Beweislastumkehr bei grober Pflichtverletzung
Urteil vom 11. Mai 2017 – III ZR 92/16
In einer für BGHZ vorgesehenen Entscheidung, die auch Aufmerksamkeit in der Tagespresse gefunden hat, wendet der III. Zivilsenat eine aus dem Arzthaftungsrecht bekannte Beweislastregel auf einen Hausnotrufvertrag an.
Der im Laufe des Rechtsstreits verstorbene, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 75 Jahre alte, allein lebende und pflegebedürftige frühere Kläger hatte mit der Beklagten einen Hausnotrufvertrag geschlossen. Zu den Pflichten der Beklagten gehörte die unverzügliche Vermittlung einer angemessenen Hilfeleistung im Falle eines Notrufs. Zwei Jahre nach Vertragsschluss betätigte der Kläger den Notruf. Am Telefon konnte er sich nicht artikulieren, sondern nur ein Stöhnen von sich geben. Ein zur Wohnung entsandter Mitarbeiter der Beklagten fand den Kläger am Boden liegend auf. Mit Hilfe eines hinzugerufenen Kollegen setzte er ihn auf die Couch und verließ die Wohnung. Zwei Tage später fanden Mitarbeiter des Pflegedienstes den Kläger mit einer halbseitigen Lähmung am Boden liegend auf. Im Krankenhaus wurde ein ein bis drei Tage zurückliegender Schlaganfall diagnostiziert, von dem sich der Kläger bis zu seinem Tod rund drei Jahre später nicht mehr erholte. Die Klage auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden blieb in den ersten beiden Instanzen erfolglos.
Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Abweichend von den Vorinstanzen bejaht er eine Pflichtverletzung der Beklagten. Diese hätte aufgrund der bekannten Vorerkrankungen und der fehlenden Artikulationsfähigkeit unverzüglich nach Eingang des Notrufs den Rettungsdienst alarmieren müssen. Die Beweislast dafür, dass es dann nicht zu den schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gekommen wäre, legt der BGH der Beklagten auf. Er sieht deren Verhalten als grobe Pflichtverletzung an und leitet daraus – entsprechend den für grobe ärztliche Behandlungsfehler entwickelten Grundsätzen – eine Umkehr der Beweislast ab. Entscheidend dafür ist, dass der Notrufvertrag gerade dazu diente, den Kläger vor Gefahren für Körper und Gesundheit zu bewahren, und dass die Beweissituation des Klägers durch das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten erheblich verschlechtert wurde.
Praxistipp: Eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalitätsfrage kommt in Betracht, wenn der Schuldner eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit grob vernachlässigt hat.
Persönlich eingelegtes Rechtsmittel und Antrag auf Prozesskostenhilfe
Beschluss vom 14. März 2017 – VI ZB 36/16
Mit einer nicht selten auftretenden Verfahrensfrage befasst sich der VI. Zivilsenat.
Das AG hatte den Beklagten wegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung zur Zahlung von 1.318,36 Euro verurteilt. Hiergegen legte der Beklagte mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben fristgerecht Berufung ein. Zugleich reichte er einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren ein, dem alle erforderlichen Unterlagen beigefügt waren. Das LG lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht ab und verwarf die Berufung als unzulässig. Gegen letzteres wendete sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
Der BGH verweist die Sache an das LG zurück. Die vom Beklagten persönlich eingelegte Berufung war zwar unzulässig. Das LG hätte dem Beklagten nach der Zurückweisung des Antrags auf Prozesskostenhilfe aber Gelegenheit geben müssen, das Rechtsmittel durch einen Anwalt erneut einlegen zu lassen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen. Ein solches Wiedereinsetzungsgesuch hatte Aussicht auf Erfolg, weil der Beklagte davon ausgehen durfte, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt sind.
Praxistipp: Wenn das Berufungsgericht zutreffend verfährt und die betroffene Partei nach Versagung von Prozesskostenhilfe anwaltliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss die Frist für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags beachtet werden. Diese beträgt, wenn es um die Einlegung der Berufung geht, gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwei Wochen nach Zugang des Beschlusses über die Versagung von Prozesskostenhilfe.