AG Frankfurt am Main: Zulässigkeit einer Wertfestsetzung

Einige interessante Grundsätze zur Wertfestsetzung hat das AG Frankfurt am Main (Beschl. v. 16.4.2024 – 453 F 2070/22 UE) in Erinnerung gerufen:

Im Rahmen eines Stufenklageverfahrens hatte eine Partei beantragt, den Streitwert festzusetzen. Der Prozess war noch nicht beendet, da noch keine Entscheidung oder Einigung über den Zahlungsantrag vorlag. Es wurde vom AG der Streitwert festgesetzt. Gegen diesen Beschluss legte die andere Partei Beschwerde ein.

Die Beschwerde ist zulässig. Gemäß § 63 Abs. 1 GKG ist eine Beschwerde gegen eine vorläufige Wertfestsetzung zwar nicht zulässig. Da der Beschluss jedoch nicht als vorläufig ausgewiesen war, ist im Zweifel von einer normalen Wertfestsetzung auszugehen, die gemäß §§ 63 Abs. 2, 68 Abs. 1 GKG beschwerdefähig ist.

Die Beschwerde ist begründet. Eine Wertfestsetzung hätte noch gar nicht erfolgen dürfen. Gemäß § 63 Abs. 2 GKG erfolgt eine solche erst, wenn das Verfahren beendet ist. Dies ist hier nicht der Fall, da die Entscheidung über den Zahlungsantrag noch offen ist. Demgemäß ist der Beschwerde abzuhelfen (§ 63 Abs. 3 S. 1 GKG) und der Beschluss aufzuheben.

Benötigt einer der Rechtsanwälte eine Wertfestsetzung, um z. B. eine Vorschusskostenrechnung zu schreiben, hat er nicht die Möglichkeit, gemäß § 33 RVG einen Antrag auf Wertfestsetzung zu stellen. Ein solcher Antrag ist erst zulässig, wenn die Vergütung fällig ist, mithin  die Angelegenheit beendet ist (§ 8 RVG). Ein Recht auf Vorschusszahlung gegen den Auftraggeber (§ 9 RVG) ist hierfür gerade nicht ausreichend (BFH v. 30.10.2023 – IV S 26/23, BFH/NV 2024, 37). Der Rechtsanwalt darf der Vorschussrechnung vielmehr den von ihm für angemessen gehaltenen Gegenstandswert zu Grunde legen.

OLG Brandenburg: Streitwert einer Facebook-Sperre

Bei Streitigkeiten im Rahmen der neuen Medien stellt sich oft die Frage, wie der Wert der Streitigkeit zutreffend festzusetzen ist.

Das LG Frankfurt (Oder) hatte den Streitwert für einen Prozess, worin es um die vollständige Sperrung eines privaten Facebook-Kontos ging, auf 5.000 Euro festgesetzt. Dabei hat es sich an dem sog.„Hilfsauffangswert“ (§§ 23 Abs. 3 S. 2 RVG, 42 Abs. 3 FamGKG, 36 Abs. 3 GNotGK, 52 Abs. 2 GKG) orientiert. Die gegen diese Wertfestsetzung gerichtete Streitwertbeschwerde weist das OLG Brandenburg (Beschl. v. 9.4.2024 – 7 W 27/24) zurück.

Insoweit führt das OLG aus: Die Nutzung eines Facebook-Kontos ist für Menschen mit besonderem Kommunikations-, Achtungs- und Beachtungsbedürfnis durchaus wichtig. Sie kann jedoch nicht als unverzichtbare Bedingung der Persönlichkeitsentfaltung gesehen werden. Deshalb ist eine solche Streitigkeit mit dem „Hilfsauffangswert“ in Höhe von 5.000 Euro angemessen bewertet.

Klar ist: Wenn es um geschäftliche Interessen oder gar um Wettbewerbsfragen geht, handelt es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. In einem solchen Fall kann es bei dem „Hilfsauffangswert“ nicht bleiben, vielmehr ist der maßgebliche Streitwert dann viel höher festzusetzen. Letztlich sind daher für „normale“ Streitigkeiten in diesem Zusammenhang die Amtsgerichte, für besondere Streitigkeiten, vor allem solche, die im gewerblichen Bereich ihre Ursache haben, die Landgerichte erstinstanzlich zuständig.

VGH München: Unrichtige Rechtsmittelbelehrung und zum Entfall der Beschwer bei Teilabhilfe

Der VGH München (Beschl. v. 20.2.2024 – 15 C 23.30945) hat zwei wichtige und durchaus praxisrelevante  Konstellationen in Erinnerung gebracht:

Der Rechtsanwalt eines Klägers war im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet und beantragte nach Abschluss des Prozesses die Festsetzung seiner Vergütung. Dabei entstand mit der Gerichtskasse Streit über die Anrechnung von Zahlungen. Das VG hatte seiner Nichtabhilfeentscheidung eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, obwohl die notwendige Beschwerdesumme von 200 € nicht erreicht war (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Das VG war von dem Gegenteil ausgegangen, hatte sich jedoch verrechnet.

Das Rechtsmittel bleibt gleichwohl unzulässig! Ist die erforderliche Beschwer nicht erreicht, bleibt ein Rechtsmittel auch dann unzulässig, wenn der Entscheidung eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung beigefügt worden war. Ein Gericht kann nicht durch die Erteilung einer falschen Rechtsmittelbelehrung einen Instanzenzug zu eröffnen, den das Gesetz gar nicht vorsieht. Dies gilt auch dann, wenn sich das erstinstanzliche Gericht verrechnet hat.

Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang weiterhin, ob der Beschwerdewert von Anfang an oder erst durch eine teilweise Nichtabhilfeentscheidung unter die Mindestsumme fällt. Maßgeblich ist stets die verbliebene, nicht die ursprüngliche Beschwer. Es ist in der Tat so, dass das Rechtsmittel dann durch die Teilabhilfe unzulässig wird.

OLG Hamburg: Gebühr für umfangreiche Beweisaufnahmen

In der jüngeren Vergangenheit konnte der Rechtsanwalt noch bei der Durchführung einer Beweisaufnahme eine seinerzeit sog. Beweisgebühr verdienen. Diese Gebühr wurde vom Gesetzgeber aus gutem Grunde abgeschafft, denn sie verhinderte mitunter eine Einigung im frühen Stadium eines Prozesses, weil die beteiligten Rechtsanwälte doch gerne eine Beweisgebühr verdient hätten. Zum Ausgleich wurden die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr erhöht.

Außerdem wurde die Nr. 1010 VV VRG eingeführt, eine Zusatzgebühr für besonders umfangreiche Beweisaufnahmen, d. h. mindestens drei gerichtliche Termine, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden, fanden statt. Hierdurch sollten vor allem die Baurechtler zufrieden gestellt werden.

Im konkreten Fall wurde die Festsetzung einer solchen Gebühr beantragt. Es hatten insgesamt vier Termine stattgefunden, wobei jedoch nur in zwei Terminen Sachverständige oder Zeugen vernommen wurden. Der Antragsteller war der Auffassung, es sei jedenfalls die entsprechende Anwendung der Vorschrift geboten.

Das OLG Hamburg (Beschl. v. 20.2.2024 – 4 W 21/24) geht diesen Weg nicht mit. Der klare Wortlaut der Vorschrift ist nicht erfüllt. Es fanden eben nur zwei anstatt der drei geforderten und notwendigen Termine mit Vernehmungen von Zeugen und/oder Sachverständigen statt. Eine analoge Anwendung der Nr. 1010 kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer Regelungslücke. Die Vorschrift wurde – zur Vermeidung von Fehlanreizen – bewusst so konzipiert. Kostenvorschriften sind im Übrigen streng dem Wortlaut gemäß auszulegen. Letztendlich ist das Kostenfestsetzungsverfahren als summarisches Verfahren auch nicht geeignet, einzelfallbezogene Prüfungen zu dem Umfang einer Beweisaufnahme durchzuführen.

Mit der wohl ganz h. M. lehnt daher das OLG Hamburg eine entsprechende Anwendung der Zusatzgebühr für umfangreiche Beweisaufnahmen nach Nr. 1010 VV RVG über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ab.

OLG Dresden: Amtlicher Vordruck beim Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz

Vor dem OLG Dresden (Beschl. v. 5.2.2024 – 4 U 74/24) ging es um die Frage nach der Vorlage des amtlichen Vordrucks, wenn Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt wird. Grundsätzlich muss der Vordruck in zweiter Instanz (erneut) vorgelegt werden. Haben sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert, darf allerdings auf einen bereits vorgelegten Vordruck Bezug genommen werden. Die Vorlage des Vordrucks bzw. die Erklärung darf bis zum Ablauf der Berufungsfrist erfolgen. Im hiesigen Fall hatte die Klägerin jedoch lediglich die Vorlage des Vordrucks in Aussicht gestellt, denselben jedoch bis zum Schluss der Instanz nicht vorgelegt.

Unter diesen Umständen hatte der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz keinen Erfolg. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Berufungsverfahren wird jedenfalls deswegen zum Nachteil der Klägerin ausgehen, weil dieser keine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen des Versäumnisses der Berufungsfrist mehr bewilligt werden kann. Die Voraussetzung wäre nämlich gewesen, dass die Klägerin innerhalb der erwähnten Frist auch ihre Bedürftigkeit dargelegt hätte. Daran hat es jedoch gefehlt, weil der Vordruck nicht vorlag. Außerdem wurde nicht erklärt, dass sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht verändert haben. Damit ist das beabsichtigte Rechtsmittel endgültig gescheitert.

Bei Prozesskostenhilfeanträgen muss man als Rechtsanwalt stets an den Vordruck denken und gegebenenfalls dem Mandanten deutlich machen, dass davon oftmals das Schicksal des Verfahrens abhängig sein kann, vor allem, wenn es um die Rechtsmittelinstanzen geht! Eine Notlösung könnte sein, das Rechtsmittel ohne Rücksicht auf die Prozesskostenhilfe einzulegen. Freilich hat der Mandant dann auch das Kostenrisiko. Immerhin könnte man den Antrag auf Prozesskostenhilfe dann noch nachschieben.

BGH: Erforderlicher Vortrag bei unverschuldeter Säumnis

Der BGH (Beschl. v. 24.1.2024 – XII ZB 171/23, MDR 2024, 517) hatte in einer Familiensache, in der ein zweiter Versäumnisbeschluss ergangen, da die Rechtsanwältin der Antragsgegnerin (erneut) nicht zum Termin erschienen war, zu entscheiden. Gegen diesen Versäumnisbeschluss wurde mit der Begründung Beschwerde eingelegt, die Säumnis sei unverschuldet gewesen. Insoweit behauptete die Rechtsanwältin Folgendes: Um 7.15 Uhr sei sie von Berlin nach Frankfurt (Oder) gefahren, um dort den auf 10:00 Uhr bestimmten Termin wahrzunehmen. Während der Fahrt habe sie unvermittelt „schubweise schwere krampfhafte Zustände“ mit Brechreiz und Durchfall bekommen und deshalb die Fahrt unterbrechen müssen. Mehrfach Versuche, das Gericht vor 10:00 Uhr telefonisch zu erreichen, wären nicht erfolgreich gewesen. Auch die Kanzleimitarbeiterin habe „zwischenzeitlich“ mehrfach vergeblich versucht, das Gericht anzurufen. Die Rechtsanwältin habe dann einen Arzt aufgesucht. Der Versäumnisbeschluss erging um 10:55 Uhr. Danach erreichte die Kanzleimitarbeiterin die Richterin.

Das OLG sah keine unverschuldete Säumnis und wies die Beschwerde zurück. Der BGH folgt dem und ließ die Rechtsbeschwerde deshalb nicht zu, sondern verwarf sie. Die Beurteilung der Verschuldensfrage im hiesigen Zusammenhang entspricht derjenigen bei der Wiedereinsetzung. Es muss daher die unverschuldete Säumnis schlüssig dargelegt werden, und zwar innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist. In Fällen wie diesem gilt, dass der Rechtsanwalt alles Mögliche und Zumutbare tun muss, um dem Gericht seine Verhinderung mitzuteilen. Insoweit ist der Vortrag der Rechtsanwältin nicht hinreichend substantiiert. Es fehlen die konkreten Angaben zum Ablauf der Fahrt. Außerdem wurde nicht genau mitgeteilt, wie oft und wann genau die Rechtsanwältin unter welcher Rufnummer versucht haben will, das Gericht zu erreichen. Die bloße Behauptung mehrerer Kontaktversuche mit Geschäftsstelle und Telefonzentrale ist zu pauschal. Da die Rechtsanwältin die Fahrt schon um 9.00 Uhr unterbrochen hatte, wäre eine Kontaktaufnahme kurz vor 10:00 Uhr z. B. schon sorgfaltswidrig zu spät gewesen.

Der BGH ist bezüglich des normalen Prozessstoffs bei der Frage nach der ausreichenden Substanziierung von Behauptungen oftmals sehr großzügig. Letztlich reicht es oft, einfach eine Behauptung aufzustellen, weitere Erläuterungen dazu werden für entbehrlich gehalten. Im Rahmen von Verschuldensprüfungen und bei Wiedereinsetzungsproblemen ist dies jedoch – wie gesehen – nicht der Fall. Hier muss klar Farbe bekannt und ausführlich und nachvollziehbar dargelegt werden. Und: Wenn die für die Begründung eines Rechtsmittels eingeräumten Fristen abgelaufen sind, kann im Regelfall nichts mehr nachgeschoben werden. Derartigen Anträgen muss daher immer besondere Sorgfalt gewidmet werden! Befindet man sich selbst in einer solchen Situation, sollte man vorsichtshalber stets sogleich dokumentieren, welche Versuche man unternommen hat, um das Gericht zu erreichen.

BVerwG: Entwurf einer Nichtzulassungsbeschwerde

Einen fast schon tragischen Fall musste das BVerwG (Beschl. v. 21.12.2023 – 2 B 2.23) entscheiden. Die Klägerin war Zeitsoldatin und wurde entlassen. Die Klage gegen die Entlassungsverfügung wurde zweitinstanzlich vom OVG abgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete und eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde war auf allen Seiten im Hintergrund des Fließtextes („Wasserzeichen“) in großer Schrift deutlich erkennbar als „Entwurf“ gekennzeichnet. Damit stellte sich sofort die Frage, ob diese Beschwerde zulässig war.

Zunächst einmal war die Schriftform eingehalten. Die Nichtzulassungsbeschwerde war elektronisch übermittelt und sogar qualifiziert elektronisch signiert worden. Grundsätzlich ist anerkannt, dass ein derartiges Schriftstück erkennbar für den Rechtsverkehr bestimmt ist. Allerdings ist für die Entscheidung zu berücksichtigen, dass auf jeder Seite das Wort „Entwurf“ im Hintergrund zu sehen und zu lesen war. Das Wort „Entwurf“ dient aber regelmäßig dazu, ein Dokument als vorläufig und noch nicht für den Rechtsverkehr freigegeben zu bezeichnen. Dies steht im Gegensatz zur Schriftform und führt damit dazu, dass die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist, da eben keine Beschwerde, sondern lediglich ein Entwurf derselben eingereicht wurde.

Eine Rettung dieser Sache wäre daher nur noch über einen Wiedereinsetzungsantrag möglich gewesen. Insoweit gilt jedoch, dass ein Rechtsanwalt dazu verpflichtet ist, die anzufertigenden Schriftsätze rechtzeitig und formgemäß einzureichen. Diesen Anforderungen ist der Rechtsanwalt offensichtlich nicht gerecht geworden. Der Fall konnte damit nicht mehr gerettet werden. Es bleibt bei dem klageabweisenden Urteil des OVG.

Es kann nicht oft genug betont werden: Vor dem Absenden muss jeder fristgebundene Schriftsatz nochmals wenigstens kurz auf die Formalien hin geprüft werden. Sonst können böse Überraschungen drohen.

 

BVerfG zur Videoverhandlung

Das BVerfG (Beschl. v. 15.1.2024 – 1 BvR 1615/23) hatte über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BFH zu entscheiden. Zugrunde lag eine Videoverhandlung eines FG. Im Sitzungssaal war eine Kamera eingesetzt, die lediglich die gesamte Richterbank abbildete. Die Beschwerdeführer sahen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, da sie nicht die Möglichkeit hatten, durch Zoomen die Unvoreingenommenheit der Richter durch einen Blick in deren Gesicht zu prüfen.

Der BFH selbst hat bekanntlich schon mehrere Entscheidungen zu Videoverhandlungen getroffen. U. a. wurde entschieden (Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22, MDR 2023, 1131 = MDR 2023, 1366 [Greger]), dass die fehlende Möglichkeit der beständigen Überprüfung des Aussehens der Richter eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darstellen kann.

Diese Sichtweise weist das BVerfG allerdings klar zurück, so dass die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat. Diese zunächst begrüßenswerte Entscheidung wird aber gleich wieder dahingehend relativiert, dass das BVerfG den Hinweis gibt, unter Umständen käme ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren in Betracht. Im konkreten Fall war jedoch die Verletzung dieses Grundrechts gar nicht gerügt worden. Außerdem würde eine solche Rüge voraussetzen, dass im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt wird, wie die Ausstattung, die Übertragungsqualität usw. beschaffen waren. Schließlich sieht das BVerfG den Grundsatz der Subsidiarität nicht als gewahrt an, weil die Beschwerdeführer im Laufe der mündlichen Verhandlung insoweit nichts geltend gemacht haben.

Wenn man diese Ausführungen zur Kenntnis nimmt und diesen Weg weiterdenkt, so wird man fast sicher annehmen können, dass es der höchstrichterlichen sowie der Rechtsprechung des BVerfG gelingen wird, die Anforderungen an eine nicht mehr zu beanstandende Videoverhandlung so auszubauen, dass sie letztlich praktisch nicht mehr durchzuführen sein wird, da die entsprechende Technik nirgendwo vorhanden und auch praktisch gar nicht mehr beherrschbar sein wird.

Es wird sich damit hoffentlich nicht so entwickeln, wie bei dem verspäteten Vorbringen: Der Gesetzgeber hatte die Regelungen seinerzeit eingeführt, um den Zivilprozess zu beschleunigen. BGH und BVerfG haben diese Regelungen durch ihre restriktive Rechtsprechung in der Folgezeit jedoch so weit eingeschränkt, dass heute niemand mehr von einer Zurückweisung wegen Verspätung spricht. Auch Entscheidungen dazu werden praktisch nicht mehr getroffen, geschweige denn veröffentlicht.

Fazit: Es bleibt daher abzuwarten, ob auch die Videoverhandlung nunmehr auf diesem kalten Wege praktisch abgeschafft werden wird. Hoffentlich bleibt insoweit wenigstens der Grundsatz der Subsidiarität im Gespräch. Dann müsste man jedenfalls verlangen, dass eventuelle Bedenken bereits während der jeweiligen Verhandlung geltend gemacht werden müssen und nicht erst im Nachhinein erhoben werden können.

OLG Koblenz: Unwirksamkeit einer Zustellung wegen nicht lesbaren Datums

In konsequenter Fortsetzung einer neueren Entscheidung des BGH (Versäumnisurt. v. 15.3.2023 – VIII ZR 99/22, MDR 2023, 797 – ein fehlender Datumsvermerk auf dem Zustellungsumschlag führt zur Unwirksamkeit der Zustellung) hat das OLG Koblenz (Urt. v. 13.12.2023 – 10 U 472/23) eine Entscheidung zur Frage der Wirksamkeit einer Zustellung für den Fall getroffen, dass das Datum auf dem Umschlag zwar vorhanden, jedoch nicht deutlich lesbar ist.

Es ging um die Frage eines rechtzeitigen Einspruchs. Aus der bei der Gerichtsakte befindlichen Zustellungsurkunde ergab sich, dass die maßgebliche Zustellung am 12.12. erfolgt war. Auf dem Umschlag, worauf das Datum zu vermerken ist (§ 180 S. 3 ZPO), war das Datum jedoch nicht eindeutig lesbar. Es hätte 12.12. oder 17.12. heißen können. Das LG hatte noch die Auffassung vertreten, man hätte sich bei Gericht erkundigen oder vorsichtshalber auf das ältere Datum abstellen müssen. Das OLG Koblenz jedoch erklärt § 180 S. 3 ZPO, wonach der Zusteller auf dem Umschlag das Datum zu vermerken hat, zu einer zwingenden Zustellungsvorschrift, deren Verletzung die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge hat. Konsequenz: Die Zustellung ist insgesamt unwirksam. Die Frist für den Einspruch begann damit erst mit der Kenntnisnahme des Versäumnisurteils (§ 189 ZPO). Eine Nachforschungspflicht lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, so dass sie einer Partei nicht auferlegt werden kann.

Fazit: Leider ist in der Praxis immer wieder zu beachten, dass bei Zustellungen sehr unsorgfältig gearbeitet wird. Dies liegt natürlich auch daran, dass die Zusteller selbst unter einem hohen Arbeitsdruck stehen. Um Zustellungsfehler noch ausnützen zu können, muss man sich immer den Umschlag der zugestellten Sendung im Original zeigen lassen und gegebenenfalls aufbewahren. So lässt sich durchaus nicht selten, manche Frist noch retten!

KG: Anwaltszwang im einstweiligen Verfügungsverfahren

Das KG hat in einer lehrreichen Entscheidung (Beschl. v. 14.11.2023 – 10 W 185/23) die Grundsätze zum Anwaltszwang im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren zusammengefasst.

Bekanntlich besteht vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten nach § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO Anwaltszwang. Gemäß den §§ 936, 920 Abs. 3 ZPO kann aber das „Gesuch“ für einen Arrest und damit auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Gemäß § 78 Abs. 3 ZPO bedeutet dies wiederum, dass hierfür kein Anwaltszwang besteht. Fazit: Für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung besteht beim Landgericht kein Anwaltszwang.

Soweit ist die Sache klar. Im konkreten Fall hatte eine Partei den Antrag gestellt, der jedoch vom Landgericht zurückgewiesen wurde. Gegen diesen Beschluss hat die Partei selbst Beschwerde eingelegt. Die entscheidende Frage war nun, ob diese Beschwerde überhaupt zulässig ist. Die Partei hatte sich auf § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO berufen. Danach kann die Beschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war. Diese Vorschrift meint aber Prozesse vor dem Amtsgericht. Gemäß § 78 Abs. 1 ZPO sind Verfahren vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten als Anwaltsprozess zu führen. Der Umstand, dass ein Verfahren ohne Anwaltszwang eingeleitet werden kann, bedeutet nicht, dass es nicht als Anwaltsprozess zu führen ist.

Fazit: Die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beschluss eines Landgerichts zum Oberlandesgericht unterliegt dem Anwaltszwang.