Montagsblog: Neues vom BGH

Diese Woche geht es um die Pflicht zur erneuten Anhörung der Parteien in der Berufungsinstanz.

Erneute Anhörung der Parteien durch das Berufungsgericht
BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2024 – I ZR 70/24

Der I. Zivilsenat wendet einen in der Berufungsinstanz häufig übersehenen Grundsatz an.

Die Klägerin und ihr später verstorbener Ehemann beauftragten den Beklagten im Jahr 2017 schriftlich mit der Vermittlung von Versicherungsleistungen. Im Juli 2020 fand auf Wunsch der Eheleute ein persönliches Beratungsgespräch zum Thema „Hinterbliebenen/Familien-Absicherung“ statt. Die Klägerin widmete sich damals vorwiegend der Erziehung der beiden 2017 und 2018 geborenen Kinder. Ihr Ehemann war als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin tätig und hatte ein Bruttogehalt von rund 75.000 Euro. Inhalt des Beratungsgesprächs war auch der Abschluss einer Risikolebensversicherung für den Ehemann. Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.

Im Dezember 2020 verstarb der Ehemann der Kläger im Alter von 39 Jahren unvermittelt an einer Streptokokken-Infektion. Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen fehlerhafter Beratung über eine Risikolebensversicherung auf Zahlung von 500.000 Euro in Anspruch.

Das LG hat der Klägerin nach persönlicher Anhörung beider Parteien 375.000 Euro zugesprochen. Das OLG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Klage auf die Berufung des Beklagten in vollem Umfang abgewiesen.

Der BGH verweist die Sache durch Beschluss gemäß § 544 Abs. 9 ZPO an das OLG zurück.

Das OLG durfte nicht zu Lasten der Klägerin entscheiden, ohne beide Parteien erneut anzuhören.

Eine Wiederholung einer Zeugenvernehmung oder Parteianhörung ist geboten, wenn das Berufungsgericht den Inhalt einer Aussage oder die Glaubwürdigkeit der aussagenden Person anders würdigen will als das erstinstanzliche Gericht. Im Streitfall hat das LG die einander widersprechenden Angaben der Parteien zwar nicht gewürdigt und seine Entscheidung allein auf die übereinstimmenden Angaben beider Parteien gestützt. Wenn das OLG diese Angaben nicht für ausreichend hält, um den Klageanspruch zu stützen, muss es aber die persönliche Anhörung der Parteien schon deshalb wiederholen, weil dem persönlichen Eindruck in der gegebenen Situation für die Würdigung der einander widersprechenden Aussagen und für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit entscheidend ist und das LG hierzu gerade keine Feststellungen getroffen hat.

Praxistipp: Ergibt sich aus einem gerichtlichen Hinweis oder aus sonstigen Umständen, dass das Berufungsgericht ohne erneute Beweisaufnahme zu einem abweichenden Ergebnis gelangen will, sollte die hiervon betroffene Partei noch in der Berufungsinstanz eine Wiederholung der Beweisaufnahme ausdrücklich beantragen, um die Präklusion einer entsprechenden Rüge in der Revisionsinstanz unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität sicher auszuschließen.