Wieder einmal hatte der BGH Anlass, in einem Wiedereinsetzungsverfahren die Voraussetzungen an die Kanzleiorganisation und insbesondere an die Postausgangskontrolle bei Versendung fristgebundener Schriftsätze per beA zusammenzufassen:
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Unerlässlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist. Diese Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen. Der Rechtsanwalt darf nicht von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes per beA an das Gericht ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ nicht die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird. Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren.
Die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist begehrende Klägerin hat lediglich allgemein behauptet, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze die Anweisung, am Ende eines jeden Arbeitstages die Fristenliste mit den erfolgreichen „beA-Versandprotokollen“ abzugleichen und eine endgültige Erledigung nur zu notieren, wenn das „Versandprotokoll“ auf Existenz und Inhalt geprüft worden sei. Es lässt sich insoweit bereits nicht feststellen, ob sich die behauptete Anweisung einer Überprüfung des „Versandprotokolls“ auf die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO oder das Übermittlungsprotokoll bezog. Eine genaue Anweisung durch den Rechtsanwalt ist insbesondere erforderlich, um Verwechslungen der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO mit dem Übermittlungsprotokoll zu vermeiden, dessen Vorliegen für die Ausgangskontrolle nicht genügt. Schon an der Darlegung einer solchermaßen eindeutigen Anweisung fehlt es. Zudem fehlen einer solcherart gefassten Anordnung auch hinreichende Anweisungen dazu, wie der zuständige Mitarbeiter die Kontrolle im Einzelfall vorzunehmen hat. Insoweit genügt es nicht, dass zur Organisation der Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten die Weisung an die den Postversand tätigenden Büromitarbeiter gehört, zu prüfen, ob die Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO vorliegt. Der Rechtsanwalt muss dem Mitarbeiter vielmehr vorgeben, an welcher Stelle innerhalb der benutzten Software die elektronische Eingangsbestätigung zu finden ist und welchen Inhalt sie haben muss. Die pauschale Anweisung, das Vorliegen der Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO zu kontrollieren, lässt den Mitarbeiter dagegen schon darüber im Unklaren, welches im Zusammenhang mit der Übermittlung von Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr erstellte Dokument eine elektronische Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO ist. Wie die Eingangsbestätigung aufgerufen und ihr Inhalt überprüft werden kann, erfordert eine intensive Schulung der mit dem Versand über das beA vertrauten Mitarbeiter. Dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine den Postversand tätigenden Mitarbeiter entsprechend geschult oder angewiesen hat, hat die Klägerin schon nicht vorgetragen.
(BGH, Beschluss vom 6. September 2023 – IV ZB 4/23).
Fazit: Fristen dürfen erst nach Erhalt und Kontrolle der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs gestrichen werden (BGH MDR 2023, 858; Schwenker MDR 2023, 1161).
Anwaltsblog: Kein Vertrauen auf (erstmalige) Fristverlängerung von mehr als einem Monat ohne Zustimmung Gegenseite!
Darf der Rechtsmittelführer bei einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag von mehr als einem Monat auf die Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist vertrauen und braucht nicht bei Gericht nachzufragen?
Das Familiengericht hat die Antragsgegnerin durch am 3. Januar 2022 zugestellten Beschluss zur Auskunftserteilung verpflichtet. Die Antragsgegnerin hat Beschwerde eingelegt und am 3. März 2022 beantragt, die Frist zur Begründung um sechs Wochen bis einschließlich 14. April 2022 zu verlängern. Mit am 14. April 2022 beim OLG eingegangenem Schriftsatz hat sie ihre Beschwerde begründet. Nach Hinweis hat die Antragsgegnerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ihre zuverlässige und erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte habe den Ablauf der Begründungsfrist, nachdem ein erster, auf Verlängerung bis zum 4. April 2022 gerichteter Fristverlängerungsantrag abgefasst worden sei, weisungsgemäß zunächst auf dieses Datum in den elektronischen Kalender eingetragen. Da allerdings dann eine weitergehende Fristverlängerung bis 14. April 2022 für nötig befunden worden sei, habe die Kanzleiangestellte die Frist auf den 14. April 2022 umgetragen. Die Verfahrensbevollmächtigte habe auf eine zeitnahe Entscheidung über das Fristverlängerungsgesuch vertraut und erst durch den gerichtlichen Hinweis bemerkt, dass die Beschwerdebegründung nicht zu dem von ihr vorgegebenen Fristende am 4. April 2022 eingereicht worden sei.
Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Gründe für eine unverschuldete Fristversäumung sind nicht offenkundig. Die Sorgfaltspflicht verlangt in Fristsachen von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Der Rechtsanwalt hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen. Für den Fall eines Fristverlängerungsantrags bestehen zudem weitere Anforderungen an das Fristenwesen. In diesen Fällen muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig – spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung – überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann. Dass diese Anforderungen erfüllt waren, hätte der konkreten Darlegung und Glaubhaftmachung bedurft.
Dass das OLG über den Fristverlängerungsantrag nicht vor Ablauf der ohne Einwilligung des Gegners verlängerbaren Frist entschieden hat, war nicht verfahrensfehlerhaft. Es war auch nicht aufgrund seiner gerichtlichen Fürsorgepflicht gehalten, die Antragsgegnerin vor Ablauf des ohne Einwilligung des Gegners bewilligungsfähigen Zeitraums auf die mangels Einwilligung fehlende Möglichkeit einer weitergehenden Fristverlängerung hinzuweisen. Denn das Rechtsmittelgericht darf grundsätzlich davon ausgehen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten eines Beteiligten die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung von mehr als einem Monat bekannt sind. Grundsätzlich ist es Sache der Verfahrensbeteiligten, für die Wahrung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen Sorge zu tragen, eine etwa erforderliche Einwilligung des Gegners zu einer Fristverlängerung beizubringen und Unklarheiten rechtzeitig auszuräumen. Darf der Beteiligte auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung vertrauen, weil deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, bedarf es keiner Nachfrage beim Gericht. Anderes gilt jedoch, wenn mit der beantragten Fristverlängerung nicht gerechnet werden kann. In einem solchen Fall ist es Sache des Beteiligten, sich rechtzeitig nach dem Schicksal des von ihm gestellten Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu erkundigen, um die Begründung fristwahrend einreichen zu können.
(BGH, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 96/23)
Fazit: Regressfälle wie dieser können durch die ordnungsgemäße Notierung von Vorfristen vermieden werden. Für Rechtsmittelbegründungen muss außer dem Fristablauf noch (mindestens) eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist notiert werden (BGH vom 21.06.2023 – XII ZB 418/22).
Anwaltsblog: Wann ist die bei einer Ersatzeinreichung per Fax erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung der Störung der elektronischen Übermittlungsmöglichkeit rechtzeitig?
Die Berufungsschrift der Beklagten gegen ein Urteil des Patentgerichts ist am letzten Tag der Berufungsfrist, dem 20. April 2023 um 15:15 Uhr per Telefax beim BGH eingegangen, der gem. § 110 PatG Berufungsgericht ist. In einem am gleichen Tag um 20:09 Uhr per Telefax eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte dargelegt, weshalb ihre Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift nicht über das beA eingereicht haben.
Der BGH erklärt die Berufung durch Zwischenurteil für zulässig. Die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax war gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausnahmsweise ausreichend. Die Beklagte hat dargelegt und anwaltlich versichert, dass zwei ihrer Prozessbevollmächtigten am 20. April 2023 zwischen 12:56 Uhr und 18:34 Uhr insgesamt zwölfmal versucht haben, die Berufungsschrift aus ihrem beA zu übermitteln, und dass alle Übermittlungsversuche mit der Meldung geendet haben, die Nachricht habe nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden können. Sie haben ferner dargelegt, dass am 20. April 2023 auf den Internetseiten des EGVP eine als „aktuell“ gekennzeichnete Meldung veröffentlicht war, wonach (u.a.) die Bundesgerichte seit dem 19. April 2023 um 14:12 Uhr „vorläufig nicht erreichbar“ seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Glaubhaftmachung rechtzeitig erfolgt. Gemäß § 130d Satz 3 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung hat danach möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen. Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt. Eine noch am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingegangene Darlegung und Glaubhaftmachung ist als gleichzeitig im Sinne dieser Grundsätze anzusehen. Der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO ist allerdings zu entnehmen, dass die Gründe für die Ersatzeinreichung so schnell wie möglich darzulegen und glaubhaft zu machen sind. Bei Anlegung dieses Maßstabes darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Frist für die Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels grundsätzlich bis zum Ende des betreffenden Tages ausgenutzt werden darf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn die Ersatzeinreichung und die Darlegung und Glaubhaftmachung am gleichen Tag mit zwei getrennten Schriftsätzen übermittelt werden.
Aus der Rechtsprechung zu den Sorgfaltspflichten bei dem früher zulässigen Einreichen fristgebundener Schriftsätze per Telefax ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Danach darf die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nicht vorschnell abgebrochen werden, wenn eine Übersendung zunächst nicht gelingt. Danach ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann zu versagen, wenn schon um 20 Uhr von weiteren Sendeversuchen abgesehen worden ist. Diese Rechtsprechung ist auf § 130d Satz 2 ZPO nicht übertragbar. Ein Rechtsanwalt, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, und deshalb eine zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, ist nicht gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Diese Unterscheidung ist konsequent, weil § 130d Satz 2 ZPO nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumen einer Frist betrifft, sondern die Möglichkeit zur Einhaltung einer Frist in einer von der Vorgabe aus § 130d Satz 1 ZPO abweichenden Form vorsieht. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass ein Telefaxgerät wegen Belegung mit anderweitigen Sendungen vorübergehend nicht erreichbar ist, auch bei ordnungsgemäßer Funktion aller Komponenten. § 130d Satz 2 ZPO betrifft demgegenüber Fälle, in denen die zur Übermittlung eingesetzten Systeme eine Störung aufweisen.
(BGH, Zwischenurteil vom 25. Juli 2023 – X ZR 51/23)
Fazit: Der Grund für eine Ersatzeinreichung muss möglichst zeitgleich mit der Übermittlung glaubhaft gemacht werden. Eine Darlegung in einem gesonderten Schriftsatz am selben Tag ist als „gleichzeitig“ und damit rechtzeitig zu werten.
Anwaltsblog: Erkennbar falsches Datum in Rechtsmittelschrift schadet nicht!
Wie genau muss in einer Rechtsmittelschrift die angegriffene Entscheidung bezeichnet werden?
Das Familiengericht hat mit am 12. Mai 2021 verkündetem Beschluss den Antragsgegner zur Zahlung von Betreuungsunterhalt verpflichtet. Mit am 14. Mai 2021 erlassenem Beschluss hat es den Verfahrenswert festgesetzt. Beide Beschlüsse sind den Verfahrensbevollmächtigten am 17. Mai 2021 zugestellt worden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Juni 2021 hat der Antragsgegner gegen den „Beschluss des AG Neuss – Familiengericht – vom 14.05.2021, zugestellt am 17.05.2021“ Beschwerde eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 30. Juni 2021 hat er klargestellt, dass sich die Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 richte. Das OLG hat die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 verworfen. Der innerhalb der Beschwerdefrist eingegangene Schriftsatz vom 7. Juni 2021, nach dessen Wortlaut Beschwerde gegen einen am 17. Mai 2021 zugestellten Beschluss vom 14. Mai 2021 eingelegt werde, könne nicht als Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache vom 12. Mai 2021 ausgelegt werden.
Das sieht der BGH anders. Nach § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Wie bei der für das zivilprozessuale Berufungsverfahren maßgeblichen Regelung in § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift allerdings nicht, auf welche Weise die angefochtene Entscheidung bezeichnet werden muss. Da § 64 Abs. 2 Satz 3 FamFG dem Zweck dient, dem Beschwerdegericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten Klarheit über den Gegenstand und die Beteiligten des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen, ist in der Beschwerdeschrift die angegriffene Entscheidung in der Regel durch eine vollständige Bezeichnung der Verfahrensbeteiligten, des Gerichts, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat, des Verkündungsdatums und des Aktenzeichens zu bezeichnen. Verfahrensrechtliche Formvorschriften sind jedoch kein Selbstzweck. Daher dürfen keine übermäßigen Anforderungen an die Beachtung der Förmlichkeiten der Beschwerdeschrift gestellt werden. Ausreichend ist, wenn aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen. Gemessen hieran hat der Antragsgegner rechtzeitig Beschwerde gegen den Beschluss vom 12. Mai 2021 eingelegt. Zwar hat er den Erlasstermin der Entscheidung, gegen die sich das Rechtsmittel richten sollte, unzutreffend angegeben. Aus dem Inhalt der Verfahrensakten ergaben sich für das Gericht jedoch schon vor Ablauf der Beschwerdefrist hinreichende Anhaltspunkte, aus denen erkennbar war, dass der Antragsgegner die Entscheidung in der Hauptsache und nicht den Beschluss über die Festsetzung des Verfahrenswerts anfechten wollte. So befand sich in den Verfahrensakten bereits die Verfahrenshilfeliquidation des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners, die er am Tage der Abfassung der Beschwerdeschrift beim Amtsgericht eingereicht und der er die in dem Beschluss vom 14. Mai 2021 festgesetzten Verfahrenswerte unbeanstandet zugrunde gelegt hatte. Trotz der fehlerhaften Angaben in der Beschwerdeschrift zum Erlassdatum war das Beschwerdegericht auch seit Beginn seiner Befassung mit der Sache nicht gehindert, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen. Das Verfahren wurde von der Geschäftsstelle des OLG ohne weitere Beanstandung als Rechtsmittel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem „UF“-Registerzeichen und nicht – wie bei einer Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Festsetzung des Verfahrenswerts – unter dem „WF“-Registerzeichen eingetragen.
(BGH, Beschluss vom 2. August 2023 – XII ZB 432/22)
Fazit: Ein Rechtsmittel ist formgerecht eingelegt, wenn trotz fehlerhafter Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Angaben in der Rechtsmittelschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Rechtsmittelfrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen.
Anwaltsblog: (Für den Rechtsanwalt) gefährliche Vergleiche
Der Rechtsanwalt muss seinen Mandanten durch verständliche Darlegung der Sach- und Rechtslage in den Stand versetzen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, ob er einen Vergleichsvorschlag annimmt. Diese Pflicht entfällt nur dann, wenn der Mandant die Vorteile und Risiken des beabsichtigten Vergleichs bereits kennt. Wen trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Entfallen der Beratungsbedürftigkeit des Mandanten?
Der Kläger, der einen Fachbetrieb mit Abdichtungsarbeiten an seinem Haus beauftragt hatte, stellte anschließend Feuchteschäden fest. In einem von ihm daraufhin angestrengtem selbständigen Beweisverfahren stand beim zweiten Ortstermin, an dem für den Kläger dessen Ehefrau teilnahm, ein Bagger bereit, mit dem die zur Begutachtung erforderlichen Aufgrabungen vorgenommen werden sollten. Noch vor deren Beginn kam es zu Vergleichsgesprächen. Schließlich wurde ein durch gerichtlichen Beschluss bestätigter Vergleich geschlossen, durch den sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag über die Abdichtungsarbeiten abgegolten und erledigt sein sollten. Da die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten mehr als das Vierfache der Vergleichssumme von 55.000 € betragen, verlangt der Kläger von seinem Rechtsanwalt die Differenz als Schadensersatz.
Die Klage hat zunächst keinen Erfolg. Das OLG meint, die Bedeutung von Abgeltungsklauseln sei dem verständigen Verbraucher bekannt. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, dass er abweichend von einem verständigen Mandanten die Bedeutung einer Abgeltungsklausel nicht gekannt und der Beklagte dies erkannt habe.
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Zu den entscheidenden Weichenstellungen in einer Rechtsangelegenheit zählt die Frage, ob diese durch einen Vergleich beendet werden soll. Der Mandant muss in die Lage versetzt werden, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dazu bedarf es in aller Regel einer anwaltlichen Beratung, deren Art und Umfang nicht generell abstrakt festgelegt werden kann. Die konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmen vielmehr, in welcher Art und in welchem Umfang der Mandant zu beraten ist. Um eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs treffen zu können, muss der Mandant insbesondere um die Vor- und Nachteile einer (vorzeitigen) Beendigung seiner Rechtsangelegenheit durch Vergleich wissen. Eine Beendigung der Angelegenheit durch Vergleich kann für den Mandanten derart nachteilig sein, dass der Rechtsanwalt vom Vergleichsschluss abzuraten hat. Allerdings ist nicht jeder Mandant beratungsbedürftig. Das gilt auch im Falle der beabsichtigten Beendigung einer Rechtsangelegenheit durch Vergleich. Ist der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile im Bilde und deshalb in der Lage, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Vergleich zu treffen, bedarf es keiner (zusätzlichen) Beratung durch den Rechtsanwalt. Da der umfassend vorinformierte und deshalb nicht beratungsbedürftige Mandant in der Rechtswirklichkeit die Ausnahme bildet, hat der Rechtsanwalt grundsätzlich von der Beratungsbedürftigkeit auszugehen. Hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten nicht oder nicht ausreichend über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs beraten und aufgeklärt, trifft den Rechtsanwalt daher die Darlegungs- und Beweislast, dass der Mandant in dieser Hinsicht nicht beratungsbedürftig gewesen ist. Maßgeblich ist daher, ob der Kläger das für ihn aufgrund der Abgeltungsklausel des Vergleichs bestehende Risiko tatsächlich und zutreffend erkannt hat. Zwar musste der Kläger keine nähere Vorstellung von dem Unterschiedsbetrag zwischen den tatsächlichen Mangelbeseitigungskosten und der Vergleichssumme haben. Erforderlich war aber die Kenntnis, dass man möglicherweise einen ganz erheblichen Teil der Mangelbeseitigungskosten selbst zu tragen haben würde.
(BGH vom 20.04.2023 – IX ZR 209/21 – MDR 2023, 872)
Fazit: Der Rechtsanwalt muss beweisen, dass der Mandant keiner Beratung bedurfte. Um in einem eventuellen Regressprozess nicht in Beweisnot zu geraten, empfiehlt es sich für den Rechtsanwalt, dem Mandanten die wesentlichen Gesichtspunkte noch einmal schriftlich darzulegen.
Anwaltsblog: Mehrfache Fristverlängerung bei Zustimmung Gegenseite
Kann der Berufungsführer, der eine wiederholte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht dem Antrag entspricht, wenn er die Zustimmung der Gegenseite versichert?
In einem Berufungsverfahren hat die Vorsitzende des Berufungssenats die Frist zur Berufungsbegründung auf jeweiligen Antrag des Klägerbevollmächtigten „wegen starker Arbeitsüberlastung“ zunächst um einen Monat und sodann unter versichertem Einverständnis der Gegenseite mit dem Zusatz „letztmalig“ um einen weiteren Monat verlängert. Am letzten Tag der Frist hat der Kläger beantragt, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einverständnis der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals um 14 Tage zu verlängern. Die Vorsitzende hat die weitere Verlängerung verweigert. Die Notwendigkeit des zügigen Betreibens der Vielzahl beim Senat anhängiger Verfahren wiege schwerer als die in der eigenen organisatorischen Verantwortung der Prozessbevollmächtigten liegende dortige Arbeitsbelastung. Die sodann beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Senat versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldlos versäumt. Sein Prozessbevollmächtigter habe nicht auf die Bewilligung einer dritten Fristverlängerung vertrauen dürfen.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Ihm wird Wiedereinsetzung gewährt. Der Kläger war ohne ein ihm zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert, weil er darauf vertrauen durfte, sein rechtzeitig gestellter Antrag, die Berufungsbegründungsfrist im Einverständnis mit der Beklagten um zwei weitere Wochen zu verlängern, werde nicht abgelehnt werden. Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. So verhielt es sich hier. Gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung auf Antrag wiederholt verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Die Bewilligung der Fristverlängerung hängt auch bei der wiederholten Fristverlängerung nicht davon ab, dass der Rechtsmittelführer hierfür erhebliche Gründe geltend machen kann, die er deshalb auch nicht darlegen muss. Weder war der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist missbräuchlich noch bedurfte der Rechtsstreit nach Ablauf der zweifach verlängerten Frist (nunmehr) der Beschleunigung. Die aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes resultierende Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, trat zurück, solange der Gegner mit der weiteren Fristverlängerung einverstanden war. Der mit der zweiten Fristverlängerung verbundene Hinweis der Vorsitzenden auf eine „letztmalige“ Verlängerung stand dem Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in die Fristverlängerung nicht entgegen. Ein solcher Hinweis entbindet das Gericht nicht davon, die in § 520 Abs. 2 ZPO angelegte Differenzierung danach, ob der Gegner eingewilligt hat oder nicht, zu beachten.
(BGH, Beschl. v. 31.7.2023 – VIa ZB 1/23)
Fazit: Stimmt die Gegenseite zu, muss die Berufungsbegründungsfrist wiederholt verlängert werden. Das dem Gericht eingeräumte Ermessen ist in diesem Fall auf Null reduziert, sofern Rechtsmissbrauch nicht ersichtlich ist.
Verschärfung Anwaltshaftung: Rechtsanwalt muss Geschäftsleiter seiner Mandantin vor Insolvenzgefahr warnen!
Nach § 102 StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) müssen Rechtsanwälte bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Der IX. Zivilsenat des BGH hat jetzt erstmalig entschieden, dass die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters eines Unternehmens bei einem möglichen Insolvenzgrund eine drittschützende Wirkung für dessen Geschäftsleiter persönlich haben kann. Dem lag folgender Fall zugrunde: Über das Vermögen einer KG, die ab Juli 2009 einen Rechtsanwalt wiederholt mit ihrer Beratung beauftragt hatte, wurde im August 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter nahm den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH und dessen Vater als faktischen Geschäftsleiter wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Diese verpflichteten sich durch Vergleich zu einer Zahlung in Höhe von 85.000 €. In Höhe dieses Betrags verlangt die Klägerin, der die Forderung abgetreten worden ist, vom Haftpflichtversicherer des inzwischen insolventen Rechtsanwalts Schadensersatz. Sie meint, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der KG verletzt.
Das OLG hat die Klage abgewiesen. Es fehle an einer Einbeziehung der Geschäftsleiter in den Schutzbereich der zwischen dem Rechtsanwalt und der KG geschlossenen Mandatsverträge. Bestünden bloß nebenvertragliche Hinweis- und Warnpflichten, etwa wenn sich im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit Anhaltspunkte für die Gefahr einer Insolvenz des Mandanten ergäben, führe es zu weit, den organschaftlichen Vertreter in den Schutzbereich des Vertrags zwischen der Gesellschaft und dem Rechtsanwalt auch hinsichtlich der Verletzung solcher bloß nebenvertraglicher Pflichten einzubeziehen. Dem folgt der BGH nicht: Die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund kann Drittschutz für den Geschäftsleiter der juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit entfalten; Voraussetzung ist ein Näheverhältnis zu der nach dem Mandatsvertrag geschuldeten Hauptleistung (BGH, Urt. v. 29.6.2023 – IX ZR 56/22). Mit dem Urteil wird erstmalig höchstrichterlich festgestellt, dass auch die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund Drittschutz entfalten kann. Voraussetzung ist, dass der Dritte mit der vertraglich geschuldeten Hauptleistung bestimmungsgemäß in Berührung kommt. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben. Die Einbeziehung des Dritten muss dem Vertragsschuldner bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein. Schließlich bedarf es eines Bedürfnisses für die Ausdehnung des Vertragsschutzes, das regelmäßig fehlt, wenn der Dritte bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine Haftung des Rechtsberaters gegenüber einem Dritten grundsätzlich zu bejahen, wobei jedoch die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund nur unter engen Voraussetzungen eingreift. Die bloße Erkennbarkeit eines möglichen Insolvenzgrundes reicht nicht aus. Dem Berater muss vielmehr, ohne dass er eigenständig einen möglichen Insolvenzgrund prüfen oder ermitteln muss, der mögliche Insolvenzgrund bekannt werden, für ihn offenkundig sein oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Mandats aufdrängen.
Wirksame Fristenkontrolle nur mit Vorfrist(en)!
Gegenstand eines aktuellen Beschlusses des BGH war dieser Sachverhalt: Ein Rechtsanwalt begründete die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss des Familiengerichts, mit dem sein Mandant zur Zahlung nachehelichen Unterhalts verurteilt worden war, nicht fristgerecht. Nach Hinweis des Gerichts beantragte er, seinem Mandanten Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung trug er vor, die zuständige Mitarbeiterin habe entgegen einer bestehenden Arbeitsanweisung nur die Beschwerdefrist, nicht aber die Beschwerdebegründungsfrist im Fristenkalender eingetragen. Einen solchen Geschehensablauf habe es im Beschäftigungsverhältnis der Kanzleimitarbeiterin noch nie gegeben. In der Folge der unterlassenen Eintragung im Fristenkalender sei die Akte weder mit einer Vorfrist von einer Woche noch bei Fristablauf zur Beschwerdebegründung vorgelegt worden.
Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück, weil dem Antragsgegner insoweit ein Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten zuzurechnen sei. Er habe bereits nicht vorgetragen, dass in der Kanzlei seiner Verfahrensbevollmächtigten eine allgemeine Anordnung zur Notierung von Vorfristen bestanden habe. Auch die Rechtsbeschwerde zum BGH hatte keinen Erfolg. In dem Unterlassen der Weisung, eine Vorfrist im Fristenkalender zu notieren, liegt ein dem Antragsgegner zurechenbares Organisationsverschulden seines Verfahrensbevollmächtigten. Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Verfahrenshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – XII ZB 418/22).
Der aktuelle Beschluss gibt Anlass, auf die Notwendigkeit der Notierung von Vorfristen hinzuweisen. Dem Rechtsanwalt ist grundsätzlich gestattet, die Fristen- und Ausgangskontrolle seinem Büropersonal zu überantworten. Es selbst muss lediglich eine fachlich einwandfreie Kanzleiorganisation sicherstellen, die mit der Fristenkontrolle betrauten Mitarbeiter sorgfältig auswählen und diese durch Stichproben kontrollieren. Wird der Anwalt diesen Anforderungen gerecht, so ist es ihm nicht als eigenes Verschulden anzulasten, wenn die Mitarbeiter die Fristen- oder die Ausgangskontrolle im Einzelfall nicht oder nicht sorgfältig durchführen. Zu den geeigneten organisatorische Vorkehrungen, um Fristversäumnisse möglichst zu vermeiden, gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren.
Rechtsunkundige Richter?
Der Erbrechtssenat des OLG Celle hat einen von der Nachlassrichterin beim Amtsgericht, Richterin auf Probe, erteilten Erbschein eingezogen, weil dieser nicht der Rechtslage entspricht: „Der Erbschein verkennt bereits den Grundsatz der Universalsukzession, § 1922 Abs. 1 BGB. Das Vermögen des Erblassers geht insgesamt und ungeteilt auf den oder die Erben über. Eine Erbeinsetzung auf bestimmte Gegenstände gibt es, anders als der Erbschein unterstellt, nicht. Geht das Vermögen des Erblassers nicht auf einen Alleinerben über, sondern auf mehrere Erben, erben diese weder einzelne Gegenstände noch Miteigentumsanteile an den Erbschaftsgegenständen, sondern quotenmäßig bestimmte Anteile am gesamten Nachlass (Erbteile, § 1922 Abs. 2 BGB).“
Dass Gerichte formelles oder materielles Recht falsch anwenden, kommt vor und ist nicht zu vermeiden. Die hier vom OLG zu Recht beanstandeten Rechtsanwendungsfehler sind allerdings derartig schwerwiegend, dass sie schon im Ersten juristischen Staatsexamen zu ernsthaften Folgerungen geführt hätten. Das OLG sieht darüber hinaus ein systemisches Problem und hat sich veranlasst gesehen hinzuzufügen:
„Dem Senat drängt sich seit Jahren zunehmend der Eindruck auf, dass die vom Land Niedersachsen genutzte Möglichkeit der weitestmöglichen Übertragung von Nachlassangelegenheiten auf den Rechtspfleger (§§ 16, 19 RPflG) dazu geführt hat, dass insbesondere bei den kleineren Amtsgerichten nur noch wenige, dann aber häufig schwierige Nachlasssachen von Richtern zu bearbeiten sind, was zwischenzeitlich auch dazu geführt hat, dass in Abweichung von der früher verbreiteten Praxis immer seltener Amtsgerichtsdirektoren die Nachlasssachen bearbeiten, sondern, wie hier, aufeinander folgend Richter auf Probe, denen es jedenfalls im konkreten Fall an Grundkenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts ebenso zu fehlen scheint wie an der Bereitschaft, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, was zu Entscheidungen führt, die das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu beschädigen geeignet sind.“ (OLG Celle, Beschluss vom 19. Juni 2023 – 6 W 65/23 –, Rn. 28, juris)
Ein ähnlicher Qualitätsverlust der Ziviljustiz ist auch in anderen Bereichen zu beobachten. Während vor nicht allzu langer Zeit Zivilkammern über lange Jahre mit denselben Vorsitzenden und Beisitzern besetzt waren, wechselt ihre Besetzung nunmehr regelmäßig. Besonders berüchtigt sind die sog. Assessorendezernate, deren Inhaber in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden. Da etwa in Bau- und Architektensachen – entgegen der Intention des § 348 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und seinem Katalog obligatorischer Kammersachen – der Einzelrichter contra legem die Regel ist, ist bei Prozessen mit länger dauernden Beweisaufnahmen durch Beauftragung von Sachverständigen eine ordnungsgemäße Prozessleitung durch den Einzelrichter kaum noch gewährleistet. Verbunden ist diese hohe Fluktuation nicht selten mit der mangelnden Bereitschaft der Richter, sich die notwendigen speziellen Rechtskenntnisse anzueignen. Der Beschluss des OLG Celle spricht einen von Rechtssuchenden seit langem beklagten Missstand erfreulich offen aus. Dass dies aus der Mitte der Justiz erfolgt, gibt zu Hoffnungen Anlass.
beA: Pünktlich Büroschluss (jetzt) auch für Rechtsanwälte!
Die Rechtsprechung des BGH zum beA vermehrt sich geradezu explosionsartig. Grundsätzlich wenden alle Senate des BGH die Wiedereinsetzungsrechtsprechung, die sie zur Nutzung des Fax entwickelt haben, sinngemäß auch auf beA-Konstellationen an. Zu verzeichnen ist jetzt aber eine – durchaus Anwalt freundliche – Ausnahme:
Ein BGH-Anwalt reichte wegen Ausfalls des Systems des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs die Revisionsbegründung „nach den allgemeinen Vorschriften“ ein (ob in Papierform oder per Fax, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen). Das erlaubt § 130d ZPO, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend unmöglich ist. Den Ausfall des beA machte er auch glaubhaft, jedoch nicht seine Behauptung, bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft zu haben. Trotzdem hat der BGH die Ersatzeinreichung akzeptiert. Ein Prozessbevollmächtigter, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen (BGH, Urt. v. 25.5.2023 – V ZR 134/22 Rn. 10). Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen. Damit unterscheidet sich die Rechtslage von der im Falle einer gescheiterten Faxübermittlung. Ein Rechtsanwalt, der seine Organisation darauf abgestellt hat, Schriftsätze über Telefax an das Gericht zuzustellen, muss damit rechnen, dass das Empfangsfaxgerät des Gerichts am Nachmittag stark in Anspruch genommen und besetzt ist und darf seine Übermittlungsversuche nicht vorschnell aufgeben. Die Beendigung von Übersendungsversuchen um 19.02 Uhr ist als vorschnell anzusehen; der Rechtsanwalt hätte im Laufe des Abends weitere Versuche unternehmen müssen (BGH, Beschl. v. 4.11.2014 – II ZB 25/13, AnwBl 2015, 447).
Der Rechtsanwalt muss somit nicht bis Mitternacht die elektronische Übermittlung weiter versuchen, wenn ihm die Ersatzeinreichung des Schriftsatzes vorher gelingt. Ob das allerdings auch gilt, wenn das als Ersatzmedium gewählte Fax sich ebenfalls nicht übermitteln lässt, ist noch nicht entschieden und bleibt offen …