Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es erneut um eine prozessuale Frage, die anlässlich eines so genannten Diesel-Falls zu entscheiden war

Beschwer bei Abweisung einer Klage auf Zahlung Zug um Zug gegen Erfüllung einer ebenfalls auf Zahlung gerichteten Gegenforderung
Beschluss vom 12. Oktober 2021 – VIII ZR 255/20

Mit der in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO normierten Wertgrenze für die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde befasst sich der VIII. Zivilsenat in einem so genannten Diesel-Fall.

Der Kläger kaufte bei der Beklagten im Jahr 2016 einen neuen VW Caddy zum Preis von rund 18.500 Euro. Im Jahr 2018 trat der Kläger wegen der zum Motor gehörenden Steuerungssoftware vom Vertrag zurück. Er klagt auf Rückzahlung einer angeblichen Kaufpreisforderung von rund 20.500 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß und setzte die Höhe der Zug um Zug zu zahlenden Nutzungsentschädigung auf rund 3.000 Euro fest. Die auf Herabsetzung dieses Betrags gerichtete Berufung des Klägers blieb erfolglos. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage ab.

Der BGH verwirft die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als unzulässig, weil die gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Wertgrenze von 20.000 Euro nicht überschritten ist.

Bei der Abweisung einer Klage auf Leistung Zug um Zug ist für die Beschwer des Klägers grundsätzlich nur der Wert des mit der Klage begehrten Gegenstands maßgeblich. Deshalb ist im Streitfall der Wert der Klageforderung nicht um den Restwert des Fahrzeugs zu verringern. Wertmindernd anzusetzen ist jedoch der Wert der Zug um Zug angebotenen Nutzungsentschädigung. Ein solchermaßen formulierter Klageantrag ist für die Berechnung des Beschwerdewerts nicht anders zu behandeln als eine Aufrechnung.

Im Streitfall hat der Kläger die Höhe der Nutzungsentschädigung, die er zu zahlen bereit ist, zwar nicht beziffert. Bei der Wertberechnung ist aber derjenige Betrag anzusetzen, den der Kläger auf der Grundlage seines Vorbringens auf jeden Fall zu zahlen hat. Dies sind im Streitfall etwas mehr als 10 % des Kaufpreises, weil das Fahrzeug eine Laufleistung von rund 51.000 km hat und der Kläger in der Berufungsinstanz geltend gemacht hat, die Nutzungsentschädigung sei auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km zu berechnen. Der Wert des Beschwerdegegenstand beträgt deshalb nur rund 18.600 Euro.

Praxistipp: Bei unbezifferten Anträgen müssen die Parteien die für die Wertbemessung maßgeblichen Umstände spätestens in der Berufungsinstanz vortragen. Die erstmalige Geltendmachung solcher Umstände in der dritten Instanz vermag die Statthaftigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu begründen.

Montagsblog: Neues vom BGH

Um grundlegende Anforderungen an die Zulässigkeit einer Berufung geht es in dieser Woche.

Festhalten an erstinstanzlich vertretener Rechtsauffassung
Beschluss vom 7. Juni 2018 – I ZB 57/17

Der I. Zivilsenat sieht eine Berufung, die auf die bloße Wiederholung einer in erster Instanz erfolglos vertretenen Rechtsauffassung gestützt wird, als zulässig an.

Das LG hatte eine auf Unterlassung bestimmter Werbemaßnahmen gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin ihre ladungsfähige Anschrift nicht substantiiert dargelegt habe. Mit ihrer Berufung wiederholte die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen, an der in der Klageschrift benannten Adresse könnten auch an solchen Tagen Zustellungen vorgenommen werden, an denen ihr Geschäftsführer nicht anwesend sei, weil die Mitarbeiter eines anderen, an derselben Adresse ansässigen Unternehmens entsprechend bevollmächtigt seien. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Eine Berufung ist zwar grundsätzlich unzulässig, wenn der Berufungskläger lediglich seinen erstinstanzlichen Tatsachenvortrag wiederholt, ohne sich mit abweichenden Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts auseinanderzusetzen. Ist der Berufungskläger in erster Instanz aus rechtlichen Gründen erfolglos geblieben, genügt es aber, wenn er seine bereits in erster Instanz vertretene Rechtsauffassung erneut darlegt. Im Streitfall beruhte die erstinstanzliche Klageabweisung allein auf der rechtlichen Erwägung, die vorgetragene Bevollmächtigung reiche zur Begründung einer ladungsfähigen Anschrift nicht aus. Deshalb durfte die Klägerin ihre Berufungsbegründung auf die Wiederholung ihrer abweichenden Rechtsauffassung beschränken.

Praxistipp: Ungeachtet der relativ großzügigen Mindestanforderungen sollte sich der Berufungskläger in seiner Rechtsmittelbegründung vorsorglich auch mit der rechtlichen Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts auseinandersetzen.

Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands
Beschluss vom 21. Juni 2018 – V ZB 254/17

Der V. Zivilsenat bekräftigt die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die fristgerechte Glaubhaftmachung des Werts des Beschwerdegegenstands nicht zu den Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Berufung gehört.

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte beschlossen, die Außenfassade des bisher in grün gehaltenen Gebäudes grau anstreichen zu lassen. Die Anfechtung dieses Beschlusses blieb in erster Instanz erfolglos. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Ein Berufungskläger muss zwar gemäß § 511 Abs. 3 ZPO darlegen und glaubhaft machen, dass der Wert des Beschwerdegegenstands die für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels maßgebliche Wertgrenze (600 Euro, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt. Anders als bei einer Nichtzulassungsbeschwerde führt ein Verstoß gegen diese Obliegenheit aber nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Vielmehr muss das Berufungsgericht den Wert auch ohne Glaubhaftmachung auf Grund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen schätzen. Im Streitfall sah sich der BGH außer Stande, die Schätzung selbst vorzunehmen. Auch wenn es nur um die Farbe geht, kann zwar der auf den Kläger entfallenden Anteil an den Kosten des Neuanstrichs als Anhaltspunkt genommen werden. Aus dem für die Rechtsbeschwerdeinstanz relevanten Tatsachenvorbringen ließ sich aber nicht entnehmen, wie hoch die maßgeblichen Gesamtkosten sind.

Praxistipp: Um eine ihm ungünstige Schätzung zu vermeiden, sollte der Berufungskläger stets bestrebt sein, die Überschreitung der Wertgrenze eingehend vortragen und glaubhaft machen.

 

Beschwerdewert der Nichtzulassungsbeschwerde bleibt auch über 2016 hinaus bei EUR 20.000

Der Bundestag hat am 01.12.2016 beschlossen, dass die Befristung für den Wert des Beschwerdegegenstandes bei der Nichtzulassungsbeschwerde von mehr als EUR 20.000 bis zum 30.06.2018 verlängert wird (vgl. BT-Drucksache 18/10470). Der BT-Rechtsausschuss hat hierzu ausgeführt, dass es ohne die Wertgrenze bereits vor geraumer Zeit zu einer nicht mehr tragbaren Belastung des Bundesgerichtshofs gekommen wäre. Im Hinblick auf die gestiegenen Eingangszahlen bei den Nichtzulassungsbeschwerden, die insbesondere auf das am 27.10.2011 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO zurückzuführen seien, sei die Entwicklung über einen weiteren Zeitraum von 18 Monaten zu beobachten.

Die Verlängerung der Befristung führt gleichzeitig zum Fortbestehen der Entlastung der Berufungsgerichte (Landgerichte, Oberlandesgerichte). Denn in den Fällen, in denen ein Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben ist (also wenn der eine Nichtzulassungsbeschwerde den Beschwerdewert voraussichtlich nicht erreichen würde) muss die Berufungsentscheidung keinen Tatbestand enthalten (§§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO).