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Montagsblog: Neues vom BGH

Dr. Klaus Bacher  Dr. Klaus Bacher
Vorsitzender Richter am BGH

Kein Verjährungsbeginn durch privat erlangte Kenntnisse von Mitarbeitern
Urteil vom 14. Januar 2016 – I ZR 65/14

Die etablierten Grundsätze über die Relevanz der von Mitarbeitern erlangten Kenntnisse für den Beginn der Verjährung wendet der I. Zivilsenat auf einen Fall an, der aus anderen Gründen öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat.

Der klagende Verbraucherverband wandte sich gegen den über Facebook angestoßenen Versand von E-Mails, in denen Adressaten, deren Daten aus dem Adressbuch eines vorhandenen Nutzers ausgelesen wurden, unter dessen Absenderadresse aufgefordert werden, ebenfalls ein Benutzerkonto einzurichten. Die Klage, gegenüber der sich Facebook unter anderem auch auf Verjährung berief, hatte beim LG und beim OLG Erfolg.

Der BGH weist die Revision zurück. Er sieht in dem Versand der E-Mails eine gegen § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 Fall 3 UWG verstoßende Werbemaßnahme von Facebook. Die Verjährungseinrede sieht er mit den Vorinstanzen für nicht stichhaltig an. Für den Beginn der Verjährung ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die gesetzlichen Vertreter des Klägers oder dessen für die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen der in Rede stehenden Art zuständigen Mitarbeiter Kenntnis vom Verstoß und vom Verletzer erlangt haben. Privat erlangtes Wissen von Mitarbeitern ist grundsätzlich irrelevant. Im konkreten Fall hatte eine Mitarbeiterin des Klägers die E-Mail, auf deren Versand die Klageansprüche gestützt waren, privat zugesandt erhalten und einige Wochen später an die zuständige Sachbearbeiterin weitergeleitet. Die Verjährungsfrist begann erst mit der Weiterleitung zu laufen.

Praxistipp: Der Zeitpunkt der Bekanntgabe von privat erlangtem Wissen an den zur Geltendmachung eines Anspruchs zuständigen Sachbearbeiter sollte sorgfältig dokumentiert werden.

Verwertung von Aussagen aus einem anderen Rechtsstreit
Urteil vom 3. März 2016 – I ZR 245/14

Dass sich eine vermeintlich zeitsparende Verfahrensweise als Bumerang erweisen kann, belegt eine Entscheidung des I. Zivilsenats in einer Transportsache.

Die Klägerin begehrte vom beklagten Paketdienstunternehmen Schadensersatz wegen Verlusts eines Pakets. Die Beklagte verweigerte die Zahlung unter anderem mit der Begründung, der Wert der Sendung habe die in den Beförderungsbedingungen festgelegte Höchstgrenze überstiegen. Das LG verurteilte die Beklagte im Jahr 2011 im Wesentlichen antragsgemäß. Das erste, der Klägerin günstige Berufungsurteil aus dem Jahr 2012 hob der BGH rund ein Jahr später auf (Urteil vom 4.7.2013 – I ZR 156/12). In seiner zweiten Entscheidung wies das OLG die Berufung Ende 2014 erneut zurück. Es sah die Behauptung der Beklagten, sie hätte die Sendung bei einem Hinweis auf deren Wert zurückgewiesen, als nicht bewiesen an. Zwar hatte ein als Zeuge vernommener Mitarbeiter der Beklagten deren Vortrag bestätigt. Das OLG vermochte sich von der Wahrheit dieser Angabe aber nicht zu überzeugen, weil ein anderer Mitarbeiter der Beklagten in zwei anderen Verfahren, deren Akten beigezogen waren, sich in entgegengesetztem Sinne geäußert hatte.

Der BGH verweist die Sache erneut an das OLG zurück. Abweichend vom OLG sieht er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Beklagte die Sendung bei einem Hinweis auf deren Wert nicht angenommen hätte, bei der Klägerin, weil es sich um so genanntes Verbotsgut gehandelt hat. Darüber hinaus hält er die Beweiswürdigung des OLG für fehlerhaft. Die Verwertung von protokollierten Aussagen aus anderen Verfahren ist, sofern eine Partei dies beantragt, zwar unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Das Gericht muss aber seine diesbezügliche Absicht den Parteien mitteilen, um diesen Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag und eventuellen zusätzlichen Beweisangeboten zu geben. Ein in das Sitzungsprotokoll aufgenommener Vermerk, die Akten des anderen Verfahrens hätten vorgelegen und seien Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, reicht hierfür nicht aus.

Praxistipp: Eine auf Fehler dieser Art gestützte Rüge hat in der Revisionsinstanz nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Rechtsmittelführer vorträgt, was er bei rechtzeitiger Erteilung des gebotenen Hinweises ergänzend vorgetragen hätte.

Bestreiten mit Nichtwissen
Urteil vom 22. April 2016 – V ZR 256/14

Mit der Tragweite von § 138 Abs. 4 ZPO befasst sich der V. Zivilsenat.

Die Beklagte hatte dem Kläger eine Eigentumswohnung verkauft. Mit den Gesprächen im Vorfeld hatte sie eine andere Gesellschaft betraut, die den Erwerb als Steuersparmodell anpries. Die auf Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen sittenwidriger Überhöhung des Kaufpreises und unzutreffender Beratung gerichtete Klage blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos. Das OLG sah die Behauptung, in einem dem Erwerb vorausgegangenen Beratungsgespräch habe ein Mitarbeiter des Vertriebsunternehmens wider besseres Wissen eine Mindestausschüttung garantiert, als mit Nichtwissen bestritten und unbewiesen an.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er hält die Feststellungen zum Verkehrswert der Wohnung für nicht tragfähig, weil sich das OLG nicht in der gebotenen Weise mit den in einem Privatgutachten erhobenen Einwendungen gegen die Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen auseinandergesetzt hat. Ferner sieht er die Behauptung einer Beratungspflichtverletzung als nicht wirksam bestritten an. Er stützt dies auf seine ständige Rechtsprechung, wonach ein Bestreiten mit Nichtwissen nicht zulässig ist, wenn die bestreitende Partei die erforderlichen Informationen bei Personen einholen kann, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind. Hierzu gehören abweichend von der Auffassung des OLG nicht nur Personen, die in die geschäftliche Organisation der Partei eingegliedert sind, sondern auch Untervermittler, deren sich eine Partei zum Zwecke von Vertragsverhandlungen oder Beratungsgesprächen bedient.

Praxistipp: Bestreitet der Gegner eine Behauptung mit Nichtwissen, sollten vorsorglich alle Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine Obliegenheit des Gegners zur Einholung von Informationen ergibt.

Labrador gegen Golden Retriever
Urteil vom 31. Mai 2016 – VI ZR 465/15

Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen sich ein geschädigter Tierhalter die von seinem eigenen Tier ausgehende Gefahr anspruchsmindernd zurechnen lassen muss, befasst sich der VI. Zivilsenat.

Der Kläger erlitt beim Ausführen seines Hundes Verletzungen, als der Hund des Beklagten sich durch eine das heimische Grundstück begrenzende Hecke gezwängt und den gegnerischen Hund samt Halter angriff. Die auf Ersatz des materiellen Schadens und Zahlung eines Schmerzensgelds gerichtete Klage hatte bei LG und OLG Erfolg.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er hält eine anspruchsmindernde Mitverursachung durch den Hund des Klägers für möglich. Auf einen Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB muss sich ein Tierhalter die von seinem eigenen Tier ausgehende Gefahr gemäß § 254 Abs. 1 BGB anspruchsmindernd anrechnen lassen. Eine solche Gefahr verwirklicht sich abweichend von der Auffassung des OLG auch dann, wenn es zu einem Kampf oder Gerangel zwischen zwei Hunden kommt – unabhängig davon, welcher Hund als Angreifer anzusehen ist. Das Urteil des OLG wäre im Ergebnis dennoch richtig, wenn der Beklagte auch aus § 823 Abs. 1 BGB haftet, etwa deshalb, weil er sein Grundstück nicht hinreichend sicher eingezäunt hat. In diesem Fall ist eine Anrechnung der Tiergefahr entsprechend § 840 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Das OLG muss deshalb Feststellungen zum Verschulden des Beklagten treffen.

Praxistipp: Wenn bei einer auf den Gefährdungstatbestand des § 833 Abs. 1 BGB gestützten Klage die Anrechnung einer mitwirkenden Tiergefahr in Betracht kommt, sollte vorsorglich stets zum Verschulden des Beklagten vorgetragen werden.

Mehr zum Autor: Der Autor ist Vorsitzender des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Er gehört zum Herausgeberbeirat der MDR und ist Mitautor des Prozessformularbuchs (Hrsg. Vorwerk).

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