Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um ein nicht alltägliches Kriterium für die Gesetzesauslegung.

Reichweite der Schonfrist nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB
BGH, Urteil vom 5. Oktober 2022 – VIII ZR 307/21

Der VIII. Zivilsenat bestätigt seine Rechtsprechung und stützt sie auf ein zusätzliches Argument.

Der Beklagte ist seit 1984 Mieter einer Wohnung in Berlin. Seit 2012 zahlte er eine um 20 % (von 307 auf 240 Euro) reduzierte Miete, weil die Wohnung nach dem Anbau eines Balkons verschattet und ein Spielplatz entfernt worden sei. Die Klägerin erwarb die Wohnung im Jahr 2014. Im Jahr 2017 klagte sie auf Zahlung der aufgelaufenen Mietrückstände. Die Klage hatte in erster Instanz vollständig und in zweiter Instanz zum überwiegenden Teil Erfolg. Daraufhin erklärte die Klägerin im Jahr 2018 wegen der Mietrückstände die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Nach Zustellung der Räumungsklage zahlte der Beklagte die rückständige Miete.

Die Räumungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Das LG wies sie auf die Berufung des Beklagten ab.

Der BGH verweist die Sache an das LG zurück.

Entgegen der Auffassung des LG kann die nachträgliche Begleichung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB allenfalls zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung führen, nicht aber zur Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung.

Der BGH hält an dieser von ihm seit 2006 vertretenen Rechtsauffassung auch im Lichte der daran wiederholt geäußerten Kritik des LG fest. Zur Begründung verweist er auf eine frühere Entscheidung. Ergänzend tritt er dem vom LG angeführten Argument entgegen, dem seitherigen Schweigen des Gesetzgebers könne kein Bestätigungswille entnommen werden: Der Gesetzgeber habe die Rechtsprechung des Senats nicht lediglich unbeanstandet gelassen. Vielmehr habe er mehrfach Gesetzesanträge, die auf eine abweichende Regelung abzielten, ausdrücklich abgelehnt. Dies spreche im Ergebnis eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber das Normverständnis des Senats weiterhin als geltende Rechtspraxis ansehe und an diesem Rechtzustand keine Änderungen vornehmen möchte.

Praxistipp: Für die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung kann von Bedeutung sein, ob der Mieter die Zahlung wegen geltend gemachter Mängel verweigert hat oder deshalb, weil er zur Zahlung nicht in der Lage war und die Sozialbehörden ihn nicht in der gebotenen Weise unterstützt haben.