Prof. Dr. Hans-Christoph Ihrig und Prof. Dr. Carsten Schäfer im Interview zu aktuellen Entwicklungen im Vorstandsrecht

Das Vorstandsrecht ist aktuell ordentlich in Bewegung. Berater müssen sich insbesondere mit den neuen Entwicklungen nach dem ARUG II auseinandersetzen. Eine besondere Herausforderung stellt überdies auch in diesem Rechtsbereich die Corona- bzw. Covid-19-Pandemie dar. Ich habe vor diesem Hintergrund mit den Autoren des Standardwerks „Rechte und Pflichten des Vorstands“, RA Prof. Dr. Hans-Christoph Ihrig [1] und Prof. Dr. Carsten Schäfer [2], über die wichtigsten Veränderungen gesprochen.

Peters: In Ihrem Standardwerk konzentrieren Sie sich auf die Rechte und Pflichten des Vorstands. Welche neuen und zusätzlichen sind insoweit nach Inkrafttreten des ARUG II am 1.1.2020 besonders zu erwähnen?

Schäfer: In der Tat haben viele neue Regelwerke auch die Vorstandspflichten zumindest indirekt verändert. Das gilt für das Kapitalmarktrecht nach der MAR ebenso wie für die Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie durch das ARUG II. Erwähnt seien nur die Regelungen zu „Related Party Transactions“ und zur Vergütungsentscheidung der Hauptversammlung („Say on Pay“), aber auch der neue Corporate Governance Kodex 2020.

Traditionsgemäß sind zudem die Themen Vergütung und Haftung, Organisation und Delegation sowie – last not least – Compliance in beständigem Fluss und müssen auf der Pflichtenseite nachgehalten werden.

Peters: Gibt es Fallstricke, auf die Vorstandsmitglieder und deren Berater besonders achten müssen?

Ihrig: Für die neuen Bestimmungen durch das ARUG II hat der Gesetzgeber leider nur in Teilbereichen Übergangsvorschriften vorgesehen. Für die neuen Regelungen zu Transaktionen mit nahestehenden Personen, deren Reichweite deutlich über Konzernsituationen hinausreichen, ist das zum Beispiel nicht der Fall. Diese Bestimmungen sind also unmittelbar in Kraft getreten und zu beachten. Soweit Gesellschaften das insoweit erforderliche Monitoring-System zur Erfassung relevanter Vorgänge noch nicht etabliert haben, ist also höchste Eile geboten. Aber auch dort, wo Übergangsvorschriften gelten, wie etwa im Bereich der Vergütungssysteme für Vorstand und Aufsichtsrat und für geänderte Publikationspflichten, wird die Zeit zur Vorbereitung langsam knapp.

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Peters: Am 20.3.2020 ist zudem der neue DCGK (2020) im BAnz. veröffentlicht worden. Auch ihn behandeln Sie ausführlich und mithin sehr aktuell in Ihrem Buch. Welche Grundsätze, Empfehlungen und Anregungen sind besonders beachtenswert und bringen Änderungen gegenüber der vorherigen Fassung des Kodex?

Ihrig: Zu konstatieren ist zunächst, dass der Kodex im systematischen Aufbau völlig neu gestaltet worden ist; das erschwert den Abgleich des Status Quo mit den Kodexvorgaben bei Vorbereitung der nächsten Entsprechenserklärung. Neu ist auch die Einführung sogenannter „Grundsätze“, die an die Stelle der gesetzeswiederholenden Passagen des Kodex treten. Besondere Beachtung verdienen aus Sicht des Vorstands zum Einen die Empfehlung in B.3, dass Erstbestellungen für längstens drei Jahre erfolgen sollen, zum Anderen die Empfehlungen zur Vorstandsvergütung, namentlich die in G.10, dass langfristig variable Vergütungen überwiegend in Aktien oder aktienbasiert gewährt werden sollen und die Vorstandsverträge Claw-Back-Optionen vorsehen sollen. Wichtig sind natürlich auch die neuen Bestimmungen zum Aufsichtsrat, insbesondere diejenigen, die die Unabhängigkeit seiner Mitglieder konkretisieren.

Peters: Gibt es weitere erwähnenswerte Verschärfungen in der Pflichtensituation für den Vorstand, z.B. aufgrund einschlägiger Rechtsprechung?

Schäfer: Das Haftungsthema ist in der Tat im steten Fluss durch zahlreiche, auch instanzgerichtliche Judikate. Eine klare Tendenz ist nicht leicht erkennbar. Einerseits neigen die Gerichte nicht selten dazu, neue Pflichten zu „erfinden“, vor allem sog. Organisationspflichten, zum anderen gibt es aber auch gewisse mäßigende Tendenzen. Ich erwähne nur das Urteil des BGH zu Schloss Eller – dort hat es der II. Senat jetzt immerhin prinzipiell zugelassen, dass sich der Vorstand bei Übergehen eines Zustimmungsvorbehalts auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, also die hypothetische Zustimmung des Aufsichtsrats beruft. Die Konsequenzen bedürfen freilich noch näherer Untersuchung.

Interessant ist auch, dass die gesamte Compliance-Debatte sich in rechtlicher Hinsicht bislang an einem vereinzelten Landgerichts-Urteil, dessen Aussagen m.E. aber teilweise nicht überzeugen können, teilweise wohl auch missverstanden werden. Hier gilt es unbedingt eher mäßigende Akzente zu setzen –

Peters: Zum Schluss würde mich natürlich noch ein aktueller Blick auf die derzeitige Covid-19-Situation aus Ihrer Sicht interessieren: Welche Fragen sind aktuell die dringendsten aus der Vorstandsetage und was raten Sie den Vorständen?

Schäfer: Die virtuelle Hauptversammlung nach dem Corona-Gesetz ist zur Zeit sicherlich ein großes Thema, zumal die Regeln zwar weitgehende Eingriffe in die Aktionärsrechte zulassen, aber nicht zwingend vorgeben. Hier gilt es also, ein für die konkrete Gesellschaft passendes – und technisch durchführbares – Format zu finden. Diese Entscheidung wird durch zahlreiche Zweifelsfragen, welche die Neuregelung aufgeworfen hat, nicht unbedingt erleichtert. Allerdings ist es hoch anzurechnen, dass die Bundesregierung in einem derartigen Tempo ein Instrument geschaffen hat, das den Aktiengesellschaften ihre unabdingbare Beschlussfähigkeit erhält.

Sehr aktuell sind naturgemäß auch Vorstandspflichten in der Krise, die auch Thema unseres Buches sind. Zwar sind die insolvenzrechtlichen Antragspflichten durch die COVID-Gesetzgebung teilweise vorübergehend suspendiert, doch bleibt es bei strengen Überwachungspflichten in Krisensituation und in Teilbereichen stellen sich komplexe Abgrenzungsfragen, wie etwa bei den Bestimmungen zur sog. „Notgeschäftsführung“ zu den unverändert gebliebenen Tatbestand des Eingehungsbetrugs.. Sanierungsfälle werden wir infolge der Corona-Krise jetzt deutlich häufiger beobachten; es gibt aber auch zahlreiche staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die eventuell in Anspruch genommen werden können. So können sich etwa Vorstände vor die Wahl gestellt sehen, ob sie staatliche Rettungsbeteiligungen in Anspruch nehmen oder lieber ein insolvenzrechtliches Schutzschirmverfahren zur grundsätzlichen Bereinigung der Bilanz auf der Passivseite einleiten wollen. All‘ dies bedarf einer sorgfältigen Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des jeweiligen Instruments.

Peters: Wird es zu diesen aktuellen Covid-19-Themen ein Update in Ihrem Buch, das auch Bestandteil in der Otto Schmidt-Datenbank und bei juris ist, geben? Denn momentan befinden sich auch viele Berater und Vorstände im Homeoffice und könnten aktuelle Online-Versionen besonders gut nutzen.

Ihrig und Schäfer: Wir hoffen und wünschen uns allen sehr, dass diese Pandemie und die mit ihr einhergehende Sondergesetzgebung ein rasch hinter uns liegendes Thema sein wird. Sofern sich hieraus aber, etwa bei einer grundlegenden Reformierung des Rechts der Hauptversammlung, Änderungen von Dauer einstellen werden, wird dies gewiss ein Thema sein, dem wir uns in der nächsten Auflage unseres Buches zu den Rechten und Pflichten des Vorstands gerne annehmen werden.

Herzlichen Dank für diese wertvollen Hinweise!

 

[1] Prof. Dr. Hans-Christoph Ihrig ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor in Mannheim.

[2] Prof. Dr. Carsten Schäfer ist Universitätsprofessor, Lehr­stuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Universität Mannheim

Das Interview hat Dr. Birgitta Peters, Geschäftsbereichsleiterin Recht im Verlag Dr. Otto Schmidt, geführt.

Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex veröffentlicht

Die Regierungskommission Deutsche Corporate Governance hat am 9.5.2019 eine vollständige Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex beschlossen und diese am 22.5.2019 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Vorangegangen war ein Konsultationsverfahren, das von der Veröffentlichung der Entwurfsfassung des Kodex am 6.11.2018 bis zum 31.1.2019 dauerte und in dessen Rahmen mehr als 100 Verbände, Unternehmen etc. Stellungnahmen abgegeben haben.

Die Struktur des Kodex wurde grundlegend überarbeitet und ist nun anhand von Aufgaben statt wie bislang nach den Organen der Aktiengesellschaft gegliedert. Den einzelnen Anregungen und Empfehlungen vorangestellt sind insgesamt 25 sog. Grundsätze, welche wesentliche rechtliche Vorgaben wiedergeben sollen. Ferner enthält der neue Kodex eine Reihe neuer Empfehlungen. Wesentliche Änderungen sind:

  • Verschärfung der Höchstgrenzen für die Zahl konzernexterner Aufsichtsratsmandate: Grundsätzlich maximal 5 Mandate (Aufsichtsratsvorsitz zählt doppelt), für Vorstandsmitglieder börsennotierter Gesellschaften maximal zwei Mandate und kein Aufsichtsratsvorsitz.
  • Konkretisierung der Kriterien für die Einstufung eines Aufsichtsratsmitglieds als unabhängig anhand verschiedener Indikatoren, wie sie auch von Stimmrechtsberatern verwendet werden.
  • Empfehlung zur Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder mit Sonderreglung für den Fall der Existenz eines kontrollierenden Aktionärs.
  • Die Erstbestellung von Vorstandsmitgliedern soll für maximal 3 Jahre erfolgen.
  • Langfristig variable Bestandteile der Vorstandsvergütung sollen von den Vorstandsmitgliedern entweder überwiegend in Aktien der Gesellschaft angelegt oder entsprechend aktienbasiert gewährt werden.

Anwendung finden wird die Neufassung des Kodex erst mit ihrer offiziellen Veröffentlichung durch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Diese soll erst nach – für den Herbst 2019 erwarteten – Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes zur Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) erfolgen, um etwaigem Anpassungsbedarf am Kodex aufgrund von Änderungen des ARUG II im weiteren Gesetzgebungsverfahren Rechnung tragen zu können. Dies sollte Gesellschaften ausreichend Zeit geben, um sich auf die Vorgaben des neuen Kodex einzustellen.

In der Endfassung des Kodex nicht mehr enthalten ist das „Apply and Explain“-Prinzip. Nach diesem im Entwurf vorgesehenen Konzept sollten Gesellschaft darlegen, wie sie die Empfehlungen und Anregungen umsetzen, denen sie folgen.

Verdient ist verdient! AGB-Kontrolle von Bonusklauseln auch bei Vorstandsmitgliedern – Zu OLG Frankfurt 18. April 2018 – 4 U 120/17

Das OLG Frankfurt hat die AGB-Kontrolle von Bonusklauseln auch auf Anstellungsverträge von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft erstreckt und die Gesellschaft zur Zahlung eines Bonus in Höhe von EUR 500.000,00 verurteilt. In dem zugrundeliegenden Anstellungsvertrag war geregelt, dass der Aufsichtsrat eine variable Vergütung nach billigem Ermessen gewähren kann. Anschließend wurde klargestellt, dass es sich bei den gewährten variablen Vergütungen „in jedem Fall um freiwillige Zuwendungen“ handelt. Der Aufsichtsrat hatte entschieden, dem Kläger keinen Bonus zu gewähren. Wegen des Freiwilligkeitsvorbehalts fühlte er sich dazu nicht verpflichtet.

Das OLG Frankfurt hob das klageabweisende Urteil der 1. Instanz auf und sprach dem Kläger den Bonus zu. Das Gericht kommt durch Auslegung der Klausel zu dem Ergebnis, dass es sich um einen umfassenden Freiwilligkeitsvorbehalt handelt. Diese Klausel unterzieht das OLG sodann der AGB-Kontrolle. Diese sei anwendbar, da Vorstandsmitglieder ähnlich wie Geschäftsführer einer GmbH Verbraucher seien. Die Freiheit in der Führung der Geschäfte nach § 76 AktG rechtfertige es wegen der Fremdnützigkeit der Tätigkeit und des Fehlens einer unmittelbaren wirtschaftlichen Risikotragung nicht, die Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft hinsichtlich ihrer Verbrauchereigenschaft anders zu behandeln als GmbH-Geschäftsführer. Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt ist nach Auffassung des Senats unwirksam, weil er den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Bei dieser Bewertung folgt das OLG der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach eine mit der Dienstleistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Entgeltleistung nicht unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt werden kann. Das gilt hier in besonderem Maße, weil sich der Freiwilligkeitsvorbehalt auf leistungsabhängige wesentliche Vergütungsbestandteile bezieht, die der Größenordnung nach ein Vielfaches des Grundgehaltes erreichen können. Eine unangemessene Benachteiligung des Dienstnehmers ergebe sich jedenfalls dann, wenn sich aus der unter Freiwilligkeitsvorbehalt gestellten nachträglichen Entscheidung des Dienstgebers über eine variable Vergütung erbrachter Leistungen in Anbetracht der Höhe möglicher freiwilliger Zahlungen eine willkürliche Verschiebung der Größenordnung des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung ergeben können.

Die Entscheidung liegt materiell-rechtlich voll auf der Linie der Rechtsprechung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts, die sich unter dem Stichwort „verdient ist verdient!“ zusammenfassen lässt. Es ist evident unangemessen, wenn die Gesellschaft nach freiem Belieben über die Gewährung einer variablen Vergütung entscheiden kann, nachdem das Vorstandsmitglied seine Leistung erbracht hat. Es ist auch nicht ganz überraschend, dass der Senat das Vorstandsmitglied als Verbraucher charakterisiert. Diesen Schritt hatte der 5. Senat des OLG Frankfurt für den Geschäftsführer einer GmbH bereits mit einer Entscheidung vom 12. April 2011 – 5 U 93/10 – vollzogen und einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Wirksamkeit versagt, nach der in Zeiten der Freistellung kein Anspruch auf variable Vergütung bestehen soll.

Ich halte die Entscheidung sowohl im Hinblick auf die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle als auch auf die Abwägung der beiderseitigen Interessen für zutreffend. Die Statusunterschiede zwischen Organen und leitenden Angestellten verwischen in der internationalen Matrixorganisation immer mehr und Aufsichtsräte sind vor dem Hintergrund vielfältiger regulatorischer Anforderungen praktisch gezwungen, Formularanstellungsverträge zu verwenden. Es ist auch nicht naheliegend, dass einer Vertragspartei nach Leistungserbringung das Recht zustehen soll, die Gegenleistung voraussetzungslos zu kürzen oder zu streichen. Den Interessen der Gesellschaft nach einer echten variablen Vergütung kann dennoch ohne weiteres Rechnung getragen werden, und zwar auf zweierlei Weise: Entweder errechnet sich die variable Vergütung auf Basis der Erreichung vorher zu definierender Ziele. Dabei ist es – wiederum im Rahmen billigen Ermessens – zulässig, dass der Aufsichtsrat die Ziele einseitig vorgibt. Oder aber der Aufsichtsrat behält sich das Recht vor, über die Höhe der variablen Vergütung am Ende des Geschäftsjahres nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dann muss er seine Entscheidung begründen. Und wenn er diese Entscheidung auf unbillige Erwägungen stützt, dann wird sie keinen Bestand haben.