Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Zulässigkeit eines Grundurteils und einer Zurückverweisung der Sache von der zweiten in die erste Instanz.

Grundurteil und Zurückverweisung in der Berufungsinstanz
BGH, Urteil vom 18. Oktober 2022 – XI ZR 606/20

Der XI. Zivilsenat formuliert grundlegende Anforderungen an die Prozessökonomie.

Die Beklagte war in den 1990er Jahren mit dem Bruder des Klägers (nachfolgend: Zedent) liiert. Beide beteiligten sich an wirtschaftlichen Unternehmungen des jeweils anderen. Im Zeitpunkt der Trennung im Jahr 1999 war der Zedent in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Beklagte wurde von seinen Gläubigern in Anspruch genommen. Anfang 2005 unterzeichnete sie einen Schuldschein über einen dem Zedenten zu zahlenden Betrag von 600.000 Euro, der am 31.5.2022 fällig werden und mit 6 % pro Jahr zu verzinsen sein sollte. Anfang 2010 trat der Zedent diese Forderung an den Kläger ab. Im Jahr 2013 wurde über das Vermögen des Zedenten das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter focht die Abtretung der Forderung aus dem Schuldschein gegenüber dem Kläger an und trat die daraus resultierenden Rückgewähransprüche an die Beklagte ab.

Das LG wies die auf Zahlung des im Schuldschein ausgewiesenen Betrags gerichtete Klage ab, weil es die Abtretung der Forderung an den Kläger für nicht bewiesen ansah. In der Berufungsinstanz rechnete die Beklagte hilfsweise mit 19 verschiedenen Gegenforderungen in einer Gesamthöhe von rund 2,8 Millionen Euro auf. Höchst hilfsweise machte sie geltend, aufgrund der an sie abgetretenen Rückgewähransprüche aus der Insolvenzanfechtung stehe ihr der dolo-agit-Einwand (§ 242 BGB) zu. Der Kläger beantragte zunächst die Zurückverweisung der Sache an das LG. Nach der Berufungsverhandlung nahm er diesen Antrag zurück und bat um eine Sachentscheidung durch das OLG. Dieses erklärte den Klageanspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt und verwies die Sache wegen der Höhe an das LG zurück.

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das OLG zurück.

Der Erlass eines Grundurteils war im Streitfall schon deshalb unzulässig, weil das OLG nicht über alle für den Grund des Anspruchs relevanten Fragen entschieden hat. Das Bestehen des Klageanspruchs ist im Streitfall schon deshalb in Frage gestellt, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auszuschließen ist, dass die Hilfsaufrechnung in Höhe des gesamten Klagebetrags Erfolg hat. Darüber hinaus hätte das OLG über den dolo-agit-Einwand entscheiden müssen, und zwar vor der Entscheidung über die Hilfsaufrechnung. Die abweichende Reihenfolge der von der Beklagten gestellten Anträge ist unbeachtlich, weil sie gegen die Pflicht zur Prozessförderung verstößt [und wohl schon deshalb, weil es nicht in der Macht der Parteien steht, dem Gericht eine Reihenfolge für die Prüfung einzelner Anspruchsvoraussetzungen vorzugeben].

Das OLG hätte die Sache ferner nicht an das LG zurückverweisen dürfen. Dies ergibt sich schon daraus, dass der erforderliche Antrag nicht nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgenommen werden kann, sondern bis zum Erlass des Berufungsurteils. Das Berufungsgericht hat darüber hinaus verkannt, dass eine Zurückverweisung in die erste Instanz nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt und die Erforderlichkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme keinen zureichenden Grund darstellt.

Praxistipp: Durch eine Entscheidung, mit der das Berufungsgericht die Sache an die Vorinstanz zurückverweist, sind beide Parteien beschwert.

Montagsblog: Neues vom BGH

Reichweite der Kondiktionssperre bei Steuerverkürzung
Urteil vom 14. Dezember 2016 – IV ZR 7/15

Mit der Frage, in welchem Umfang den Parteien eines wegen versuchter Steuerverkürzung nichtigen Vertrags Bereicherungsansprüche zustehen können, befasst sich der IV. Zivilsenat.

Der Kläger hatte im März 2008 zum Zweck der Steuerersparnis Beteiligungen an mehreren vom Beklagten gegründeten Kommanditgesellschaften erworben. Weil der Kläger die aus dem Erwerb resultierenden steuerlichen Vorteile bereits für das Jahr 2007 geltend machen wollte, wurde der Vertrag auf dieses Jahr rückdatiert. In einem ergänzenden, ebenfalls rückdatierten Vertrag wurde vereinbart, dass der Beklagte dem Kläger ein Darlehen in Höhe des Kaufpreises gewähre, das bis Ende März 2008 zurückzuzahlen sei. Nachdem die Kommanditgesellschaften einige Zeit später in Insolvenz gefallen waren, verlangte der Kläger vom Beklagten die Rückzahlung der auf den Darlehensvertrag erbrachten Zahlungen. Seine Klage blieb in den beiden ersten Instanzen im Wesentlichen erfolglos.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er teilt die Auffassung des OLG, dass die geschlossenen Verträge nach § 134 BGB nichtig sind, weil die Rückdatierung dem gesetzeswidrigen Zweck diente, einen Beteiligungserwerb bereits im Jahr 2007 vorzutäuschen, und der Kläger die Verträge ohne diese Abrede nicht geschlossen hätte. Entgegen der Auffassung des OLG steht dies einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags jedoch nicht vollständig entgegen. Gemäß § 817 Satz 2 BGB ist eine Rückforderung zwar ausgeschlossen, wenn der Leistende gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Dieses Rückforderungsverbot bezieht sich aber grundsätzlich nur auf diejenigen Leistungen, die aus den vom Gesetz missbilligten Vorgängen geschuldet sind. Dies wäre im Streitfall nur ein (zusätzliches) Entgelt gerade dafür, dass die Verträge rückdatiert wurden, nicht aber der gesamte als Darlehen ausgewiesene und der Sache nach als Kaufpreis fungierende Betrag. Die weiterreichende Rechtsprechung des VII. Zivilsenats zu Verstößen gegen das Verbot der Schwarzarbeit beruht auf den Besonderheiten des betreffenden Gesetzes und kann nicht ohne weiteres auf andere Gesetzesverstöße übertragen werden.

Praxistipp: Auch wenn § 817 Satz 2 BGB nicht entgegensteht, bleibt ein auf § 134 BGB gestütztes Rückforderungsbegehren ein zweischneidiges Schwert. Zumindest der Steuerschuldner setzt sich mit der Offenlegung des steuerlichen Verstoßes der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus.

Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens bei Nichtzahlung des Auslagenvorschusses
Beschluss vom 14. Dezember 2016 – VII ZB 29/16

Der VII. Zivilsenat ergänzt die Rechtsprechung zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Antragsteller die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen sind.

Das AG hatte antragsgemäß die Einholung eines Gutachtens im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens angeordnet. Die Antragstellerin zahlte den festgesetzten Auslagenvorschuss nicht ein. Das AG stellte nach vorheriger Ankündigung fest, dass das Beweisverfahren beendet sei. Ein vom Gegner gestellter Antrag, die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen, hatte in der Beschwerdeinstanz Erfolg.

Der BGH weist die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin zurück. Er knüpft an seine Rechtsprechung an, wonach im selbständigen Beweisverfahren ausnahmsweise eine Kostenentscheidung zu ergehen hat, wenn der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen oder für erledigt erklärt hat und ein Hauptsacheverfahren nicht anhängig ist. Dieselbe Rechtsfolge hat in entsprechender Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch dann einzutreten, wenn der Antragsteller den angeforderten Auslagenvorschuss trotz Erinnerung nicht einzahlt und eine Beweiserhebung deshalb unterbleibt. Ein solches Verhalten kann zwar nicht ohne weiteres als konkludente Antragsrücknahme angesehen werden. Die Interessenlage ist aber vergleichbar. Ob der Antragsteller finanziell in der Lage war, den Vorschuss zu erbringen, ist hierbei grundsätzlich unerheblich.

Praxistipp: Wenn Zweifel bestehen, ob der Antragsteller einen angeforderten Vorschuss aufbringen kann, sollte schon vor Antragstellung geklärt werden, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen.