Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Voraussetzungen für eine Rüge der Verletzung von Verfahrensgrundrechten im Rahmen einer Rechtsbeschwerde.

Grundsatz der materiellen Subsidiarität
BGH, Beschluss vom 29. Juli 2025 – VI ZB 31/24

Der VI. Zivilsenat bekräftigt seine ständige Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer auf das Grundgesetz gestützten Verfahrensrüge in dritter Instanz.

Die Klägerin hat den Beklagten in einem Vorprozess wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung in Anspruch genommen. Ihre Klage ist erfolglos geblieben.

Nunmehr verlangt die Klägerin vom Beklagten Schadensersatz wegen Verfälschung der Behandlungsdokumentation. Das LG hat die Klage abgewiesen, weil der Streitgegenstand mit demjenigen des Vorprozesses identisch sei. Ergänzend hat es ausgeführt, die unzulässige Klage wäre auch unbegründet.

Nach Eingang der Berufungsbegründung hat das OLG die Klägerin darauf hingewiesen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Begründung des Rechtsmittels, weil die Klägerin sich nur gegen die Erwägungen des Landgerichts zur Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozess wende, nicht aber gegen die Ausführungen zur Begründetheit der neuen Klage. Die Klägerin hat daraufhin geltend gemacht, ihre Berufung sei zulässig, und ihre Ausführungen zur Rechtskraft des früheren Urteils weiter vertieft. Das OLG hat die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin bleibt schon aus formellen Gründen ohne Erfolg.

Der vom Bundesverfassungsgericht für Verfassungsbeschwerden entwickelte Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern. Der BGH wendet diesen Grundsatz seit längerem auch in Verfahren über Revisionen, Nichtzulassungsbeschwerden und Rechtsbeschwerden an.

In Anwendung dieses Grundsatzes lässt der BGH im Streitfall offen, ob die in dem Hinweis des OLG geäußerte Einschätzung zur Zulässigkeit der Berufung zutrifft. Die Klägerin darf eine aus einer diesbezüglichen Fehleinschätzung resultierende Verletzung ihrer Ansprüche auf rechtliches Gehör und wirkungsvollen Rechtsschutz schon deshalb nicht mehr geltend machen, weil sie in ihrer Stellungnahme zu dem Hinweis nicht auf die nach Auffassung des OLG ausschlaggebende Frage eingegangen ist, ob das Landgericht seine Entscheidung auf zwei selbständige Erwägungen gestützt hat.

Praxistipp: Die Entscheidung führt nochmals deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, einem nach § 522 Abs. 1 oder 2 ZPO erteilten Hinweis des Berufungsgerichts hinsichtlich aller relevanten Aspekte entgegenzutreten, wenn die zu erwartende Entscheidung in dritter Instanz angefochten werden soll.