Anwaltsblog 12/2025: Wann ist die Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB rechtsmissbräuchlich?

Der BGH hatte zu entscheiden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag der Widerruf des Verbrauchers rechtsmissbräuchlich ist (BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 – VII ZR 133/24):

 

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Werklohn für eine Verkehrsflächenreinigung. Durch den PKW des Beklagten kam es am 31. August 2020 auf der Bundesautobahn 5 im Bereich der Ausfahrt Karlsruhe zu einer Verunreinigung der Verkehrsfläche durch eine Ölspur. Der Beklagte beauftragte die Klägerin am selben Tag vor Ort schriftlich mit der Reinigung der Fahrbahn. Er unterzeichnete zudem ein ihm ausgehändigtes, gesondertes Blatt mit einer Widerrufsbelehrung. Diese enthielt weder einen Hinweis auf das Muster-Widerrufsformular noch wurde ihm ein solches ausgehändigt. Die Klägerin reinigte die Verkehrsfläche und rechnete hierfür 1.975,43 € brutto ab. Der Beklagte erklärte auf Anraten seines Haftpflichtversicherers mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 den Widerruf des mit der Klägerin geschlossenen Vertrags.

Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 1.975,43 € gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klageforderung zuerkannt. Der Beklagte habe den Werkvertrag nicht wirksam widerrufen. Allerdings habe ihm aufgrund des außerhalb von Geschäftsräumen erfolgten Vertragsschlusses ein gesetzliches Widerrufsrecht gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB zugestanden. Der Beklagte sei jedoch nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf sein Widerrufsrecht zu berufen. Bei Nassreinigungsarbeiten auf Straßen handele es sich um Arbeiten, die aufgrund des Gefährdungspotentials für andere Verkehrsteilnehmer mit Zeitdruck durchgeführt werden müssten. Bei diesen Arbeiten bestehe nur ein kurzes Zeitfenster – im Streitfall höchstens eineinhalb Stunden – in dem überhaupt ein Widerruf durchgeführt werden könne. Es komme hinzu, dass Nassreinigungsarbeiten üblicherweise vom Träger der Straßenbaulast beauftragt würden; dieser habe sodann gegen den Schädiger einen Anspruch auf Ersatz der Reinigungskosten. Bei einer Beauftragung des Reinigungsunternehmers durch den Träger der Straßenbaulast stehe diesem kein Widerrufsrecht zu. Es wäre daher eine ungerechtfertigte Bevorzugung des Beklagten, wenn seine Ersatzpflicht als Schädiger nur deshalb entfiele, weil er den Reinigungsunternehmer selbst beauftragt habe und er diesen Vertrag wegen eines kleinen Fehlers bei der Widerrufsbelehrung auch noch nach Ausführung der Leistung widerrufen könne.

Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Beklagten sei rechtsmissbräuchlich, ist rechtsfehlerhaft. Allerdings ist es weder nach Unionsrecht noch nach nationalem Recht ausgeschlossen, der Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1 BGB im Einzelfall den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenzuhalten. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Es setzt der Rechtsausübung dort Schranken, wo sie zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führt. Insbesondere muss § 242 BGB dann in Betracht gezogen werden, wenn die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt nicht hinreichend zu erfassen vermag und für einen der Beteiligten ein unzumutbar unbilliges Ergebnis zur Folge hätte. Dagegen berechtigt § 242 BGB nicht zu einer reinen Billigkeitsjustiz. Gründe der Rechtssicherheit verbieten es vielmehr, Vorschriften des zwingenden Rechts unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben auch dort anzutasten, wo besondere gesetzliche Regelungen den Interessenkonflikten bereits Rechnung tragen. Hiervon ausgehend kommt ein Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, in Betracht. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bereits das gesetzliche Regelungsgefüge zum Verbraucherwiderrufsrecht die als schutzwürdig erkannten Interessen sowohl des Verbrauchers auf der einen als auch des Unternehmers auf der anderen Seite berücksichtigt. Die darin liegenden gesetzlichen Wertungen dürfen nicht durch die Anwendung von § 242 BGB umgangen werden.

Dies hat das Berufungsgericht verkannt. Es hat den Ausnahmecharakter des Einwands des Rechtsmissbrauchs nicht berücksichtigt und ist insoweit von einem unzutreffenden Wertungsmaßstab ausgegangen. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben wegen Rechtsmissbrauchs nicht. Die Dringlichkeit der Reinigungsarbeiten aufgrund des mit der Ölspur verbundenen Gefährdungspotentials sowie die kurze Ausführungsdauer sind keine Umstände, die ausnahmsweise den Einwand rechtfertigen könnten, die Ausübung des Verbraucherwiderrufsrechts durch den Beklagten sei rechtsmissbräuchlich. Das Berufungsgericht verkennt insoweit, dass bereits das Gesetz in § 312g Abs. 2 Nr. 11 BGB (dringende Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten auf Aufforderung des Verbrauchers) und § 356 Abs. 4 BGB (Erlöschen des Widerrufsrechts bei vollständiger Leistungserbringung) derartige Umstände berücksichtigt und den Interessen des Unternehmers Rechnung trägt, indem es unter den dort geregelten Voraussetzungen ein Widerrufsrecht des Verbrauchers verneint. Liegen in diesen Fällen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verneinung des Widerrufsrechts nicht vor, kann die darin liegende gesetzliche Wertung nicht durch den Rückgriff auf § 242 BGB umgangen werden. Es müssen dann vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die den nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Einwand des Rechtsmissbrauchs rechtfertigen können. Solche weiteren Umstände, die eine besondere Schutzbedürftigkeit des Unternehmers begründen, sind nicht erkennbar. Der Umstand, dass üblicherweise der Träger der Straßenbaulast Nassreinigungsarbeiten beauftragt, diesem kein Widerrufsrecht zusteht und er den Schädiger im Anschluss wegen der Kosten der Reinigung nach § 7 StVG oder § 823 BGB in Regress nehmen kann, kann den nur ausnahmsweise eingreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht begründen. Das Berufungsgericht verkennt insoweit, dass sich die Klägerin dafür entschieden hat, die Nassreinigungsarbeiten nicht auf der Grundlage eines Vertrags mit dem Träger der Straßenbaulast durchzuführen, sondern hierüber einen Vertrag mit dem Beklagten als Verbraucher abzuschließen. Sie hat sich damit bewusst dem Regime des Verbrauchervertrags und damit dem Risiko einer Widerruflichkeit der Willenserklärung des Beklagten zu diesem Vertrag ausgesetzt.

Die Anforderungen an die gebotene Belehrung im Fall eines Widerrufsrechts des Verbrauchers gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB ergeben sich aus Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB. Diese Vorschrift regelt den gesetzlichen Mindestinhalt einer Widerrufsbelehrung. Danach ist der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular aus der Anlage 2 zu Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB zu informieren. Die gesetzlichen Informationspflichten dienen dem vom nationalen Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU verfolgten Zweck, dem Verbraucher eine ungehinderte Ausübung des Widerrufsrechts zu ermöglichen. Der Verbraucher soll durch die Belehrung nicht nur von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangen, sondern auch in die Lage versetzt werden, dieses ohne Schwierigkeiten wirksam auszuüben. Das Muster-Widerrufsformular bezweckt dabei unter anderem die Vereinfachung des Widerrufsverfahrens für den Verbraucher. Danach weist die Widerrufsbelehrung der Klägerin keinen nur geringfügigen Fehler auf, vielmehr hält sie die gesetzlichen Mindestvorgaben nicht ein. Denn die Klägerin hat in der Widerrufsbelehrung keinen Hinweis auf das Muster-Widerrufsformular erteilt und dieses dem Beklagten auch nicht ausgehändigt.

 

Fazit: Der Ausschluss des Verbraucherwiderrufsrechts gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB wegen Rechtsmissbrauchs kommt nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers, etwa bei arglistigem Verhalten des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, in Betracht. Das gesetzliche Regelungsgefüge zum Verbraucherwiderrufsrecht berücksichtigt bereits die als schutzwürdig erkannten Interessen sowohl des Verbrauchers auf der einen als auch des Unternehmers auf der anderen Seite. Die darin liegenden gesetzlichen Wertungen dürfen nicht durch die Anwendung von § 242 BGB umgangen werden.

Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um Ansprüche nach dem Abbruch einer eBay-Auktion.

Schnäppchenjäger oder Abbruchjäger?
Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 182/17

Mit Schadensersatzansprüchen des Bieters nach einer vom Verkäufer abgebrochenen eBay-Auktion befasst sich der VIII. Zivilsenat.

Der Beklagte hatte im Frühjahr 2012 bei eBay einen Pirelli-Radsatz für einen Audi A6 mit einem Startpreis von 1 Euro zum Verkauf angeboten, die Auktion aber vorzeitig beendet. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit einem Gebot von 201 Euro der Höchstbietende. Der Beklagte lehnte die Lieferung ab. Der Kläger bezifferte den Wert der angebotenen Ware mit 1.701 Euro und verlangte Schadensersatz in Höhe von 1.500 Euro. Die Klage hatte in den beiden ersten Instanzen Erfolg.

Die Revision des Beklagten bleibt erfolglos. Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen. Nach den AGB von eBay bleibt ein Gebot gültig, wenn der Verkäufer die Auktion ohne berechtigten Grund abbricht. Im Streitfall hat das Berufungsgericht der Behauptung des Beklagten, die Ware sei gestohlen worden, keinen Glauben geschenkt. Der BGH hält diese tatrichterliche Würdigung für rechtsfehlerfrei. Er tritt dem LG auch darin bei, dass der Klageforderung nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegensteht. Eine Betätigung als „Schnäppchenjäger“, d.h. das gezielte Bieten auf Waren zu einem weit unter dem Marktwert liegenden Preis, ist für sich genommen nicht missbilligenswert. Der Verkäufer hat es in der Hand, einen Vertragsschluss zu einem ihm nicht genehmen Preis durch Festsetzung eines entsprechend hohen Startgebots zu vermeiden. Als rechtsmissbräuchlich wäre es allerdings anzusehen, wenn sich der Kläger als „Abbruchjäger“ betätigt, also auf einen Abbruch der Auktion abgezielt hätte, um Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Die diesbezügliche Behauptung des Beklagten sah das Berufungsgericht indes ebenfalls als nicht bewiesen an. Der BGH sieht auch diese Würdigung als rechtsfehlerfrei an.

Praxistipp: Für die Einordnung eines Bieters als „Abbruchjäger“ kann vor allem der Umstand sprechen, dass er nach erfolgreichen Geboten die Ware nicht abgenommen hat, obwohl der Verkäufer zur Lieferung bereit war.

Montagsblog: Neues vom BGH

Eigeninteresse des gewillkürten Prozessstandschafters
Urteil vom 10. Juni 2016 – V ZR 125/15

Lehrreiche Ausführungen zur Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft finden sich in einer Entscheidung des V. Zivilsenats.

Die Klägerin, die gewerbliche Altkleidersammlungen durchführt, nahm die Beklagte, eine Wettbewerberin, die auf drei Grundstücken ohne Genehmigung der Eigentümer Altkleidercontainer aufgestellt hatte, auf Unterlassung in Anspruch. Die Eigentümer der betroffenen Grundstücke hatten sie hierzu ermächtigt. Die Klage hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg.

Der BGH weist die Klage als unzulässig ab. Er nimmt Bezug auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die prozessuale Geltendmachung von Rechten Dritter zulässig ist, wenn der Rechtsinhaber zustimmt und der Kläger ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung des Anspruchs hat. Mit den Vorinstanzen hält er eine Prozessstandschaft auch bei Ansprüchen aus § 1004 BGB möglich, obwohl diese untrennbar mit dem dinglichen Recht verbunden und nicht selbständig übertragbar sind. Abweichend von LG und OLG verneint der BGH aber ein schutzwürdiges Eigeninteresse. Das Interesse der Klägerin, Wettbewerbsverstöße von Konkurrenten zu unterbinden, reicht nicht aus, weil es nicht auf die Verwirklichung des geltend gemachten Rechts gerichtet ist. Der Anspruch aus § 1004 BGB schützt das Interesse an der ungestörten Nutzung des Grundstücks. Ein darauf gerichtetes Interesse läge beim Kläger nur dann vor, wenn er mit den Eigentümern der betroffenen Grundstücke einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hätte und durch das beanstandete Verhalten in der Ausübung der daraus resultierenden Rechte gestört würde. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall aber nicht vor.

Praxistipp: Wenn eine Prozessstandschaft mangels hinreichenden Eigeninteresses nicht in Betracht kommt, bleibt in Konstellationen wie denen des Streitfalls nur die Möglichkeit, dass der Rechtsinhaber die Klage im eigenen Namen erhebt und der an der Klage eigentlich interessierte Dritte ihm die Übernahme aller anfallenden Kosten und sonstigen Nachteile zusagt.

Keine Präklusion einer Klageerweiterung
Urteil vom 20. September 2016 – VIII ZR 247/15

Dass auch die strengen Präklusionsvorschriften in §§ 530 ff. ZPO noch Fluchtmöglichkeiten bieten, verdeutlicht eine Entscheidung des VIII. Zivilsenats.

Der Kläger nahm die Beklagten auf Zahlung einer Kaufpreisrate für eine Gaststätte in Anspruch. Die Klage blieb in erster Instanz erfolglos. Das OLG wies die Berufung durch Versäumnisurteil zurück, weil der Kläger zum Verhandlungstermin nicht erschienen war. Einen Tag vor dem Termin zur Verhandlung über den Einspruch gegen das Versäumnisurteil erweiterte der Kläger sein Begehren auf eine weitere Kaufpreisrate. Zugleich stützte er das gesamte Klagebegehren hilfsweise auf neues tatsächliches Vorbringen. Das Berufungsgericht hielt das Versäumnisurteil aufrecht und wies die Berufung auch hinsichtlich des zusätzlich geltend gemachten Anspruchs zurück. Es hielt die Klageerweiterung zwar für sachdienlich. Das neue tatsächliche Vorbringen ließ es dennoch unberücksichtigt, weil die Klageerweiterung erkennbar nur den Sinn gehabt habe, den Verspätungsfolgen zu entgehen, und deshalb als missbräuchlich anzusehen sei.

Der BGH verweist die Sache an das OLG zurück. Er verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die Änderung oder Erweiterung einer Klage nicht als Angriffsmittel im Sinne von § 296, 530, 531 ZPO anzusehen ist, sondern als selbständiger prozessualer Angriff, dessen Zulässigkeit allein nach §§ 263, 264, 533 ZPO zu beurteilen ist. Wenn eine Klageerweiterung danach zulässig ist, dürfen auch die zu ihrer Begründung vorgetragenen Angriffsmittel nicht wegen Verspätung zurückgewiesen werden. Abweichend vom OLG lehnt der BGH eine Ausnahme von diesem Grundsatz auch für den Fall ab, dass die Klageerweiterung allein dem Zweck dient, solchen Vortrag dem Verspätungseinwand zu entziehen. Er hält allenfalls für möglich, das neue Vorbringen nur in Bezug auf den neu hinzugekommenen Teil des Streitgegenstands zu berücksichtigen und hinsichtlich des bisherigen Streitgegenstands – trotz des grundsätzlichen Verbots einander widersprechender Teilentscheidungen – ausnahmsweise durch Teilurteil zu entscheiden. Mit der Frage, ob diese Möglichkeit nach der Zurückverweisung an das OLG auch im Streitfall in Betracht kommt, befasst sich der BGH nicht.

Praxistipp: Der Beklagte kann eine solche „Flucht in die Klageerweiterung“ nur abwenden, indem er das Gericht davon überzeugt, dass die Klageerweiterung nicht sachdienlich ist oder dass die in der Berufungsinstanz zusätzlich erforderlichen Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen.

Änderungen an BGB und UKlaG: Formvorgaben in AGB, Verfolgung von Datenschutzverstößen, Missbrauchseinwand

Durch das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts vom 17.02.2016 ergeben sich einige, Änderungen, die auf den ersten Blick unwesentlich sind, sich in der Praxis aber erheblich auswirken dürften. Die wesentlichen Änderungen sollten Sie kennen:

  1. § 309 Nr. 13 BGB – Form von Anzeigen und Erklärungen

Für alle Schuldverhältnisse, die nach dem 30.09.2016 entstanden sind, gilt in Zukunft ein Verbot von AGB-Klauseln, die mehr als die Textform für Anzeigen und Erklärungen verlangen. Schriftform ist lediglich dann wirksam vereinbar, wenn der Vertrag einer notariellen Beurkundung bedarf. Wenngleich bei online geschlossenen Verträgen bereits die Rechtsprechung in Einzelfällen ein Schriftformerfordernis für unwirksam befunden hat (LG Berlin, 29.07.2014 – 16 O 500/13; LG München I, 30.01.2014 – 12 O 18571/13; AG Bremerhaven, 21.01.2014 – 51 C 233/13 ), umfasst dies nunmehr sämtliche Verträge, die unter Verwendung von AGB eine besondere Form für Anzeigen vorgibt. In vielen Fällen liegt die Vermutung nahe, dass AGB-Verwender hiermit die Schwellen für eine Kündigung grundlos hoch gelegt haben, was bei Klauselgegnern zum Teil auch zum Ablauf von Kündigungsfristen führte  (Beschwerden über einen Energieversorger, der eine Kündigung nur in Schriftform akzeptiert, z.B. hier). Dieses fast schon schikanöse Verhalten dürfte insbesondere Verbrauchern in Zukunft erspart bleiben

2. Änderung im Unterlassungsklagengesetz – Datenschutz – Schutz vor Missbrauch

Qualifizierte Einrichtungen, Verbände und Kammern haben nach dem UKlaG nunmehr auch die Möglichkeit, gegen datenschutzrechtswidriges Verhalten vorzugehen. §  2 Abs. 2 Nr. 11 UKlaG ermöglicht ein Vorgehen bei Verstöße gegen die Vorschriften, welche die Zulässigkeit der Datenverarbeitung regeln.

Datenschutzverstöße bei der Datenverarbeitung sind nun also, auch wenn sie außerhalb von AGB erfolgen, abmahnfähig.  Im Falle einer gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung ist neuerdings gem. § 12a UklaG vom Gericht die zuständige Datenschutzbehörde zu hören, was nur in Fällen einstweiliger Verfügungen ohne mündliche Verhandlung entbehrlich ist.

Wie auch z.B. schon im UWG und UrhG vorgesehen, wird mit § 2b UKlaG eine Einwendung für die rechtsmissbräuchliche Anspruchsgeltendmachung eingeführt, die insbesondere dann vorliegen soll, wenn es primär um die Generierung von Aufwendungsersatzansprüchen geht. Im Falle einer rechtsmissbräuchlichen Anspruchsgeltendmachung kann der Antragsgegner nunmehr auch direkt aus § 2b UKlaG Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen geltend machen.

 

BGH: Widerrufsrecht im Fernabsatz nur im Ausnahmefall rechtsmissbräuchlich

In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH den Widerruf  eines Verbrauchervertrages im Fernabsatz nicht für rechtsmissbräuchlich erachtet. Ein Kunde hatte eine Matratze bestellt, die mit einer Tiefpreisgarantie beworben wurde. Nach Erhalt der Ware fand er ein günstigeres Angebot und bot dem Händler an, einen Widerruf durch Anpassung des Kaufpreises abzuwenden. Der Händler stimmte dem nicht zu, woraufhin der Verbraucher den Kaufvertrag widerrief. Der Händler hielt diesen Widerruf für rechtsmissbräuchlich, da das Widerrufsrecht im Fernabsatz lediglich die Prüfung der Ware wie im stationären Handel ermöglichen soll.

BGH lehnt Rechtsmissbrauch ab

Wie auch schon das AG Rottweil (Urteil vom 30. Oktober 2014 Az.: 1 C 194/14) und das LG Rottweil (Urteil vom 10. Juni 2015 Az.: 1 S 124/14) geht der BGH davon aus, dass der Widerruf nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Der grundsätzlich ohne Begründung mögliche Widerruf sei lediglich in Ausnahmefällen rechtsmissbräuchlich, in denen der Unternehmer besonders schutzbedürftig ist. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Verbraucher arglistig handelt, etwa indem er zum Beispiel eine Schädigung des Verkäufers beabsichtigt oder schikanös handelt.

Auswirkungen für den Widerruf von Darlehensverträgen

Die Entscheidung dürfte auch auf andere Fallgestaltungen Auswirkungen haben:

Fälle, in denen Verbraucher alte Darlehensverträge widerrufen, um durch die Rückabwicklung (teils) erhebliche Rückzahlungen zu erhalten, werden von Darlehensgebern häufig mit dem Einwand der Verwirkung (aufgrund des lange zurückliegenden Vertragsschlusses) sowie der Rechsmissbräuchlichkeit angegangen. Der nur vereinzelt von Gerichten bejahte Rechtsmissbrauch (z.B. durch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18.08.2015 – Aktenzeichen 3 U 31/15 bejaht) dürfte im Lichte dieser Entscheidung nicht mehr ohne weiteres bejaht werden.

BGH, Urteil vom 16. März 2016 – VIII ZR 146/15  Pressemitteilung des BGH