlich, dass eine Maske dazu geeignet ist, die weitere Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen.

Selbst wenn der Rechtsanwältin die Verzögerung vorzuwerfen ist, so ist die Gebühr gleichwohl gegen die Partei festzusetzen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 32 FamGKG ergibt. Die Rechtsanwältin wird diese Gebühr jedoch der Partei erstatten müssen, da sie diese Rechtsprechung kennen musste und gehalten ist, die Festsetzung derartiger Gebühren gegen die Partei von vornherein zu verhindern, um unnötige finanzielle Belastung der Mandantschaft zu vermeiden. Als Anspruchsgrundlage dürfte § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Mandatsvertrag  heranzuziehen sein.

OLG Düsseldorf: Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren

Es besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Hauptsache nicht vorweggenommen werden soll. Zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz sowie zu weiteren interessanten Fragen in diesem Zusammenhang hat sich das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 20.10.2022 – 26 W 6/22) geäußert.

Die Parteien sind durch einen Energielieferungs-Vertrag verbunden. Die Antragstellerin beantragt, die von der Antragsgegnerin vorgenommene Preiserhöhung für unwirksam zu erklären. Nachdem das LG den Antrag zurückgewiesen hatte, legte die Antragstellerin direkt beim OLG sofortige Beschwerde ein.

Das OLG weist die Beschwerde direkt zurück, und zwar ohne die Sache an das LG zum Treffen einer Abhilfeentscheidung zurückzugeben. Wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine sofortige Beschwerde direkt bei dem Beschwerdegericht eingelegt wird, muss das Ausgangsgericht nämlich nicht zwingend über die Abhilfe entscheiden.

In der Sache selbst bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nur zulässig, wenn ein Unterbleiben einer Entscheidung zu einer existenziellen Notlage oder zu irreparablen Schäden führt und kein entsprechender Nachteil beim Gegner eintreten würde. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Vorliegend ging es jedoch nur um finanzielle Belange. Eine Einstellung der Weiterbelieferung mit Energie stand nicht zur Diskussion. Eine wirkliche Notlage hatte die Antragstellerin allerdings nicht dargelegt. Hierfür hätte sie im Einzelnen auf ihre finanziellen Verhältnisse eingehen müssen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Preiserhöhung voraussichtlich unwirksam war, weil sie den Voraussetzungen des § 41 Abs. 5 S. 2 EnWG nicht entsprach.

BGH: Notieren einer Vorfrist

Der BGH (Beschl. v. 20.09.2022 – VI ZB 17/22) hat sich im Rahmen der Überprüfung eines vom OLG zurückgewiesenen Wiedereinsetzungsantrages dazu geäußert, wann eine Vorfrist zu notieren ist.

Eine ansonsten zuverlässige Angestellte der Rechtsanwältin hatte es versehentlich versäumt, das Ende der richtig berechneten Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender einzutragen. Dies fiel leider erst nach Fristablauf auf. Eine Wiedereinsetzung rechtfertigt dies jedoch nicht, weil es keine grundsätzliche Weisung der Rechtsanwältin gab, für Berufungsbegründungen eine Vorfrist einzutragen. Dies ist für alle Prozesshandlungen erforderlich, die mehr als nur geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordern, was bei einer Berufungsbegründung der Fall ist. Das Notieren der Vorfrist führt außerdem zu einer zusätzlichen Sicherung, weil sie sicherstellt, dass die eigentliche Frist gewahrt wird, selbst wenn es versäumt wurde, diese einzutragen.

Die Frage war, ob dieses Versäumnis überhaupt ursächlich für das Fristversäumnis war. Der Anwalt hatte natürlich eingewandt, die Angestellte hätte voraussichtlich auch vergessen, die Vorfrist zu notieren. Dies akzeptiert der BGH nicht. Wenn nicht alle zumutbaren und möglichen Maßnahmen ergriffen wurden, geht es zu Lasten des Anwalts, wenn nicht festgestellt werden kann, wie sich die Sache entwickelt hätte. Die Angestellte hatte die Frist grundsätzlich richtig berechnet und auch in der Akte vermerkt. Bei einem ordnungsgemäßen Vorgehen wäre die Vorfrist vermerkt worden. Damit hatte das OLG den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht zurückgewiesen und gleichfalls zu Recht die Berufung verworfen.

Fazit: Es darf daher niemals vergessen werden, bei allen Fristen auch eine Vorfrist zu notieren, wenn die maßgebliche Prozesshandlung nicht einfach und schnell zu erledigen ist. Eine entsprechende Weisung an die Mitarbeiter muss ergehen.

BGH: Notwendiger Hinweis des Gerichts bei einer Wiedereinsetzung wegen plötzlicher Erkrankung der Rechtsanwältin

Der BGH hat sich mit Beschl. v. 6.9.2022 – VIII ZB 24/22, MDR 2022, 1363 mit den Pflichten des Rechtsmittelgerichts im Hinblick auf das Vorbringen zur Begründung eines auf eine unvorhergesehene Erkrankung des Rechtsanwalts gestützten Wiedereinsetzungsantrags befasst.

In dem Verfahren hat der Kläger behauptet und durch anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, seine Anwältin sei am Tage des Ablaufes der Berufungsbegründungsfrist unvorhergesehen akut erkrankt (Fieber, starke Übelkeit, Erbrechen) und habe deshalb die Frist nicht wahren können. Die Beauftragung eines Vertreters sei genauso wenig zumutbar und möglich gewesen wie die Einholung der Zustimmung des Beklagtenvertreters zu einer erneuten Fristverlängerung. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass die Einholung einer Zustimmung des Beklagtenvertreters zur erneuten Verlängerung der Frist nicht möglich gewesen wäre. Die pauschale Behauptung, dies sei nicht zumutbar und möglich gewesen, sei nicht ausreichend.

Der BGH teilt diese Sichtweise nicht, sondern fordert von dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung der Sache, die unrichtigerweise unterblieben sei; gegebenenfalls durch Vernehmung der Anwältin. Das Berufungsgericht habe richtig angenommen, dass der Kläger eine in sich geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe noch nicht abgegeben habe. Im Kern sei das Vorbringen des Klägers allerdings nachvollziehbar. In einem solchen Fall wäre das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO dazu verpflichtet gewesen, den Kläger auf die Lücken im Vortrag hinzuweisen und entsprechenden Beweis anzutreten. Es handele sich hier mithin um erkennbar unklare und ergänzungsbedürftige Angaben, die auch noch nach Fristablauf und noch mit der Rechtsbeschwerde ergänzt werden könnten.

Fazit: Die Entscheidung liegt ganz auf der Linie der sich immer weiter und mehr ausdehnenden Aufklärungs- und Hinweispflichten, die die Anwaltschaft zu einem immer unsorgfältigeren Verhalten ermutigen. Es dürfte doch auf der Hand liegen, dass in Fällen der plötzlichen Erkrankung näher ausgeführt werden muss, warum man nicht mehr den Gegner anrufen und um Zustimmung zur Fristverlängerung bitten konnte! Was liegt eigentlich näher?

BGH: Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten

Im Rahmen eines „Diesel-Verfahrens“ ging es in der Revisionsinstanz zuletzt nur noch um die Frage, ob die unterlegene Beklagte auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers zu erstatten hat. Der BGH (Beschl. v. 23.6.2022 – VII ZR 294/21) fasst in dieser Entscheidung die Voraussetzungen dafür gut zusammen. Als Anspruchsgrundlage war hier – wie in der Hauptsache – auch § 826 BGB einschlägig.

Die allgemeinen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage bejaht der BGH: Da es sich um einen nicht einfach gelagerten Sachverhalt handelte, durfte der Kläger sich veranlasst sehen, sogleich einen Rechtsanwalt einzuschalten, ohne zunächst selbst bei der Beklagten vorstellig zu werden. Soweit die Beklagte behauptet hatte, den Klägervertretern sei aufgrund allgemeiner Berichterstattung ihre Rechtsansicht bekannt gewesen, dringt sie damit nicht durch. Eine von vornherein bestehende Zahlungsunwilligkeit, die tatsächlich die Einschaltung eines Rechtsanwaltes zum Versuch der vorprozessualen Regulierung ausscheidet, ist damit nicht in der erforderlichen Weise dargetan, zumal der Schädiger dafür die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Die entscheidende Frage war hier allerdings, ob – was für den Erstattungsanspruch Voraussetzung ist (!) – hier überhaupt von dem Kläger ein Mandat für die außergerichtliche Vertretung erteilt worden war. Ist nämlich das Mandat nur zur gerichtlichen Vertretung erteilt worden, gehört ein vorprozessuales Schreiben schon zu einer die Klage vorbereitenden Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG. Dann fällt nur die Verfahrensgebühr, jedoch keine Geschäftsgebühr an. Hier war es jedoch so, dass die Klägervertreter im vorprozessualen Anwaltsschreiben mitgeteilt hatten, sie würden dem Kläger zur Klage raten, wenn die Beklagte nicht zahlen werde. Der BGH sieht darin einen ausreichenden Vortrag für eine außergerichtliche Tätigkeit. Dabei weist der BGH erneut darauf hin, dass auch ein unter der aufschiebenden Bedingung der Erfolglosigkeit der vorprozessualen Regulierung erteilter Prozessauftrag ausreichend ist, um eine Geschäftsgebühr entstehen zu lassen.

Fazit: Mit dieser Sicht der Dinge hält der BGH die Pflicht zur Darlegung der Umstände innerhalb einer realistischen Grenze und vermeidet die unnötige Aufblähung des Prozessstoffes wegen einer Nebenforderung. In die Vorlagen für vorprozessuale Schreiben sollte in etwa folgende Formulierung aufgenommen werden: „Wenn Sie die Forderung nicht innerhalb von zwei Wochen gezahlt haben, werde ich der Mandantschaft dazu raten, gegen Sie eine entsprechende Klage einzureichen.“ Damit dürfte dann das Entstehen einer Geschäftsgebühr hinreichend dargelegt sein.

 

 

OLG Karlsruhe: Besorgnis der Befangenheit durch Übersehen eines Befangenheitsantrages

In einer Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 11.5. 2022 – 9 W 24/22) ging es um die Frage, ob alleine das Übersehen eines Befangenheitsantrages schon die Besorgnis der Befangenheit begründen kann, was das OLG bejaht hat.

In einer über 100 Seiten langen Klageerwiderung befand sich ein Befangenheitsantrag der Beklagten. Der zuständige Richter las lediglich das Inhaltsverzeichnis des Schriftsatzes, übersah demgemäß den Befangenheitsantrag und stellte die Klageerwiderung mit einer Verfügung zu. Alsdann ging noch eine Widerklage ein, darin wurde erneut auf den Befangenheitsantrag hingewiesen sowie auf den Verstoß gegen § 47 ZPO durch die erwähnte Verfügung. Gleichzeitig wurde ein erneuter Befangenheitsantrag gestellt. In seiner dienstlichen Stellungnahme entschuldigte sich der Richter für sein Versäumnis.

Nach der Auffassung des OLG lässt der Verstoß gegen § 47 ZPO den Schluss darauf zu, dass der abgelehnte Richter bei der Wahrnehmung der Belange der Beklagten eine evident fehlende Sorgfalt an den Tag legt und deswegen bei der Beklagten der Eindruck entsteht, der Richter werde auch später das Vorbringen der Beklagten nicht ernst nehmen.

Diese Sicht der Dinge geht nach hiesiger Einschätzung an der Praxis vorbei. Die Überlastung der Gerichte ist allgemein bekannt. Es ist lebensfern davon auszugehen, dass jeder Schriftsatz, der bei Gericht eingeht, sofort vollständig gelesen und verarbeitet werden kann. Eine derartige Vorgehensweise wäre auch eine Verschwendung richterlicher Ressourcen. Wenn offensichtlich ist, dass eine über 100 Seiten lange Klageerwiderung nicht ohne eine erneute Stellungnahme des Klägers sachgerecht bewertet werden kann, macht es keinen Sinn, dieselbe gleich durch zu studieren. Wesentlich sinnvoller und ressourcenschonender ist es, diesen Schriftsatz erst dann vollständig zur Kenntnis zu nehmen, wenn die Sache soweit „ausgeschrieben“ erscheint, dass eine sachgemäße Förderung derselben möglich ist. Dies weiß im Normalfall auch jeder Rechtsanwalt. Deswegen wird bei langen Schriftsätzen auch stets am Anfang auf wichtige Anträge hingewiesen, oftmals sogar in Fettdruck.

Fazit: Diese Entscheidung sollte daher keinesfalls Schule machen, zumal sie geradezu dazu auffordert, durch versteckte Befangenheitsanträge Verfahren zu verzögern!